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Ein Tor der Wissenschaft

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Die Verwirrung der nach geistiger Orientierung Suchenden wurde in den vergangenen Jahren systematisch gefördert durch die sehr einseitige und höchst willkürliche Ausrichtung, welche nicht nur die Forschungen, sondern auch die Quellensammlungen, und Nachschlagewerke im Deutschen Reich erhielten. Eine Durchsicht der seit 1933 erschienenen Lexika zeigt die Verheerungen, welche hier ein bösartiges Totschweigen, Ausmerzen, zumindest arges Entstellen im geistigen Raum eines großes Volkes verursacht hat, eines Volkes, dessen großer Ruhm einst eben gerade die Weite, Größe, Freiheit und Reinheit des geistigen Horizonts gewesen war. Die Verwand'ung selbst des „Großen Brockhaus“ zum NS-„Allbuch“ zeigt die Vergiftung der Quellen in schmerzlichster Tragweite auf. Es wird vermutlich lange dauern, bis das in tausend Schwierigkeiten verstrickte deutsche Verlagswesen so weit sein wird, neue, repräsentative, objektive Gesamtausstellungen, Lexika und Nachschlagewerke auf den Umschlagplatz des Weltgeistes. zu bringen und dergestalt den Beweis antreten kann von der ungebrochenen Strahlweite und Fassungskraft deutscher Forschung, Da kommt nun, vom Auslande her, willkommenste Schützenhilfe für die so notwendige friedliche, innere, geistige und wissenschaftliche Aufrüstung des deutschen Volkes. Wilhelm K o s c h, der Germanist der Universität Nymwegen in Holland, der nicht zuletzt durch die von ihm herausgegebene Zeitschrift „Der Wächter“, durch seine Forschungen zur Romantik, zu Eichendorff und Stifter wohlbekannte Altösterreicher, legt sein in emsiger, einsamer Arbeit entstandenes Lebenswerk nunmehr neu vor. Sein „Deutsches Literaturlexiko n“, ein biographisches und bibliographisches Handbuch, dessen erste beiden Lieferungen („Aachen“ bis „Bleibtreu“ — das ganze Werk ist auf dreißig Lieferungen berechnet) nunmehr — Ende 1947 — bei A. Francke in Bern erschienen sind, ist ein Werk eigenster Artung. Auf einer erstaunlichen Belesenheit und einer überraschend weiträumigen Verzettelung eines riesigen Materials ruhend, gibt es einen Spiegel der Welt im Kosmos der deutschen Literatur, zudem ein Verfasserlexikon in Ausweitung der Thematik des so verdienstlichen „Verfasserlexikons des deutschen Mittelalters“, welches im letzten Krieg seine Vollendung erleben durfte. Man findet hier also einerseits sehr umfangreiche Zusammenstellungen der deutschen belletristischen und wissenschaftlichen Literatur, zum Beispiel über Aachen, die Alpen, Augsburg, Berlin und Bagdad, die dichterische und wissenschaftlidie Behandlung des deutschen Bauernkrieges, der Aufklärungs- und Barockd chtung, andererseits kurze biographische Hinweise, verbunden mit Literaturnachweis und kurzer Darstellung aller jener Menschen, die im deutschen Sprachraum selbst etwas geschrieben haben, beziehungsweise über die geschrieben wurde. Ein kühnes Unterfangen! Reizvoll die Durchsicht der bisherigen Lieferungen: Da findet tnan also nicht nur den heiligen Adalbert, den Apostel der Preußen im zehnten Jahrhundert, und Frau Ava, die erste deutsche Dichterin im zwölften Jahrhundert, nicht nur Abraham a Santa Clara, den Lieben Augustin, Bauernfeld und Bismarck, sondern auch — um die Reichweite des Verfassers anzuzeigen — Karl Barth und Vicki Baum, Julius Bab und Joseph Bernhart, Franz Blei und Otto Basil! Und dies ist eine der reizvollsten und wertvollsten Eigentümlichkeiten dieses neuen Nachschlagewerkes: es legt Zeugnis ab von einer sehr liebevollen und eindringlichen Beschäftigung mit der Presse des 19. Jahrhunderts und der jüngsten Vergangenheit. Auf Schritt und Tritt begegnen Hinweise auf Artikel, sei es nun in der „Neuen Zürcher Zeitung", im „Wiener Tagblatt", in der „Arbeiter-Zeitung“, in deutschen, holländischen und Schweizer Journalen und Zeitschriften — auch Artil 1 der „Furche“ werden mehrfach zitiert. Unschätzbar in diesem Zusammenhang die Vermerke über Presse und Periodika: von der spätromantischen Dresdener „Abendzeitung" über die zeitweise von Karl Muth her. ausgegebene „Alte und Neue Welt“ zur ..Augsburger Postzeitung“ und zu Georges „Blätter für die Kunst". Welch eine Fülle von wichtigen Notizen bereits in diesen ersten beiden Lieferungen!

Naturgemäß kann ein so groß angelegtes Werk nicht ohne Lücken sein. Unmöglich ist es in der Gegenwart für einen einzelnen Forscher, die gesamte Literatur des deutschen Sprachraumes gleichermaßen zu überblicken. Wir bemängeln es daher nicht, wenn etwa — wie einige Stichproben ergaben — beim „Annolied“ der Hinweis auf den wichtigen Aufsatz von Ittenbach („Dichtung und Volkstum" 1938/39) fehlt, wenn wir in dem umfangreichen Artikel über Franz von Baader einen Hinweis auf die einzigartige Bedeutung dieses Denkers der deutschen Romantik für die russische Philosophie des 19, Jahrhunderts vermissen, wenn ein Aretin oder ein Arno von Reichersberg fehlen. Bedenklicher sind die Druckfehler — so, wenn sie sich etwa in dem einen Artikel „Antichrist“ häufen (W. Boesset für W. Bossuet, W, Kamläb für W. Kamlah). vergleiche auch etwa das „Annolied“. Den Revisoren der künftigen 28 Lieferungen darf in diesem Sinne erhöhte Aufmerksamkeit empfohlen werden, dazu verpflichtet die schon jetzt erkennbare große Bedeutung dieses Werkes für die künftigen glücklichen Besitzer und Benützer und das heißt für alle jene, welche am deutschsprachigen Schrifttum, an der Geistigkeit, Kunst und Literatur des deutschsprachigen Kulturraumes interessiert sind. Es sind derer gar nicht wenige, in aller Welt — wie nicht zuletzt die seit kurzem in Oxford erscheinende zweisprachige Zeitschrift „Gate“ anzeigt: Als ein großes Tor in den Innenraum der deutschen Kultur stellt sich bereits heute das neue Werk von Kosch dar. Ein echter Hilfsdienst am Wiederaufbau der deutschen Geisteswissenschaften.

Wege und Aufgaben der Philosophie der Gegenwart. Von Ulrich Schöndorfe r. Amandus-Edition, Wien.

Der Verfasser gibt in seinem Büchlein einen Überblick über die hauptsächlichsten Strömungen and Anliegen der Gegenwartsphilosophie. Die höchste Wertung erfährt in seiner Beurteilung der kritische Realismus. Diese sucht der Verfasser von den wichtigsten Ergebnissen und Problemen des naturwissenschaftlichen Weltbildes unserer Tage her zu stützen. Gerade über diesen Gegenstand wäre von dem Verfasser — bei seinem pädagogischen Geschick in der Darstellung — eine eingehendere philosophische Betrachtung in einem eigenen Buch sehr zu wünschen. Ihrer ganzen Haltung nach ist die kleine Abhandlung in durchaus versöhnendem Geiste geschrieben: „Die Tatsache der weitgehenden Übereinstimmung der aufblühenden Neuscholastik mit der außerscholastischen realistischen Philosophie unserer Zeit“ läßt ihn eine künfige Metaphysik erhoffen, ln der auch für die „christlichen Denker der wertvolle philosophische Ertrag“ der Moderne und der „Ernst ihres Ringens“ voll zur Anerkennung gelangen sollen. Wir vermissen in dieser Aufstellung freilich die Namen der großen idealistischen Metaphysiker der Neuzeit, doch scheint der Verfasser in seiner jüngsten Entwicklung auch ihr grandioses Ringen durchaus ernst zu nehmen.

Die Große Weltordnung. Band I: Die Geburt der Wissenschaft. Von Anton von M ö r L Paul Zsolnay Verlag. 525 Seiten.

Der Plan des vorliegenden Werkes, die wesentlichen astronomischen, physikalischen und biologischen Erkenntnisse nicht nur nach dem gegenwärtigen Wissensstände darzustellen, sondern sie weiteren Kreisen aucHerlebnismäßig näherzubringen durch Hinführung zu den wenig bekannten Anfängen eines eigentlich wissenschaftlichen Denkens bei den jonischen Naturphilosophen, und dadurch gleichzeitig einem pseudowissenschaftlichen Abenteurertum und Aberglauben wirksam entgegenzutreten, ist aufrichtig zu begrüßen. Was uns der Verfasser als humanistisch gebildeter Liebhaber der Naturwissenschaft als Frucht langjähriger eigener Beschäftigung damit aus den Quellen an zahlreichen und ausführlich wiedergegebenen Zitaten darbietet; bedeutet zweifellos eine Bereicherung unserer populär-wissenschaftlichen Literatur in einer sonst wenig gepflegten Richtung. Leider wird der Genuß des Buches empfindlich beeinträchtigt durch eigentümliche Abschweifungen, ganz besonders aber durch die abfällige, ja zuweilen geradezu gehässige Art, mit der an vielen Stellen der mehr geisteswissenschaftlich gerichteten Philosophen der klassischen Zeit gedacht wird. Zur gebührenden Würdigung der Größe der alten Naturphilosophen war dies ebenso überflüssig wie die fast sterotyp wiederholte, oftmals allzu stark übertreibende Phrase, dieser oder jener Satz könnte ebensogut im „modernsten Lehrbuh“ stehen. Ganz gegen die Absicht des Verfassers könnte dies beim Uneingeweihten den Eindruck erwecken, als seien kostspielige Laboratorien und Sternwarten nur für kleine Geister notwendig, um damit mühsam dasselbe zu bestätigen, was das Genie fast ohne alle Hilfsmittel finden konnte. Es muß schließlich bemerkt werden, daß der Verfasser sich niht überall völlig vertraut zeigt mit den wirklih neuesten Ergebnissen der Naturwissenshaft und Kulturgeshihte. Dafür nur zwei Beispiele: Von einer billionenjährigen Entwicklung und gar einem ewigen Werden und Vergehen der Sterne kann niht mehr die Rede sein, nachdem fast alle einschlägigen Kriterien der Astrophysik und Himmelsmechanik für eine „kurze“ Zeitskala von nur wenigen Milliarden Jahren sprehen. Ferner sollte gerade ein österreichischer Autor soviel von den bedeutsamen Forschungen Gusindes und seiner Mitarbeiter wissen, daß er niht mehr die berüchtigt oberflächlichen Tagebuhnotizen Darwins über die Feuerländer zitierte, um damit eine angeblih Demokritshes Gedankengut enthaltende Schilderung des geschwätzigen Lucretius Carus über den Zustand der Urmenshheit zu „bestätigen". — Für einen kritischen Leser bietet das Buh insgesamt viel Anregendes.

Kleopatra. Die genialste Frau des Altertums. Von Oskar von Wertheimer. Mit 17 Abbildungen. Amalthea-Verlag, Wien.

Die Persönlichkeit und das bewegte Leben der letzten Königin auf dem Throne Altägyptens war seit der Antike wiederholt ein reizvoller Gegenstand literarisher Behandlung. Ein ehtes Kind eine sittlih dekadenten Zeit, dem Triebe nah Mäht und nah einem Leben in Glanz und Sinnenlust hemmungslos ergeben, kennt Kleopatra keinen anderen Lebenszweck als ein raffiniertes Spiel mit Politik und Liebe, das sogar auf Cäsars geschichtliches Bild einen unerfreulichen Schauen wirft und einen Marc

Anton zugrunde richtet. Wertheimers Buh ist als eine der letzten Darstellungen erstmalig 1930 erschienen und ist seither in zehn Sprahen übersetzt worden. Die Neuauflage des Amal- thea-Verlages ist vollkommen unverändert. Der Verfasser ist ernstlich bemüht, unter kritischer Benützung der antiken Quellen, die im wesentlichen einwandfrei sind, Kleopatras Leben und Handeln aus einer umfassenden Charakterisierung des zeitgeschichtlichen Hintergrundes begreiflih zu mähen. Zweierlei ist jedoh an seinem Werke auszusetzen. Stellenweise leidet das Ganze unter einer Darstellungsart, der man bei aller Anerkennung des spannenden Flusses der Erzählung deutlih anmerkt, daß sie es auf eine Befriedigung der Sensationslust des Lesers abgesehen hat. Das zweite störende Element liegt in der Gesamtbeurteilung Kleopatras. Ihre Unmoralität zuzugeben und zugleih darin bewundernswerte Größe und Genialität zu erblicken, geht entschieden zu weit. Wohin diese Art historischer Betrachtung geführt hat, haben wir im Grauen ünd Schrecken einer Zeit sittlichen und kulturellen Niedergangs erlebt. Darum haben wir es ein für allemal satt, historische Persönlichkeiten von der Art Kleopatras zu bewundern. Uns interessiert heute viel mehr, wo die Gründe zu suhen sind, die es möglih mähen, daß Menschen ohne jedes sittlihe Verantwortungsbewußtsein zu solcher Höhe der Mäht emporsteigen können. Das müßte das Leitmotiv solcher Monographien sein. Dann hätten sie auh einen erziehlichen ethischen Wert. Sie würden das Gefühl der Mitverantwortung des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft fördern. Gerade Kleopatra und ihre Zeit würden einer solchen historischen Behandlung den geeigneten Stoff bieten. Kleopatra war so, wie sie Wertheimer schildert, -sie war darum aber weder eine große noh die „genialste" Frau des Altertums!

Praxen. Die Parodie einer Tragödie. Von Erih B e r 11 e f f. Verlag S. Jörgl, Klagenfurt 1947. 207 Seiten.

Es ist immer ein gewagtes Unternehmen, eine geshihtlihe Tragödie zu parodieren: über eine Parodie kann man jederzeit zur Tagesordnung übergehen, die Tragödie bleibt bestehen. Und vielleiht ist Novalis’ Wort, daß nah einem Kriege Lustspiele geshrieben werden müssen, ernster zu werten als der Versuh, ein historishes Geshehen, das über Millionen von Menshen und über ganze Völker Unglück gebracht hat, zu parodieren. Nun — wir sind offenbar noh niht so weit, Lustspiele zu ersinnen, und darum fehlt es uns auh noh an der inneren Bereitshaft, eine Parodie Iahend oder lähelnd zu genießen. Dies vorausgeshickt, muß festgestellt werden, daß der Verfasser Erfindungsgabe und Humor walten läßt, indem er an dem Beispiel einer entlegenen Kleinstadt, die von einem volksbeglückenden Abenteurer regiert wird, zeigt, wohin ein solche" Regiment führen muß. Was er da zuerst an Überraschendem, dann an Lächerlichem, bald genug aber a Grausamkeiten uns vor Augen stellt, ist im Grund eine Köpenickiade heiter ersonnen, ernst und konsequent durhgeführt und immer an dem Exempel herangeshult, das Deutschland durh zwölf Jahre zu bieten verhängt war. Aber war dieses Exempel nur eine gigantishe Köpenickiade? Bis zu seinen Wurzeln dringt diese Parodie niht vor.

Beppo und Pule. Roman einer Insel. Von Alexander Sacher-Masoch. Verlag Willy Verkauf, Wien.

Ein reizendes kleines Bühlein, das den Zauber der Insel Korcula in wenigen, aber überlegten Worten einzufangen weiß. So sind sie, die Fisher und Lastenträger, die mit einer Selbstverständlichkeit die schwerste Arbeit verrichten, als müßte es so sein. Und keiner wird darüber klagen oder stöhnen. Diese Menshen können darob niht müde werden oder am Leben verzweifeln, denn sie leben im Geheimnis der Sonne und des Meeres und eine merkwürdige Lebenskraft durhflutet sie, die sie in siherer Weise durh alle Schwierigkeiten des Lebens hindurhfinden läßt. Mit innerer Anteilnahme vermag der Leser dieses kleine, aber reihe Inselleben zu verfolgen. Die einzelnen Gestalten, mit Liebe und großem Verstehen erfühlt, formen das bunte Bild eines rihtigen südländischen Fisherdorfes und erwecken viel Sehnsuht nah jener Besinnlihkeit, die den Hintergrund bildet.

Slowakische Märchen. Naherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler. Verlag W. Andermann, Wien. 310 Seiten. Preis S 23.50.

Der vor zwei Jahren viel zu früh verstorbenen Wiener Schriftstellerin Cäcilie Tandler hat ihr langjähriger Arbeitsgenosse Robert Mihel mit diesem Buhe, einer Frucht dieser Zusammenarbeit, einen immergrünen Kranz auf das Grab gelegt. Diese Sammlung slowakisher Märhen schließt einen bisher in der internationalen Literatur kaum bekannten Schatz volkentsprungener Dihtung auf. Es ist auffallend, wie eigenständig die Motive dieser slowakishen Märhenwelt sind, farbenfreudig und eigenartig wie die ganze bäuerlihe Folklore dieses sympathischen, hohbegabten Volkes. Gemüt und Phantasie spiegeln sich in diesen Erzählungen von Hexenmeistern, Drahen im Walde, verzauberten Bären und klugen Mädchen, die dem Bösen ein Shnipphen schlagen — bunte Varianten aus einem ungekünstelten Zauberreihe. Der Jugend wie dem Erwachsenen, niht zuletzt dem Volkskundler und Erzieher haben diese wohlgeformten Kleinerzählungen allerlei Anziehendes zu sagen..

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