6642165-1958_01_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

GUTER START FÜR OSTERREICH INS NEUE JAHR. Bei aller gebotenen Vorsicht und jener Skepsis, die dem „gelernten Oesterreicher“ in die Wiege gelegt sind, dürten am Beginn des neuen Jahres 1958 einige gute Vorzeichen vermerkt werden. Da ist als erstes und wichtigstes der Bericht des eben erschienenen „Statistischen Handbuchs für die Republik Oesterreich“ für 1957: der Tiefstand der Geburten in Oesterreich ist zum erstenmal eindrucksvoll überwunden. 1954 betrug der Geburfer.überschufj nur 2,8 (auf tausend Einwohner), 1957 betrug er 4,2. Eine ernste Mahnung an die Staats- und Steuerpolitik, die kinderfreudige Familie zu betreuen. — Kinderfreudigkeif und Jugend sind abhängig vom sozialen Frieden. Es berührt hoffnungsvoll, dah die Neujahrsbotschaften der führenden Männer des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes auf einen Ton der Zufriedenheit und Verantwortung für das Volksganze abgestimmt sind. Vizepräsident Maisei kündigt an, der Gewerkschaftsbund werde auch im neuen Jahr weifer bemüht sein, die Arbeitszeit zu verkürzen, aber mit der notwendig gebotenen Vorsicht, um der Konjunktur keinen Schaden zuzufügen. — Dafj hinter diesen Neujahrsbofschaften nicht nur Worte, sondern eine achtbare Gesinnung steht, zeigt der soeben erschienene Gewerkschafts-kalender für das Jahr 1958, der eines der hei-fjeslen Eisen unserer Gesellschaft zwischen den Zeiten anfafjt: er steht zur Gänze unter dem Leitmotiv: „Der einzelne und die Masse“. Noch nie ist unseres Wissens von einer Seite, der man in der Vergangenheit manche kollektivistische und die Vermassung fördernde Absichten und Aktionen nachsagen konnte, so klar auf den wunden Punkt unserer Massengesellschaft hingewiesen worden: auf den inneren Leerraum in weitesten Schichten der arbeitenden Bevölkerung. Oesterreichs Zukunft kann nur gesichert werden, wenn ein „freies Volk auf freiem runde“ heranwächst. Menschen, die Freude am der Arbeit und Freude an der Freiheit haben. Und die beide sinnvoll zu gestalten wissen für ein besseres Leben. Wenn dies gelingt, wird es seine Wirkung nicht verfehlen: weit über die nahen Staatsgrenzen vor den Toren Wiens hinaus.

FÜR JEDEN ETWAS! Mit Interesse hat man in der letzten Woche zur Weihnachtsnummer der „Arbeifer-Zeitung“ gegriffen. Auf der Titelseite fand man eine von echter Menschlichkeit gefüllte Rede des Innenministers, in der es etwa heißt, daß „das Bibelwort .Fürchtet euch nicht' für alle Völker Wahrheit werden könne, wenn das Gewissen der Welt aufgerüttelt wird“. Auch der Leitartikel des Chefredakteurs Oscar Pöllak, „Weihnachten und wir“, erregt Erstaunen. Seine im journalistischen Meinungskampf gefürchtete und geachtete Feder fand diesmal so warme Worte, daß wir gerne daraus zitieren:

„Jesus von Nazarefh predigte den Mühseligen und Beladenen. Die schönsten Seiner Lehren, die zur Zeit Seines Erdenwandeins die Hirten und Handwerker und Fischer herbeiströmen, das arme Volk Ihm folgen ließen, die hatten zum Inhalf, daß jeder Mensch, arm oder reich, Sklave oder Herr, gleich sei vor Gott.“

Angenehm berührt, blättert man das Blatt durch. Man kommt zur Titelseite der Beilage, liest F. K.s (Friedrich Kurfürsfs?) „Weihnachtliche Gedanken zum Parteiprogramm“ und schüttelt den Kopf. Im Hauptblatt las man's anders!

„Der Stern von Bethlehem war eine Legende, die man glauben muß, damit sie wahr wird ... Die Bewegung, die sich zum Ziele gesetzt hat, den Menschen nicht irgendwo und irgendwann im Jenseits, sondern in dieser Welt und für diese Welt zu befreien und glücklich zu machen, stand vom Anfang an in natürlicher Opposition zur allmächtigen Kirche der damaligen Zeit, und diese Kirche bekämpfte gnadenlos jede Regung des neuen Geistes. Dieser Gegensatz hat, nachdem die Kirche auf dem Gebiet der weltlichen Dinge den Großteil ihrer Macht verloren haf, an Schärfe verloren, aber er ist nach wie vor vorhanden. Wir wollen klar und offen sagen: Zu jener Religiosität, die den Menschen in seinen diesseitigen Nöten übersieht, die blind ist für alles Unrechf und für alle Uebel der Gesellschaff, das die technischen und politischen Revolutionen der letzten Jahrhunderte am liebsten ungeschehen machen und die Weltuhr bis vor Galilei zurückdrehen möchte — zu dieser geistigen Enge stehen wir Sozialisten nach wie vor in Opposition. Deshalb wollen wir auch nicht, um den Lichterbäumen Tribut zu zollen, zu harmlosen Unverbindlichkeiten Zuflucht nehmen. Es ist so und bleibt so: Wir Sozialisten verlassen uns nichf darauf, daß eine allmächtige Hand zum Wohle der Menschen Sterne verschiebt... Der Sfern von Bethlehem leuchtet nicht mehr an unserem Himmel... Wir glauben nicht mehr an die Legende von Bethlehem, so wie frühere Generationen an sie geglaubt haben — aber wir wollen sie verwirklichen.“

Hat man, anders kann man sich das nichf erklären, in der Beilage plötzlich Angst vor der eigenen, auf der ersten Seife bev/iesenen Courage bekommen, oder wollte man „Für jeden etwas“ bringen? Für die klärende Aussprache, die Abgrenzung der Standpunkte sollte denn

doch an Stelle solcher Doppelbodigkeiten lieber die alte Devise gesetzt werden: Klare Begriffe, gute Freunde!

*

DAS KLARENDE WORT BLIEB AUS. Ein Herzanfall hat dem Leben Otto Nuschkes, des stellvertretenden sowjeideutschen Ministerpräsidenten (er muffte diese Würde mit ganzen neun Kollegen teilen), in diesen Tagen ein Ende gemacht. Niemand weif} genau, ob am Ende dieses ins tragische Zwielicht geratenen deutschen Politikerdaseins nur ein körperlich-organischer oder nicht vielleicht auch ein seelisch-moralischer Zusammenbruch stand. Er hatte zeitlebens nicht die „kompakte Mehrheit“ seiner Gesinnungsfreunde hinter sich gewußt. Anders als die meisten deutschen Protestanten, die dem preußischen König-Kaisertum nachtrauerten, bejahte er von allem Anfang an den deutschen republikanischen Staat von Weimar. „Staafspartei“ hieß schon vor 1933 die kleine, auf ein Häuflein zusammengeschmolzene Gruppe schwarzrotgoldener Republikaner, der er angehörte. Um diesen an seinen Geburtsfehlem 1933 zugrunde gegangenen Staat ging es Otto Nuschke auch 1945. Er wollte alles das vermeiden, was 1918 bis 1933 zur Zerstörung der deutschen Demokratie geführt vhatfe, dem Teufel der unheilvollen Reaktion jetzt, nach der Katastrophe des Hitler-Staates, entgehen. Schritt für Schritt näherte er sich auf diesem Wege dem Beelzebub des in der Mitte Deutschlands etablierten Stalinismus. Er wollte, im festen persönlichen Glauben, daß die Zukunft Deutschlands einer sozialistischen Gesellschaftsordnung gehöre, den demokratischen Christen in dieser neuen Well nichf nur den kultischen Atemraum, sondern ein positives Mitspracherecht sichern. Der Protestant sah auch im Staate Ulbrichts eine Form der von Gott gesetzten oder „verhängten“ Obrigkeit. Seine wiederholten Appelle (laut und noch mehr im Verborgenen) zur Freilassung politischer Gesinnungshäftlinge hatten da und dort Erfolg. In den letzten Monaten zogen sich die

Wolken erneut zusammen. In der Frage der Jugendweihen und der atheistischen Totalerziehung zeigte das Regime, das ja mit dem Staat ident geworden ist, sein gnadenloses Gesicht. Nuschke wurde stiller und stiller. Die Entschlußkraft zum deutlichen und kompromißlosen, lutherischen Nein, auch dem evangelischen Christen spätestens dann auferlegt, wenn der heiligste Raum selbst gefährdet ist, hat er nicht mehr aufgebracht. Er versuchte zu begütigen, abzuschwächen, zu verharmlosen, auch dann, als dies nicht mehr zu rechtfertigen war. Für die bekennenden Christen der Zone hafte er fast jeden moralischen Kredit verloren. Seine Freunde im Westen, aus alten, besseren Tagen, schüttelten traurig den Kopf, wenn man im vertrauten Gespräch seinen Namen nannte. Er kann nun in dieser Welt kein klärendes Wort mehr sprechen, das man da oder dort noch immer von ihm erwartete, Gott wird ihm ein allwissender und daher vielleicht gnädiger Richter sein.

MOSKAU MARSCHIERT IN AFRIKA. Die

„Afrikanisch-Asiatische Solidaritätskonferenz“ in Kairo, eine „Volkskonferenz“ von mehr als 500 Vertretern aus rund 50 Ländern, muß als bisher perfektester politischer Vorstoß des Kremls in Afrika gesehen werden. Da hier nicht die Regierungen, sondern „Vertreter des Volkes“ das Wort ergreifen, ist die Bahn frei geworden für den Radikalismus und die politische Agitation, deren Steuerung durch die UdSSR vom ersten Tage an sichtbar wurde. Alle Propagandaschlagworte der sowjetischen Weifpolitik, vom „Imperialismus“ und „Kolonialismus“ (der anderen) bis zu den wüstesten Anschuldigungen gegen die Westmächte, werden hier von 500 Laufsprechern aus Asien und Afrika verkündet. Moskau bot zudem seine „brüderlich Hilfe“ an, es will „Industrieanlagen, Erziehungsstätten und Krankenhäuser“ für die Völker Afrikas und Asiens bauen und stellt, wie es verkündet, keinerlei politische Bedingungen für seine wirtschaftliche Hilfe. — Die Sache ist sehr ernst zu nehmen. Die Untätigkeit Amerikas trägt böse Früchte ein. Der Besuch Nixons in Afrika war eine „optische Angelegenheit“, eine gute Stimmungsmache, der keine Taten folgten. Soeben haf Indonesien erklärt, daß es vom Ostblock Waffen kaufen möchte. Das ist ein Kommentar der unmittelbaren Tageswirklichkeit zum „Volkskongreß“ in Kairo, der Wasser auf die Mühlen Nassers und des Kremls leitet. — Auffallend war auch die Stellungnahme der Vertreter Japans: dieses Land sucht Anschluß an Asi en und Afrika. Die durch seine schwache Gesundheit bedingte Inakfivifäf Eisenhowers wächst sich zu einer Gefahr für die freie Welt aus. Kairo ist ein neues, dringendes Mahnmal, den vielen großen Worten der letzten Jahre Taten folgen zu lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung