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REVUE IM AUSLAND

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Über den Zehnten internationalen Philosophenkongreß in Amsterdam gibt L. Giacon in der „Civillä callolica“ vom 18. September einen kritischen Bericht: Äußerlich herrschte die glänzende Organisation eines Riesenbetriebes; in 19 Sektionen sprachen über 300 Redner, wobei gleichzeitig oft mehr als zehn Diskussionsgruppen, jeweils um ein Thema bemüht, tagten. So hatte zum Beispiel die Sektion „Metaphysik“ 34 Redner, die Gruppe „Sprachphilosophie“ 10 Redner… Die Gesamtheit der Philosophen traf sich nur einmal des Tages zu den Plenarsitzungen. Im Gegensatz zu früheren großen Philosophentagungen (so etwa in Paris 1937) kam es in Amsterdam zu keinen großen, aufregenden Kontroversen über die letzten Grundfragen des Denkens, der Weltanschauungen. Keine neuen Systeme wurden vorgetragen. Wenn es auch in den Sondersitzungen der einzelnen Fachgruppen lebhaftere Auseinandersetzungen gab, so blieb doch bei den Hauptsessionen die innere Anteilnahme kühl und wurde nie besonders lebhaft und warm'.

Eine Ausnahme bildeten vielleicht die Diskussionen um die Referate der,beiden einzigen Vertreter des Marxismus und Kommunismus auf der Tagung, um die Vorträge von Professor B a n ft (Mailand) und Professor Rieger (Prag). Banfi sprach über den „Kopernikani- schen; Menschen“, ein Schlagwort, das übrigens bereits die nationalsozialistische „Philosophie“ Und Weltanschauung gerne gebrauchte.

Dieser kopernikanische Mensch sei der Aktivist des Weltalls, er durchdringe, beherrsche lind' verwandle die Energien und Kräfte des Kosmos und zwinge sie, ihm dienstbar zu sein. Sein Gegensatz, sein Gegentyp ist der „ptolemäische Mensch“, der Mann der Vergangenheit, der Welt und Umwelt passiv er- trägt und sich in Mythen, in idealistische Konzeptionen, in Metaphysik und Religionen flüchtet — und darauf verzichtet, die konkrete Wirklichkeit des Tages und der Welt zu bewältigen. Noch immer kontrolliere dieser aristokratische Typ einen Großteil der Wissenschaften, zumal die Logik, Ethik, Mathematik, Astronomie und Medi- z i n. Dem neuen kopernÜcanischen, das heißt kommunistischen Menschen, dem die Zukunft gehöre, entsprächen dagegen die Rheto- rik (!), die Geschichte, die empirischen und technischen Wissenschaften. — Sein Zeitalter bedeutet den Tod der Metaphysik und Theologie. Dieser neue Mensch müsse nun auch den dogmatischstarren Rationalismus der Vergangenheit überwinden und jenen kritischen Rationalismus entwickeln, der ihn befähige, die Fülle der Wirklichkeit im Wandel der gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu beherrschen! Dienstbar diesem neuen Rationalismus müsse die Philosophie es sich versagen, „W e i s h e i t" sein zu wollen, denn Weisheit setze die Existenz ewiger Werte voraus … In der auf diesen Vortrag folgenden Diskussion erklärte P. Boyer S. J., der auf dem Kongreß den Vatikan und die römische Akademie des hl. Thomas von Aquin vertrat, daß die Philosophie, wenn sie selbst sich weigere, eine Weisheit, eine Wissenschaft der ewigen Werte zu sein, sich selbst aufhebe. Wenn „W ahr- h e i t“ und „Gerechtigkeit“ bloß • leere Worte ohne konkreten Inhalt sind, dann gibt es kein Leben, keine . Philosophie, keine Wissenschaft mehr. Professor Banfi ziehe es übrigens selbst, wie auch der letzte Arbeiter, vor, daß ihm lieber das Brot als die Gerechtigkeit und die Wahrheit fehle …

Das zweite marxistische Re-

'f erat hielt Professor Rieger. Er begann mit der Erklärung, daß die Philosophie des Marxismus über jeder anderen Philosophie stehe, Wei! sie die einzige wissenschaftliche Philosophie sei! Der Mensch habe zwei Möglichkeiten, um sich über seine Stellung in der Welt Rechenschaft zu geben. Die erste sei der Weg der Objektivität durch wissenschaftliche Mittel und Methoden, der zweite führe zur Unterwerfung unter die Welt und Umwelt durch Ergebung in Spekulationen der Einbildungskraft.

Auf diesem zweiten Weg wandeln — nach der Meinung Riegers — alle Religionen und alle Philosophien der Vergangenheit. Aufgabe der neuen Philosophie des Marxismus sei es nicht, die Welt kontemplativ zu betrachten und zu begreifen, sondern sie zu ändern! In der Begegnung mit der Welt erfährt das Bewußtsein am harten Widerstand der Materie die wahre Realität der Wirklichkeit, wäh. rend — in den alten Philosophien — das Bewußtsein sich verinnerliche, in sich steige, die Welt preisgebe und sich in abstrakten Begriffen und Ideen verliere. — Damit erscheint für Rieger sowohl der Idealismus Hegels wie auch der alte vulgäre, spekulative Materialismus überwunden. Es bleibe nur der dialektische, aktivistische Materialismus, der als Anfang und Grundlage die Tat und die Arbeit besitze. Die Arbeit hat also er- kenntnistheöretischen Wert — sie führt den Menschen zur echten Begegnung mit der Wirklichkeit. — Wesentlich mitschuldig an den Kriegen, Klassenkämpfcn, gesellschaftlichen Krisen sei die Religion: da sie dem Menschen Gott als Ziel vorstelle und zwischen Mensch und Gott individualistische Beziehungen erstelle, habe sie den Menschen antisozial, ungesellschaftlich und dergestalt den Menschen zum Feind des Menschen gemacht! Mit dem Triumph des Kommunismus werde es keine imperialistischen Kriege mehr geben, dann werde Überfluß und Glück für alle erstehen …

Die Diskussion, zumal über diesen prophetischen Schluß Riegers, entzündete sich stark im Anschluß an den Vertrag von Professor Popper (London), der in einer umfassenden Kritik der marxistischen Gesellschaftslehre vor allem darauf verwies, daß Marx zu Unrecht die Methoden der Naturwissenschaft auf die Soziologie und Geschichte übertrage; während die empirisch-experimentellen Wissenschaften „geschlossene Systeme" seien, der Naturgesetzlichkeit verhaftet, sei die Gesellschaftswissenschaft „ein offenes System“. Es sei ein fataler Irrtum, diesen gewalttätigen Rationalismus auf die Wissenschaft vom Menschen anzuwenden. Daraus ergebe sich zwangsweise die Gewalttätigkeit eines Polizeistaates, einer totalitären Diktatur, die den Menschen reckenhaft in ihrem Sinne verwende.

Ein kurzer Überblick über die Vorträge der Plenarsitzungen. In der ersten sprach Professor D e m p f (Wien) über die Synthese von Individuum und Gesellschaft im Mittel- alter, zumal im Denken des hl. Thomas. Am zweiten Tag erörterte B. Russell (London) Fragen der erkenntnistheoretischen Methode, Professor B e r n a y s (Zürich) forderte einen neuen Rationalismus, der der Welt der empirischen Erfahrung, ja auch der Metaphysik offenstehen solle. Die Plenarsitzung des dritten Tages galt den Beziehungen zwischen Philosophie und Religion. Professor Werner (Genf) sprach über die Notwendigkeit der Philosophie, die Idee der Anteilnahme in den Beziehungen zwischen Mensch und Gott zu vertiefen. Professor De Raeymaeker (Löwen) referierte, über die Einflüsse des Christentums auf einige philo sophische Grundbegriffe. Die Schlußsitzung, in der Bayer (Paris) und Calogero (Pisa) sprachen, war Problemen der Ästhetik gewidmet.

In seinem Resümee über die Tagung kritisierte C. Giacon die philo-kommunistische Haltung der Kongreßleitung. Diese habe zum offiziellen Rücktritt der italienischen Delegation geführt, da die Leitung sich angemaßt habe, die italienischen Philosophen politisch zu klassifizieren und einen Teil als „faschistisch" abzulehnen. Diese politische Parteilichkeit sei auch zum Ausdruck gekommen in der bedauernswerten Tatsache, daß eine Reihe hervorragender Philosophen nicht eingeladen worden sei, so zum Beispiel Nicolai Hartmann, Heidegger und viele andere mehr.

Die Schatten dieser Weltstunde, die im Zeichen einer tiefen Spaltung der Menschheit in „zwei Welten" steht, sie haben auch den Himmel Amsterdams, die Tagung der „Weltweisen“, der „Philosophen“, verdüstert…

„Soll, in unseren Schulen Religion unterrichtet werden?" ist der Titel einer eingehenden Untersuchung von Christian Gauß im Septemberheft von „Ladies’ Home Journal“, einer der meistgelesenen amerikanischen Monatsschriften. Der Artikel geht aus von einer kürzlich erflossenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten auf Grund einer Klage der Mrs. Vashti McCollum, einer überzeugten Atheistin, welche das ausdrückliche Verbot jeglichen, die Existenz Gottes anerkennenden Unterrichts., unter, anderem auch der Bezeichnung der Bibel als „Wort Gottes“ in den öffentlichen Schulen ihres Distrikts verlangt batte. Obwohl die Richter der Ansicht waren, „daß die klagende Partei mehr verlangte, als ihr zugebilligt werden konnte“, gaben sie doch dem Verlangen nach einer Weisung an den „Board of Education"des entsprechenden Distrikts statt, „jeglichen Unterricht und Lehre von aller religiösen Erziehung in Champaign Distrikt N. 71" zu verbieten.

Der Artikel, der diese Entscheidung angreift, weist darauf hin, daß damit eine eindeutige und verfassungswidrige Bevorzugung einer bestimmten Weltanschauung — nämlich der atheistischen — gegeben sei. Selbst einer der mit der Entscheidung einverstandenen Richter habe darauf hingewiesen, daß fast alles in unserer Kultur, was der Überlieferung wert sei, mit religiösen Einflüssen erfüllt i s t, und daß kein Erziehungssystem dem Schüler die Kenntnis der religiösen Strömungen in der menschlichen Gesellschaft vorenthalten dürfe. Zur Illustrierung dieser Tatsache bemerkt der Verfasser, daß ein Schüler zum Beispiel „die Architektur der Gotik, die italienische Malerei oder die Musik Bachs, die Dichtung von Homer, Vergil, Dante, Milton oder auch von T. S. Eliot oder die Romane Melvilles und Hawthornes nicht verstehen kann, wenn er die religiöse Konzeption nicht versteht, auf der diese Werke beruhen“.

„Mandier mag der Ansicht sein, daß das kein wesentlicher Gegenstand sei und daß die Künste als Luxusgegenstand ausgelassen werden könnten, aber Religion formt u nd gestaltet nicht nur Kunstwerke, sie formt und gestaltet ebenso in vielfacher Hinsicht unsere Sprache. Wenn wir Vashti McCollums Wünsche respektieren wollten, so müßten wir nicht nur Worte wie ,Gott‘ und ,Heilige Schrift ausschließen, sondern auch eine Menge anderer, wie das kleine Wort

,Sünde . Es hat keinen Platz in einem atheistischen Vokabular, aber es wird doch voraussichtlich noch einige Zeit verwendet werden. Jeder brauchbare Versuch eines Lehrers, es zu erklären oder Sünde von Verbrechen zu unterscheiden, wird stets in irgendeiner Form auf die religiöse Erziehung zurückgreifen müssen. Eine Erziehungsdiät, die jegliche Religion ausläßt, würde bald das werden, was die Italiener einen salzlosen Kürbis nennen. Es fehlt nicht nur der Geschmack, sondern auch Charakter und Bedeutung.“

Ebenso aber sei politische Erziehung und Staatsbürgerkunde ohne religiöse Erziehung undenkbar, denn auch die Unabhängigkeitserklärung sei im Grunde ein religiöses Dokument.

„Sie 'rechtfertigt die Gründung unserer Regierung mit einer Berufung auf ,die Gesetze Gottes und der Natur';. Wir haben ein Recht, unsere unveräußerlichen Rechte zu verteidigen, weil alle Menschen sie von ihrem Schöpfer erhalten haben."

John Douglas Pringle, der Außenpolitiker des „Manchester Guardian", bezeichnet unter dem Titel „Die Vereinten Nationen und der Friede“ in der Londoner Monatsschrift „W o r 1 d Review" die Frage „Können die Vereinten Nationen den Krieg verhindern?" als die entscheidende Lebensfrage der UNO, und kommt zu dem Ergebnis:

„Wenn ich daher die eingangs erwähnte Frage gestellt bekomme: Können die Vereinten Nationen, wie sie jetzt bestehen, einen Krieg zwischen den Großmächten verhindern? — so muß ich antworten’: ,Nein . Wenn man mich fragt: Könnte irgendeine andere Form von internationaler Organisation einen Krieg verhindern? —so muß ich wieder .nein' sagen. Aber wenn man fragt: Haben die Vereinten Nationen irgendeinen Wert? Köhnen sie das Klima der Anschauungen ändern und die Gegenwart mildern, die gegenwärtig zwisdien den großen Mächten bestehen? — dann sage ich ,ja, tausendmal ja . Und wenn man uns Zeit läßt, so sehe ich nicht ein, warum wir nicht eine neue und stärkere Organisation errichten sollten, die eines Tages doch der Welt den Frieden bringen wird “

Im Augustheft des „H och la n d s" wurde in einer längeren Glosse die Problematik des religiösen Films erörtert. Ausganspunkt sind in diesen Darlegungen die Nachrichten . über gewisse religiöse Spekulationsunternehmungen ausländischer Filmproduzenten. Sei es nun überhaupt möglich, einen „rein religiösen Film“ herzustellen? Gegen eine positive Stellungnahme in dieser Hinsicht erheben sich schwerwiegende Bedenken. Zum ersten: Der Film sei in erster Linie Industrie und deshalb gebunden an die unterhaltungsbedürftige „Verbrauchermasse“. Wichtiger aber scheint eine zweite Erwägung:

Der Film ist Photographie; Der beharrliche Anspruch auf Realität ist aus der Kinowelt nicht wegzudenken. Wo der Film ejwas , Außernatürliches vorzutäuschen sucht — etwa Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel —, wird der Zuschauer eine solche Darstellung immer nur als „Trick“, als raffinierte Vorspiegelung des Irrealen empfinden. Der Filmbesucher erwartet Realität oder das Irreale in der Art eines „p holographischen Trick s", — Photographie des „Wunders“ scheitert also: , es wirkt ebenfalls nur als gestellter Trick …

Von hier aus läßt sich zu wesentlicher Unterscheidung vorstoßen: „Der Raum, in dem das Heilige erscheint, das Wunderbare sich begibt, ist der des Glaubens, ein ,existenter“, aber kein von der Kamera direkt e lire i c h b a r er, rea1er Raum." Auch der religiöse Film vermag nicht „den luftleeren Raum, in dem der ungläubige Zuschauer lebt", zu durchdringen — er vermag nicht, zum Beispiel in der Art eines biographischen Spielfilms, „das Wunderbare im leibhaften Sein eines Heiligen, in seinem Leben, als dokumentarische Wirklichkeit zu vergegenwärtigen".-— Hier scheiden sich zwei Welten! „Die sogenannte Verfilmbarkeit ist gerade nicht das Kriterium der religiösen Substanz eines Menschen. Da der Film jedoch durch seine Bestimmung dazu gezwungen ist, den äußeren realen Vorgängen sein aggressives, fast möchte man sagen: sein schamloses Interesse zuzuwenden, ist er ständig versucht, das schweigende Leben eines großen Heiligen situationsmäßig zuzuspitzen und einzelne Episoden dieses Heiligenlebens nur deshalb hervorzuheben, weil sie sich optisch wirkungsvoll umsetzen lassen."

Das Auge des Films vermag ebensowenig wie das Auge des modernen Massenmenschen die Wirklichkeit des Gnadenhaften und Übernatürlichen zu sehen. Wir stehen hier an einer unübersteigbaren Grenze der Möglichkeit, der Wirkmöglichkeit des religiösen Films. Diese Tatsache sich vorzustellen, tut allen gut, die heute von ungeahnten Entwicklungschancen eines religiösen Films träumen ….

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