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Malerei unter der Erde

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Ich hatte die Callist us- Katakombe besucht, doch waren meine Erwartungen irgendwie nicht erfüllt worden. Vielleicht hatte ich mich zu sehr in jener romantischen Stimmung befunden, von der man seit der Jugendlektüre von „Quo vadis?“ und „Fabiola“ bei einem Katakombenbesuch nicht mehr loskommt, vielleicht waren an diesem Tage zu viele Führungen unterwegs gewesen ... Durch das Katakombenlabyrinth war ein Summen gezogen wie in einem Bienenhaus. Die Katakomben sind ein Ort des Friedens und sollten ein Erlebnis der Stille sein. Diese Stille hatte ich nicht gefunden.

Ich war dann von der Via Appia in eine stille Nebengasse abgebogen und so zum Eingang der D o m i t i 11 a - Katakombe gekommen. Flier standen keine Autobusse von Reisegesellschaften Schlange. Ein Pater führte mich allein hinab in die Katakombe. Es gab sehr schöne Wandmalereien zu sehen. Der Pater sagte mir, daß sich in dieser Katakombe noch viel mehr Wandmalereien befänden. Ob ich auch diese sehen könnte? Nein, das könnte ich nicht, das wäre ein Fußmarsch von vier Stunden, und den Weg durch das Labyrinth wüßte nur ein einziger Pater. Ich bat, diesem vorgestellt zu werden. Und dieser Pater versprach dann, meinen Wunsch zu erfüllen. Ich sollte mich am nächsten Morgen zwischen sechs und sieben Uhr vor der Katakombe einfinden.

Zeitig früh wanderte ich also am nächsten Tag durch die Porta San Sebastiano hinaus in die Campagna. Kein Mensch war noch auf den Straßen. Der Pater erwartete mich bereits. Ich bekam einen Stock mit einem umgerollten Wachsfaden in die Hand gedrückt. Und dann begann die lange Wanderung zu den Wandmalereien der Domitilla-Katakombe.

Coemeterium (das heißt Schlafkammer) nannten die Römer die Grabkammern ihrer Toten. Und wie die Schlafkammern der Lebenden, so schmückten sie auch die Grabkammern der Toten mit bunten Bildern. Diese Tradition würfle .auch von čįer jungen christlichen (Se- nieinie, weitergeführt.

Betrachtet man diese Katakombenbilder nur vom künstlerischen Standpunkt aus, so ergibt sich fürs erste die Feststellung, daß ihr künstlerischer Rang unter dem Kunstvermögen der damaligen Zeit steht. Die Stärke dieser Bilder liegt nicht im Formalen, sondern in ihrem Inhalt. Hier beginnt sich eine der größten Umwälzungen der europäischen Kunstgeschichte zu zeigen: eine Entsinnlichung der Formen, eine Betonung der Fläche (in der die zeitlose Seele, skizzenhaft angedeutet, von irdischer Körperschwere befreit, schwebt), der Triumph des Geistigen über das bloße Aesthetische, der Sieg des Inhaltes über die Form. „Unter der Erde sprießend in hellfarbiger Zartheit, läßt diese Frühlingssaat einer neuen Kunst wohl Sommerernten ahnen“, schreibt Leo Bruhns in seiner römischen Kunstgeschichte.

Für den Laien ist es schwer, eine frühchristliche Grabkammer von einer heidnischen zu unterscheiden. Zuviel heidnisches Bildgut wurde von der jungen christlichen Gemeinde zu Symbolen umgestaltet. Tritonen wurden zum Sinnbild für das Wasser des Lebens, also der Taufe. Ein bunter Pfau soll den Fabelvogel Phönix versinnbildlichen, der aus der Asche sich zu neuem Leben emporschwingt — Symbol des ewigen Lebens. Und Weinstock und Traube, bisher bacchische Symbole, stellen nun in der neuen Bildersprache des Evangeliums dar („Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben“) oder auch die Eucharistie (wenn sich dazu noch eine Darstellung von Brot gesellt, zum Beispiel: wunderbare Brotvermehrung, Kornähren). Eine Taube wurde zum Sinnbild der erlösten Seele, der Oel- zweig ein Zeichen der Freude, und eine Palme ein Symbol für den siegreich bestandenen Lebenskampf (nicht ausschließlich ein Märtyrersymbol, wie vielfach angenommen wird!). Aus dem antiken Genrebild eines Hirten mit dem Lamm um die Schulter (der die Sehnsucht nach dem einfachen Leben ausdrücken sollte) wurde der Gute Hirte der Heiligen Schrift („Der Herr ist mein Hirte“, der die Seele aus dem Tal des ewigen Todes zu den Höhen ewigen Lebens trägt). Lind die Fische, die als Lebenssymbole in jeder etruskischen G/abkammer schon zu sehen sind, erhielten neue symbolhafte Bedeutung durch das griechische Wort für Fisch, aus dessen Anfangsbuchstaben man die Worte Jesus Christus Gottes Sohn Heiland bilden konnte (Ichthys).

Doch auch neue Symbole entstanden. Da sind vor allem die „Oranten“, jene mit erhobenen Armen (dem antiken Gebetsgestus) dargestellten Gestalten, für die man die verschiedensten Deutungen fand: „das Bild des seligen Christen in Anbetung vor der Herrlichkeit des Herrn“; „Bilder der in der Seligkeit gedachten Seelen der Verstorbenen, welche für die Hinterbliebenen beten“; „die Personifikation des Gebetes für den Verstorbenen". Die moderne christliche Archäologie läßt keine der ausschließlichen Deutungen gelten, sondern ist zu dem Schluß gelangt, daß das Symbol der Orante einen Bedeutungswandel durchgemacht hat und keine der obigen Deutungen allein beansprucht oder ausschließt. Für den unbefangenen Betrachter ist die Orante das zum Bild gewordene Gebet. Die Oranten sind die eindrucksvollsten Schöpfungen der frühchristlichen Kunst. Auf dem mit weißem Marmorstaub gemischten hellen Stuck wurde die Figur mit dunkler Farbe aufgetragen. Der dunklen Farbe gelang es aber nicht, den Untergrund zu decken, sein Weiß schlägt auch durch die dunklen Stellen der Figur und gibt ihr somit etwas Schwebendes, läßt sie dieser Erde entrückt sein. Doch das Faszinierendste der Oranten sind die Augen: große, mandelförmige Augen, die nicht in diese Welt blicken, sondern über den Betrachter hinweg das Jenseits schauen.

Zum Hauptbestand der Katakombenmalerei gehören auch alttestameritliche Szenen: Noah in der Arche, das Quellwunder des Moses, Jonas im Rachen des Ungeheuers, die Jünglinge im Feuerofen, Daniel in der Löwengrube — Begebnisse also, die daran erinnern sollten, daß der Mensch nicht schütz- und hilflos den dämonischen Gewalten preisgegeben ist. Bleibt die Frage, warum Szenen aus dem Alten Testament so stark vertreten sind. Der Katakombenforscher Styger gibt eine zwar vielumstrittene, aber darum nicht weniger interessante Antwort: „Es ist möglich, daß unter einem Teil der in Rom ansässigen Judenschaft, lange bevor das Evangelium nach der Welthauptstadt gelangte, die Sitte ufgekommen war, biblische Erzählungen in den Wohnräumen abzubilden. Unter den zahlreichen Juden vor der Vertreibung durch

Claudius gab es allerhand Elemente, strenge und freie, zurückgezogene und solche, die sich dem Beispiel der kunstliebenden Heiden ergaben. Von den ziemlich zahlreichen römischen Proselyten darf man daher vermuten, daß sie alsbald die mythologischen Szenen ihrer Wohn- räume durch biblische Darstellungen ersetzen ließen und diese dann auch vom Wandschmuck der Wohnungen in die Grabstätten übernahmen.“

Wir waren zu einer Nische gelangt, in der eine der berühmtesten Wandmalereien der Domitilla-Katakombe zu sehen ist: Christus mit den Aposteln. Auf diesem Fresko ist Christus kein Knabe mehr, so wie man Ihn in Anlehnung an griechische Götterbilder bis ins zweite Jahrhundert darstellte, sondern ein bartloser Jüngling. Da erst durch die im vierten Jahrhundert triumphierende Kirche Christus zum Mann wurde, der zum Zeichen Seiner Würde einen Bart trägt, dürfte dieses Fresko im späten dritten oder frühen vierten Jahrhundert entstanden sein, in jenem Zeitraum, in dem sich dieser Wandel des Christusbildes vom Knaben zum Mann vollzog.

Der Christus in der Domitilla-Katakombe ist ein schöner Jüngling und ein Feuerkopf. Wie Flammen fahren die Finger Seiner erhobenen Hände im Sprechgestus nach oben, wie Flammen züngeln Seine Haare in die Stirne, und ein wildes Feuer brennt in Seinen Augen. Dieser Jüngling bittet nicht um Gefolgschaft — Er fordert sie. Als eine stumme Mauer stehen hinter und neben Ihm die Apostel, es sind ihrer zehn — aber Zahlen sagen auf diesem Fresko nichts: diese zehn Apostel stehen für die Menge da, welche dieser Feuerchristus mit sich reißt...

Das unruhige Geflacker unserer Kerzen machte diesen Christus noch sprechender. Wir fragten uns, ob die Wirkung dieses Freskos bei Tageslicht noch die gleiche sei. Der fortschreitende Verfall vieler Katakombenfresken gibt dieser Frage ihre Aktualität. Wenngleich so manches Fresko die Jahrhunderte bisher gut überstanden hat, so trägt die Oeffnung und Erschließung der Katakomben viel zum beschleunigten Verfall bei. Noch werden die Wandmalereien mit Wachskerzen betrachtet, deren Rauch schon manches Bild mit einer fast undurchschaubaren , Rußschicht überzogen hat. Ja selbst der Atem der Betrachter hat mit der Zeit verheerende Folgen.

Soll man also die Fresken von ihrem ursprünglichen Ort lösen und an einen geschütz ten Ort bringen? Wenn man an die nachfolgenden Generationen denkt, dann muß man diese Frage mit Ja beantworten. Doch es fällt schwer, dieses Ja auszusprechen. Die Malereien der Katakomben gehören in das Dunkel der Katakombengänge. Zu den Menschen, welche mit einem kleinen Licht in der Hand zu den Gräbern ihrer Angehörigen pilgerten, sollten sie sprechen, für sie wurden sie geschaffen. In dem flüchtig darüberhuschenden Lichtschein mußte sich der Sinn dieser Bilder sofort enthüllen. Die Kunst der Katakomben ist eine stenographische Kunst, in der jede dargestellte Szene fast eine Formel ist (z. B. ein Mann zwischen Löwen = Daniel in der Löwengrube, Mann vor Broten = wunderbare Brotvermehrung, Symbol der Eucharistie). Ans Tageslicht gebracht, würden diese Bilder viel von ihrer Wirkung verlieren — so wie der Falter seinen Flügelstaub, wenn er in die Hand genommen wird.

Angesichts dieser Bilder wird aber auch eine moderne Art der Kunstbetrachtung zweifelhaft, die bei der Katakombenmalerei nur von impressionistischen oder expressionistischen Merkmalen spricht. Denn den Malern dieser Bilder in den Katakomben ging es nicht um Kunst: Trost sollte aus religiösem Wissen verkündet werden, und ihre Aufgabe war es, leicht erschaubare Bilder für dunkle Räume zu schaffen. Sie lösten dieses Problem, indem sie auf den neutralen Grund kräftige Farben und stark betonte Konturen setzten, und sie erzielten dabei unbewußt eine. künstlerische Wirkung, die uns Heutige fasziniert.

Sehr zerstört, aber darum nicht weniger interessant sind die Fresken der sogenannten Bäckergruft. Diese wurde von Mitgliedern der Bäckerzunft angelegt, und sie enthält Darstellungen aus dem Berufsleben. Eine dieser Szenen stellt Männer dar, welche schwere Säcke transportieren. Seit dem 16. Jahrhundert, als der Humanist Antonio Bosio (den man auch den Kolumbus der Katakomben nennt) Kopien der Katakombenmalereien zu seinem Werk „Roma Sotterana" zusammentrug, hielt man die auf diesem Fresko dargestellten Figuren für zur Zwangsarbeit verurteilte heilige Märtyrer. Erst dem Katakombenforscher Joseph Wilpert gelang es dreihundert Jahre später, diese Meinung richtigzustellen: er entdeckte, daß der Kopist die zu dieser Szene gehörigen Barken ausgelassen hatte Und ihr dadurch jeden Sirm genonfmdrt hatte. Nun ergab sich aber die Erklärung' voh selbst: der Hafen von Rom war dargestellt, und die' säcketragenden Figuren waren die Hafenarbeiter, welche das Getreide aus den Schiffen zu den Backstuben der Bäcker trugen. Ein Bild aus dem Alltagsleben des antiken Rom in einer christlichen Katakombe!

Ueberhaupt wird man in den Katakomben den Martyriumsdarstellungen nur sehr selten begegnen (zum Beispiel nur fünfmal dem Gang Petri zum Kreuz und siebenmal dem Martyrium des Paulus). Der Märtyrerkult, der damals wohl schon sehr gepflogen wurde, fand durch die junge christliche Kunst noch fast keine Interpretation. Warum wohl nicht? Auch das Kreuz findet sich in den Katakomben noch höchst selten (die erste Kreuzigungsdarstellung, die uns überkommen ist, entstand erst um 430 und befindet sich an der Holztür von Sa. Sabina in Rom).

Grüßet Prisca und Aquila, meine Mitarbeiter in Jesus Christus, die für mein Leben ihren eigenen Hals eingesetzt haben, und denen nicht nur ich, sondern alle Heidengemeinden Dank schulden, und ihre Hausgemeinde... Grüßt meinen im Herrn geliebten Amplea- tus ..— so schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer.

In der Domitilla-Katakombe hat man nun in einer geräumigen Gruft eine Inschrifttafel mit dem Namen Ampleatus gefunden. Man datiert diese Gruft in den Anfang des zweiten Jahrhunderts und vermutet mit Recht, daß sich diese Inschrift auf den in dem Römerbrief genannten Ampleatus bezieht. „Diese Gruft ist für mich nicht weniger eindrucksvoll als die berühmte Papstgruft in. der Callistus-Katakombe. Ich habe Sie darum ganz zuletzt hierhergeführt", sagte der Pater zu mir.

Stundenlang waren wir durch das Labyrinth der Domitilla-Katakombe gewandert. Kilometerweit! lind-'Jahrtausende von dem Heute entfernt. Jetzt kehrten wir wieder ins Tageslicht zurück. Bald konnten wir die Inschriften auf den Marmorgrabplatten schon ohne Kerzen lesen ... : „Pace.“

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