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BRIEFE AUS WIEN

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Gegen Ende des Jahres, in dem Hofmannsthal seinen 85. Geburtstag hätte feiern können und in dem man Seines 30. Todestages gedachte, wurde mit der Veröffentlichung des Bandes „Aufzeichnungen” die bei S. Fischer erscheinende und von Dr. Herbert Steiner betreute Gesamtausgabe seiner Werke abgeschlossen. Dieser Band enthält die Aphorismensammlung „Das Buch der Freunde”, Aufzeichnungen und Tagebücher aus den Jahren 1890—1929, Fragmente einer Selbstinterpretation, einige Dramen- und Ballettentwürfe sowie fünf Briefe an die amerikanische Zeitschrift „The Diial", die Hofmannsthal in den Jahren 1922—1924 unter dem Titel „Vienna Leiters” dort erscheinen liefj. — Das deutsche Originalmanuskript fand sich in Hofmannsthals Nachlafj und wird jetzt zum erstenmal veröffentlicht. Wir bringen zwei dieser Briefe, leicht gekürzt.

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Gegen Ende des Jahres, in dem Hofmannsthal seinen 85. Geburtstag hätte feiern können und in dem man Seines 30. Todestages gedachte, wurde mit der Veröffentlichung des Bandes „Aufzeichnungen” die bei S. Fischer erscheinende und von Dr. Herbert Steiner betreute Gesamtausgabe seiner Werke abgeschlossen. Dieser Band enthält die Aphorismensammlung „Das Buch der Freunde”, Aufzeichnungen und Tagebücher aus den Jahren 1890—1929, Fragmente einer Selbstinterpretation, einige Dramen- und Ballettentwürfe sowie fünf Briefe an die amerikanische Zeitschrift „The Diial", die Hofmannsthal in den Jahren 1922—1924 unter dem Titel „Vienna Leiters” dort erscheinen liefj. — Das deutsche Originalmanuskript fand sich in Hofmannsthals Nachlafj und wird jetzt zum erstenmal veröffentlicht. Wir bringen zwei dieser Briefe, leicht gekürzt.

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ZWEITER BRIEF

Jede große Stadt hat ihren doppelten Aspekt darin, daß sie je nach dem Blick, den man auf sie wirft, als eine Stätte der Geselligkeit und als eine Stätte der Einsamkeit erscheint. Ja, vielleicht ist der Hintergrund der Einsamkeit des modernen Menschen ganz unbedingt die sehr große Stadt, so wie der wilde Wald der Hintergrund der Einsamkeit für den mittelalterlichen Menschen war. Wien, das wie Paris eine sehr gesellige Stadt ist, hat immer, wie Paris, große und merkwürdige Einsame gehabt. Sie war nie geselliger als um 1815, als die Souveräne und Diplomaten Europas, die schönsten Frauen und besten Sänger und Virtuosen sich versammelten, um sich gemeinsam darüber zu freuen, daß Europa von dem beschwerlichen Genie befreit war, das man soeben nach der ungeselligen Insel Elba transportiert hatte — aber für unseren um ein Jahrhundert gealterten Blick ist das lärmende Wien von damals vor allem der Hintergrund einer titanischen und schwermütigen Einsamkeit: der Beethovens, der außerhalb dieses Gewühles sich mit schweren Schritten hinbewegte, irgendwo in einer Vorstadtgasse hauste wie ein alternder grauer Löwe in seiner Höhle, neunundzwanzigmal in zwanzig Jahren diese Wohnungen wechselte, und schließlich, wenn man ihn gefunden hatte und vor ihm stand, doch so weit weg und unerreichbar war wie zuvor.

Aber auch das spätere 19. Jahrhundert und das unsrige haben solche Einsame gekannt, und sie werden nie aufhören, hier zu existieren und in einer gewissen Art die eigentlichen Genießer dieser Stadt zu sein. Sie wohnen gerne an den Rändern der Stadt, dort, wo man sehr schnell in den Bereich der Weinhügel und kleinen Feldwege hinaustritt, aber nicht in den Villenvierteln und „Cottages“, die den westlichen und südlichen Rand der schönen Stadt hier und da etwas trivialer und allgemein-europäischer gemacht haben, sondern in gewissen unprätentiösen stillen Gassen der Peripherie, deren Häuser meist aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen und von kleinen Beamten, Professoren, besseren Handwerkern und bescheidenen Fabrikanten bewohnt sind, unauffällige Existenzen in unauffälligen Häusern. Unter diese unauffälligen Existenzen waren immer auch sehr merkwürdige Individuen gemischt, Intellektuelle von sehr hohem Rang, die aber nichts mit den ambulanten Intellektuellen der Zeitungs- und Theater- und Kaffeehaussphäre (das Kaffeehaus vertritt in Oesterreich wie in Italien zu einem sehr großen Teil den Klub) zu tun hatten — ja kaum sogar mit der Sphäre der Universität oder der anderen höheren Schulen und Akademien. Ich rede von geistigen Arbeitern der Sorte, über die Voltaire ein so schönes Wort gesagt hat: „Die Schriftsteller, die der kleinen Anzahl denkender Menschen, die in der Welt verstreut leben, die größten Dienste erwiesen haben, sind die einsamen Geistigen, die wirklich Wissenden — eingeschlossen in ihre Stube —, die weder auf den Bänken der Universität disputiert noch halbe Wahrheiten in den Akademien verkündet haben: Und gerade diese sind fast immer verfolgt worden.“

Die Verfolgung solcher Individuen hat in unseren demokratischen Zeiten eine neue Form angenommen: die der absoluten und konsequenten Nichtbeachtung für ein Dezennium oder für mehrere Dezennien oder auf Lebenszeit. Es ist wunderbar, daß diese Strafe nie über mittelmäßige, innerlich gemischte und problematische Künstler oder Denker verhängt wird, sondern daß sie in ihrer vollen Härte ausschließlich ganz ungewöhnliche Individuen und sehr hohe und reine Leistungen trifft.

Vor sechs Jahren, im Oktober 1915, starb in einer dieser unauffälligen Wohnungen ein sehr unauffälliges Individuum, Karl Eugen Neumann; er starb an seinem weder von ihm noch von irgend jemand beachteten fünfzigsten Geburtstage. Er war ohne jeden Zweifel unter den Lebenden der größte Orientalist der deutschen Nation, und seine Leistung, die rhythmisch und geistig vollkommene Ueber- tragung sämtlicher kanonischer Schriften des Buddhismus, vor allem sämtlicher Reden Buddhas nach der großen, mittleren und kleineren Sammlung des Prakrit-Textes, war ohne jeden Zweifel eine der für die deutsche Nation folgereichsten kulturellen Taten, die innerhalb unserer Generation getan wurden. Denn die deutsche Kultur besaß nicht das, was die englische und amerikanische in der Sammlung der „Sacred Books of the East“ besitzt: Einen unerschöpflichen Thesaurus der orientalischen Weisheit. Aber in bezug auf dies eine Objekt: Die Buddha-Reden, und in Hinsicht auf die sprachliche Bedeutung, welche diese Uebersetzung durch ihre Geistigkeit und ihre rhythmische Identität mit dem Original für die eigene Nation, ich meine für die deutsche, besitzt, glaube ich sagen zu dürfen, daß keine einzelne der Ueberzetzungen, welche in der imposanten

Reihe der „Sacred Books“ zusammengestellt sind, ihr in ihrer Bedeutung für die anglo- amerikanische Kultur mutatis mutandis gleichkommt. Karl Eugen Neumann publizierte die einzelnen Bände seiner Uebersetzungen in einem Zeitraum von zwanzig Jahren.

Er unterbrach seine unablässige Arbeit, welche sowohl die Arbeit des Gelehrten als die des Dichters — ich meine des Sprachkünstlers — war, nur zweimal zum Zweck einer Reise nach Ceylon; er besuchte die entlegensten Klöster, um die Texte der heiligen Bücher zu vergleichen und im Gespräch mit den singalesischen Mönchen über gewisse dunkle oder zweideutige Textstellen ins klare zu kommen. Oft galt eine Reise von Tagen der Aufklärung eines einzigen Wortes; und nicht sehr selten endete das Gespräch mit dem Inder damit, daß Neumann auf seiner Interpretation der Stelle beharrte und daß der autochthone Interpret eine Belehrung empfing, statt eine zu geben. — Das Publikum verhielt sich diesen Uebersetzungen gegenüber gleichgültig; die Fachmänner von den Universitäten mißgünstig; es waren die Arbeiten eines einsamen Privatgelehrten, der keiner Universität, keiner Akademie, keiner gelehrten Koterie angehörte; der Verleger schließlich wurde sehr kalt gegen seinen Autor, dessen Publikationen in 25 Jahren meist nicht einmal die zweite Auflage erreichten. Als er schon ein halbes Jahr lang unter der Erde lag, trafen noch hie und da Briefe auswärtiger Korrespondenten ein; darunter einer von einer großen deutschen Zeitung, worin der Redakteur Herrn K. E. Neumann aufforderte, der Zeitung eilig den Nekrolog für einen eben verstorbenen berühmten skandinavischen Orientalisten einzusenden. Der bekümmerte Freund, der den Nachlaß ordnete und die Briefe in Empfang nahm, war gezwungen, mit einem etwas bitteren Scherz zu antworten, indem er den Redakteur aufforderte, doch vor dem Nekrolog auf den Dänen in seinem Blatt den bis jetzt versäumten Nekrolog des langjährigen Mitarbeiters K. E. Neumann zu bringen.

Mit einem so großen Maß von Verkennung, als sie K. E. Neumann bei seinen Lebzeiten zuteil wurde, vermag die Ungekanntheit Rudolf Kassners nicht zu rivalisieren. Denn dieser geistreiche und originelle Philosoph — das Wort hier im heiteren Sinn genommen, so wie das 18. Jahrhundert und wie die Antike es gebrauchten — kann immerhin auf eine sehr treue, wenn auch nicht sehr breite Schar von Lesern zählen, die keines seiner Bücher ungelesen lassen würde. Es sind Bücher von einer inneren Eleganz, die in einer gewissen Weise an die Antike erinnert; lauter dünne, konzise Bände, in einem scheinbar leichten und mondänen Stil geschrieben, die aber, wenn man sie ganz, das heißt bis in die Tiefe, zu lesen versteht, einen ungewöhnlichen Gehalt ergeben, und aus denen sich ein höchst konsequentes und bedeutendes Oeuvre aufbaut.

Kassner debütierte vor beinahe 25 Jahren mit einem Band, der Essays über die englischen Dichter und Künstler des 19. Jahrhunderts enthielt. Blake, Shelley, Keats, D. G. Rossetti, Swinburne, Browning war je ein Kapitel gewidmet, eines behandelte W. Morris und E. Burne-Jones, und in einem besonderen Kapitel war alles das, was der Verfasser den „Traum vom Mittelalter“ nannte, vereinigt. Dieses Buch war weit mehr als eine noch so geistreiche und gründliche Monographie. Es war der Grundriß zu einer ganz neuen universalen Aesthetik, ein starkes Glied in der Kette der intereuropäischen Verständigung und wechselweisen Anziehung — das. Wort nicht politisch, sondern geistig gemeint —, die das letzte Dezennium des 19. Jahrhunderts charakterisiert, und die erste Ankündigung einer neuen literarischen Persönlichkeit. Daß diese Persönlichkeit nicht leicht einzureihen und zu klassifizieren sein würde, war vom ersten Augenblick an fühlbar, und vielleicht war es diese Schwierigkeit unter anderen, welche bewirkt hat, daß Kassner bis heute, bei einer ziemlich großen Berühmtheit seines Namens, ein Schriftsteller von außerordentlicher Unpopularität geblieben ist.

VIERTER BRIEF

Ich möchte in diesem Brief an die Leser des „Dial“ nicht über österreichische kulturelle oder künstlerische Dinge sprechen, sondern einen anderen Augenpunkt einnehmen und von diesem aus eine andere, weitere geistige Ebene zu überblicken trachten; dieser Augenpunkt wird aber immei der eines Oesterreichers bleiben, das heißt eines Individuums, das der deutschen Sprach- und Geistesgemeinschaft angehört, ohne aber jener im Jahre 1871 begründeten und im Weltkrieg gedemütigten großen politischen Entität, dem Deutschen Reich, zuzugehören. Es ist vielleicht gut, amerikanischen Lesern, die mit sehr großen und simplen, deutlich konturierten politischen und wirtschaftlichen Einheiten zu operieren gewohnt sind, in Erinnerung zu brin-gen, daß es außerhalb des Deutschen Reiches, aber in Europa, viele Millionen Deutscher gibt, die an dem eigentlichen und letzten Geschick ihrer Nation — ich meine damit nicht das politische, sondern das geheime geistige Geschick, wie es sich schließlich im Wandel der Sprache niederschlägt — einen vollen Anteil tragen: das sind die deutschen Schweizer — und sie bilden den an Zahl stärksten Teil der schweizerischen Konföderation —, die Oesterreicher und die Millionen von Deutschen, die im tschechoslowakischen Staat inkorporiert sind, nicht zu reden von den kleineren, aber noch immer sehr beträchtlichen Minoritäten, die in den anderen osteuropäischen Staaten und auch in Frankreich sich vorfinden.

Nun könnte es scheinen, es wäre nicht der Mühe wert, amerikanische Köpfe mit diesen Komplikationen und innereuropäischen Details zu beschweren, um so weniger, wenn man nicht Politiker ist, und daß der allenfalls dafür interessierte Amerikaner eher nach der vor etwa einem Jahr begründeten ausgezeichneten Revue greifen wird, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Verständnis für auswärtige Politik in den Vereinigten Staaten zu propagieren, und deren leitender Geist, wenn ich nicht irre, Professor Coolidge von Boston ist, als zu dem „Dial". Aber es hängen in diesem alten und komplizierten Europa die geistigen, die geschichtlichen und die politischen Dinge aufs engste und unlöslichste zusammen, und eben aus ihrem verwirrenden, aber im geheimen höchst folgerichtigen Ineinanderspiel entsteht jenes Mysterium, das ich, ein meteorologisches Phänomen ins Geistige wendend, das gesamteuropäische Wetter nennen möchte, das genau wie das physikalische Wetter seine Maxima und Minima, seine Stürme und Windstillen, seine nebeligen Verdunkelungen und Stockungen kennt, und dessen Gewitter und Wetterstürze die europäischen Kriege und Revolutionen sind. Für dieses Wetter aber, fürchte ich, müssen die Amerikaner notgedrungen sich interessieren, weil es irgendwie anfangen wird, nicht ein europäisches und ein amerikanisches Wetter, jedes für sich, sondern mir ein planetarisches Gesamtwetter zu geben. Und ich fürchte, um diese Meteorologie zu verstehen, müssen sie mehr und mehr in dem schwierigen Buch unserer, der europäischen geistigen Existenz zu lesen lernen. Nun enthält dieses Buch freilich unendlich vieles, das auf Vergangenheit anspielt, ja Vergangenheit und Gegenwart scheinen auf den Seiten dieses Buches kaum voneinander zu trennen: sehr zurückschreckend für den amerikanischen Sinn, der ganz auf die Gegenwart gestellt ist und aus dieser Einstellung soviel momentane Stärke zieht.

Aber ich fürchte, trotzdem wird der Amerikaner, ich meine denjenigen, der irgendwie die Hand an den Hebel seiender und werdender geistiger Kräfte bringen will, um die Entzifferung dieses alten und schwierigen Buches nicht herumkommen: und zwar nicht die lauwarme Pietät wird sein Antrieb sein, welche er der europäischen Geisteslage darum schuldet, weil sie immerhin als geschichtlich-geistige Vergangenheit, als Voraussetzung, hinter seinem eigenen Dasein liegt, sondern ein viel stärkerer und fieberhafterer Impuls wird ihn treiben: es wird in ihm, eines nicht fernen Tages, mit der akuten Schärfe eines einsetzenden Fiebers, mit der Verlockung eines Traumes und der Beklemmung eines Alpdruckes, das Bewußtsein erwachen, daß alle diese europäischen Dinge gar nicht abgeschlossene Vergangenheit sind, sondern lebendige und gärende Gegenwart, in deren Gärung allerdings unendlich viel Vergangenheit mitgärt, und daß diese europäische Gegenwart zugleich seine amerikanische geistige Zukunft ist, der er sich persönlich sowenig entziehen kann und der er seinen großen jungen und meer- umgürteten Kontinent sowenig entziehen kann, daß vielmehr alle im Landschafts- und Rassen- geschick dieses jungen Kontinents als potentiell schlummernden Möglichkeiten und Katastrophen nicht durch andere Entzündungen als durch die Zündstoffe dieser europäischen Geisteszukunft werden entbunden werden. Von einer solchen Auswirkung gerade des geistigen, also geheimen Europa auf das geistige, also geheime Amerika — ich rede von Vorgängen, die sich auf einer ganz anderen Ebene vollziehen als die verhältnismäßig harmlosen wirtschaftlichen Krisen und die beinahe albernen und inhaltlosen Hin- und Herstöße der laufenden Politik —, befinden wir uns auf der Vorstufe, deren Symptome da und dort schon sichtbar werden, aber freilich einen unendlich harmlosen und beinahe, im Verhältnis zu so großen Weltzukunftsdingen, frivolen Anschein haben.

Ich meine die allmähliche Durchdringung des amerikanischen Phantasielebens mit den subtilen und tiefwirkenden Traumtoxinen der europäischen Phantasie, wie sie sich dadurch vollzieht, daß zunächst New York, Hauptstadt der Welt, wie es in einem gewissen Sinn durch den Krieg nun einmal geworden ist, allmählich alle jene Individuen magisch an sich zu ziehen beginnt, Welche auf irgendeinem Gebiet Träger des europäischen Kunst- und Geisteslebens sind. Es macht für mich dabei nicht einmal einen großen Unterschied, ob diese Individuen Bergson oder France oder Chaliapin, ob sie Reinhardt und Stanislawski oder Anna Pawlowa, Elly Ney oder Marie Jeritza heißen und ob die Subtili- täten von Worten und Sätzen, welche geistige Ahnungen tragen, das Medium dieser von Europäern ausströmenden Einwirkung bilden, oder die Schwebungen einer Stimme, die Töne eines Instruments oder die Gebärden, durch welche ein beseelter menschlicher Körper das Ungreifbare offenbart. Auch vernachlässige ich durchaus und mit Willen jetzt die ziemlich äußerlich und oberflächlich scheinenden Formen, in denen sich diese Resorption vollzieht, und den zunächst nur gedankenlos auf Zerstreuung gerichteten Sinn der Publikumsschichten, welche die Aufnehmenden dieser geistigen Einflüsse sind.

Aber es kann niemanden, der auf diese Dinge hinsieht, die Analogie zwischen dieser Situation entgehen und der Situation, die mit dem letzten Jahrhundert der römischen Republik anfing und den Geist aller darauffolgenden Jahrhunderte bestimmte — welche Analogie man natürlich, ebensowenig als irgendeine andere, plump aus- beuten darf: ich meine die Invasion des jungen römischen Machtzentrums durch den graeculus histrio, den griechischen Sophisten, den griechischen Künstler, die griechische Tänzerin. Mit ihnen ziehen Platon und seine Träume, Aegypten und seine Geheimnisse, es ziehen Persien, Babylon und Syrien, Zoroaster, Mithras und schließlich das Evangelium ein. Die Oberfläche der Gesellschaft, auf welche sich diese Invasion fürs erste ergießt, ist freilich auch nur die Schicht der reichen Leute, der Zerstreuung Suchenden, der Blasierten und Neugierigen: aber der Geist ist das Subtilste aller Gifte, und binnen einem Jahrhundert war Rom ausgehöhlt, und an der Stelle einer verhältnismäßig jungen und naiven, halbbäurischen Zivilisation hauste die mächtigste und folgenreichste Vermischung von Geistern und Religionen, welche die Welt je gesehen hat. Denn eine solche geistige Infusion dringt blitzschnell in die Blutbahnen und Lymphgefäße, und ich glaube, daß die Vereinigten Staaten in ihren dunklen Tiefen eines werdenden Volkes alle jene Elemente bergen, die prädestiniert sind, bei der Berührung mit so ungeheuren Fermenten, wie die europäische Geistigkeit sie enthält, ganz erstaunliche neue Spannungen, besonders religiöser, vielleicht auch künstlerischer Art, anzunehmen.

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