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Gelassenheit statt machtvollem Wollen

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„Umdenken!” - dieser Schlachtruf moderner Gesellschaftskritiker ist die große Hoffnung der „Alternativler”. Ist aber ein neues Weltbild, Ergebnis möglichen Umdenkens, der Ausweg aus der Krise?

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„Umdenken!” - dieser Schlachtruf moderner Gesellschaftskritiker ist die große Hoffnung der „Alternativler”. Ist aber ein neues Weltbild, Ergebnis möglichen Umdenkens, der Ausweg aus der Krise?

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Umdenken ist zur Parole all jener geworden, die sich dem „grünen” Gedankengut verschrieben haben. Fragt sich nur: Was prägte bisher unser Denken, daß eine Änderung notwendig erscheint? Und: Reicht das, was im Lager der „Umdenker” heute angeboten wird, für unser Uberleben? Diesen Fragen geht der Schweizer Philosoph und Psychiater Hanspeter Padrutt in seinem Buch „Der epochale Winter” nach.

Was kennzeichnete also unser Denken bisher? Da ist zunächst unser Reduktionismus, der Hang dazu, alles zu vereinfachen: „Mit Kepler, Galilei und Newton kam die neuzeitliche naturwissenschaftliche Methode, die alles auf meßbare und berechenbare Quantitäten reduzierte, zum Durchbruch. Man muß sich diese .Gleichschaltung' von Sternen, Steinen, Seen, Blumen, Hunden, Maschinen, Kleidern, usw... vergegenwärtigen!” (S. 17)

„Bestätigt” wurde dieser vereinfachende Zugang scheinbar durch die enormen Erfolge der maschinellen Technik.

Reduktionismus auch beim Energiebegriff: „Ist es so selbstverständlich, daß das Licht und die Wärme cfer Sonne, der Sturz des Bergbachs,... das Tosen des Windes und das Feuer von Holz und Kohle.. „die Spannung einer Feder, die Kraft eines Magneten ...—daß dies alles auf den Begriff der Energie reduziert wird?... Aber ist wirklich so klar, was Energie überhaupt heißt?” (S. 19f)

Wer aber—wie die Grünen—das Energiesparen so sehr betont, werde nicht mit veränderten Energiebilanzen allein zufrieden sein dürfen, meint Padrutt. Uber Energie müsse grundsätzlich nachgedacht werden, über ihr Wesen. Mit ihr zu rechnen, genügt nicht.

Groß im Vereinfachen sei auch das ökonomische Denken: Alles werde auf Geldwerte eingeengt. Sie zu erhöhen, sei unser wichtigstes Streben geworden. Und somit seien auch unsere Bemühungen falsch ausgerichtet: „Daher steigt das Bruttosozialprodukt auch, wenn mehr Verkehrsunfälle mehr Spitalsbehandlungen notwendig machen, und es sinkt, wenn mehr Menschen Kartoffeln statt Rasen pflanzen und sich selber versorgen.” (S. 22)

Um hier Abhilfe zu schaffen, wurden viele neue Konzepte entworfen: Gleichgewicht statt Wachstum, Langlebigkeit, Wiederverwertbar keit von Gütern, Dezentralisierung, usw... Aber bei all dem müsse immer noch zu viel gerechnet werden. Ist dieses Rechnen aber überhaupt sinnvoll? Kann man Ozon gegen Haarspray aufrechnen? „Kann den Grünen eine Welt-Anschauung der Krämer genügen, welche alles auf den Geldwert reduziert?” (S. 26)

Nur allzu leicht lande man nämlich bei der Suche nach Auswegen im alten Reduktionismus. Das sei bei der Faszination für die Systemtheorie geschehen. Sie habe zweifellos ihre Verdienste, gestatte sie doch die Zusammenschau verschiedener Fachwissenschaften.

Werde dabei aber nicht die Vereinfachung auf die Spitze getrieben? „Der Systembegriff verwischt alle Grenzen zwischen Maschinen und Lebewesen. Für die kybernetische Denkweise unter-, scheidet sich ein Computer vom' Gehirn... eines Menschen nur in bezug auf den Grad der Kompliziertheit und Selbstregulation. Es ist daher nur konsequent, wenn man im Zeichen der Kybernetik ein Lebewesen als komplizierte Maschine versteht...” (S. 29)

Padrutt hat zweifellos recht, wenn er in dieser unangemessenen Vereinfachung ein Grundübel unserer Zeit erblickt Und verdienstvoll ist auch sein Hinweis, daß viele der Umdenker heute im selben Fehler verharren.

Die Notwendigkeit des Umden-kens hält der Autor auch noch in bezug auf einen zweiten Aspekt für wichtig: Der neuzeitliche Mensch beziehe alles auf sich und neige dazu, die Welt nur mehr unter dem Blickwinkel ihrer Nützlichkeit zu betrachten und sie als seinen Besitz anzusehen.

In der Biologie kämen diese beiden Denkansätze besonders deut-

„Die Gedanken stehen zum Gehirn wie die Galle zur Leber...” lieh zum Ausdruck. So sähe beispielsweise die Evolutionstheorie alles Lebendige unter einem Hut und deute die Beziehungen zwischen den Wesen in typisch menschlicher Weise als Kampf ums Dasein.

Dabei werde aber durchaus kein Naturgesetz beschrieben, sondern einfach menschliches Denken auf ein Geschehen zwischen Lebewesen projiziert, die wir nicht verstehen: „Woher wissen wir, daß das Verenden eines Wurms eine Niederlage ist? Wir, die wir sterblich sind und keinen Zugang zu dem haben, was uns in der Todesstunde erwartet?” fragt Padrutt. (S. 38)

Umdenken müßte also mit Veränderung unserer Optik einhergehen. Das müßte sich auch noch in anderer Weise äußern: Wir betrachteten unser Dasein allzu gern unter dem Blickwinkel von Lichtjahren Entfernung und Jahrmilliarden von Evolution. Dadurch sei die Menschheitsgeschichte zum Augenblick, die Erde zum Staubkorn im Universum und das Hier und Jetzt unbedeutend geworden.

Diese Sicht mache den Menschen jedoch nicht wie erwartet bescheiden. Im Gegenteil: Die Neuzeit sei von einer nie gekannten Selbstherrlichkeit geprägt.

Wenn ich es recht bedenke, ist dies nur scheinbar ein Widerspruch: Diese Theorien führen ja dem Menschen nicht nur seine Unscheinbarkeit vor Augen, sie vermitteln ihm auch den Eindruck, geschichtslos, heimatlos und gottlos zu sein. Wer Gott abschafft und die Naturgesetze und den Zufall zu obersten Instanzen erklärt, verändert Entscheidendes in der Welt: Er schafft Verantwortung ab. Denn Antwort geben kann ich nur einer Person, die Naturgesetze und den Zufall aber kann ich nutzen.

Und wie steht es um das Hauptanliegen der Grünen, den Schutz von Lebendigem? Herrscht eigentlich Klarheit darüber, was Leben überhaupt ist, fragt Padrutt. Unser Denken sei diesbezüglich immer noch von einem Dualismus geprägt, der Leben als Zusammen-gespanntsein von Körper und Geist ansieht.

Im letzten Jahrhundert wurde allerdings die früher selbstverständliche Vorherrschaft der Vernunft abgeschafft. Sie sei zum Ausfluß des Körperlichen erklärt worden: „Die Gedanken stehen in demselben Verhältnis zum Gehirn wie die Galle zur Leber oder der Urin zu den Nieren”, zitiert Padrutt eine Äußerung aus dem vorigen Jahrhundert.

Von dieser Sicht her sei es verständlich, daß die menschlichen Bedürfnisse die Welt zu regieren begannen. Ihre Befriedigung sei zum wichtigsten Ziel sinnvollen Handelns avanciert. „Die Welt ist eine Bedürfnisanstalt geworden”, hält der Autor fest.

Und um diese Bedürfnisse zu befriedigen, hätten wir die Welt zu einer einzigen großen Maschine umgestaltet. „Das uns Begegnende wird... Produktions-, Verbrauchs- und Wegwerfmaterial; die Welt wird zum Räderwerk, die Natur Energievorrat und Tankstelle.” (S. 134) Und wir selbst seien einerseits zu Angestellten und andererseits zu süchtigen Nutznießern dieses Apparats geworden.

Diese Haltung habe Erich Fromm einer harten Kritik unterzogen und gefordert, man müsse von diesem Haben-Status wegkommen. Sein, nicht Haben müsse den neuen Menschen kenn-zeicHnen. So sehr man dieser Forderung zwar zustimmen könne, so wenig werde jedochklar, was dieses Sein in letzter Konsequenz bedeute. Fromm werfe zwar die Frage nach der Religion auf, beantworte sie aber im Sinne des Zeitgeistes: Religion wurzle in der Instinktungebundenheit des Menschen. Sie sei also biologisch begründet.

Das sei kein echtes Umdenken, meint Padrutt, ebensowenig wie der vielfach erhobene Ruf nach einer neuen Ethik, die mittels Bildung an neue Leitbilder heranführen solle: „Kann den Grünen eine ökologische Ethik genügen, die sich auf die Vernunft, die Erziehung, die Askese und die Selbsterkenntnis des Menschen abstützt und die damit... weiterhin alles ganz vom Menschen abhängig macht?” (S. 85)

Nicht lieblos kritisiert der Autor die vielen Bemühungen, neue

„... die Welt wird zum Räderwerk, die Natur Energievorrat und Tankstelle”

Wege in der heute so verfahrenen geistigen Situation zu suchen. Er streicht viel Gutes heraus. Aber immer wieder wird seine Skepsis spürbar.

Bei den meisten seiner Überlegungen konnte ich ihm gut folgen. Es stimmt ja: Wie oft laufen brillante Analysen in enttäuschende Lösungsvorschläge aus. Umso gespannter war ich auf das, was Padrutt seinem Leser als Antwort bieten würde.

Daß es keine Antwort aus dem Glauben sein würde, war schon an jenen Stellen zu erkennen, wo die Frage nach den „Vätern” der heutigen Misere aufgeworfen wurde. „Der Weg zu unserer gegenwärtigen Krise führt durch die Geschichte der Philosophie”, stellt Padrutt fest und bezeichnet Des-cartes, Piaton und den „Christianismus” als Wegweiser in die neuzeitliche Verirrung. Vor allem unser krankhafter Fortschrittsglaube wurzelte im Christianismus, dem ideologischen Ableger der Lehre Jesu.

Welche Antwort gibt es dann aber? Padrutt meint, man müsse überhaupt auf eine Weltanschauung verzichten. Eine Umstim-mung in eine neue Grundhaltung „der Bescheidenheit, des Respekts und der Einfügung in einen größeren, uns tragenden, unserer Herrschaft sich entziehenden Zusammenhang” sei die Lösung. (S. 128)

Diese Umstimmung könnte ihre Wurzeln in einer bewußt erlebten Trauer über die heutige Misere haben. Wir seien nun einmal Stimmungen unterworfen und sollten diese auch ernst nehmen. In unserer Traurigkeit drücke sich der Schmerz über Verlorenes, in die Ferne Gerücktes aus. In Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise”, den Padrutt lange betrachtet, werde etwas von dieser Traurigkeit, einer unsagbaren

„Könnten wir nichtan einer Wende vom Gestalten-Wollen zum Geschehen-Lassen stehen?”

Heimatlosigkeit des Menschen spürbar.

Dies sei das Lied vom „epochalen Winter”, in dem wir leben, das Lied von der Einsamkeit des neuzeitlichen Menschen und seiner Entfremdung von der Erde, von den Wesen, von Gott, „der tot ist”. Aber nicht in Resignation klingt die Betrachtung aus. Denn auch in Schuberts Liedern schwinge ein neuer Ton mit. Er künde einen revolutionären Gedanken an: Könnten wir nicht an einer Wende vom Gestalten-Wollen zum Ge-schehen-Lassen stehen? „Vom eigenmächtigen Wollen zur Gelassenheit, die kein gleichgültiges Laissez-faire ist, sondern ein liebevolles Laissez-etre?” (S. 284)

Ob das Erfolg haben wird, kann auch Padrutt nicht sagen, aber öffnen sollten wir uns für diese Haltung, etwa indem wir die Dinge und Wesen so sein lassen, wie sie sind. Daher heißt auch das vorletzte Kapitel: „Eine Wiese ist eine Wiese”. Sie sei eben kein Schlachtfeld (wie sie Darwinisten sehen), kein komplex geordneter Reigen von Teilchen (aus der Sicht des Physikers), kein ver-netztes System (siehe Kybernetik) und auch kein Ertragsobjekt (aus der Sicht der Ökonomie) — einfach eine Wiese, welch neue Erfahrung!

Das heiße ahßr auch: Laß die Welt auf dich wirken, sie hat vielleicht eine Botschaft für dich. Wer sich so verhält, leiste einen Verzicht: Er entsage „dem nachstellenden Machtwillen des Herrn und Besitzers der Natur... Der Verzicht ist der Abstieg des Sonnenkönigs in die wesenhafte Armut des Hirten.” (S. 341)

Hoffnung auf eine tiefgreifende geistige Wende spricht Padrutt am Ende des Buches aus: Sie könne nicht „eine bloße Umprogram-mierung des Welt-Bildes sein; eher geht es dabei um die Umstimmung aus der verzweifelten, kurzsichtigen Hybris in eine andere Grundhaltung..., zur schmerzlich-heiter-gelassenen zuvorkommenden Zurückhaltung.” (S. 347f.)

Woher der Mensch die Kraft zu diesem Schwimmen gegen den Strom nehmen soll, bleibt allerdings offen. Mir hat es daher geradezu weh getan, so anregende und ernsthafte Überlegungen nur in eine schwebende Sehnsucht auslaufen zu sehen.

Vieles erinnert an die Botschaft Jesu, der uns vor 2000 Jahren schon gesagt hat: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren...” „Suchet zuerst das Reich Gottes”, „Sorget euch nicht ängstlich”, „Selig die Sanftmütigen”... Padrutt hat in der Sprache unserer Zeit einiges von dem wiederholt. Schade, daß er diesen Gleichklang nicht erkannt hat. Er hätte in diesen „Worten ewigen Lebens” auch die Quelle erkennen können, aus der allein wir bei dieser Umkehr die notwendige Kraft schöpfen können.

DER EPOCHALE WINTER. Von Hanspeter Padrutt. Diogenes Verlag, Zürich 1984, 392 Seiten, öS 224,60.

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