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Deutsche Buchproduktion 1946 bis 1948

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Trotz einem gewissen Wiederaufleben der bibliographischen Berichterstattung in Mitteleuropa ist es schwierig, sich über die deutsche Buchproduktion seit 1946 zu orientieren. Vielleicht darf aus diesem Grunde folgender — nur typische Proben jeweiliger verlegerischer Tätigkeit anführender — Bericht auf einiges Interesse rechnen.

Der Südverlag in Konstanz (um mit der Verlagstätigkeit in der französischen Zone zu beginnen) gibt neben politischen und kulturpolitischen Broschüren eine — wenn man von der Papierqualität absieht — luxuriös ausgestattete Zeitschrift „Vision“ heraus, die im Gegensatz zu der vorwiegend aktuellen Fragen gewidmeten Freiburger Zeitschrift „Die Gegenwart“ (in mancher Beziehung eine Fortsetzung des kulturellen Teiles der einstigen „Frankfurter Zeitung“) hauptsächlich dem Rückblick auf das Geistesgut der Vergangenheit dient. In Freiburg i. Br. sind neben dem großen Herder-Verlag tätig der Karl-Alber- Verlag, als dessen interessantestes Buch Alfred Döblins bekennerische Schrift „Der Oberst und der Dichter“ genannt sei, ferner der Novalis-Verlag, der unter anderem den die geistige Atmosphäre der Nazizeit durchleuchtenden Novellenband „Ich kann nicht mehr zweifeln“ von M. J. Krück von Poturzyn henausbrachte. Mehr aufs Drastische gerichtet, doch als Dokument nicht ganz belanglos sind Felix Riemkastens Kurzgeschichten aus dem Dritten Reich „Solche und solche", welche Moritz Schauenburg — übrigens Verleger der van Alfred Döblin herausgegebenen Zeitschrift „Das goldene Tor“ — in Lahr publizierte. Eine Reihe von meist wenig umfangreichen Schriften Reinhold Schneiders — einer der geschätztesten Autoren im heutigen Deutschland — legt Hans Bühler jun. in Baden-Baden vor; beachtenswert sind besonders die Sonettensammlung „Apokalypse“ und der Essay „Heimkehr des deutschen Geistes". In Karlsruhe brachte der Stahlberg - Verlag Else Buddenbergs aus Briefen schöpfende werthafte Untersuchung „Kunst und Existenz im Spätwerk Rilkes“. F. A. Kramer hat als politischer (katholischkonservativer) Publizist schon 1932 durch seine Opposition gegen den Reichskanzler Papen Aufsehen gemacht; der Historisch-Politische Verlag in Koblenz ediert Kramers Versuch einer geschichtlichen Selbstbesinnung „Vor den Ruinen Deutschlands", eine Veröffentlichung, die über den Tag hinaus dauern dürfte.

Während bei Balduin Pick in Köln (also in der' englischen Zone) alte Werke neu gedruckt werden — der Bogen spannt sich von Erasmus von Rotterdam bis Ernst Hardt —, hat sich Karl Schmalvenberg in Dortmund dem Neuen zugewendet, ob dieses nun durch einen großen zweibändigen Zeitroman (Konrad Erdberg „Herrlichkeit“) oder das wichtige Erinnerungsbuch eines mit dem österreichischen Widerstand sympathisiernden Kultur- referenren des Wiener Gauleiters Schirach (Walter Thomas „Bis der Vorhang fiel“) vergegenwärtigt wird. Der Thomas-Verlag in Kempen gibt Wilhelm Schäfer die Möglichkeit zur Publizierung einer „Rechenschaft“, die eine interessante Autobiographie, aber leider keine — bei diesem Autor besonders erwünschte — Klärung seiner Stellung zum Dritten Reiche ist. In Hamburg überwiegt sichtlich das politische Interesse. Die Kapitulation der Stadt, also jüngste Lokalgeschichte, behandelt das bei Hoffmann & Campe herausgekommene „Letzte Kapitel" von D. W. Möller. Ihre „Reise durch den letzten Akt“, das heißt Erlebnisse in deutschen Konzentrationslagern während der Jahre 1944 45, schildert Isa Vermehren (Verlag Christian Wegner). Frank Thieß’ als „Roman eines Jahrtausends" bezeichnete, bewußt pseudohistorische Spiegelung des Nazistaates „Das Reich der Dämonen“ (die einstens von Goebbels nicht früher verboten wurde, als bis die literarische Sensation eingetreten war) wurde vom Wolfgang-Krüger-Ver- lag in veränderter Form neu gedruckt. Bei Morawe & Scheffelt erschien Richard Hermes’ kulturhistorisch aufschlußreiche Sammlung von Anekdoten aus der Epoche des Hakenkreuzes „Witz contra Nazi“. In Hamburg scheint offenbar eine größere Freiheit der Meinungsäußerung als anderswo üblich zu sein; bester Beweis dafür ist die Wochenschrift „Die Zeit", deren Kritik sich gleicherweise gegen einstige Parteigenossen und jetzige Besatzungsbüroknaten wendet. Vorwiegend ernsthaften dichterischen Bemühungen und anspruchsvoller Essayistik bieten C1 a a s e n & Goverts ein Heim, die Verleger Horst Langes und Elisabeth Langgässers. In Flensburg hat sich das Haus Christian Wolff etabliert, welches das geheime, 1933 bis 1945 geführte Tagebuch („Mein Finale") des von einem General Wilhelms II. zum unentwegten Pazifisten gewordenen Paul Freiherrn von Schoenaich herausgab, das Drehbuch des in Deutschland nicht unbedingt freundlich aufgenommenen Films „In jenen Tagen“ von Helmut Käutner und Ernst Schnabel, den Großstadt-

roman der Bombenzeit „Das Haus Nr. 131“ von Anna Schack und die durch ihre vielseitige Anzüglichkeit amüsante Novelle „Der Götze einer Nacht“ von Pogge van Ranken.

Für die amerikanische Zone ist das Vorherrschen altbekannter Verlegernamen bezeichnend. Ob Cotta (Stuttgart) oder Piper (München), ob Habbel (Regensburg) oder Kohlhammer (Stuttgart), mit Ausnahme des Eher-Verlages und des diesem hörig gewesenen A.-Langen-G.-Müller-Konzerns, haben praktisch genommen alle berühmten Firmen die Lizenz zur. Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit erhalten. Der nun in Wiesbaden ansässige Insel- Verlag bleibt unter beschwerlichsten Verhältnissen seiner buchkünstlerischen Tradition treu und behauptet sein hohes literarisches Niveau: Zeugnis dafür legen unter anderem ab die Versbände der beiden sehr begabten Lyriker Rudolf Hagelstange und Karl Ludwig Skutsch. Rowohlt, nun in Stuttgart (und Hamburg) domiziliert, hat, findig wie stets, das Problem der drückenden' Papiernot gelöst durch Ro-Ro- Ro (Rowohlt-Rotations-Romane), die Verwendung der Technik des papiersparenden Zeitungsdruckes für die Buchherstellung. Derart konnte Rowohlt die bedeutendste Leistung neuester deutscher Erzählungskunst, Theodor Pliviers „Stalingrad“, in einer Auflage von 100.000- Exemplaren für die drei Westzonen herausgeben. Auch die. sonstige Produktion des Verlags steht vorwiegend im Dienst zeitgenössischer Dichtung. Bei der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart veröffentlichte Erich Kordt, ein frührerer Beamter des Auswärtigen Amtes in Berlin, der mit der deutschen Opposition zusammenarbeitete, eine vielbeachtete Darstellung der Außenpolitik des Dritten Reiches „Wahn und Wirklichkeit“. Auch Henry Bernhard, einst ein Mitarbeiter Stresemanns, jetzt maßgebender Politiker in Württemberg-Baden, versucht mit „Finis Ger- maniae“ (Kurt Haselsteine r, Stuttgart) durch die Darstellung des Vergangenen der Entstehung eines neuen Mythos der Katastrophenverklärung entgegenzuarbeiten. Politische Aufsätze aus dem radikal gegen Hitler gerichtet gewesenen, von Fritz Gerlich und Ingbert Naab herausgegebenen Wochenblatt „Der deutsche Weg“ wurden in dem Budi „Prophetien wider das Dritte Reich" (D r. Schnell & D r. Steiner, München) gesammelt. Josef Pustet (München), der Verlag der Zeitschrift „Hochland" — eines der wenigen Journale, die seit 1933 im Dienst der Resistance standen — bringt Theodor Haeckers tiefgründige „Tag- und Nachtbücher 1939 bis 1945“. Eine sehr reiche Tätigkeit entfaltet der Zinnenverlag Kurt Desch in München, von dessen Publikationen hier nur Kasimir Edschmids im Ausland mehr als in Deutschland geschätzter Roman „Das gute Recht“ und Luise Rinsers dokumentarisches „Gefängnistagebuch“ genannt seien. In Frankfurt a. M. — dem Sitz der sehr verbreiteten „Frankfurter Hefte“ — ediert der Verlag JosefKnecht Arbeiten des sehr begabten neuen Dramatikers Hermann Mostar, von denen die politisch sehr anzügliche „Entwicklung in zwei Phasen“, „Der Zimmerherr“ und das historische, doch nicht nur Napoleon Į. betreffende Schauspiel „Putsch in Paris“ bereits große Bühnenerfolge erzielt haben. Von der umfassenden, vorwiegend der Pflege alten Kulturgutes gewidmeten Tätigkeit des Metopen- Verlags in Wiesbaden sei hier nur die kritisch-psychologische Analyse Hitlers von Rudolf Grau „Gehört er ins Pantheon der Weltgeschichte?“ angeführt. Die geschichtsphilosophischen und nationalpsychologischen „Hintergründe des deutschen Zusammenbruches“ bemüht sich Otto Ludwig Wolff ohne die üblichen pseudotiefsinnigen Dunkelheiten darzustellen (Paul-Patton-Verlag, Aschaffenburg). Mit besonderem Nachdruck sei auf das vom Bürger-Verlag (Lorch-Stuttgart) veröffentlichte „Tagebuch eines Verzweifelten“, des während der letzten Kriegsmonate ia Dachau ermordeten Schriftstellers Friedrich Beck-Malleczewen, hingewiesen, Aufzeichnungen eines klaräugig Hassenden, gegen alle Phrasen Geleimten, der — was sonst selten vorkommt —- illusionslose Beobachtung fürchterlicher Wirklichkeit mit geschichtsphilosophischer Gedankenmächtigkeit vereinte. In Heidelberg, wo die von Dolf Sternberger klug geleitete liberale Zeitschrift „Die Wandlung" erscheint (ihr katholisches Gegenstück ist „Das neue Abendland", Augsburg), ist der durch A. Mitscherlichs und Fr. Mielkes „Das Diktat der Menschenvernichtung“' international bekannt gewordene Verlag Lambert Schneider ansässig.

Das Berliner Verlagswesen zerfällt deutlich — nicht nur stadtgeographisch — in einen westlichen und einen östlichen Sektor. Dem westlichen Sektor gehören unter anderem die Verlage Lothar Blan valet (bei dem unter anderem Albrecht Haushofers berühmt gewordene „Moabiter Sonette“ erschienen), Suhrkamp, bekanntlich der Nachfolger S. Fischers (der neben reichsdeutschen Ausgaben des Hesseschen „Glasperlenspiels" und der Mannschen „Lotte von Weimar", G. Hauptmanns nachgelassene Novelle „Mignon“ und E. Penzoldts an Carossas „Rumänisches Tagebuch“ erinnernde Militärspitalschilderung „Zu gänge“ herausbrachte), und der Wedding- Verlag (wo Robert Kukowkas surrealistische Novelle „Dämmerung“ und die von ihm herausgegebene lyrische Anthologie „Junges Berlin“ erschienen). Der Wedding-Verlag betreut auch die ausgezeichneten „Berliner Hefte“ — neben der altberühmten, von Rudolf Pechei geleiteten „Deutschen Rundschau“ eine der besten deutschen Zeitschriften.

Nicht nur im russischen Sektor ansässig, sondern vorwiegend der Bücherversorgung der deutschen Ostzone dienend, ist der Aufbau-Verlag, der mit mehr als hundert Veröffentlichungen, vielfach in sehr großen Auflagen, gegenwärtig der aktivste deutsche Verlag ist. In der Wahl der Autoren — einige Beispiele: J. R. Becher, H. Eulenberg, H. Fal- lada, G. Hauptmann, B. Kellermann, H. Mann, Th. Plivier, E. Reger, G. Weisenborn, E. Wie- chert — zeigte sich wenigstens bisher eine erstaunliche Weitherzigkeit. Hingegen arbeitet J. H. W. Dietz N a c h f. durchaus :m Zeichen des internationalen Marxismus; daher werden Neudrucke der Klassiker des Sozialismus mehr gepflegt als die Gegenwartsliteratur Eine ähnliche zweckbestimmte, wenn auch weniger radikale Einstellung zeigen der Allgemeine Deutsche Verlag sowie Volk und Welt.

Sonst liegen aus der Ostzone nicht viele Nachrichten von Belang vor, so daß man sich auf folgende Hinweise beschränken kann: Eugen Diederichs in Jena durfte seine Tätigkeit nicht wieder aufnehmen, wohl aber Paul List und P h. Rečiam in Leipzig. Gustav Kiepenheuer in Weimar und ebendort der Verlag B ö h 1 a u, der die Weiterführung seiner großen kritischen Klassikerausgaben sowie der Jahrbücher und Schriftenreihen der Dante- und Shakespeare-Gesellschaften ankündigt. In Halle a. S. setzt der für Geistes- und besonders Literaturwissenschaft wichtige Verlag M. Niemeyer seine Arbeit fort.

Wirtschaftsstatistik in Theorie und Praxis. Von Felix Klezl-Norberg. Springer- Verlag. XVI + 340 Seiten.

Es ist erstaunlich, daß es trotz der in den letzten zwei Jahrzehnten ständig zunehmenden Bedeutung der statistischen Verfahren in der Wirtschaftswissenschaft und vor allem in der Wirtschaftspolitik (Plan- und Kriegswirtschaft) kaum ein die Probleme der Wirtschaftsstatistik ausschließlich und erschöpfend behandelndes Lehrbuch gibt, bei d‘em sich der Praktiker Rat holen oder von dem der Wirtschaftstheoretiker Anregungen für seine Arbeit erwarten könnte. Die Lehrbücher von R. Meerwarth und J. Mülltr sind veraltet, das von H. Wolff zu originell, um ein verläßlicher Führer zu sein. Die auf diesem Gebiet merkwürdigerweise nicht allzu zahlreichen angelsächsischen Werke sind überwiegend mit technischen statt mit methodischen Fragen befaßt oder überhaupt nur auf

Spezialgebiete gerichtet. In diese Lücke springt das vorliegende Werk ein. In ihm findet einmal der Praktiker eine für ihn wichtige vollständige Übersicht über die heute üblichen wirtschaftsstatistischen Erhebungen, wobei er nicht mit den technischen Details, wohl aber mit der prinzipiellen Problematik jeder Erhebung vertraut gemacht wird. Er weiß nach dem Studium dieses Buches, was auf wirtschaftsstatistischem Gebiet erhoben wird, beziehungsweise erhoben werden kann und mit welchen Kautelen den so gewonnenen Zahlen zu begegnen ist. Ist diese Ausräumung des bei Laien weitverbreiteten wirtschaftsstatistischen Aberglaubens an sich schon eine verdienstliche Tat, so liegt doch die besondere Eigenart des Werkes noch tiefer. Sie besteht darin, daß alle methodischen Einzelfragen unter dem Gesichtswinkel ihres Wertes für die Wirtschaftstheorie gesehen und erörtert werden und daß auf diese Weise eine gegenseitige Bereicherung der wirtschaftlichen Theorie und der statistischen Empirie eijjtritt, wie sie in dieser Vollständigkeit anderswo auch nicht einmal versucht worden ist. Naturgemäß sind nicht alle Abschnitte für eine solche Ausbeute gleich geeignet. Statistik ist eben vielfach Kärrnerarbeit. Aber was sich allein aus den Kapiteln über Preisstatistik, Verbrauchsstatistik, Statistik des Volkseinkommens und Volksvermögens nebenher an wirtschaftstheoretischen Einsichten gewinnen läßt, ist mehr als nur eine angenehme Zugabe. Es macht den spezifischen Wert dieses Buches aus. Daß der Verfasser auch in diesem Werk die landläufige Meinung, ein statistisches Lehrbuch müsse langweilig und gewissermaßen ungenießbar geschrieben sein, in glänzender Weie widerlegt hat, werden ihm all« Leser danken. Dr. Lothar Bosse

Wer war der Täter? Von G. K. Chesterton. Amandus-Edition, Wien. 236 Seiten.

Mit dieser Sammlung von Detektivgeschichten schleudert der große englische Autor seine Lanze gegen die mystische Detektivliteratur, die, durch das Beispiel Conan Doyles begründet und von einem großen Autorenschwarm nachgeahmt, vor ein paar Jahrzehnten die große Mode geworden war An die Stelle Sherlock Holmes’ setzt Chesterton den alle angeblichen Rätsel und Geheimnisse lösenden, ein wenig unwahrscheinlichen Jesuitenpater Brown, an die Stelle der hochgesteigerten dramatischen Handlung seines Gegenparts die Situationsproblematik, die dann jedesmal zu einer einfachen, realistischen Entwirrung des Knotens führt. Ob Chesterton die Manier der Sherlock-Holmes- Literatur, so oft diese auch ihre Kombinationen überspitzte, mit seinem kühlen, philosophierenden Typus widerlegt hat? Der Ruhm Chestertons hat zum Glück eines solchen Sieges über Conan Doyle und seine Gefolgschaft nicht bedurft. — Der Verlag hat dem Bändchen eine nette Ausstattung ggeben.

Dr. F. Greifenburger

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