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Der Dichter der Ohnmacht

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Der Mensch in der Zell . Dichtung und Deutung des gefangenen Menschen. Von Edzard Schaper, Verlag Hegner, Olten. 71 Seiten. — Die Macht der Ohnmächtigen. Roman. Von Edzard Schaper. Verlag Hegner, Ölten. 3041 Seiten

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Der Mensch in der Zell . Dichtung und Deutung des gefangenen Menschen. Von Edzard Schaper, Verlag Hegner, Olten. 71 Seiten. — Die Macht der Ohnmächtigen. Roman. Von Edzard Schaper. Verlag Hegner, Ölten. 3041 Seiten

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Dip Weltöffentlichkeit horchte auf, als vergangenen Herbst durch die Presse die Nachricht ging, daß der berühmte englische Schriftsteller Cronin katholisch geworden sei. Bis jetzt ist allerdings kein Bericht bekannt, in dem der Autor die Gründe seiner Konversion veröffentlicht. Und aus seinen Werken, die kaum die religiöse Sphäre streifen, sind ebenfalls keine Rückschlüsse in dieser Hinsicht möglich. Zur gleichen Zeit, da Cronin übergetreten sein soll, fand auch die Konversion eines anderen Schriftstellers statt, die Konversion von Edzard Schaper. Zum Unterschied von Cronin nahm die Öffentlichkeit von diesem Ereignis sehr wenig Kenntnis. In Österreich mag dies vor allem damit Zusammenhängen, daß Schaper so gut wie unbekannt in diesem Lande ist, obwohl er schon eine Reihe von Romanen und auch Übersetzungen veröffentlichte. Seine Werke, die fast durchwegs in den Verlagen Hegner, Insel, Atlantis und Aręhe erschienen — die dadurch bereits dokumentieren, wie gewichtig sie sind — konnten infolge der Devisenschwierigkeiten in nur geringem Ausmaß nach Österreich gelangen.

Schaper wurde 1907 in ęinęr kleinen poąen- schęn Gąrnisonsstadt geboren. Einige Jahre verbrachte er in England und Dänemark, schlieBfięh ließ ęr sich in Estland nieder. Ąls 1940 die Deutschen des Baltikums umgesiędęlt wurden, verweigerte er aus antinationalsozialistischen Gründen die Rückkehr. Als das Baltikum zu Rußland fiel, ging er nach Finnland, dessen Staatsbürgerschaft er schließlich annahm. Aber auch Finnland verließ er schließlich, blieb einige Zeit in Schweden und Siedelte sich dann endgültig in der Schweiz an, wo er in Zųrich sich nięderljeB. Hier in Zürich erfolgte auch sein Übertritt zur katholischen Kirche.

Dię Wanderschaft, die Schaper soviel in der Welf herupiführte, fand ihrpn Niederschlag in seinem Werk. Sein Rpman „Der Henker ist Jie Geschichte eines baltischen Barcms, der Rittmeisfer in der kaiserlichen russischen Armee ist und 1905, als die Ostseeprovinzen sich im Aufstand befanden, gegen seine eigenen Landsleute eingesetzt wird. Die beiden anderen Romane „Die sterbende Kirche" und „Der letzte Advent" gehören der östlichen Welt an: sie sind ein Dichtung über das Schicksal der russischen Kirche upd der russischen Christenheit in der Jetztzeit. Der Bp- man „Die Macht der Ohnmächtigen“ — Scha- pęrs derzeit letztes Werk — spielt in der westlichen Welt: es ist der Romąn eines französischen Pfarrers zur Zeit Napoleons. Der Aufenthalt in Skandinavien ließ Schaper auch zu einem Mittler der skandinavischen Welt für Jie Länder der deutschen Sprache werden. So ūberąetzte er den berühmten Roman des schwedischen Nobelpreisträgers Pär LageT-

guist „Barrabas“ ins Deutsche und ebenso das Xagebuch des norwegischen Freiheitskämpfers

Pefter Mpen.

Wpr d'e Werke Schapers betrachtet, gleichgültig ip welchem Milieu und zu welcher Zeit sie handeln, wird auf einem Umstand aufmerksam werdep. Auf den Umstand nämlich, daß sie alle das Prpblęm des Menschen in der Ohnmacht, ja, das Problem der Ohnmacht des Menschen in der Gefangenschaft beinhalten. Man könnte Schaper direkt den „Dichter der Ohnmacht“ nennen. Ein kleiner Rundfunkvortrag, den er in Zürich hielt und der unter dem Titel „Der Mensch in der Zelle“ herauskam, der die eigentliche Quintessenz seines Schaffens enthält, gibt Antwort auf die immer wieder aufgeworfenen Frage, was denn die Ohnmacht des modernen Menschen, seine Gefangenschaft für einen Sinn habe. Der Autor antworte , daß dies ęhri6tus 6ei. Denn seit dieser Mittelpunkt aller Geschichte wurde, stehe aller Gefangenschaft die Freiheit in der Gebundenheit an Ihn zur Seite. Es ist die selige Gefangenschaft, in der Paulus sich wußte, als ęr sich als „Gefangener Christi" Unterzeichnete, der an seinem Leib erstattet, was „noch mangelt gn Trübsal in Christo, für seinpn Leib, der da ist; die Gemeinde!“ Der Christ, upd nur er, hat die Chance, jeder Situation seines Lebens, und wäre sie die ohnmächtigste, noch einen Sinn zu geben.

Dr. Raimund Schiffner

Dichter und Dichtung aus Österreich. Aus- gewählt Aufsätze von Eduard Castle. Wien, Amandus-Verlag 1951. 264 Seiten.

Der Verfasser, durch seine Arbeiten zur österreichischen Literaturgeschichte und durch seine Wiener Lehrtätigkeit bestens bekannt, legt in diesem Aufsatzbagd eine Sammlung kleinerer Schriften aus den Jahren 1895 bis 1943 vor, die es dp der Tat verdienen, in Buchform zugänglich zu sein. Die Anordnung von Johann Gonstantin Feigius bis zu Franz Werfel folgt der Chronologie. Vor allem sei hętont, daß diese Aufsätze, in yielen Fällen neues Material zu bieten haben. Die bedeutende Sachkenntnis des Autors ermöglicht es ihig, unter anderem die Quelle zu Grillparzers Bruchstück „Lucretia Creinyill“ aufzuzeigen. Die meiper Meinung nach besonders wertvolle Studi über Grillparzers „Goldenes Vließ" behandelt das Kant-Studium des Dichters und seine geistigen Beziehungen zu Fouquöi Heloise Höchner, die letzte Verehrerin des Dichfers, wird geschildert und Carl Ppstl-Sealsfield erfährt eine kurze, aber sehr wertvolle Charakteristik, die seine Steilung zwischen dem Freiheitsideal Amerikas und den Gefahren der industriellen Reyplution scharf heraushebt. Der Aufsatz „Die Ehe eines Dichters plädiert für die Wahrheit von Stifters Liebesbeteuerungen gegenüber seiner Gattin, die nicht ohne Gfppd mit den Spiegelungen kontrastiert werden, die Stifters Jugendliebe in fa6t affen Werken des Dichter erfährt- Der Aufsatz ,Daruber kann kein Mftnn weg!“ zeigt, daß Hebbels Gattin Christine in Hebbels Klara in „Maria Magdalena“ eine Schicksalsschwester hatte. Ebenso werden die interessanten Beziehungen zwischen Anzengruber und dem Feuerbach-Apostel Wilhelm Bolin erörtert; die mitabgedruckte Besprechung der Anzengruber-Ausgabe Castles durch W. Bolin erhöht den Reiz des Bandes. Peter Altenberg, Hafmannsthals Großeltern, Wildgans, Ginzkey und Werfel sind kurze, aber interessante Mitteilungen gewidmet. Die stoffliche Fülle des Bandes ist erstaunlich und der gediegene warme Ton der Darstellung macht das Buch zu einem wertvollen Essayhand, auf den der Freund der österreichischen Literatur immer wieder gern zurückgreifen wird.

Univ.-Doz. Dr. Robert M ü h 1 h e r

Hölle oder Fegefeuer. Fragment einer göttlichen Tragikomödie. Von Hans Weigel. Wilhelm-Herzog-Verlag, Wien 1952. 142 Seiten.

Das ist ein unheimliches Buch: Geschichte eines Menschen, der auf dem Weg zu einer guten Tat in ein utopisches (?) Reich der über- bürolcratie gerät, dort von den knirschenden Rädern des gnadenlosen Medianismus richtig zerrįehen, von Lager zu Lager geschunden wird und schließlich einem geheimnisvollen Richterspruch verfällt. Man meint lange Zeit, die Peitsche jener nüchternen Ironie zu spüren, mit der Weigel, der keinem Zugeständnis zugängliche Kritiker, Journalist und Idealist audi sonst 60 viele Halbe in allen Lagern erschreckt, bloßstellt und zornig madit. Dazu paßte wohl die Verhaltenheit und Ge- decktheit des satirisdien Stiles, der hier mehr noch als in früheren Werken des Autors ganze Strecken des Budies mit einer düsteren, unsicheren Spannung erfüllt. Gegen Schluß aber lüftet der Autor das Visier, und mit einem Male wird aus dem scheinbar blutigen Hohn eine schonungslose Selbstkritik, ein Aufschrei des sozialen Gewissens. Unsere Mitschuld, das todeswürdige Verbrechen unserer Verhärtung des Herzens in dieser dämonischen, lieblosen, scheinsozialen Zeit: das ist es. So steht ganz zurecht am Titelblatt dieses ehrlichen, aufrührerischen, milde die anderen, streng nur sich selbst richtepcfep Ruches das russische Sprichwort (Mbd0 zu Gogols „Revisor“): nicht den Spiegel anzuklagen, Jie Fratze rühre iä doch von dir selbst her ...

Dr. Roman H 6 r 1

Ausgewählte Gedichte. Von Kurt Hpy- nicke. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart.

59 Seifen.

Di fünfzig Gedichte dieser Sammlung sind nicht gleichartig und nicht gleich vief wert. Die in freien Rhytmen verfaßten, manieriert in Form pnd Ąusdrudc, besagen wenig: „Und es fälft das Laub / Kalt /Uber den Pfad / Einst.“ Das ist nicht Lyrik, sondern Wort- und Zeilen- pielerei. Die einfache, vierzeilige, gereimte Strophe mit Volksliedcharakler hingegen erfüllt der Dichter mit Geschick und Gefühl.

Ein Stern verschließt die Tür.

Es geht die Nacht nach Ha\lsei

Und auf dem galdnen Pfade

Tritt acht der Tag herfür.

So laufet die erste Strophe eines z-wölfzeiligen Gerichtes, das mit Recht „Zauber" hefßt. Und um solcher Verse willen ist die Lektüre de® hübschen blauen Bändchens zu empfehlen.

Edwin H r 11

Zwischen den Geistern und den Utopien.

Gedichte. Von Alexander L ę n a r d. Im Selbstverlag, Rom 1951. — Die Feuertaufe. Zwei Gedichte. Von Manfred Vogel. Dpnau- verlag, Wien 1952. 39 Seiten. — Gedichte für Freunde. Von Alfred Mikesch. Mundus, österreichische Verlags-Gesellschaft, Wien 1951. 77 Seiten.

Den Auslandsösterreicher Alexander Le- nard, den sein Lebensweg über Rom nach Brasilien führte, und den Ex-Berliner Manfred Vogel, der heute in Tel-Aviv lebt, verbindet ihr Fanatismus zur unbedingten Ehrlichkeit. Was sie uns an Lyrik bescheren, Arabesken, Grotesken, ist infolgedessen ein sehr bitteres Kraut. Und doch muß solchen radikalen Ent- zauberern und Entlarvern immer wieder gedankt werden. Ihre oft messerscharfe Ironie, ihr mitunter abgründiger Pessimismus, aus dem Geist der äußersten Wahrhaftigkeit geboren, ist Mut, immer wieder Mut, nicht einfach Übermut, was sie tun, nicht Allotria, sondern ihre — von ihnen ernst genommene und von uns ernst zu nehmende — Sendung. Daß sie zum Geist die Sprache besitzen, ist ihre Legitimation. — Reif und kultiviert ergeht sich die Lyrik von Alfred Mikesdi, sicher im Schritt und gelenkt durch das eigene innere Gesetz und durch den dankbaren Aufblick zu unverrückbaren Sternen. Am schönsten gelangen: „Zacharias", „Trauer um Andrė Gide“, „Die zwei Traurigkeiten“, „Der Knecht“, „Die Wolke", „Improvisation am Morgen“, „Drei Zweige" und besonders „Die Fontäne von Vaucluse", die ein würdiges Gegenstück zu Grillparzers „Abschied von Gastein“ geworden ist.

Prof. Dr. Friedrich Sacher

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