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VOM BILD ZUM SINNBILD

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■E-iiin Bild von Duccio: Die Berufung der Apostel Petrus und Andreas.

Jesus steht auf einem Felsen, Petrus und Andreas, in blauem und rotem Gewände, fischen in ihrem Kahn. Petrus hat den Anruf gehört, er wendet sich dem Herrn zu. Andreas hält mit beiden Händen das Netz, er zögert.

Enthält dieses Bild ein Sinnbild? Es stellt doch nur die Wirklichkeit dar: die Fische im See, Kahn, Netz und Ruder, den Felsen, drei Menschen. Gewiß. Verweilen wir aber in der Betrachtung — und das Bild lädt ein, zu verweilen, schon der feierliche goldene Himmel spricht diese Einladung aus —, so fühlen wir, daß hier mehr verborgen ist. Daß der Maler in den Dingen, die er darstellt, mehr gesehen hat als nur das Faktische ihrer Existenz. Daß er in ihnen einen Vorgang wahrgenommen hat, eine geheimnisvolle Verbindung, in die Fisch, Netz und Menschen zueinandergetreten sind. Etwas hat sich ereignet. Was ist im Netz? Wer ist der Fisch?

Und doch: wir wissen aus dem Bild noch nicht, was geschehen ist. Es spricht zu uns, aber ohne Worte. Es sagt nur-so viel, daß, wir das Geheimnis empfinden und unruhig werden. Mehr nicht. Wir haben noch nicht das Wort. Wir werden nur begierig, es zu vernehmen. Wir wissen, daß der Mann am Ufer den Fischern im Kahn nicht einen Scherz, eine Drohung oder ein paar Grußworte zugerufen hat — aber daß er ihnen gesagt hat: „Ich will euch zu Menschenfischern machen“ — das wissen wir noch nicht.

Das Bild hat uns bereitgemacht, dieses Wort aus der Schrift zu hören. Nicht in lehrhafter Weise hat es uns bereitgemacht, sondern durch sein stilles Dasein. Es hat gleichsam den ersten Anfang des Satzes ausgesprochen, um nun, da wir aufmerksam geworden sind, in bedeutsamer Weise zu schweigen. Das Bild hat uns berührt. Nun weist es über sich hinaus.

Ein Bild von Giotto: Einzug in Jerusalem.

Rechts die Tore der 'Stadt, davor, von gerade elf Figuren repräsentiert, das Volk, das „Hosianna dem Sohne“ ruft und Kleider auf den Weg breitet. Zwei weitere Leute sind auf die Bäume geklettert, um Zweige zu brechen. In der Mitte Jesus auf dem Esel, an der Seite, kaum zu sehen, ein Füllen. Hinter Ihm, angedeutet durch die Aureole, die Apostel.

Dieses Bild erzählt schon mehr als das erste. Der Vorgang: der feierliche Einzug eines fürstlichen Menschen, der erwartet wird, in eine bedeutende Stadt — das ist sogleich zu erkennen. Doch geht das Bild über das Abbild der Wirklichkeit, wie sie sich in einem bestimmten Augenblick darbietet, hinaus. Dadurch wird es selbst zu einem Stück Wirklichkeit, wird ebenso existent wie die Dinge, die es darstellt. Aber das ist noch nicht das Entscheidende. Das ist schließlich ein Wesensmerkmal jeder Kunst. Fügte der Künstler dem Bilde nicht etwas aus seiner Seele hinzu, bliebe jedes Bild sinnlose Wiederholung von etwas, das in der Natur vollkommener vorhanden ist.

Was also ist hier das Entscheidende? Es ist wieder das. was im Dargestellten verborgen ist; was sich den Blicken entzieht und sie doch ins Bild zwingt; was sich nicht in Worten fassen läßt. Jedes Detail scheint wichtig und voll Bedeutung zu sein, voller Anspielung. Nichts ist zufällig. Warum geht das Füllen neben dem Esel? Etwas Besonderes ist geschehen und hat die Menschen, die wir sehen, bewegt. Es geht von dem Manne aus, der auf einem Esel reitet. Da beginnen wir es vielleicht zu ahnen. Denn dieser Mann, der erwartet wird, vor dem sich das Volk neigt, kommt nicht wie ein König. Er kommt demütig, fast traurig; demütig wie das Tier, auf dem er reitet, das geduldige Graufell. Und doch erkennt das Volk in ihm den Erwählten. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich nur dem Wissenden, dem, der das Wort kennt. Der weiß, daß geschrieben steht:

„Sie näherten sich Jerusalem .und kamen nach Bethphage am Oelberg. Dort sandte Jesus zwei von Seinen Jüngern mit dem Auftrag fort: .Geht in das Dorf, das vor euch liegt! Und gleich am Eingang findet ihr eine Eselin angebunden und bei ihr ein Füllen. Bindet diese los und bringt sie Mir! Und sollte es jemand euch verwehren, so sagt: Der Herr braucht sie; er wird sie sogleich wieder zurücksenden!' Dies ist geschehen, damit erfüllt würde, was durch den Propheten gesprochen ward: .Sagt der Tochter Sion: Sieh, dein König kommt zu dir, sanftmütig und auf einem Esel reitend, auf einem Füllen, auf dem Jungen eines Lasttieres!' “

Jetzt erst tut sich uns die ganze Sinnfülle des Bildes auf. „Dies ist geschehen, damit erfüllt würde“ — da berühren wir die Geheimniszone des Bildes Es geschieht, damit erfüllt wirdi Da wird Bild zum Sinnbild.

Schon durch die bloße Betrachtung erschließt sich uns die Sinnbildlichkeit des Esels, der die ganze Sanftmut der Welt in sich verkörpert, und der noch begleitet ist von einem Füllen. Aber erst jetzt ordnet sich dieses Sinnbild in den größeren Sinnzusammenhang des Sanftmütigen, der da kommt, um zu erfüllen: um den wartenden Dingen und Wesen ihre volle Bedeutung zu geben.

Wir sollten das Bild noch lange betrachten und interpretieren; und im einzelnen ausführen, wie das Sinnbildliche, das wir in ihm finden, immer mit den Mitteln der Kunst dargestellt ist: W.M ivFufigndere antwortet, eine Farbe afl-„dje „ander* abklingt, dia jahtfadesi Gewandes Jesu sich fortsetzen in der Bewegung seiner Hand, wie der Maler unseren Blick zu führen versteht, wie der ganze Aufbau des Bildes jedem Detail die ihm zukommende Bedeutung zuweist — so daß zum Beispiel die beiden Leute, die auf die Bäume gestiegen sind, die leicht hätten beherrschend werden können, doch sofort als Randfiguren erscheinen; der eine, indem er den Kopf neigt, der andere, indem er dem Herrn den Rücken zuwendet. Noch sehr viel ließe sich aus dem Bild herauslesen. Es muß uns hier genügen, seinen symbolischen Gehalt skizziert zu haben.

Was ist ein Symbol? Symbolon, das war bei den Griechen der halbe Ring. Zwei Freunde, die sich für lange Zeit trennten, zerbrachen einen Ring, von dem jeder eine Hälfte. bekam. Die eine Hälfte verwies auf die andere und drückte so, •gleichnishaft, die Zusammengehörigkeit der beiden Freunde aus. Das Sinnbildliche an einem Ding ist also das, was über die bloße Tatsache seiner Existenz hinausweist, ist seine Bedeutung, ist Ausdruck seines Teilhabens am Zusammenhang des Seienden.

In der mythischen Welt wurde ein Gegenstand dadurch Symbol, daß ihm die symbolisierte Realität eingekörpert war. Es trug diese Wesensmerkmale dieser Realität in sich. Es hatte magische Kraft.

Diese Bedeutung des Symbols hat in der christlichen Lehre eine Wandlung erfahren. Den Symbolen wohnt keine selbsttätige Kraft inne. Sie sind nur soweit Symbole, als sie durch das Wort Gottes gedeckt sind. Der Fisch, der Esel, das Netz im Bild haben keine magische Kraft; sie stehen nur stellvertretend, als sichtbarer Ausdruck des unsichtbaren Logos, der in ihnen wirksam ist. Durch sie wird seine Anwesenheit augenfällig, unseren Sinnen begreifbar.

Wirklichkeit und Sinnbild gehören zusammen. Das Sinnbildliche ist die Erfüllung der Wirklichkeit. Es macht die einzelnen Dinge erst transparent. Das Sinnbild ist nichts Aufgesetztes oder Angehängtes, sondern es deutet sich in der Wirklichkeit schon an. Denken wir nur an die Gleichnisreden Jesu: es ist, als ob die Dinge auf diese Sinndeutung gewartet hätten, um ganz sie selbst zu werden. Eines verweist nun aufs andere, der Weinstock auf Gott, die Trauben auf den M?eschjsnli.is(1|eH)maI aHgsfracikcft iSinnfcildis lichJceifcffelwti-himmer'ffleäeairEirjsirfrtesi.i wäej um beim Bilde der Traube zu bleiben, das Augustinus-Wort von der Rechtfertigung menschlichen Lebens: schließlich ausgepreßt zu sein wie die Traube in der Kelter.

Das Erkennen des Symbols in der Wirklichkeit setzt dieKenntnis des Wortes, voraus. Das Sich-versenken in die Heilige Schrift, vor allem das Lesen der Evangelien, ist die Voraussetzung künstlerischen Tuns, wenn dieses Tun einen christlichen Sinn haben soll. Es geht ja nicht darum, sich kurz die Bedeutung christlicher Symbole sagen zu lassen, und dann darauflos zu schaffen. Sondern diese Bedeutung muß dem Künstler zum Erlebnis geworden sein. Und das wird sie am ehesten dort, wo Gott unmittelbar zu uns spricht: im offenbarten Wort. Jedes demütige, stille Lesen der Schrift kann Anruf werden. Jedes Erleben einer neuen Bedeutung, eines neuen Bezuges des Wortes zu unserem Leben öffnet etwas in uns, ruft neue Kräfte in uns wach. Wer da kalt oder lau bleibt, wer nicht innerlich ergriffen wird, wer nichts in sich aufbrechen und antworten fühlt — der lasse die Finger davon, für die Kirche zu schaffen. Er könnte doch nur Klischees nachbilden, die sich ledig an unsere Vernunft wenden.

Das christliche Symbol, wie es der Künstler in seinem Bilde darstellt und gegenwärtig macht, ist ein Hinweis auf das, was hinter der sichtbaren Form verborgen ist, und eine stille Bitte, daß es auch in diesem Bilde sichtbar werden möge. Ein solches Bild ist eine bereite Woh- * nung. Pb der Heilige Geist in sie einzukehren bereit ist — das ist Gnade, die außerhalb des Künstlers liegt.

Christliche Kunst ist offene Kunst. Sie ist offen wie der halbe Ring, der auf die andere Hälfte verweist. Sie ist offen auch für den Mitmenschen, Wohnung auch für den Nächsten. Sie* dient der Kommunikation. Sie erhebt keinen Absolutheitsanspruch, sondern sie weist über sich selbst hinaus. Durch das Sinnbild erreicht uns im Bilde die Verkündigung, die Frohbotschaft: als das Dahinterliegende, als der geheime Grund des Bildes.

Symbolon, Sinnbild, ist das Offene, Unvollendete, das Darüberhinaus. Kunst, die in diesem Zeichen steht, ist nie abgeschlossen, ist immer unterwegs. Ist das Stadium des Advents.

Am stärksten kommt diese Offenheit christlicher Kunst vielleicht in den gotischen Domen zum Ausdruck, die uns in ihrer Größe doch unabgeschlossen, unvollendet, unendlich erscheinen. „Seit der Gotik hat jede große Kunst, mit Ausnahme der wenigen kurzlebigen Klassizismen, etwas Bruchstückhaftes an sich, eine innere und äußere Unabgeschlossenheit, ein willkürliches oder unwillkürliches Stehenbleiben vor dem Aussprechen des letzten Wortes. Der moderne Künstler scheut sich vor dem legten Wort, weil er die Inadäquatheit jedes Wortes empfindet“ (Arnold Hauser).

Das Offene der christlichen Kunst ist nicht nur ein Hinweis auf das Mysterium, es ist auch einEinlad.ung;3n da Manschen.-Es 'ist ine EitoIad.Mngo3um Mätvolkug;

Mit unserem Auge sieht unsere Seele auf das Bild. Es gibt Bilder, in denen das Auge viel, die Seele nichts sieht, und es gibt Bilder, wo das Auge wenig, die Seele alles Sieht. Die Seele sieht nicht das Abbildhafte, sondern'das Sinnbild.

Dies ist das Ziel der Kunst: ihren Gegenstand zu überwinden: das Aeußere, Inhaltliche, durchscheinend werden zu lassen, damit aus der Welt das Gleichnis hervorleuchte, so lange, bis nichts bleibt als die Anschauung des Unsichtbaren.

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