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Im Zeichen der Fische

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Der Fisch begegnet uns nicht nur bei der Fischerei und in Unterwasserfilmen, sondern auch am gestirnten Himmel. Die Sternbilder werden dem Publikum in jedem Planetarium genannt. Man vernimmt, daß es da unter den Wassertieren einen nördlichen, einen südlichen und einen fliegenden Fisch gibt, einen Delphin, einen Wal, einen Krebs, einen Wassermann, einen Schwertfisch und eine kleine und eine große Wasserschlange. Weshalb gerade diese Wesen von den Hellenen an den Himmel projiziert wurden, erfährt man jedoch erst durch die Beschäftigung mit den altgriechischen Sagenkreisen. Die mythischen Gestalten entstanden bei ihnen wie bei allen Völkern, indem der frühe Mensch die Kräfte und Gegenstände der Natur mit menschlichen Eigenschaften beseelte. So gewannen unzäh-bare Naturgottheiten und Geister, Drachen und Monstren in jahrtausendelangen Überlieferungsketten Gestalt, bis schließlich jede Quelle ihre Nymphe, jede Kunst ihre Muse und jeder Hain seinen Schutzgeist hatte.

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Der Fisch begegnet uns nicht nur bei der Fischerei und in Unterwasserfilmen, sondern auch am gestirnten Himmel. Die Sternbilder werden dem Publikum in jedem Planetarium genannt. Man vernimmt, daß es da unter den Wassertieren einen nördlichen, einen südlichen und einen fliegenden Fisch gibt, einen Delphin, einen Wal, einen Krebs, einen Wassermann, einen Schwertfisch und eine kleine und eine große Wasserschlange. Weshalb gerade diese Wesen von den Hellenen an den Himmel projiziert wurden, erfährt man jedoch erst durch die Beschäftigung mit den altgriechischen Sagenkreisen. Die mythischen Gestalten entstanden bei ihnen wie bei allen Völkern, indem der frühe Mensch die Kräfte und Gegenstände der Natur mit menschlichen Eigenschaften beseelte. So gewannen unzäh-bare Naturgottheiten und Geister, Drachen und Monstren in jahrtausendelangen Überlieferungsketten Gestalt, bis schließlich jede Quelle ihre Nymphe, jede Kunst ihre Muse und jeder Hain seinen Schutzgeist hatte.

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Den Griechen genügte es nicht, Sagen zu bilden, in denen sich die äußere Wirklichkeit mit Bildern vermählt, die in der Seele entstehen, sondern sie kamen auf die Idee, in die Sternenwelt Hauptgestalten ihrer Mythologie hineinzuschauen. Dazu bot der klare südliche Himmel reichlich Gelegenheit, und es fiel ihrer lebhaften Phantasie zum Beispiel nicht schwer, unweit des herrlichen W der Kassiopeia in einem anderen Sterngebilde deren Tochter Andro-meda zu entdecken, daneben aber auch den grausen Walfisch, der sie verschlingen will, während glücklicherweise auch schon Perseus herbeieilt, der sie retten wird. Ein Thema, zu dem Sophokles und Euri-pides später ihre berühmten Tragödien schufen.

Zur Zeit des Syrerkönig Antiochos Soter lebte in Babylon der Geschichtsschreiber Berosos. Er war auch Astrologe, Astronom und zugleich Priester des babylonischen Gottes Bei oder Merodach. Daher waren ihm die Priesterchroniken des später zerstörten sralAeni Baltempels zugänglich. Ihm zufolge existierten Aufzeichnungen über die Taten des Gottes Oannes, der in dunkler Urzeit aus dem Persischen Meer in Gestalt eines Fisches aufgetaucht war. Oannes hatte ein menschliches Haupt, Menschenfüße und eine Menschenstimme und zog sich jeden Abend ins Wasser zurück. Tagsüber aber unterrichtete er die Babylonier, die bis dahin wild und ungezähmt gehaust hatten, und brachte ihnen den Ackerbau, die Schrift, die Landvermessung, die Baukunst und alle anderen Wissenschaften und Künste bei. Die ihm geweihten Priester trugen Fischhäute als Gewänder, und seine glückliche Herrschaft währte lang.

Möglicherweise geht es auf Oannes

zurück, daß Ischtar, Astarte oder Atargatis im syrisch-phönizischen Kulturkreis ebenfalls ein Fischkult zugeordnet war. Bei allen ihren Tempeln befanden sich Teiche mit göttlichen Fischen, die niemand berühren durfte. Ischtar hieß auch Der-keto, und der älteste ihr gewidmete Tempel stand nach einem Bericht Herodots in Askalon, wo sie, wie häufig an ihren Kultstätten, mit einem Fischleib dargestellt war. Die sagenhafte Königin Semiramis, die nicht nur auf Palastdächern Ziergärten anlegen ließ, sondern auch mit drei Millionen Kriegern auszog, um Indien zu erobern, war eine Tochter der Ischtar und förderte vielleicht deshalb die Fischzucht in ihrem Reich.

Einen Fisch im Stammbaum zu haben, galt nicht nur im Altertum als Auszeichnung. Viele Adelsgeschlechter, unter ihnen die weitverzweigte Familie der Grafen und Fürsten Salm, die von der gleichnamigen Burg im Moselland stammen und deren Ahnherr Siegfried Graf Salm vor der Jahrtausendwende lebte, führen Fische im Wappen. In ganz Europa sind es mehrere hundert Städte, auf deren Wappen seit dem Mittelalter Fische prangen. Dies geht teils auf alte Fischersiedlungen, auf den Fischreichtum der Gewässer, teils auch auf die christlichen Fischsymbole zurück. Annulus pisca-torius oder Fischerring heißt der Ring, den der Papst als Zeichen seiner Vermählung mit der Kirche trägt. Der Ring enthält das Bildnis des Apostels Petrus, in einem Kahn sitzend, was daran erinnert, daß er Fischer auf dem See Genezareth war, und in einer Umschrift den Namen des Papstes. Päpstliche Entscheidungen mittlerer Wichtigkeit, Breven genannt, werden auch heute noch mittels des Siegelringes gezeichnet. Nach dem Tod eines Papstes wird sein Ring zerbrochen, wonach die Stadt Rom gemäß alter Sitte seinem Nachfolger einen neuen Ring zu schenken verpflichtet ist.

Über die Ereignisse vor fast zwei Jahrtausenden, als Jesus die Fischer am See beim Waschen ihrer Netze angetroffen hatte, berichtet das Neue Testament. Nicht weniger dramatisch ging es zu, als Jesus mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen fünftausend Menschen satt machte. Und noch ein zweitesmal gibt Jesus Fische zur Nahrung. Das geschieht nach Tod und Auferstehung, als er Petrus und andere Jünger bei Tibe-rias am See findet. Auf sein Geheiß werfen sie das Netz aus und fangen 153 große Fische. Sie essen sie mit ihm, nachdem sie auf Holzkohlen geröstet, also gegrillt wurden, und nehmen Brot dazu.

Bald stand Christus in der Folgezeit im Mittelpunkt der Fischsymbolik der frühen Christen. Anlaß dazu bot einerseits, daß das griechische Wort Ichthys, das Fisch bedeutet, identisch ist mit den Anfangsbuchstaben der Namen „Jesus Christus, Gottessohn, Erlöser“. Demgemäß findet man das geschriebene Wort Ichthys ebenso wie das gezeichnete oder eingravierte Fischsymbol allenthalben in den frühen Christengemeinden, an Grabmälern, Krügen und vielen Gegenständen, seit dem Beginn der Verfolgungen auch an den Wänden der Katakomben, wo es auch heute noch von Romtouristen an vielen Stellen bestaunt und photographiert wird.

Anderen, tiefgründigen Deutungen zufolge, die auch ein Forscher wie C. G. Jung aus tiefenpsychologischer Sicht unterstützte, wurde Christus als Erlöser schon früher mit dem Fisch verglichen, der als Speise für die Seele dient oder, in anderer Version, aus dem Seelenreich auf mystische Weise auftaucht. Der heilige Augustinus sagte klipp und klar: „Piscis assus, Christus passus“ (Der gebra tene Fisch ist der leidende Christus), was überall dort wörtlich genommen wurde, wo man als Abendmahlsspeise Fisch aß. Originell in diesem Zusammenhang ist eine Dastellung am Verduner Altar des Stiftes Klosterneuburg bei Wien: Da entdeckt man Judas, der einen Fisch hinter seinem Rücken versteckt hält, was den kommenden Verrat andeutet.

Die moderne Forschung sieht die christliche Symbolik um den Fisch als ein von älteren Völkern übernommenes Erbe. Dort war der Fisch in seinem dunklen Aspekt ein Monster der Tiefe gleich dem Leviathan, im hellen Aspekt aber ein Heilsbrin-ger und Schützer des Lebens. Es gilt als wahrscheinlich, daß die ungeheure Zahl von Eiern, die von den meisten Fischarten in der Laichzeit abgelegt werden, zur Bedeutung in der Fruchtbarkeitssymbolik und die häufige räuberische Gefräßigkeit selbst der eigenen Art gegenüber zur mythologischen Schreck- und Unter-weltsbedetung führten. Das erinnert daran, daß den im Sternzeichen der Fische Geborenen in der frühen Astrologie Eigenschaften zugeschrieben wurden, die in die Richtung der Mutter-, Fruchtbarkeits- und Liebesgöttin Ischtar und ihres Gefolges weisen. Das hieß einerseits Sinnlichkeit, Vitalität, Grausamkeit, Blutdurst, anderseits Kraft, sich das Meer Untertan zu machen, zu herrschen, Fischer oder Seemann zu werden. Ein Rest dieser Bedeutungen findet sich trotz des Sinn- und Gestaltenwandels im Lauf der Jahrtausende sogar noch in der gegenwärtigen Tri-vialhoroskopie.

Zu den Apokryphen gerechnet wird die schöne Geschichte des alten Tobias. Wieder einmal hat er nachts Tote bestattet und ist dadurch nach jüdischem Gesetz unrein geworden. Als er heimkehrt, soll er die vorgeschriebenen rituellen Waschungen vornehmen, doch er ist so müde, daß er im Hof seines Hauses einsehläft. Schon zürnt Jahwe und straft prompt. Er schickt eine Schwalbe, die den Hof überfliegt und so treffsicher „schmatzt“, daß ihre heißen Exkremente die Augen des Tobias versengen, der darob erblindet. Der Jammer ist groß, doch Gott ist auch barmherzig, zumal Tobias die Prüfung geduldig trägt, und schickt seinen Engel Raphael, als des Tobias Sohn eine Reise unternimmt. Aus dem Fluß Tigris fährt ein Fisch aus der Flut und will den Sohn verschlingen. Doch Raphael sagt dem Sohn, er möge den Fisch auseinanderhauen und dessen Herz, Galle und Leber, die als Arznei gut seien, behalten. Der Sohn führt die Reise zu Ende, kehrt zurück, vom Engel beraten, und bestreicht des Vaters Augen mit der Fischgalle eine halbe Stunde lang. Da geht der Star von den Augen „wie ein Häutlein von einem Ei“.

Die große Bedeutung, die vielerlei aus Fischen gewonnenen Medizinen vom Mittelalter bis in unser Jahrhundert zugemessen wurde, geht zum Teil auf diese Bibelstelle, teils aber auch auf eine Fülle alchemistischer und zauberischer Praktiken zurück. Allerletzte Überbleibsel finden sich heute noch bei den Zigeunern, aber auch in Gebieten, wo man an Hexen glaubt, so in Irland, Schottland, England, in der Bretagne, in weiten Gebieten Spaniens, in der Lüneburger Heide, im Burgenland, auf dem Balkan und in Süditalien. Hexen, zumal anläßlich ihrer Initiationsriten, durch die sie Gott absagen und den Teufelspakt schließen, verwenden vielfach den Fisch, um sich während einer Sahwarzen Messe, das Abendmahl verhöhnend, symbolisch mit Luzifer zu vereinigen.

Nordamerikanische Indianer stämme, wie die Karuk am Klamath-fluß, die vom Lachsfang leben, wie die Kutenai, die Kwakiutl, die Salish, die Tlingit, die Tsimshian und die Wishram, die den großen Fischereikulturen des Nordwestens zugehören, haben der Wissenschaft einen längst nicht ausgeschöpften reichen Schatz an Märchen und Mythen vermittelt. Unter den vielen tausend Geschichten, die als Bandaufnahmen oder Aufzeichnungen festgehalten wurden, befinden sich auch Schöpfungsmythen. Dabei ist es eigenartig, daß auch hier, ähnlich wie in Asien, in Teilen Afrikas und in der Bibel das Festland ineist als aus den Wassern emporgestiegen bezeichnet wird, und auch, daß das Sintflutmotiv, das in dar griechischen wie in der indischen und persischen Urgeschichte eine große Rolle spielte, mehrfach anklingt.

Unter den zahlreichen großartigen Indianer- und Eskimomärchen ist eines vom Stamm der Wishram, die am Columbiafluß fischten, infolge seiner Schönheit und sanften Melancholie bedeutsam. Darin wird erzählt, daß einst, als die Erde noch jung war und es keine Zeit gab, der Coyote, der Skunk und fünf Wölfe das Lachsweib verschleppten, nachdem sie den Lachsmann getötet hatten. Doch da hatte das Lachsweib eines der zahllosen Eier verloren, Regen schwemmte es in den Fluß und bald wurde ein mächtiger junger Lachs daraus. Zeitweise nahm das Lachsweib die Gestalt einer Trauertaube an und gedachte leidvoll seines gemordeten Gatten. Noch heute kann man ihren traurigen Ruf vernehmen, wenn die Lachse den Fluß hinaufziehen und das Wasser aufschäumt von der Gewalt der mächtigen Leiber, die sich vorwärtsdrängen, um an die Laichplätze zu kommen. Der junge Lachs indessen begann nach langer Suche den Mord zu rächen. Er fand den Skunk, warf ihn mit gewaltiger Kraft zwischen die Berge, dorthin, wo kaum je die Sonne scheint und woher er nicht zurückkehren soll, andere Leute zu belästigen. Und den Coyoten schleppte er an den Fluß: „Hier sollst du dich von toten Fischen ernähren und nur das fressen dürfen, was sonst keiner mag.“ Die Wölfe schoß er einen nach dem andern mit dem Pfeil ab, bis auf den Letzten, der entkam, so daß es heute noch Wölfe gibt. Doch seither fürchten die Wölfe den Menschen (denn der Lachs war als Totemtier zugleich der Menschenahne der Wishram) und ziehen sich scheu vor ihm zurück. Die Lachsmutter, zugleich Mutter des Menschengeschlechts, war inzwischen in der Wildnis bis zur tödlichen Ermattung erschöpft und abgemagert. Doch zwei Raben führten den Sohn zu ihr, der sie fünfmal mit Fischöl begoß — da war sie plötzlich wieder so jung und schön wie an ihrem Hochzeitstag.

In Mahabharata, dem größten Epos der Hindus, das vor 3000 Jahren niedergeschrieben wurde und neben Urmythen in der „Gita“ auch die zentrale indische Weisheitslehre umfaßt, heißt es: „Am Morgen der Schöpfung regierte ein mächtiger Herrscher die Welt. Er hieß Puru-rava. Seine Mutter war IIa, die Tochter Manus, des Ahnherrn des Menschengeschlechts. Pururava heiratete die himmlische Kurtisane Urbashi, und sie gebar ihm mehrere Söhne.“ Manu ist zugleich der Noah Indiens, denn er bleibt nach der großen Flut als einziger am Leben. Als die Bedrängnis durch die Wasser am ärgsten ist, erscheint ein kleiner goldener Fisch und bittet Manu, er möge ihn aufnehmen, da Wasserungeheuer ihn verschlingen wollten. Manu nimmt den Fisch auf, der in Wirklichkeit Vischnu ist. Vischnu aber wächst nun gewaltig und wird so groß, daß schließlich er es ist, der Manu aus der Sintflut rettet, so daß dieser zum Begründer des Rechts, der Sitte und des Kultus werden kann.

Forschungsergebnisse unseres Jahrhunderts schlössen die Beweiskette dafür, daß alles Leben ursprünglich im Weltmeer begann, lük-kenlos. Fische vom Stamm der Qua-stenflosser waren es, die das Land eroberten und so zu den Ahnen aller Wirbeltiere, also der Vögel und der Säuger, und somit auch des Menschen wurden. Heute glauben manche Forscher, daß eine Urerinnerung an diesen Sachverhalt im Gemeinschaftsgedächtnis der Menschheit, wenn auch in schwer entschlüsselbarer Form, erhalten blieb. Einige unserer Streiflicher werden uns vielleicht diesbezüglich nachdenklich stimmen. Geologie und Biologie bestätigen, daß die Entwicklung genauso verlief, wie es der dramatisch verkürzte Bericht der Genesis ansagt — aber in ungeheuren Zeiträumen. Die Frage, wieso die Bewahrer der Weltentstehungsmythen der meisten Völker ähnliche Schilderungen gaben, wird wohl für immer unbeantwortet bleiben. Der Fischer aber, den es immer wieder ans Wasser lockt und ruft, soll sich nach der Begegnung mit solcherlei Fakten im stillen denken, daß seine Passion kein blinder Zufall, sondern tief verankert im Fühlern und Denken der Menschheit ist.

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