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Trotz allem: Keine „verlorene Generation“

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Der leere Lorbeer. Von Helmuth A g t h e. Im Propyläen-Verlag der Ullstein AG. 349 Seiten

Ein Beamter drückt dem Heimkehrer Bogim gedankenlos einen Stempel auf seine neuen Ausweispapiere. Dieser erzählt: „Später seile ich, daß es noch einer von den alten Stempeln ist. Sie haben das Hakenkreuz ausradiert, und der Vogel hält in den Klauen einen leeren Lorbeerkranz: Eiche — der deutsche Lorbeer. Und keine Symbole mehr! Die Leere ist nun das Symbol. Der leere Lorbeer!“

Von Leere, Oede und Schalheit ist viel in diesem Heimkehrerroman die Rede. Sie umgeben den ehemaligen Offizier Karl Bogim, sie stecken tief in ihm. Frau und Kinder leben nicht mehr. Auch das Heim ist unter den Bomben geblieben. Von den gestorbenen Idealen gar nicht zu reden ... Die große Woge des Krieges spült ihn in ein kleines westfälisches Nest. Hier beginnt er zunächst als Friseurgehüfe. Viele Irrlichter säumen seinen Weg durch das Deutschland der Jahre 0 bis 5, aber auch ein guter Stern leuchtet durch oft sehr dichte Wolken.

Wäre Bogim ein Heimkehrer des ersten Weltkrieges gewesen, sicher wäre er in irgendein Freikorps eingetreten. Vielleicht auch hätte er unter der roten Fahne für „Spartakus“ gekämpft. Aber von Bogim entstammt einer anderen Generation. Die Landsknechte sind für diese ebenso wenig typisch wie die echten Revolutionäre. Die Versuchung dieser — unserer — Heimkehrergeneration ist oft ein bis zur Verstocktheit und Unvernunft übersteigerter Individualismus. Wenn jedoch der Blick über die Bereiche des eigenen verworrenen Lebens hinausgeht, dann kann es sein, daß er klar wird. Und mit einem dieser Blicke sieht von Bogim auch die deutsche Gegenwart: „Heute haben sie wieder ein Haus errichtet, die Richtkrone baumelt noch im Gebälk. Sie reden Lobreden dazu und beglückwünschen sich gegenseitig. Es ist ein schönes Haus von außen geworden, ein stattlicher Bau. Nur wenn man näher herantritt, wird man so nachdenklich darüber, daß sie doch keine neuen Ziegel brannten, daß sie die alten Scherben verwandten, die von der verlassenen Trümmerstätte. Den Vorbau hält noch der gleiche Fassadenriese, den sie von dem alten Bau fast unzerstört vorfanden. Sie haben ihn nur etwas überputzt. Er ist immer noch hohl. Eine ruhelose Menge zieht durch den neuen Bau, und es muß doch sein,'daß sie wohl eine Wohnung vergessen haben oder gar ein Stockwerk, weil so viele keinen Platz darin finden können.“ Trotz aller Bitterkeit

ist Karl Bogim kein Repräsentant einer neuen „verlorenen Generation“. Diese gibt es nämlich nicht. Die Heimkehrer aus der Weltkatastrophe 1939 bis 1945 machen nur jenen wenig Freude, die glauben, ruhig die alten Spiele frisch-fröhlich wieder aufnehmen zir können, als ob nichts geschehen wäre.

Hart wie das Schicksal des Karl Bogim und das der Millionen, ist die Sprache, in der dieses Buch geschrieben ist. Hart und zupackend, jedoch: kein Reportagestil, nicht eine Anleihe ' aus dem „Landser-Slang“. Dr. Kurt S k a 1 n i k

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Deutsche Redewendungen. Von Prof. Dr. Heinrich Raab. Hippolyt-Verlag, St. Pölten. 176 Seiten. Preis 24 S.

Wie oft taucht in der Unterhaltung oder bei der Lesung ein Ausdruck auf, der heute kaum mehr verständlich ist und sich nur schwer deuten läßt! Das vorliegende handliche Büchlein bietet da eine willkommene Hilfe, um sich darüber schnell und leicht zu unterrichten. Mehr als 400 solcher eigenartiger Wendungen werden nach Sinn und Gebrauch, nach Alter und Herkommen erklärt und gedeutet. Die alphabetische Aneinanderreihung läßt jeden Ausdruck leicht finden.

Das Büchlein vermittelt auch viele interessante Erkenntnisse aus zahlreichen Wissensgebieten, wie Religion: am Hungertuch nagen, Politik: der deutsche Michl, aus dem Rechtsleben: an den Pranger stellen, aus Naturgeschichte: die Gänsehaut überläuft einen, aus Sagen und Geschichte: der Ariadnefaden, ein Danaergeschenk u. v. a. Manche Ausdrücke stammen aus ganz anderen Lebensbedingungen, andere sind verstümmelt oder verkürzt worden. Es ist wissenschaftlich zuverlässig gearbeitet, wenn es auch keinen gelehrten Apparat mit sich führt. Kaum irgendwo findet sich soviel Material so geschickt zusammengestellt.

Dr. Adolf B u d e r SJ. *

Handbuch der germanischen Philologie. Von

Friedrich Stroh. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1952. Mit 81* Abbildungen im Text und Bildtafeln, XX und 820 Seiten. Preis 32 DM.

Der Ordinarius für germanische Philologie an der Universität Erlangen hat durch dieses Standardwerk den Germanisten im weitesten Sinne und allen sprachlich, volkskundlich Interessierten eine hervorragende Arbeit geschenkt. Nach der Erklärung des Begriffes der germanischen Philologie, den er in weitem Sinne faßt, daß die niederländi-. sehe, skandinavische und anglistische Forschung

berücksichtigt werden, führte er in die Geschichte derselben ein. Volkheit und Kultur in Sprache, Namen, Schrifttum, Schrift, Glaube, Sittlichkeit, Brauchtum, Recht, Kunst und Siedlung kommen zu Worte, Geschichte und Mundarten nicht minder. Schon allein die Bearbeitung und Aufzählung der umfangreichen Literatur zeugt von jahrelanger gründlicher Arbeit.

Dem Verfasser dieses Werkes ist es auch gelungen, die schier ungeheure Stoffülle in knapper und anschaulicher Weise zu behandeln und die Hauptergebnisse klar und deutlich zu formulieren. Auch die jüngeren Forschungsarbeiten finden gebührende Würdigung. Besonders in Geschichte und Forschungsmethoden erkennt man deutlich, daß der erfahrene Lehrer die großen Schwierigkeiten kennt, welche allenthalben Methode und Beschaffenheit von Literatur bereiten. Deshalb wird nicht nur eine ausführliche Bibliographie der einschlägigen Arbeiten geboten, sondern auch eine Fülle ausgewählter Bilder, von denen ich insbesondere auf Felsritzungen, Runeninschriften und Faksimiles charakteristischer Handschriften, wie des Codex Argenteus und des Codex Regius, hinweisen will.

Das Handbuch will Studierenden, Lehrern und Fachvertretern eine Wegweisung geben in das ungeheuer verzweigte Gebiet der germanischen Philologie, wie es in der Ankündigung heißt.

Univ.-Dozent Dr. Ernst K r e n n *

Deutsches Wörterbuch. Von Jacob und Wilhelm Grimm. 337. Lieferung. Verlag -S. Hirzel, Leipzig 1952. 40 Seiten (160 Spalten).

Es gibt — von den Monumenta Germaniae und Goedeckes ,.Grundriß“ vielleicht abgesehen — kein wissenschaftliches Sammelwerk, das so Sinnbild unermüdlicher ernster Forschung ist, wie das Grimmsche Wörterbuch. Vor hundert Jahren erschien die erste Lieferung. Bis 1945 rechnete man fertig zu werden. Der Krieg machte einen Strich durch die Rechnung. 1948 wurden die Lieferungen fortgesetzt. Man hofft entschieden mit den ungefähr 30 Lieferungen, die noch ausstehen, bis 1963 zu Ende zu kommen; das Wörterbuch wird dann 32 Bände umfassen.

Die neueste Lieferung (11. Band, 1. Abt., 2. Teil, il. Lieferung) reicht von „Tugend“ bis „Tümpel“. Gerade das Wort „Tugend“ ist sprachgeschichtlich ungemein vielseitig. Die traditionelle Akribie waltet auch hier — namentlich in den' hier wichtigen Bezügen zum Mittelhochdeutschen. Oesterreichische Quellen scheinen vielerorts auf.

Hanns Salaschek

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Die große Flucht. Roman. Von Adalbert Welte. Oesterreichische Verlagsanstait, Innsbruck. 270 Seiten.

Mit epischer Breite, die durch dramatisch bewegte Szenen Unmittelbarkeit und Leben erhält, berichtet Adalbert Welte .von Bauern, die sich Ende des 13. Jahrhunderts nach Mißernten und Lawinenkatastrophen gezwungen sahen, Haus und Hof im Wallis zu verlassen, um nach beschwerlicher Wanderung in Vorarlberg eine neue Heimat zu finden. Die tiefgreifenden seelischen Wandlungen, die solch eine Verpflanzung alteingesessener Familien in eine fremde Umgebung zur Folge hat, werden erschütternd zur Darstellung gebracht, und so erschließt sich ein gewaltiges Panorama, das nicht nur Höhen und Tiefen menschlichen Geschicks umfaßt, sondern über das Historische hinaus auch Einblick in überzeitliche Probleme gewährt. Es handelt sich also um keinen Bauernroman im landläufigen Sinn, vielmehr um ein Werk, das thematisch in manchen an die Auf- und Umsiedlungen unserer Epoche gemahnt. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Gestalt des jungen Hans Andreas, der sich mit seiner Braut Elisabeth entzweit, aber nach harten, an Prüfungen reichen Jahren gereift zu ihr zurückfindet. Dieses von christlichem Ethos getragene Schicksal wird von Welte mit der Kraft eines Dichters gestaltet, der in das Wesen der Dinge einzudringen und in schwersten Gewissenskonflikten den Weg zu weisen vermag. Ehrfurcht vor geistigen Werten eint sich in dieser „Saga aus dem Alpenland“, die in ihrer Wucht und Tragik an Werke der nordischen Literatur er-

innert, mit gesundem Wirklichkeitssinn und tiefem Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Mensch und Natur.

Alfred Buttlar Moscon *

Der Meister Tön' und Weisen. Ein Buch für junge Menschen vom Leben und Schaffen großer Komponisten. Von Friedrich Herzfeld. Verlag des Druckhauses Tempelhof, Berlin. 175 Seiten.

„Das Orgelmenü“ (es geht um den Thomaskantor), „Musik um Feuer und Wasser“ (Händel), noch drastischer: „Tausend Gulden für eine hüllische Bestie“ (Haydn), romantisch: „Meister Johannes auf Freiersfüßen“ (Brahms), realistisch: „Das Spiel ist aus“ (Beethoven) -— so präsentieren sich die Kapitelüberschriften des gewandten, und niemals wortverlegenen Autors, der sich seinerzeit mit einer deutschen Furtwängler-Biographie einen geachteten Namen gemacht hat. Jene, die ein vorschnelles L'rteil über Unbedenklichkeit in der Wahl der Wirkungsmittel fällen mögen, seien gewarnt: Herzfeld nimmt wohl gewagte Modulationen vor, billig wird er niemals. Er ficht einen besonnenen Kampf für die Zukunft der Musik, die von den jungen Menschen abhängt, von denen viele in den Entwicklungsjahren lieber dem Buch-Abenteuer nachlaufen, als daß sie sich der Lektüre einer „trockenen“ Musikgeschichte widmen kann. Da greift Herzfeld ein: er verdichtet die romantische Atmosphäre um die

Komponisten und ihre Umwelt, ohne dem Kitsch anheimzufallen, er versucht über das Persönliche zur Anteilnahme an der Kunst des einzelnen Tondichters zu führen. — Und es gelingt ihm auch. Die an der Spitze der Kapitel stehenden Zitate und die Federzeichnungen Helmut Voigts würzen noch das Aroma des empfehlenswerten Geschenkbüchleins.

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