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Gehorsam

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In diesen letzten 150 Jahren wurden in Europa viele Schlachten geschlagen. Die Schulbücher und die Narben der Völker berichten von den Bataillen auf den Feldern der Kriege. Literaturgeschichten, Kunstbücher, Berichte gelehrter Gesellschaften künden von den heroischen Kämpfen, in denen Dichter, Forscher und Künstler einer verschlossenen Umwelt durch ihre Erfin- düngen, ihre neuen Formen, Farben, Visionen neue Dimensionen eröffneten. Wer Walter Muschgs „Tragische Literaturgeschichte“ durchblättert, kann ergreifende Belege für den Untergang unverstandener, vielverfolgter Dichter und Denker finden, die dem Haß ihrer Umwelt und im ganzen 19. Jahrhundert und darüber hinaus in erschreckend hohem Maße einem frühzeitigen Tod durch Verhungern, Ueberarbeiten, Wahnsinn, Selbstmord, Mord (nicht erst in diesen letzten Jahrzehnten) zum Opfer fielen.

Für diese Kämpfer an der inneren Front des Menschen, da, wo die entscheidenden Schlachten geschlagen werden, in denen neue, offene Horizonte der Menschheit sich auftun, gilt, was seit jeher für den Propheten, für den Seher neuer Gesichte galt. Platon hat in klassischer Weise -in klassischer Zeit dieses geschichtliche Schicksal des Pfadfinders festgehalten: dieser muß froh sein, wenn er mit einer Diffamierung und mit einer Vertreibung aus dem Heimatlande davonkommt, wenn ihn das Vaterland nicht bereits zwingt, den Schirlingsbecher zu trinken, wie den Sokrates, wenn ihn die Heimatstadt nicht für lebenslänglich austreibt wie Dante.

Einige dieser inneren Kämpfe von einsamen Pfadsuchern im 19. Jahrhundert sind weltberühmt geworden: das gilt für Hölderlin, für Kierkegaard, für Nietzsche. Manche andere blieben im Zwielicht ihrer Tage verborgen Von sehr vielen wissen wir heute noch nichts Gültiges zu sagen. Viele sind verschollen. Ein vergessenes Grab in der Bretagne, in einer westeuropäischen Vorstadt nahm gütig auf, was an ihnen sterblich war. Ihre Gedanken hat der Wind verweht — in viele andere Herzen und Hirne hinein. Sehr gebildete und sehr konservative Menschen wissen heute oft nicht, daß das, was ihnen selbstverständlich geworden ist: eine gewisse Offenheit für gewisse Gegner, eine gewisse Toleranz Andersdenkendst gegenüber und nicht zuletzt ,ein affektfreies Betrachten der Welt in ihrer großen Fülle, vor nicht allzu langer Zeit Stürme der Entrüstung hervorrief, wenn einer der Männer und Frauen, von denen hier zu sprechen ist, erstmalig diese Gedanken in concreto vortrugen.

Das Epos des katholischen Publizisten in Europa, zwischen 1830 und 1954. ist noch nicht geschrieben. 1830 gründete der Abbé Lamennais zusammen mit Montalembert und Lacordaire die Zeitschrift „L’Avenir", 1954 gab Ludwig von Ficker den Band des ..Brenner“ heraus, auf dessen letzter Seite „Ende des Brenner“ steht.

In der Zeitschrift „L’Avenir“. die ihren Namen „Die Zukunft" zu Recht trug, wurden ruchlose Dinge vertreten, die noch heute das Schaudern mancher Katholiken in manchen Ländern erregen, wie die Trennung der Kirche vom Staat, Religionsfreiheit für alle Bekenntnisse. Der letzte österreichische Katholikentag 1952 hatte sich mit gutem Grund die Parole gewählt: „Freiheit und Würde des Menschen". Eben dieses Wort war 100 Jahre zuvor einer der be- fehdetsten Rufe in die Wüste der Zeit gewesen . .. Der „Avenir“ erhob zum ersten Male in der katholischen Publizistik Forderungen in bezug auf eine politische und religiöse Erziehung und Betreuung der Massen, wie sie 1945 Abbé Godin und die ersten Männer der Arbeiterpriestermission in Paris wieder erheben mußten. Lamennais, ein echter bretonischer Dickschädel wie viele vor und nach ihm bis zu Renan, Psichari, Ernest Hello, erhob dann einen Ruf, der damals seltsam klang: Die Kirche solle die Zukunft durch ein Bündnis mit den „äußeren“ und „inneren Barbaren“, mit dem Proletariat und dem Osten, für sich gewinnen. 50 Jahre später formulierte ein anderer einsamer Franzose diesen Ruf dahin gehend: „Ich erwarte die Kosaken und den Heiligen Geist.“

Der Untergang des „Avenir“, bedingt durch eine Allianz sehr verschiedenartiger Kreise (ge-

sellschaftlicher, politischer und kirchlicher), kann als ein Musterbeispiel für viele Tragödien im europäischen R; am der katholischen Publizistik in den folgenden 120 Jahren angesehen werden. Dieser Untergang war eine Katastrophe: hier verlor der europäische Katholizismus eine Stimme, die ein geschichtliches Recht hatte, gehört zu werden. Wie viele Themen und brennende Fragen wagte in der Folgezeit niemand zur öffentlichen Absprache vorzustellen, weil sie zum ersten Male im abgeurteilten „Avenir“ aufgeschienen waren und weil Kettendenunziationen sich darauf bezogen. Es tut gut das Wort dem von Bischof Buchberger herausgegebenen katholischen „Lexikon für Theologie und Kirche" (1934) zu lassen: Der „Avenir“ wird hier genannt als „erste Tageszeitung modernen Stils innerhalb der katholischen W e 11". Um ihn schart sich die junge Intelligenz Frankreichs (Gerbet, Montalembert, Lacordaire, Combalot, De Coux u. a.) Er weckt begeistertes Interesse in Belgien, England, Irland, Polen, Italien, Schweiz und Deutschland,

besonders am Rhein und in Bayern (Döllinger, Görres, Baader, De Moy u. a.).

Döllinger, Görres, Baader: wer kennt heute im europäischen Normalkatholizismus noch das Lebenswerk dieser Giganten? Döllinger, der große Historiker, Franz von Baader, der fruchtbarste Denker aus dem deutschen katholischen Raum im ganzen 19. Jahrhundert, Görres, der führende deutsche Publizist, den Napoleon als eine „fünfte Weltmacht“ fürchtete? — Dieses Nichtmehrkennen hat seine Gründe: die Katholiken fürchteten ihre stärksten eigenen Denker und Publizisten immer weit mehr als ihre Gegner. Das bezeugt bereits Thomas von Aquin, gegen dessen Lehre nicht nur Bischof Tempier von Paris, sondern jahrzehntelang mehr als die Hälfte der europäischen Theologen kämpfte. Zu seinem Tode sandte nicht die theologische Fakultät der Universität von Paris, deren größte Leuchte r bis heute geblieben ist, ein Beileidschreiben, wohl aber die w e 111 i c h e Artistenfakultät, wo sowohl seine glühendsten ersten Verehrer wie seine geistesmächtigsten Gegner — man denke nur an die Männer um Siger von Brabant — versammelt waren.

Im 19. Jahrhundert breitet sich ein großes Schweigen um die größten katholischen Publizisten. Selbst einen Newman hat es fast verschlungen. — In den letzten 50 Jahren konnten im deutschsprachigen Raum die Zeitschrift „Hochland“, begründet von Karl Muth in München, eine der angesehensten und besten katholischen Zeitschriften der Welt, die vor einem Jahr ihr fünfzigjähriges Jubiläum feiern durfte, und dann der „Brenner“ Ludwig von Fickers dieses unerbittliche Gesetz der Wirkmöglichkeit der katholischen Publizisten bestätigen. Heute muten die Kämpfe, die das „Hochland“ am Beginn unseres Jahrhunderts zu bestehen hatte, oft wie Kriegsschalmeien aus einer Spieldose des Biedermeier an. Da wurde mit schwerstem Geschütz gegen das „Hochland“ geschossen, wenn es einen Roman, eine Literatur zu verteidigen oder gar nur zu interpretieren wagte, die heute selbst in strengen christlichen Pensionaten die höheren Töchter beiderlei Geschlechts nicht mehr beunruhigt. So klein, so nebensächlich, so harmlos erscheinen uns heute die Sorgen des damaligen Literaturstreits — aber an einer Realität dieser Kämpfe dürfen wir noch heute nicht zweifeln: geschossen wurde scharf. Von der Denunziation, von Interventionen bei höchsten Stellen, von wirtschaftlichen und politischen Boykottmitteln wurden alle Methoden des kalten Krieges eingesetzt, um diese und andere bahnbrechende Versuche einer gegenwartsverpflichteten katholischen Publizistik abzuwürgen. Einem Karl Muth, dieser kämpferischen und zugleich umsichtigen Persönlichkeit von hohem Format, gelang es, gestützt durch verständige Bischöfe und kirchliche Freunde, immer wieder, die Angriffe abzuwehren, die bald von dieser, bald von jener Seite vorgetragen wurden. Was Muth gelang, konnte dem „Brenner“ nicht gelingen: dieser war viel zu sehr das einsame Wagnis eines einsamen Mannes, der für seine Hellhörigkeit büßen mußte — Ficker ist der Entdecker Trakls, Ferdinand Ebners, Theodor Haeckers, Wittgensteins und anderer geistiger und religiöser Begabungen von europäischem Rang. Ein Karl Kraus hat ihm bestätigt, daß in dunkler trüber Stunde seine Zeitschrift das Gewissen deutscher Zunge allein verkörperte. In eben dieser Stunde, in der die Elite der deutschen Literatur ihre Haß- und Wahngesänge sang, 1916, gab Theodor Haecker im „Brenner“ eine Enthüllung des mitteleuropäischen „christlichen“ und „nationalen“ Hochmuts, wie sie einzig dasteht, schließt man nicht Hugo Ball, den in die Schweiz Emigrierten, hier ein. — Theodor Haecker, der stärkste gegenwartsbewußte katholische Publizist Deutschlands zwischen 1916 und 1935, brachte sich als zweiter Buchhalter in einem kleinen Münchener Unternehmen durch, Ficker selbst war zeitlebens Korrektor in einem Verlag. Ein dritter, der hier genannt werden muß, Reinhold Schneider, ist durch protestantische, außerdeutsche und „liberale“ Unterstützung der Diffamierungskampagne nicht erlegen, die aus dem katholischen Lager wider ihn aufbrach, als er vor vier Jahren als einsamer Rufer in der Wüste Dinge zu sagen wagte, die heute jedermann für vernünftig findet, der die Kriegspsychose abgelegt hat. Reinhold Schneider war, durch seine in Hunderttausenden von Abschriften an allen Fronten unter den deutschen Soldaten verbreiteten Gedichte, der katholische Dichter des Widerstandes im deutschen Raum gegen den Totalitarismus. Theodor Haecker, der stärkste politische Denker dieses Widerstandes, mußte sich von einem führenden Theologen sagen lassen: „Wie können Sie nur so sprechen gegen den Führer?“

Das sind, wenn man es so nennen will, „Geschichten“; Geschichte aber ist der Lebenskampf aller führenden katholischen Publizisten in Europa. Keinem von ihnen ist es erspart geblieben, in ernstester Stunde verlassen zu sein, preisgegeben von jenen, für die er kämpfte. Verfolgungen von Feinden, Bedrängnis von innen her — mitten zwischen den Gegnern von links und rechts, außerhalb und innerhalb der Kirche muß der katholische Publizist seinen Weg gehen, gehorsam seiner Kirche, gehorsam seinem Gewissen.

In diesem Gehorsam, im Geheimnis dieses Gehorsams ruht die letzte Schwäche und Stärke des katholischen Publizisten.

Seine Schwierigkeiten begannen mit seiner Geburt: die Nachwehen der Französischen Revolution, oft noch ihr Feuerschein erweckten das Gewissen eines Görres, eines Lamennais. War die Kirche in Schlaf versunken? War den Theologen die Feder entglitten, vermochten sie nicht mehr den Glauben und die Kirche zu verteidigen? Eben diese Vision von der „schnarchenden Kirche“ hat Görres 1 8 2 8 festgehalten (wieder abgedruckt im Archiv für katholisches Kirchenrecht 1 9 2 8). Da erhob sich der katholische Publizist, erregt über die Zeichen der Zeit, über den Abfall der Christen von Christus, über die Teilnahmslosigkeit vieler Christen am zeitlichen und ewigen Schicksal der Kirche, und versuchte etwas Unmögliches: den anti-pretres, den kirchenfeindlichen „Gegenpriestern“, wie die Spätaufklärung in Frankreich die sehr gebildeten literarisch hochproduktiven Männer um Voltaire. Diderot nannte, trat der katholische Publizist als eine Art Laientheologe entgegen (nachdem es seit den Tagen des Origenes, dann der hochmittelalterlichen Mystiker kaum Laientheologen gegeben hatte). Als Laientheologe, auch wenn er den Priesterrock trug, und als eine Art Prophet. Als ein Mann, der die Dinge voraussah, die kommen sollten, die kommen „mußten“, wenn nicht eine schnelle Abhilfe gegen die Mißstände der Zeit geschaffen würde. Laientheologen und Propheten — von Gnaden der eigenen Angst, des eigenen Genies, der persönlichen Versuchungen und, nicht ganz selten, eines echten Charismas —, damit ist aber die tief frag würdige und frag würdige Stellung dieser katholischen Publizisten bereits abgesteckt in den Feldern ihrer Strahlungen. Die Ungeduld eines Leon Bloy, eines Georges Bernanos — des wohl stärksten katholischen Publizisten unserer Tage — riß sie hin. Hingerissen durch ihre Angst und Sorge um Kirche, Menschheit, Gott (es gibt im 19. und 20. Jahrhundert eine eigentümliche seltsame Angst des Menschen um Gott. Nicht zufällig variieren Hegel, Nietzsche, Dostojewskij, Heidegger und andere das große Thema „Gott ist t o t"), glaubten sie oft, durch ihre Predigt ein neues Leben erwecken zu können, wachrufen zu müssen in der „schlafenden Kirche". Und vergaßen dabei bisweilen, daß die Erweckung von Toten, auch von Scheintoten, eine strenge Gnade ist, gebunden an Amt, Sakrament, Charisma, verliehen dem Leib Christi auf Erden, gegeben in erster Linie jenen Männern, die von Christus selbst die Handauflegung empfangen hatten, die Kraft zu binden und lösen: die Apostel und ihre Nachfolger, die Päpste und Bischöfe.

Die Ungeduld des Herzens! Die Ungeduld des Geistes! Die Ungeduld eines scharfen wachen Intellekts! Wer wird sie nicht verstehen, der durch die Feuer unserer Zeit gegangen ist? Nicht jeder Christ und Katholik wird aber angerührt durch die Feuer d:r Zeit. So entsteht immer wieder das tragische Mißverständnis: Männer der Kirche, und geängstete Massen, eingeigelt in die zahlreichen Gettostellungen des europäischen Christentums, das sich von seinen Niederlagen in den letzten Jahrhunderten noch nicht erholt hat, verwechseln die Branddeuter mit den Brandstiftern. Und sehen in Kassandra die ewige Unruhestifterin; ist sie nicht schuld am Untergange Trojas? Wie durfte sie nur die Wunde der Christenheit dermaßen deutlich ansagen. ja bloßlegen? — Dieser letzte Vorwurf scholl bekanntlich von vielen Seiten der mutigsten deutschen katholischen Publizistin entgegen, Ida Friederike Görres. als sie ihren berühmten „Brief über die Kirche“ wagte (der inzwischen in den USA, in Japan, in vielen anderen Ländern übersetzt, in Deutschland selbst arg diffamiert wurde).

Prophet ohne Amt: damit wird aber bereits eine innerste Wunde des katholischen Publizisten selbst aiigerührt. Wer hat ihn beauftragt, so zu sprechen? So hart, wie ein Görres, ein Hello, ein Bernanos, ein Peguy, ein Haecker? Wer hat ihn dazu autorisiert, Päpste, Bischöfe, Kaiser vor das Jüngste Gericht zu zitieren wie Dante den Papst Bonifaz VIII.?

Dem katholischen Publizisten fehlt das Amt; es fehlt ihm die Autorität. Was ihm damit fehlt, mit der sakramentalen Würde, kann , nur ein Katholik begreifen, vermag aber auch sein Gegner und sein Freund an vielen Ereignissen ab- zulesen: diese eigentümliche Ungesichertheit seiner Stellung gibt ihn immer wieder der Gefahr preis, sich zu irren. Sich zu überheben. Das rechte Maß zu verlieren. Die Geduld zu verlieren. Die Demut, die Barmherzigkeit. Es tut gut, die Werke eines Hello, Bloy, Bernanos nachzulesen: welche merkwürdige Mischungen von Wahrem und Falschem, von einem möglicherweise echten Prophetismus und einer Apo- kalyptik, der die Angst des eigenen Herzens zum Maß aller Dinge in Kirche und Welt geworden ist? Flohen und fliehen gewisse ortho- doxistische Typen von Christen immer wieder vor der Zeit, so lebt der katholische Publizist berufsmäßig naturgemäß in der Gefahr, in die Zeit hinein zu fliehen, „Modernist“ zu werden,

in einem weiteren Sinne, als es die unglückliche Kampagne um den Modernismus vor 50 Jahren meinte.

Die Tragik des katholischen Publizisten scheint also ausweglos zu sein: gehorcht er seinem Gewissen, so gerät er immer wieder in die Gefahr, einem Scherbengericht zu verfallen. Unterwirft er sich, dann wird er, der Dialektik seipes schlechten Gewissens erliegend, sehr oft selbst zum Ketzerspürer, Ketzerbrenner.

Die Fälle, in denen aus Stürmern und Drängern kleine Großinquisitoren wurden, die fanatisch verfolgen, was sie gestern verfochten, sind seit den Tagen des Lamennais so zahlreich, daß auf eine Sonderbehandlung dieses typischen Dramas des Renegaten, des „Abgesprungenen", verzichtet werden darf. Haß und Asche überdecken dann das zu Schlummer und Schweigen gebrachte Gewissen. Unterwirft er sich nicht, dann gerät der katholische Publizist in die Gefahr, wirklich das zu werden, wozu ihn seine Feinde gerne stempeln wollen: ein Häretiker, ein Mensch, der nicht aus dem vollen Pulsschlag der Kirche lebt.

Wo ist ein Ausweg? Wo ist ein anderer Weg?

Es geht heute, in der Einen Kirche wie in der Einen Menschheit, um die Wiedergeburt der Autorität, um die Wiedergeburt des Gehorsams. Diese beiden hängen aneinander Ohne eine lebendige, strahlkräftige Autorität kein echter Gehorsam, sondern nur eine erzwungene Unterwerfung wie die der Jeanne d’Arc, wie die eines Galilei. Ohne einen lebendigen Gehorsam, ohne diese Hingabe eines freien Menschen, gibt es aber auch, menschlich gesprochen, keine lebendige Autorität. Diese beiden müssen sich be-, gegnen. Wo Angst auf Enge stößt, wo Trotz gegen Trotz tritt, wo Ueberhebung gegen Hochmut ankämpft, kann der Spielraum nicht entstehen, in dem, um mit den Kirchenvätern zu sprechen, der spielende Gott, der spielende Christus, die spielende Kirche sich begegnen, Atem der Freiheit, der Liebe und des Geistes weht nur in diesem Spielraum.

Das alles ist leichter gesagt als getan. Leuchtkräftige Beispiele eines liebenden Ringens im Gehorsam haben ein Franziskus von Assisi, ein Ignatius von Loyola gegeben, die einem oder mehreren Päpsten widerstanden wie Paulus dem Petrus ins Angesicht hinein.

‘Das aber waren Heilige. Der katholische Publizist ist zumeist kein Heiliger. Echte Kraft gewinnt er nur durch echten Gehorsam. Durch diesen Gehorsam allein kann er „siegen“: er weiß dann nämlich, daß jedes Wort, jedes neue Wort in der Kirche nur angenommen wird, wenn es durch das Feuer hindurch geprüft ist. Solange er also lebt, schreibt er Literatur. Nach seinem Tode erst wird sich erweisen, was an seinem Werk gültiges Korn ist. Sehr oft erweist sich dann, daß Menschen zu sprechen beginnen als wahrhafte katholische Publizisten, die zeit ihres Lebens geschwiegen haben. Die sich zerschlagen ließen wie in einem Atommeiler. So wurde Therese von Lisieux zur größten katholischen „Publizistin" unseres Zeitalters: ein heiliger Mensch, der sich ganz opferte und hingab, der ganz Gehorsam wurde, gottgehorsam.

Die Bitte um die Fürbitte dieser Heiligen kann dem katholischen Publizisten helfen, sich von jeder Sentimentalität zu befreien. Eitelkeit und Sentimentalität hindern ihn ja zu allermeist, die Gefährdung und die’ Größe seines Auftrages einzusehen. Dieser Auftrag besteht ja eben darin, die Unsicherheit des menschlichen Lebens in besonderer Weise auszutragen in seiner beruflichen Existenz. Er ist verloren, wenn er sich nicht in einen echten Gehorsam rettet. Wohl ihm, wohl seinen Zeitgenossen, wenn er Feinde und Freunde findet, die ihm helfen, diesen Weg des echten Gehorsams zu gehen.

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