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Mit den Augen des Wissenden...

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Rom—Berlin ln diplomatischem Spiegel. Von Filippo Aifuso. Verlag Pohl 4 Co., Essen. 363 Seiten.

Wenn der Übersetzer in einem Nachwort ausspricht, er habe sich seiner Aufgabe im Sinn? Filippo Anfusos unterzogen, um „einen Beitrag zum besseren Verständnis beider Völker zu leisten, so muß man dies mit Anfusos einleitenden Sätzen Zusammenhalten: „Der deutsche Leser wird in diesem Budi sehr offenherzige Worte über das deutsche Volk finden. Autor und Übersetzer waren sich wohl darin einig, daß das offene Aufzeigen auch der größten Gegensätzlichkeiten einer Verständigung besser dient, als die gegenseitige Betrachtung durch rosenrote oder parteigefärbte Brillen. In der Tat wird es nicht leicht sein, eine psychologisch tiefer verwurzelte Kritik des „gotischen Wesens, eine stärkere Abneigung gegen dessen dem romanischen Geiste unzugängliche Besonderheiten zu finden, als säe dieser frühere italienische Botschafter in Berlin und letzte Staatssekretär des Äußeren der „Repubblica Sociale Ita-

liana“ in seinen Erinnerungen niederlegt. Wenn Anfuso die Haßliebe Hitlers gegen England erwähnt, so gilt dieses Phänomen in noch höherem Maße für ihn selbst — und nicht weniger für Mussolini — in bezug auf Deutschland. Jenes Mussolini, den er als „das einzige stehende Bollwerk gegen dfie lästige SS-Kultur bezeichnet (S. 120) und dessen Ausspruch zu Ciano er zitiert: „Die Deutschen sind den Italienern widerwärtig (S. 185). Auch Anfusos „geheime Liebe" gehört den Engländern. Fast melancholisch schreibt er an der Spitze jenes Kapitels, das der Münchner Begegnung gewidmet ist: „Den letzten freien Menschen, frei nach englischer Art, sah ich am 29. September 1939' — es war der königlich großbritannische Botschafter in Berlin Neville Henderson. Offensichtlich fühlt sich dieser begabte und geistig unabhängige Süditaliener, dessen rationale Latinität sich jeder Art von Pathos entzieht, dem angeborenen Wirklichkeitssinn der Angelsachsen wesensverwandt. So wird Seite um Seite der innere Zwiespalt in Anfusos" Seele und in jener Mussolinis deutlicher: selten war die scheinbar von Rationalität inspirierte, in Wahrheit aber utopische Politik eines Staatsmannes in seinem Volke so wenig „untermauert" wie jene Mussolinis im zweiten Weltkrieg.

Anfuso ist ein kritischer Geist, der an den faschistischen „Gerarchen" ebenso unbefangen Kritik übt, wie an den Inspiratoren der nationalsozialistischen Politik, und es bleibt rätselhaft, wie ein geistig so unabhängiger Beurteiler irgendein autoritäres Regime lieben und ihm aus innerer Verbundenheit heraus seine Dienste widmen konnte. Denn Anfuso war und ist überzeugter Faschist, wie er mit anerkennenswerter Offenheit deutlich macht. Ein Buch voll Verstand und gleichzeitig voller Widersprüche, im ganzen eine bedeutende, die Zeitgeschichte bereichernde Publikation.

Der Durchbruch und Strafakt 77/1889. Von

Franz F. Wurm. Beide: Verlag Butzikon & Bercker, Kevelar.

Der vorliegende schmale „Der Durchbruch" genannte Band enthält vor allem Erzählungen aus Rußland Aus dem Rußland de6 deutschen Landsers: Front — Alltag — Gefangenschaft

— Lager. Die Themen: Die Treue und Tapferkeit eines Popen, das Sterben eines Offiziers, der vorher zum Glauben zurückgefunden, die Entlarvung eines Antifaspitzels als Brotdieb, sind von solcher Gewalt, so unmittelbar ans Herz fassend, daß der Erzähler die Worte nur durch einen sehr schmalen Spalt einfallen lassen darf. Jedes Zuviel ist gefährlich. Der junge, bisher unbekannte Autor weiß erstaunlich früh um dieses Geheimnis. Ernst, ein wenig holzschnittartig sind diese Erzählungen, ein Erlebnisextrakt, der sich, die Vorstellung befruchtend, erst nach und nach aufzulösen beginnt. Nur die Geschichte „Für jeden kommt die Stunde' ist pietisrtrisdi-weich, hier ist auch alles von vornherein gegeben, die Wendung der letzten Zeilen wirkt ein wenig unbehaglich, 6ie kommt — für den Leser wenigstens — nicht von innen, sondern von außen. Ein wenig abseits folgt als letztes die Geschichte eine Heimkehreis, Auch sie ist nobel aufgefaßt und schlicht erzählt, wenn auch hier die Wendung, das seelische Heimkehren und Einkehren des Mannes in der Familie, der letzten, zwingenden Gewalt entbehrt.

Von demselben Autor kam ein zweiter Band Erzählungen „Strafakt 77/1889" heraus; auf dem Buchumschlag wird uns versichert, die erzählten Geschichten seien wahrhaftige Begebenheiten. Mag diese auf ein reichlich naives Publikum abge6timmte Bemerkung stimmen oder nicht, gegen den ersten Band von Franz F. Wurm fällt der zweite ein wenig ab, obwohl er kunstvoller gebaut ist und auch hier eine fabulierende Begabung nicht übersehen werden kann. Man ist vielleicht auch dem reinen Fabulieren, dem Bericht ohne inneren Zwang gegenüber ein klein wenig unduldsam geworden.

Heinrich Maria W a a s e n

Der Geist von Plyn. Roman, 480 Seiten. Gasthaus Jamaica. Roman, 387 Seiten. Beide von Daphne du Maurier. Fretz und Wasmuth - Verlag, Zürich, Neudruck 1952 Heinrich Geiter, Wien.

„Der Geist von Plyn' ist eine Forsyte-Saga in Taschenformat, Geschichte von vier Generationen einer englischen Reederfamilie, breit, ohne erregende Akzente, eher etwas geschwätzig und stellenweise langweilig. Der Hang zum Spukhaften, den die Autorin mit Liebe pflegt, hat skh hier in einem eigentümlichen Fortwirken bestimmter Erbzüge der „Ahnfrau' in bestimmten Mitgliedern der Familie niedergeschlagen. — Eine andere Neigung, von der sich die in Millionenauflagen schwelgende Bestsellerin gleichfalls nie ganz frei machen konnte, ist die zur Schund- und Schauergechichte: sie lebt sich in der blutrünstigen Schmugglergeschichte „Gasthaus Jamaica' voll und saftig aus und gerät allerdings dabei auch an einem Punkt, in der Gestalt des dämonischen Pastors, in die Nähe großer literarischer Vorbilder.

Roman H e r 1 e

Johrimgla. Roman. Von Richard Beiti. Otto-Müller-Verlag, Salzburg 1951. 522 Seiten.

Sinnbildlich hebt die Geschichte von dem Findelkind mit dem Beginn des Kirchenjahres, mit Advent, mit der Nacht an, da die Glocken des Montafoner Dorfes von dem Kinde künden, das auf die dunkle Erde kam, allen Bedrückten, Annen, Leidenden zu helfen. Sinnbildlich tönt in dem Namen ein ähnlicher aus einem Grimm-Märchen mH. Das Mädchen Eva-Johringla beginnt sein Leben, Trost zu sein, und wächst zur Helferin aller Mütter. Es ist ein Preislied des Muttertums; ein Mahnmal für unsere selbstsüchtige Zeit, ein leuchtendes Beispiel an seelischer und körperlicher Reinheit; ein Beweis mehr, daß es der Reichtum der inneren Güter ist, der das Leben formt, sinnvoll und lesenswert macht. In dieses Dasein und um dieses hemm weben Volikebrauchtum und Schönheit der Landschaft, in welcher Beiti aufgewachsen, wundersame Fäden.

Jahre der Hoffnung. Roman. Von C. P. Snow. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien 1951. 453 Seiten.

Der englische Autor, der uns bereits durch seinen Roman „Die lichten und die dunklen Gewalten' bekannt ist, schildert in diesem umfangreichen Entwicklungsroman den Lebensweg des Lewis Eliot von der Jugen bi6 zum Mannesalter. Wir erfahren von seiner Schulzeit, seinem Freundeskreis und seiner beruflichen Laufbahn als Rechtsanwalt, von Ereignissen, die recht alltäglich und zum Teil durch die besonderen englischen Verhältnisse bedingt 6ind. Die interessanteste Gestalt ist ein schönes, aber seelisch abwegiges Mädchen, das Lewis nach wechselvollen Beziehungen heiratet. Ein solcher pathologischer Charakter ist auch die Hauptgestalt des früheren Romans, hinter dem das neue Werk literarisch zurückbleibt. Der Roman i6t viel zu breit und kann trotz mancher lebendig und realistisch gestalteter Episoden nicht al6 eine Be- reicherung der Ubereetzungsliteratur bezeichnet werden. Dr Theo Trümmer

Das Ich und die Welt der Objekte. Von

Nikolai Berdjąjew. Aus dem Russischen übersetzt im Slawischen Seminar der Universität Göttingen unter Leitung von Professor Maximilian Braun. Holle-Verlag, Darmstadt. 261 Seiten.

Der 1874 in Kiew geborene und 1948 verstorbene Denker zählte zu den hervorragendsten Vertretern der personalistischen und existentialistischen Bewegung. In allen seinen Werken, besonders aber in den vorliegenden Abhandlungen, geht es um die Frage: „Was ist der Mensch?“ Vom Menschen handeln, heißt aber für ihn, zugleich auch schon von Gott handeln. Der Titel des Buches drückt die Spannung aus, die für diesen Philosophen kennzeichnend ist. Das Ich ist für ihn nicht ein Teil der Welt, sondern ihr als etwas wesenhaft anderes gegenübergestellt, immer aber von dem Verlangen — und der Aufgabe! — beseelt, 6ich richtig in ihr, im „anderen', im Du zu spiegeln, bestätigt zu finden, seine Einsamkeit zu überwinden. Der

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