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Offenbarung und Betrachtung

19451960198020002020

Zu dem Werk: Apokalypse. Betrachtungen über die Geheime Offenbarung. Von Adrlenne von Speyr. Verlag Herold, Wien. 832 Seiten. Preis S 84.—

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Zu dem Werk: Apokalypse. Betrachtungen über die Geheime Offenbarung. Von Adrlenne von Speyr. Verlag Herold, Wien. 832 Seiten. Preis S 84.—

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Die Betrachtung ist eine Kunst, die gelernt werden muß — hört man nicht selten aus dem Mund frommer Exerzitienprediger. Man könnte über den Sinn und die Berechtigung dieses Satzes allerhand Fragen stellen, ehe man sich auf ihn beruft. Aber einmal angenommen, er bestünde zu Recht, könnte man die Frage aufwerfen, worin der entscheidende Griff besteht, ohne den man nie in dieser Kunst zu Hause sein wird. Die Antwort lautet: zu glauben. Wer den Akt des Glaubens als Akt des Vertrauens und der Anerkennung dessen, was der Schöpfer und Herr alles Seins, Gott, gesagt und getan hat, vollzogen hat, der tritt gewissermaßen in einen neuen Raum ein, der hat zu einer neuen Dimension gefunden, für diesen gelten Wirklichkeiten, die ein Nichtgläubiger einfach nicht ßehen kann. Fides facit videre, sagt in klassischer Kürze der Aquinate — der Glaube macht sehend. Es ist ähnlich jenen Strahlen der körperlichen Welt, die uns Dinge zeigen, die im gewöhnlichen Licht verborgen bleiben. So kann nur Glaube neben, in und über der natürlichen Welt die Welt der Offenbarung erkennen. Der Glaube ist das feste Vertrauen auf das, was man erhofft, ein Uberzeugtsein von dem, was man nicht sieht“ (Hebr. 11, 1). Da, in dieser Welt — des Glaubens, wenn man die subjektive Voraussetzung hervorheben will — der Offenbarung, wenn man ihren objektiven Inhalt bezeichnet, ist nur die Betrachtung möglich. Wer wirklich glaubt und für wem die Welt der Offenbarung Wirklichkeit ist, der hat bereits zu betrachten begonnen. Betrachten ist freilich mehr wie eben gerade zur Orientierung des Lebensweges ein oder den anderen Blick auf das zu werfen, das uns Gott durch seine Offenbarung mitgeteilt hat. Wer nur, um an ein Ziel zu gelangen, die Gegend „betrachtet“, betrachtet sie kaum oder sicher nur wenig. Mag sein, daß ein Wanderer nur eines beabsichtigt, nämlich daß und wie er richtig vorwärtskommt. Ihm mag es nur auf die Richtung ankommen und alles Aufblicken will nur die Bestätigung, daß die eingeschlagene Direktion die rechte war und daher fortgesetzt werden muß. Dazu genügen vielleicht nur wenige objektive Anhaltspunkte; die Kirche gibt sie seit jeher ihren Kindern noch während des Katechume-nats im Credo und im Pater noster auf ihren Lebensweg mit. So wie ein Seefahrer vor allem den Polarstern erkennen muß und sein Steuerruder nach ihm ausrichten wird. Die Lehre des geistlichen Lebens hat die Bemühungen, im „innerlichen Gebet“ das Herz je und je auf die fundamentalen Gegebenheiten der Offenbarung einzustellen, stets Betrachtung genannt.

Betrachtung ist daher für das Leben des Glaubens ein unabdingliches Gebot (die Kirche gebietet mit Recht in Canon 125/2: Clerici omn quotidie orationi mentali per aliquod tempus ineumbant). Sie kann aber eine viel fruchtbarere Wirkung erreichen, wenn sie sich über die Grundgegebenheiten der Offenbarung hinaus auf diese in ihrer ganzen Weite, Höhe und Tiefe bezieht. Dann aber wird die Betrachtung mit Notwendigkeit zur Schriftbetrachtung werden, da uns doch durch die Schrift in weitaus stärkstem Ausmaß die Welt der Offenbarung übermittelt wird. Eine Betrachtung ohne diese Nahrung aus dem allerdings unversiegbaren und unaus-schöpfbaren Born der Schrift wird für die meisten (Charismatiker mögen eine Ausnahme bilden) versanden. So aber muß aus der Betrachtung allmählich ganz von 6elbst eine wahre Kontemplation werden. Das Wesen der Kontemplation im strengen Sinn ist es, sich selbst in die Objektivität des geoffenbarten Gotteswortes zu verlieren, alle auswählenden und a priori formenden Auffassungskategorien preiszugeben, um sich von der ganzen Größe und Bedeutungsbreite des Wortes treffen zu lassen. In der eigentlichen Kontemplation muß das Wort Gottes so erklingen, wie es ist, und nicht so wie ich es gern höre, oder wie ich es mir vorstelle, daß es für mich ist. Strenge Kontemplation ist Schule der Entpersönlichung, der Ausweitung sowohl in Gott wie in die Kirche, in die Schrift wie in die Tradition hinein. Eret die solchermaßen ins Objektive ausgeweitete Seele wird dann aus dem Betrachteten eine Frucht ziehen, eine Anwendung auf sich machen, die aber mehr in der Angleichung das Ich an das Wort als des Wortes an das Ich liegen wird“ (Hans Urs von Bathasar). Diese klassischen Sätze wären die beste Einführung in die Betrachtungen Adriennes von Speyr. Diese Betrachtungen beschauen die Offenbarung, und das ist das Wort Gottes, wie es uns in den heiligen Schriften vorliegt. Wer im Glauben die Berührung mit dieser Welt, der wahren und ganzen Welt, gefunden hat und in der Liebe die Köstlichkeit des Geschauten zu kosten begonnen hat, wird sieb, leicht und gern von der nicht nur geübten, sondern wohl auch außerordentlich begnadeten Hand der Schreiberin leiten lassen und dann sehen und kosten dürfen, wie sie sah und kostete, Diese Betrachtungen wollen nicht zuerst den Leser zu irgendwelchen Änderungen des Lebens oder zur Erlangung von Tugenden bringen, sie werden ihn vielmehr an und in immer neue übernatürliche Wirklichkeiten selbst führen. Und so wird ihm die Welt der Offenbarung vertraut werden.

Ein kurzer Abschnitt wird dies am besten deutlich machen (Apok. 1, 14).

„Seine Augen waren wie eine Feuerflamme. Sie strahlten etwas au6, was zugleich Liebe und Läuterung ist. Und was sie ausstrahlen, das verschenken sie. Aber sie weisen auf das Innere zurück, den Herd des Feuers, die Quelle, so daß, wer von diesem Blick getroffen wird, sogleich die Verbindung spürt zwischen dem Zentrum im Herrn und dem in ihm, das davon bestrahlt wird. Der Blick ist wie ein Kontaktweg; er trifft unmittelbar wie eine Anfrage, eine Aufforderung. Aber auch wie eine Antwort, die im Herrn liegt. Es gibt von diesem Blick keinen Rückzug auf einen Beobachtungsposten außerhalb der Feuerlinie. Die Beziehung, die hergestellt wird, eignet sich nicht, um von außen her beschrieben zu werden. Man muß sich dem Feuer selbst aussetzen, erleben, was es heißt, von diesen Augen angesehen zu werden. Wer es einem anderen erklären wollte, der • müßte versuchen, ihn unmittelbar hineinzustellen. Es gibt keinen Querschnitt durch die Blicklinie, keine seitliche Perspektive daran hin. Man kann sich ihm noch weniger entziehen als gewissen Gemälden, die einen von überall her ansehen. Hinschauen und nicht gebrannt werden, wäre keine christliche Schau. Niemand kann etwas in die Bahn einschieben; sie verträgt kein Hindernis, sie durchbricht es. Nichts kann das Feuer dieser Augen dämpfen, mildern, abblenden. Sie sind nicht nur selber flammend, sie entflammen auch, was sie treffen. Das Feuerfangen braucht durchaus kein beglückendes Erlebnis zu sein. Die Liebe wird dadurch vertieft, aber auch die Scham und die Reue. Es gibt kein Ausruhen, in diesem Blick; Güte und strenge Aufforderung sind in ihm eins. Er zwingt in die Knie, wenn einer gesündigt hat, aber er nimmt mit, wenn einer 6ich innerhalb der Sendung befindet.“

Freilich, nur demjenigen, der. für Gott und seine Seele Zeit hat, werden diese Lesungen zu Kostbarkeiten werden.

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