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Ergebnisse einer Forschungsreise in Zentralindien

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Nachdem ich im Frühling des Jahres 1938 in den „zeitlichen Ruhestand“ versetzt worden war, konnte ich im Herbst des gleichen Jahres mit Hilfe der Rockefeller-Stiftung von England aus eine Forschungsreise nach Zentralindien unternehmen. Das Ziel der Expedition war der über eine Million Individuen zählende Primitivsumm der Bhil, der im Nordwesten des zentralindischen Gebietes wohnhaft ist. Daß die Forschung, die mich 14 Monate lang in Indien festhielt, von so guten Erfolgen gekrönt war, habe ich nicht zuletzt dem sprachkundigen holländischen Missionar L. Jungblut (SVD) zu danken, der während dieser ganzen Zeit mir als treuer, nie versagender Assistent und Mitarbeiter zur Verfügung stand. Aus den gewonnenen Forschungsergebnissen sei bei dieser Gelegenheit die Frage nach dem Hochgottglauben der Bhil herausgegriffen, eine Frage, die ihrer Natur nach auch weitere Kreise interessiert.

Die Bhil, welche heute eine indo-arische Sprache, eine Dialektvariante des Guja-rati, reden, gebrauchen als Bezeichnung ihres höchsten Gottes meistens das Wort Bhagwän. Bhagwän kommt von der indogermanischen Wurzel bhag, was „zuteilen“ bedeutet. Die ursprüngliche Bedeutung von bhägavant (bhagavan) ist „bhäga (= Reichtum, Glück, Herrlichkeit) besitzend“, demnach heißt Bhagwän auch soviel wie „der Erhabene, der Herrliche“. In den Kreisen des Hinduismus ist es vor allem der Sonnengott Wishnu, der mit dem Namen Bhagwän ausgezeichnet wird.

Angesichts dieser Gegebenheiten könnte der Gedanke nahe liegen, die ganze Hochgottvorstellung der Bhil aus dem Hinduismus abzuleiten. Daß dieser Versuch ein verfehlter wäre, daß also hinter dem Hochgottkomplex der Bhil, trotz der Hindui-sierung in bezug auf das Sprachliche, eine eigene Welt religiöser Ideen sich verbirgt, glaube ich unterdessen, auf Grund eingehender Analyse der gegebenen Materialien, an anderen Stellen in überzeugender Weise gezeigt zu haben. (Anthropos XXXVI—XXXVII, 1940 bis 1941; Wissen und Bekenntnis, herausgegeben von Prof. Fr. Dessauer und erschienen 1944 in Ölten, Schweiz, Eine erweiterte Neuauflage dieses Buches ist für Ostern 1946 vorgesehen.) Von den dabei erzielten Ergebnissen möge hier das Wesentliche folgen.

Nach Auffassung der Bhil ist Bhagwän immer dagewesen, er ist also ewig. „Vor allem war Bhagwän. Dann formte er die Welt. Dann machte er die Gotthe'ten (die Götter und Göttinnen)“ Die Gottheiten tragen mithin, wie man sieht, ihren Namen eigentlich zu Unrecht. Selber „Gemachte und Geschöpfe“ des höchsten Gottes Bhagwän, entsprechen sie vielmehr im Wesentlidien den guten und bösen Geistern des Christentums.

Bhagwän hat nicht nur die erwähnten Gottheiten, sondern auch die Welt geformt und die Menschen gemacht. Eine der als Morgengebet gebrauchten Formeln bringt das in folgender Weise zum Ausdruck: „O Gott, o großer Herr, du hast uns hervorgebracht (geboren), mache uns heute glücklich“. Im Einzelnen gibt dann die Schöpfungsmvthe und bis zu einem gewissen Grade auch die Urflutmythe Kunde davon, daß Bhagwän die ersten Menschen machte und ihre Vermehrung und Verbreitung über die Erde anordnete.

Daß den Bhil der Begriff einer Schöpfung ohne gegebenes Substrat, also einer Schöpfung aus nichts, nicht völlig abgeht, zeigt die Erklärung, die sie für den Weltformungsakt bereit haben. Als nämlich Bhagwän die Welt aus „Lehm“ formen (kneten) wollte, zeigte sich die Masse zu

sehr mit Wasser gemischt, sie floß daher ab, und es wollte nichts Rechtes zustande kommen. Da machte Bhagwän zuerst das feste Gestein, das „Knochengerüst“ der Erde, und baute darauf die ganze Welt auf. Auf die Frage, woher denn Bhagwän die feste Substanz nahm, antworteten die Alten (fast schon ein wenig unwillig, als sei das

doch selbstverständlich): Aus seinem Gutdünken heraus, er wollte es, und damit war es da. Daß damit in bezug auf diese Einzelheit der Schöpfungsbegriff im Sinne der alten Bestimmung „creatio ex nihilo sui et subjecti“ (Schöpfung aus dem absoluten Nichts) voll und ganz gegeben erscheint, steht außer jedem Zweifel.

Kein Wunder denn auch, daß eine stehende Redeweise der Bhil besagt: „Gottes Macht ist unendlic h“. Und wie ein jeder Mensch sein Leben Bhagwän verdankt, so wird Bhagwän auch als für den Tod der Einzelnen verantwortlich betrachtet. „Gott gibt (Kinder) und nimmt“, das heißt, er läßt manche Kinder eines frühen Todes sterben. Andererseits sagen und beten sie auch: „Du bist es, der schlägt, Du bist es, der heilt“ Oder auch: „Dein bin ich im Leben, Dein bin ich im Tode“. Daß sie zum Beispiel Heilung in schwerer Krankheit oder Kindersegen im gegebenen Falle von Bhagwän erwarten, zeigt das sogenannte große Gelübde. Dieses richtet sich direkt an Bhagwän und der Gelobende ist gehalten, das Gelübde in feierlicher Weise einzulösen, falls unter-

dessen das eingetreten ist, was Voraussetzung und Veranlassung dazu bot.

Daß Bhagwän alles weiß, also a 11-wissend ist, zeigt schon die Redeweise „Bhagwän gibt ungefragt“. Bhagwän kennt und weiß um die jeweiligen Bedürfnisse des Menschen. Aber Bhagwän weiß nicht nur um des Menschen Bedürfnisse, sondern auch

um sein Tun und Lassen. Darüber richtet er selbst einen jeden Menschen nach seinem Tode. In diesem Sinne gilt nach Auffassung der Bhil: „Was der Vater tut, belastet den Vater, was der Sohn tut. belastet den Sohn“.

Und worauf schaut nun der richtende Bhagwän im besonderen? Auf diese Frage antwortet der Bhil: „Was gegeben und gespendet wurde für andere, kommt in der Todesstunde zugute“. Bhagwän erkundigt sich also vor allem danach, wie das Gebot des Altruismus, der Rücksichtnahme auf den Mitmenschen von dem Betreffenden erfüllt worden ist. Daß nach allem in Bhagwän eine ethische Hochgottgestalt zu sehen ist, braucht der weiteren Begründung nicht mehr.

Die Bhil betrachten Bhagwän als einen im Grunde guten Gott. Dafür zeugt in unzweideutiger Weise folgendes Wort: „Was Bhagwän tut, ist wohlgetan“. Erinnern können wir hier auch an die andere, bereits oben erwähnte Redeweise: „Du bist es, der schlägt, Du bist es, der heilt“.

Kein Zweifel auch, daß man nach Auffassung der Bhil diesem höchsten Gott in

unterwürfiger und demutsvoller Gesinnung gegenübertreten soll. „Bhagwän ist mit denen, die einfältigen Herzens sind“.

Das Bild Bhagwäns gewinnt an eindrucksvollen Zügen, wenn wir es vom Hinduismus her beleuchten. Bhagwän gilt den Bhil, wie wir gesehen haben, als durchaus persönlicher S c h ö p f e r g o ttwf Sowohl in der Schöpfungs- als auch in dfl Flutmythe behauptet Bhagwän seine abjH lute Distanz und Selbständigkeit der zen Welt gegenüber. Im Rahmen magischen Dinge ist auch nie davon Rede, daß der Zauberer oder irgencH anderer etwa von Bhagwän „besesserf werde. Bhagwän bleibt absolut außerhalb dieser trüben Sphäre. „Besessen“ wird einer nach Auffassung der Bhil und anderer indischer Stämme von der Muttergöttin, von Totengeistern usw., aber nicht von Bhagwän.

Wie sehr das alles den pantheisierenden und vom Zauber erfüllten Religionssystemen des Hinduismus widerspricht, braucht nur kurz erwähnt zu werden. So, konstatierte schon vor vielen Jahren der j englische Indologe Monier-Williams: Alle hinduistischen Sekten „glauben irgendwie an eine Materialursache (upädana) — an eine gewisse Substanz, aus welcher das Universum sich entwickelte“. Und zweifei- 1 los hat W. Baetke (Das Heilige im Ger- J manischen, 1942, S. 15) recht, wenn er 1 dieses (das Persönliche), das Primäre sein I läßt, „während ein göttliches ,Es' eine philosophische Abstraktion ist, die — wie das Brahman der Inder — erst auf einer späteren geistigen Entwicklungsstufe konzipiert werden kann (überhaupt aber kaum -jemals in einer lebendigen Religion, sondern ausschließlich in der theosophischen Spekulation eine Stätte hat)“. Damit stimmt giy; überein, daß ein Bhagwän — Glaube, wie die Bhil ihn besitzen, in mehr oder weniger gleicher Form vielfach auch in einfacheren Hindukreisen festzustellen ist.

Von der hinduistischen Eschatologie ist Verschiedenes in die Vorstellungswelt der Bhil übergegangen. Aber bei diesen spielt, trotz allem, auch im vorliegenden Falle wiederum Bhagwän die entscheidende Rolle. So prüft und richtet Bhagwän selbst die Seele des Verstorbenen, nicht der Totengott Yama (in dem wir den mit göttlichen Eigenschaften ausgestatteten Urmenschen zu erblicken haben), der das nach dem Glauben der Hindu besorgt. Es ist charakteristisch, wenn die Bhil den Yama, den sie in ihrer Sprache Zorn nennen, kurzerhand zum „Polizisten“ Bhagwäns degradieren. Er hat samt seinen Helfershelfern die Seele wohl zu Bhagwäns Richterstuhl zu führen, das eigentliche Gericht aber bleibt nach Auffassung der Bhil diesem vorbehalten.

Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, daß schon um die Jahrhundertwende der als verhältnismäßig guter Beobachter bekannte englische Beamte C. Ekford Luard in wesentlich gleicher Weise von dem Glauben der Bhil an den Hochgott Bhagwän berichtet hat. Er schreibt: „Als höchsten Herrn haben die Bhil den Bada Deo (oder Bhagwän, wie sie ihn oft nennen). Von ihm wird gesagt, daß er weder Weib noch Kinder habe und die Welt regiere“. Die gegebenen Wesensbestimmungen (Herr der Welt, ohne Frau und Kinder) könnten nicht besser mit unseren Feststellungen übereinstimmen. Dem kann weiter noch hinzugefügt werden, daß die Bhil den unbeweibten Bhagwän nicht vom Wishnu — Bhagwän entlehnt haben können. Denn in diesem Falle bliebe völlig unerklärt, daß sie nicht auch Wishnu's Gattin (Rädhä) ihrem religiösen Denken einverleibten.

Es fehlt nicht an objektiven Gründen dafür, daß in der Vergangenheit nur relativ spärliche Mitteilungen über den Bhag-wän-Glauben der Bhil gesammelt und bekanntgegeben worden sind. Im äußeren Kult (Püjä, Verehrung der Götter und Göttinnen, Opfer, Zauberei usw.) bemerkt

man nämlich von der Bhagwänvorstellung kaum etwas oder gar nichts. Und jene Dinge sind es, die im Alltagsleben sich vordrängen, während Bhagwän mehr im Hintergrunde steht und, wie die Bhil sagen, nicht einmal einen Stein (als Symbol der Verehrung) auf dieser Welt hat. Wie aber Bhagwän im Bewußtsein und auch im persönlichen Kulte vieler Bhil (Gebete, Sprichwörter, Gelübde, Gutestun mit Rücksicht auf ihn und sein Gericht) seine Stelle hat, konnte wohl zur Genüge gezeigt werden. Wenn man angesichts alles dessen die Bhil als relativ bestimmte und bewußte Monotheisten bezeichnete, so sagt man gewiß nidv: zuviel.

■ Damit soll aber andererseits keineswegs behauptet werden, daß dieser Eingottglaube bei den einzelnen Bhil immer und überall gleich klar und konsequent in Erscheinung trete. Der relativ starke Einfluß der vom Pantheismus erfüllten hinduistischen Hochkultur läßt von vornherein ein gewisses Schwanken auch in bezug auf die Gottes-iff*ssüng vermuten, dem denn auch die irklichkeit entspricht. Daß hiebei auch individuelle Veranlagung, die subjektive migkeit und das Lebensalter des Einen eine Rolle spielten, erhellt gut aus m Gespräch, das der Missionar Jungblut al mit Humo, dem heidnischen Vordrer eines kleinen Dorfes hatte. Nachdem Jungblut von Humo verschiedene der oben angeführten Gebete kennen gelernt (oder doch neu gehört) hatte, riditete er an seinen Gewährsmann die Frage, ob denn alle so des Morgens zu Bhagwän beteten. Humo erwiderte darauf: „Nein, so ist es nicht. Gewöhnlich tun es einige in jedem Dorf“. Als nun Jungblut insistierte, wie denn das zu erklären sei, holte der Befragte „rn einem Vergleiche aus Er wies auf einen in der Nähe stehenden Baumwollbaum hin, der neben grünen auch gelbe Blätter trug.

Die grünen Blätter fühlen sich anscheinend jung und lebenskräftig, und es sehe so aus, als ob sie stets am Baume haften bleiben wollten. So ähnlich verhalte es sich bei manchen jungen Leuten, jung und kräftig, wie sie sind, meinen sie, daß das immer so bliebe und sie dächten infolgedessen wenig oder gar nicht an das Beten. Anders stehe die Sache bei den gelben Blättern, das heißt bei den an Jahren vorgeschrittenen und daher vielfach mehr ernst und nachdenklich gestimmten Menschen.

Wie spontan und aktuell der Gottesglaube des primitiven Dschungelvolkes der Bhil in seinen Äußerungen auch heute noch zu sein vermag, lernten wir im Sommer des Jahres 1939 kennen. Von der Bedrohung des Weltfriedens durch Hitlers Machendiaften hörten schließlich auch unsere Bhil und zwar im Bazar, der ihnen unter anderem die Zeitung ersetzt. Bei ihrer Rückkehr vernahmen wir aus dem Munde eines alten heidnischen Bhil die bemerkenswerten Worte: „Was erfüllt doch dieser Sörmer (= Germane) die Welt mit seinem Lärm. Er scheint zu glauben, schon bei seinem Eintritt in diese Welt die Unsterblichkeit gefressen zu haben!“ Damit sollte gesagt sein: „Wenn dieser (Hitler) meint, daß ihm eine glückliche Ewigkeit von vorneherein zugesichert worden sei, so täuscht er sich aber sehr; denn auch er wird von seinem Tun und Lassen einmal Bhagwän Rechenschaft ablegen müssen!“

Hitler, der Typus des neuheidnischen, widerchristlichen Menschen hat bereits vor Bhagwäns (Gottes) Richterstuhl gestanden. Das heidnische Altvolk der Bhil in Zentralindien aber zeugt weiter für die Wahrheit des bekannten Wortes: Anima naturaliter christiana (Die menschliche Seele ist von Natur christlich und damit — so können wir hinzufügen — gottgläubig).

JOB

Die Reichen hab ich oft schon sagen hören, wie sorglos meine graue Armut sei. Sie reden so, als ob sie gern verlören, und achten nicht auf meinen wunden Schrei.

Ich brauche nicht um Haus und Hof zu sorgen, als Bettler steh ich manchesmal davor, kein Kind erwartet mich am müden Morgen, Erinn'rung nur, an das, was ich verlor.

Seht her, es schwären meine vielen Wunden, kaum deckt das Kleid die letzte Blöße zu. Ich suche Gott und hab Ihn nicht gefunden, und wenn ich suche, hab ich niemals Ruh.

Er ist mir nah im Taumel meiner Schmerzen und schwindet, wenn mein Glauben Ihn erreicht. Oft fühl ich Ihn ganz nah an meinem Herzen, oft seh ich machtlos, wie Er hell entweicht.

Ich bin nun so, wie viele an den Ecken,

und strecke meine magern Hände hin,

sie wenden sich. Vielleicht muß ich Gott wecken,

und. sagen, daß ich ganz sein Dulder bin.

Waltraut Oberleitner, Wels

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