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Friede, aus Florenz

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Florenz, Palazzo Vecchio, 25. Juni 1955 Wieder flammen die Lichter der Fackeln um den Palazzo Vecchio, die Stadtburg des Bürgermeisters von Florenz, der in dieser Woche vom 19. bis 25. Juni 53 Nationen als Gast zu seinem „IV. internationalen Treffen für den Frieden und die christliche Kultur“ empfängt.

La Pira fußt, wir hatten es bereits in unserem vorjährigen Bericht angedeutet, auf drei großen geschichtlichen Traditionen, die er als Verpflichtungen für die Gegenwart begreift, und auf drei direkten Gegenwartsbezügen. Florenz bedeutet für diesen Sizilianer proletarischer Herkunft: das Erbe einer freiheitlichen humanistisch-stadtbürgerlicheri Kultur, wie sie die großen Bürgermeister von Florenz seit dem Hochmittelalter gegen den Druck aus Nord und Süd, Ost und West verteidigt hatten; in ihrer Schule wuchs Savonarola heran, der, wie dip eben im Erscheinen begriffene nationale Ausgabe seiner „Sämtlichen Werke“ beweist, weit mehr politischer Humanist war, als das oft verzerrte Bild von ihm glauben lassen möchte. La Pira setzt sich energisch für die Seligsprechung Savonarolas und seines Ordensbruders, des großen Malermönchs Fra Angelico da Fiesole, ein, dem soeben in beider Convent San Marco eine überwältigende Gesamtausstellung gewidmet ist. Savonarola ist heute ein Programm, ist eine Parole, die dem freien Wort des Mannes in der Kirche gilt. La Pira selbst hat in eben diesen Tagen, während des Kongresses, mehrfachen Gebrauch von diesem freien Wort gemacht, nicht zuletzt in seiner Auseinandersetzung mit dem „Osservatore Romano“, der das „Erstaunen“ der Katholiken über ein in der „Pravda“-Moskau erschienenes Interview La Piras zum Ausdruck brachte. La Pira hatte kurz zuvor, am Tage des heiligen Basilius, des großen Kirchenlehrers der Ostkirche, einem TASS-Korrespondenten gegenüber sich für künftige bessere Beziehungen zwischen Italien und der Sowjetunion ausgesprochen, dabei aber sehr direkt gefordert, der Osten möge die verhafteten und eingekerkerten katholischen Bischöfe und Priester freilassen. — Das ist nämlich die . dritte geschichtliche Verpflichtung für La Pira: Florenz als Weltraum des Florentiner Konzils von 1439, des großen Versuches, Ost- und Westkirche wieder zu versöhnen. Erlebte Vergangenheit mündet so bereits in die Verantwortung der Gegenwart. Sie inspiriert La Pira mit drei großen Motiven: da ist einmal die sozialreformerische Bewegung des linken Flügels der Democristiani, der soeben mit der Wahl Gronchis zum Staatsoberhaupt und dem Sturz Scelbas weit vorstößt. Da ist es zum zweiten der franziskanisch inspirierte Friedensgedanke des modernen westeuropäischen Katholizismus. Und da ist es zum dritten das Bewußtsein La Piras von der besonderen missionarischen Chance der Großstadt am Morgen des Atomzeitalters: die moderne Großstadt ist der Raum, in dem der neue Friede im Inneren, im sozialen Gefüge der industriellen Großgesellschaft erkämpft werden muß, und sie ist besonders getroffen von der Vernichtungsgewalt eines Atomkrieges, der ihre Massen am furchtbarsten treffen muß. La Pira veranstaltet deshalb im Herbst dieses Jahres einen Kongreß der Bürgermeister der Weltgroßstädte: von Moskau über Paris nach New York und Tokio sind ja die großen Städte der einen Welt und ihre verantwortlichen politischen Oberhäupter besonders von den positiven wie negativen Entfaltungsmöglichkeiten der Atomenergie betroffen.

Genau hier setzt das IV. Florentiner Friedenstreffen vom Juni 1955 an. Der Fortschritt gegenüber den letzten Jahren ist unverkennbar: jetzt beginnen die Geduld und der Mut La Piras ihre Früchte zu tragen; er mußte in den vergangenen Jahren alle Kraft seiner Persönlichkeit aufbieten, um die Christen und kulturellen Persönlichkeiten der westlichen Welt in ihren Referaten und Aussprachen auf die Gegenwart hin zu verpflichten; nur allzu gerne flohen sie in jene von vielen christlichen Kongressen sattsam bekannten allgemeinen Phrasen und „hoch“klingenden Unverbindlichkeiten und wagten es nicht, aus Angst vor Denunziation, aber auch vor eigener Courage, im Angesicht der kommunistischen Friedenskampagne ein eigenständiges christliches und freiheitliches Wort vom wahren Frieden zu rinden. Der Mut des Florentiner Bürgermeisters und die Entspannung der weltpolitischen Verhältnisse begegneten sich heuer und schufen einen Raum offener Aussprache, der starken Akzent durch einige Theologen, einige Atomforscher und nicht zuletzt durch das Wort der Asiaten erhielt.

Das Generalthema 1955 hieß: „Theologische Hoffnungen und menschliche Hoffnungen.“ La Pira, und mit ihm der bekannte Pariser Jesuit Jean Danilou, sodann Marcel R e d i n g (Graz, auf dem Kongreß Vertreter seines Heimatlandes Luxemburg) betonten, daß die „theologische Hoffnung“, die Hoffnung des Christen auf das Jenseits und das Reich Gottes, nicht, wie allzu oft bisher, zu einer Flucht vor der Verantwortung auf dieser Erde pervertiert werden dürfe. Die christliche Hoffnung im Atomzeitalter hat die Verpflichtung, die berechtigten und zumindest verständlichen Hoffnungen des Menschen auf dieser Erde zu klären, zu reinigen, zu retten. Es gibt, und das unterstrich besonders auch Danielou, große berechtigte Hoffnungen der Armen dieser Erde, der farbigen Völker, der verelendeten Massen, die von europäischen, saturierten, besitzstolzen Christen nicht einfach länger abgetan werden können. Und es gibt, darauf wurde von verschiedenen Seiten hingewiesen, in jedem Menschenleben, in jedem Beruf legitime Hoffnungen, die der Christ verteidigen und* bergen sollte, gerade auch dann, wenn sie mystifiziert werden durch innerweltliche Erlösungsmythen, die dem Menschen ein irdisches Paradies vorgaukeln.

Es war sinnvoll, daß gerade der deutsche Vertreter, Josef Pieper (Münster), darauf hinwies, daß hinter manchen Hoffnungen der modernen Welt sich eine uneingestandene geheime Verzweiflung verberge, die sich etwa in Arbeitswut und rastloser Bewegung äußere, und das anderseits in verzweifelten zeitlichen Verhältnissen und in scheinbar trostlosen Situationen des Christen eine Hoffnung verborgen sein kann, die tiefer als der Schmerz des Tages und des'Bewußtseins ist.

Bruce Marshall, der bekannte Schriftsteller, Vertreter Großbritanniens, machte in seinem Referat darauf aufmerksam, „daß die Politik der Stärke Europa ruiniert“ habe. „Diese Politik des Sichdurchsetzens um jeden Preis, mit den Mitteln der Macht und des Militärs, hat Europa und die Welt zur Schwäche und zum Tode verdammt.“ Es gibt keine echte Hoffnung durch die Atombombe. Deutlich gegen „christliche“ Atombombentheologen gewandt, erklärte Marshall: ,,M+ der Metaphysik der Atombombe werden die Menschen nicht in den Himmel eingehen, wohl aber mit einem in aller Härte unseres konkreten Lebens gelebten Christenleben der Verantwortung für jeden Nächsten.“

Hier traf nun das Wort der Asiaten ins Herz der Dinge. Truong Cong Cui, Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Saigon, appellierte leidenschaftlich an die Christen Europas und der freien Welt, aus ihrer Letargie, ihrer Borniertheit und ihrem Unverständnis für die Lebensnöte der asiatischen Völker aufzuwachen; er wies darauf hin, daß in seinem Heimatland Vietnam heute 600.000 Christen um ihres Glaubens willen ins Meer getrieben würden; die größere Katastrophe aber sei eine andere: die Unfähigkeit der europäischen Denkformen und Frömmigkeitsstile, den leibseelischen Grund der farbigen Völker anzusprechen und eine Mission aufzubauen, die den Anschluß an die großen Traditionen der asiatischen Denker und Glaubenslehrer findet. Tah Hussein (Aegypten), der bekannte Führer des afrikanischen Islams, sprach sehr offen die Enttäuschung seiner Glaubensbrüder über die politischen Praktiken der europäischen und amerikanischen Christen aus, versicherte aber zugleich, daß Christen, die dem Evangelium gemäß leben, und Mohammedaner, die dem Koran wirklich folgen, in Frieden und Freundschaft miteinander leben können, wie zahlreiche geschichtliche Beispiele und in der Gegenwart seine Heimat Aegypten bewiesen. Der Vertreter Nehrus und Indiens, John A. T h i v y, lenkte die Aufmerksamkeit auf ein heikles Problem, an dessen Bewältigung sich die Reife der europäischen und indischen Christen einerseits und der jungen politischen Führungsgruppen der nunmehr selbständig gewordenen asiatischen Völker anderseits erweisen und bewähren könnte: die Frage Goa. Der Inder ist der Ueberzeugung, daß die Zeit christlich-europäischer Schutzherrschaft über Christen in anderen Kontinenten vorbei sei und Portugal kein Recht mehr auf seine koloniale Herrschaft über Goa habe. Hier hätte nun der Vertreter Portugals eine großartige Gelegenhcit gehabt, die Inder im besonderen und die Asiaten und farbigen Völker im allgemeinen darauf aufmerksam zu machen, daß sie keineswegs vor den Versuchungen Alteuropas, Imperialismus und Machtpolitik unter dem Deckmantel nationaler und menschheitlicher Phrasen zu treiben, gefeit seien; leider verlor er die Nerven, ließ sich zu unqualifizierbarem Schimpfen und zur Vertretung einer Abendlandideologie, die heute wirklich nicht mehr haltbar ist, verleiten. Dies sei hier festgehalten, nicht gegen Portugal, diese tapfere Nation, die gerade in ihrer Kolonialgesetzgebung vorbildliches geleistet hat, sondern als Dokumentation, wie schwierig es ist, christliche Essenz in den konkreten Lebensfragen nationaler und persönlicher Existenz zu bewähren.

Es darf als ein gutes Omen gedeutet werden, daß das Schlußreferat Francois M au r i a c hielt, dieser wichtige Mahner. gerade an die Adresse der europäischen Christenheit, der es so oft wagte, seiner eigenen Nation bittere Wahrheiten vorzustellen. Mauriac vertritt bekanntlich in Frankreich die gerade bei Katholiken unpopuläre Auffassung, man müsse den Nordafrikanern die völlige Freiheit geben.

Vor dem Abschluß des Kongresses fand auf der Sternwarte von Arcetri, in deren nächster Nähe der große Seher eines neuen Weltbildes, Galileo Galilei, seine letzten Lebensjahre in Verbannung verbrachte, eine Aussprache mit einigen Atomphysikern statt, an der Spitze der amerikanische Nobelpreisträger Arthur C o m p t o n und Enrico M e d i, der als ein Vertreter des Heiligen Stuhles ein vielbeachtetes Referat hielt. Die Atomforscher bekannten sich zu den großen positiven Möglichkeiten der in Erschließung begriffenen atomaren Kräfte, wobei auffiel, daß der Amerikaner Compton, seit Jahren auch' als politischer Repräsentant der USA mit führenden Missionen und Arbeiten betraut, sich zur Möglichkeit einer Aussprache mit dem Weltkommunismus bekannte und die Hoffnung auf einen echten Weltfrieden als legitim erklärte, gerade angesichts der offensichtlichen Gefahren, anderseits mit anderen Atomforschern der Ueberzeugung zuneigt, daß die rasche Vermehrung der Menschheit auch durch die verbesserte Lebensmittelproduktion nicht bewältigt werden könne. Medi hingegen — offensichtlich abgeneigt dem Gedanken wie der Praxis einer Geburtenbeschränkung — ist überzeugt, daß, je größer die Zahl der Menschen werde, um so eher die Menschheit zu neuen Verteilungen der vorhandenen Energien und Lebensmittel und zu neuen Produktionen aus Wasser Luft, Meer und Erde gedrängt werde. Die große apokalyptische Gefahr, die alle legitimen Hoffnungen der Menschheit bedroht, sieht Medi weniger in einem künftigen Krieg, als in der dämonischen Versuchung, die biologisch-psychophysische Struktur.des Menschen durch Eingriffe mittels nuklearer Energien verändern zu wollen. An solche Eingriffe wird bekanntlich an vielen Orten dieser Erde bereits heute gedacht, so etwa zur Erzielung eines gefügigen, angepaßten „Menschenmaterials“, des dem Produktionsprozeß keine „Hemmungen“ entgegenstellt.

Die Schatten, die über der Menschheit heute liegen, wurden also in Florenz deutlich genug angesprochen: im mutigen Blick auf die großen Gefahren und Chancen des beginnenden Atomzeitalters bewiesen aber eben diese Begegnungen im späten Juni 1955, daß die echte christliche Hoffnung nicht eine Illusion ist, sondern eine Kraft, welche die Sorgen, Sünden und Schwächen der Menschheit dem Einen Verwandler entgegenhebt, der von sich sagt: „Siehe, ich mache alles neu.“

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