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Von Musik und Musikern

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Wesen und Einheit der Musik. Von Ferruccio B u s o n i. Max-Hesses-Verlag, Berlin-Halensee und Wunsiedel. 288 Seiten.

Diese Neuausgabe der Schriften und Aufzeichnungen Busonis durch Joachim Herrmann gehört für alle, die sich nicht nur für Mozart und Beethoven, sondern für das Gesamtphänomen „Musik“ interessieren, zu den wichtigsten und anregendsten Neuerscheinungen. Der Deutschitaliener Busoni (1866 bis 1924), dessen „typisch deutsche“ Spekulationen durch- den romanischen KtmstaWtat*nos toi ,*#

kühnsten Bahnen gelenkt wurden,“besitzt die Fähigkeit, die Gesamterscheihung „Musik“ ohne alle historischen Einschränkungen und akademischen Vorurteile, gleichsam wie am ersten Tag, zu erleben und darzustellen. Busonis Eintreten für die absolute Freiheit und Eigengesetzlichkeit der Musik hat ihm den Zorn Pfitzners zugezogen, der auf Busonis „Entwurf einer neuen Aesthetik der Tonkunst“ mit der Streitschrift „Futuristengefahr“ antwortete. Uebrigens fehlt gerade jene seinerzeit in der Insel-Bücherei erschienene und vor zwei Jahren von H. H. Stucken-schmidt neu herausgegebene Schrift in dem vorliegenden Sammelband. Das ist deshalb bedauerlich, weil sich in dem „Entwurf“ einige der Kernsätze des „Utopisten“ Busoni finden. „Die Musik als Kunst, die sogenannte abendländische Musik, ist kaum vierhundert Jahre alt, sie' lebt im Zustande der Entwicklung; vielleicht im allerersten Stadium einer noch unabsehbaren Entwicklung, und wir sprechen von Klassikern und geheiligten Traditionen! Wir haben Regeln formuliert, Prinzipien aufgestellt, Gesetze vorgeschrieben — wir wenden die Gesetze der Erwachsenen auf ein Kind an, das die Verantwortung noch nicht kennt. So jung es ist, dieses Kind, eine strahlende Eigenschaft ist an ihm schon erkennbar, die es vor allen seinen älteren Gefährten auszeichnet. Und diese wundersame Eigenschaft wollen die Gesetzgeber nicht sehen, weil ihre Gesetze sonst über den Haufen geworfen würden. Das Kind — es schwebt! Es berührt nicht die Erde mit seinen Füßen. Es ist nicht der Schwere unterworfen. Es ist fast unkörperlich. Seine Materie ist durchsichtig. Es ist tönende Luft. Es ist fast die Natur selbst. Es ist frei.“ Busonis Vision einer neuen Klangwelt, einer Musik der Zukunft, wurden inzwischen zum größten Teil realisiert. Auch interessieren uns heute nationale Gegensätze und die Kontroversen der Schulen und Richtungen nicht mehr sonderlich. Die Behauptung des Herausgebers, daß sich Busoni zu Schönberg und seiner Zwölftontheorie in kritischem Abstand hielt, ist nirgends in den Schriften belegt. Charakteristisch für Busoni ist sein stetes Suchen und Prüfen des Neuen. Seine Aesthetik hat eine feste Achse, die um die Pole Bach und Mozart schwingt. An ihrem Werk widerlegt er die These von der starren Herrschaft der Formen: es gibt kein Altes mit nur positiven und kein Neues mit ausschließlich negativen Vorzeichen. Zu unterscheiden ist zwischen Bekanntem und Unbekanntem. Die vorliegende Sammlung umfaßt folgende Themengruppen: Wesen und Einheit der Musik, von der Zukunft der Musik, autobiographische Zeugnisse Busonis mit Erläuterungen zu seinen Werken, über Klavierspiel und Klaviermusik, vier Essays über Bach und je drei über Mozart und Beethoven, über verschiedene zeitgenössische Komponisten, schließlich verstreute Aufsätze und Glossen Wertvolle Zeugnisse stellen die beiden Beiträge der Busoni-Schüler Philipp larnach und Vladimir Vogel dar. Der Band wird durch ein etwa 20 Seiten umfassendes Werk- und Literaturverzeichnis abgeschlossen.

Glanz und Elend der Musikkritik. Der Verfall des musikalischen Geschmacks, Von H. H. Stucken-Schmidt. (He'sses Kleine Bücherei, Nr. 1.) Max-Hesses-Verlag, Berlin-Halensee und Wunsiedel. 61 Seiten.

Der bekannte Berliner Musikkritiker geht von der Frage aus, „ob das Ueberhandnehmen der Kritik und ihre massenhafte Verbreitung durch die Medien der Tagespresse und des Rundfunks vielleicht zu einer Verkümmerung der geistig-seelischen Antennen geführt habe oder ob, umgekehrt, die Verengung des kulturellen Erlebnisraumes das Feld freigelegt habe für die kolossale Blüte einer Kritik“. Indem die Kritik kritisch betrachtet wird, stellt sich heraus, daß es keine objektiven, autonomen, für alle Zeiten gültigen ästhetischen Normen gibt. Daher bleibt dem Chronisten nichts anderes übrig, als sich an die großen Persönlichkeiten zu halten, deren merkwürdige Irrtümer, besonders in der Begegnung mit dem Genie, allgemein bekannt sind. Immerhin sind die Beispiele von Hanslick und G. B. Shaw lehrreich. Wichtig ist auch der Hinweis, daß die Kritik in ihrer Glanzzeit „konservativ“ war, während sie heute „modern“ ist und der neuen Musik Pionierdienste leistet. Die Betrachtung schließt mit einem Lob des Liberalismus, der in .seinen staatspolitischen Konsequenzen revisionsbedürftig sein mag, aber für Künstler und Kritiker jene Lebensformen sichert, in denen ihr Beruf nicht fragwürdig w+wt:- ^-'Die-Thematik- des =zwetten Essays -über An' Ve'rfäft ä e S*' m u s i k a 1 i s c h e n Geschmacks steht mit der des ersten in engem Zusammenhang. Nachdem der Autor die Wechselwirkung zwischen den ästhetischen Idealen der verschiedenen Fpochen, den Schaffenden und der Kritik bis herauf zu den zwanziger Jahren verfolgt hat, als eine gewisse Menschheitskunst und der Avantgardismus eine fragwürdige Symbiose eingingen, wird die radikale Aenderung in der Gegenwart an einigen Beispielen des Geschmackverfalles aufgezeigt. Die ununterbrochene Berieselung breiter Schichten durch Rundfunkmusik droht alle wertende und urteilende Kraft zu vernichten, woraus sich der Erfolg etwa eines Orff oder Messiaen erklärt, der als „Genie der Geschmacklosigkeit“ bezeichnet wird und einen Typus repräsentiert, den es bisher innerhalb der französischen Kultur nicht gab. Der Geschmack, von zwei Seiten her bedroht — von den Massen, die ihn nivellieren, und von den Intellektuellen, die ihn aus Skepsis verloren haben — kann nur durch neue Eliten wiederhergestellt werden. Der Ort, wo exnerimentiert und ausgeschieden wird, sind die „elfenbeinernen Türme“, die Keimzellen einer künftigen Musikkultur. „Von ihnen strahlen die Energien aus, die allein den Verfall des Geschmacks wirksam bekämpfen werden.“

Ich bin Dirigent. Von Charles Münch. Im Verlag der Arche, Zürich. 116 Seiten. Preis 5.80 DM.

Charleä Münch wurde in Straßburg geboren und begann dort seine Laufbahn als Orchestergeiger. Er ist der Gründer des Orchestre Symphonique de Paris und wurde 1935 Leiter der berühmten Concerts du Conservatoire. Seit 1949 ist er Chefdirigent der Bostoner Symphoniker, als dem wir ihm vor kurzem in Wien begegnet sind. In diesem Büchlein plaudert ein großer Herr und ein ehrlicher Musiker über seinen Beruf: über das Probieren und das Dirigieren vor dem Publikum, über das letztere speziell und über die Psychologie des Orchestermusikers. Man erfährt zwar nichts Neues, aber man erfährt es auf unterhaltende Weise ...

Mozart und die Gegenwart. Von Erich M a r k h 1. Leykam-Verlag, Graz. 62 Seiten. Preis 15 S. In diesem Bändchen steckt mehr als der Umfang vermuten läßt: eine geistig Bilanz unseres zu Ende gehenden Mozart-Jahres, gezogen und notiert von einem leidenschaftlichen Musiker und Kulturmenschen, voll bitterer Wahrheiten (wie sie ähnlich vielleicht Karl Kraus der Zeit ins Gesicht gesagt hätte), aber auch mit positiven Aspekten. Eine erregende und bereichernde Lektüre, mehr wert als die meisten Mozart-Bücher.

Reclams Kammermusikführer. Von Hans Renner. Unter Mitarbeit von Wilhelm Zentner, Anton Würz und Siegfried Greis. 830 Seiten. Preis 9.80 DM.

Mit diesem Taschen- und Nachschlagewerk, das, normal gedruckt, das Format eines Lexikons hätte, wird, unseres Wissens, zum ersten Male der Versuch unternommen, das riesige Gebiet der Kammermusik in Einzelanalysen darzustellen. Eine Aufgabe, vor der ein einzelner verzagen müßte, zumal, mit Ausnahme der Klavier-Solo-Literatur, sämtliche Gattungen und Besetzungen, von der unbegleiteten Violin-■onate bis zum Oktett und Nonett, berücksichtigt sind. Die alle wichtigen und heute noch gespielten Werke umfassende Auswahl erläutert 1500 Werke Bus vier Jahrhunderten mit 660 Notenbeispielen. In chronologischer Ordnung sind die Autoren von Orlando di Lasso bis Fortner und Francaix (geboren 1912) aufgereiht. Daran schließt sich eine Uebersicht der Kammermusik nach Epochen, seit der Spätromantik nach Ländern, bis zu den jüngsten Komponisten (was aber auf Oesterreich nicht ganz zutrifft, da Jelinek und Schollum nicht mehr zu den Kadetten gehören). Ueber das ,,was — und was nicht“ wird es immer verschiedene Meinungen geben, aber Debussy auf drei und Faure auf zwei Seiten erscheint ein wenig knapp, auch wenn das vorliegende Werk hauptsächlich für deutsche Leser bzw. Musikhörer bestimmt ist. Dieser und einige andere Einwände verstummen jedoch vor der gewaltigen Arbeitsleistung der vier Autoren, vor ihrer Literaturkenntnis und den zahlreichen treffenden Einzel-rteilen und Analysen.

Das Problem des Uebels in der Philosophie des Abendlandes (1. Band: Von Piaton bis Thomas v. Aquin). Von Friedrich B i 11 i c s i c h. Verlag A. Sexl, Wien.

Es ist sehr erfreulich, daß nach dem Erscheinen des 2. Bandes des vorliegenden Werkes nun auch der längst vergriffene 1. Band in zweiter, erweiterter Auflage vorgelegt wird. Die Auflage enthält nicht nur neu die Darstellung der Theodizee des großen Boethius, sondern ist in allen Teilen erweitert und ergänzt und auf den heutigen Forschungsstand gebracht. Das Werk enthält die einzige umfassende Darstellung der Geschichte der abendländischen Theodizee von Piaton bis Hegel Der vorliegende erste Band behandelt das Problem des Uebels bei den griechischen Denkern vor Piaton, bei Piaton und Aristoteles, den Neupythagoräern und Neuplatonikern, den Gnostikern und den ersten Apologeten, bei Origenes, Ambrosius und den Kappa-dokiern, bei Augustinus und Boethius, dem Areo-pagiten und Scotus Eriugena, bei Amselm von Canterbury und Thomas v. Aquin. Ist auch Vollständigkeit in streng-historischem Sinn nicht erstrebt, so sind doch alle entscheidenden Stadien der Problementwicklung eingehend dargestellt und gewürdigt. Das nun vorliegende zweibändige Werk ist ein entscheidender Beitrag zur abendländischen Geistesgeschichte, der auch die Entwicklung anderer grundlegender metaphysischer Probleme vielfach erhellt und klärt. Das Werk ist die Frucht einer Lebensarbeit, *die nicht nur historischen Zwecken dient, sondern auch dem um letzte Sinnesfragen sich Mühenden wertvolle Hilfe leistet. In seiner schlichten, aber klaren und präzisen Darstellung ist es für alle problemgeschichtlichen Arbeiten vorbildlich. Es verdient nicht nur die Beachtung der fachphilosophischen Kreise, sondern auch der Theologen und aller philosophisch Interessierten, deren Kreis erfreulicherweise größer ist als gewöhnlich angenommen wird. Seit den Beiträgen über die Geschichte der abendländischen Metaphysik von Stenzel, Dempf und Heimsoeth ist noch kein so bedeutendes Werk auf diesem Gebiet erschienen wie das vorliegende.

Beichtlehre für evangelische Christen. Von Wolfgang Böhme. Evangelisches Verlagswerk, Stuttgart. 112 Seiten. Preis 6.80 DM.

Wie dringend das Problem der Beichte auch für den evangelischen Christen geworden ist, hat der heurige Kirchentag in Frankfurt erwiesen, auf dem die Arbeitsgruppe, die sich mit diesem Thema befaßte, unerwarteten Zuspruch erfuhr, und auch die Gegelegenheit zur Einzelbeichte selbst ist von vielen Kirchentagsteilnehmren wahrgenommen worden. Studentenpfarrer Wolfgang Böhme war einer der Geistlichen, die in Frankfurt Beichte gehört haben, und er konnte vorher seit Jahren in seiner eigenen Gemeinde viele Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln. Mit dem hier vorliegenden Buch möchte er nun den evangelischen Christenpfarrern und Laien die Praxis des Beichtens erleichtern helfen, über die noch viel Unsicherheit besteht. Mit den sehr klaren Exkursen über die Formen und das Wesen der Beichte — zu der nach Luther, von dem Böhme ausgeht, das Sündenbekenntni, die Absolution und, als besonderes evangelisches Element, der Glaube, gehören —, vor allem aber auch mit den ganz konkreten Anleitungen, wie gebeichtet wird, kommt das Buch dem lebhaften Bedürfnis breiter evangelischer Kreise entgegen und wird vielen Menschen Klarheit und Hilfe geben, die beichten wollen, aber nicht wissen, wie das geschehen kann. Es hat einen eigenen Reiz für uns Katholiken, die Beichte hier mit großem Ernst als Sakrament, aber entkleidet jeden Zwangs und allen traditionellen Beiwerks, behandelt zu sehen. In Frankfurt fiel mehrmals das Wort: Der evangelische Christ darf wieder beichten, und wie ernst es der Kirchentagsgemeinde mit diesem Anliegen war, zeigte sich im „Laienwort an den Kirchentag“, in dem es hieß: „Ihr Pfarrer, könnt ihr die Beichte hören? Tut es endlich wieder I Wir bitten euch um Christi willen!“ Fürwahr ein kirchengeschichtlicher Augenblick I

Soldatentaschenbuch. Herausgegeben von Werner Kunzenmann. Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien-München. 192 Seiten.

„Niemand geht blind und unvorbereitet in ein fremdes Land. Du brauchst einen Wegweiser.“ Diese Sätze stehen in dem Begleitwort, das Erzbischof Dr. König an die Spitze dieses Vademekums für den jungen Bundesheersoldateh geschrieben hat. Begleiter und Wegweiser durch Dienst und Freizeit will dieses kleine, von christlicher Gesinnung und österreichischer Vaterlandsliebe getragene Buch sein, das unter seinen Mitarbeitern neben anderen auch Landeshauptmann Dr. Gleißner, Oberst Filips und Dr. Jedlicka nennt. Der Alltag des Soldaten kommt in ihm ebenso zu seinem Recht wie die Staatsbürgerkunde und das religiöse Leben. In den seelsorglichen Ratschlägen, die dem jungen Mann mit auf den Weg durchs Kasernentor gegeben werden, scheint uns der Ton noch etwas zu stark von der reinen Jugendseelsorge geprägt zu sein. Junge Soldaten aber brauchen — sollen die Worte auch bei jenen ankommen, die nicht unmittelbar in Kontakt mit der Kirche aufgewachsen sind — einen anderen, herberen Ton. Ueberhaupt wäre eine noch schärfere Scheidung der religiösen und der soldatischen Sphäre gerade im Geistigen nicht unangebracht. (Z. B. „Soldat Christi“? Diese Worte beziehen sich bekanntlich nicht nur auf den Uni form träger!)

Noch ein Wunsch, der mit den anderen beiden bei einer neuen Auflage dieses von einem frischen Geist getragenen Büchleins Berücksichtigung finden sollte: „Der Schatz guter österreichischer Soldatenlieder ist nicht groß“, heißt es an einer Stelle. Er ist aber so groß, daß Lieder, wie „Als wir nach Frankreich zogen ...“ und die reichlich strapazierten „Blauen Dragoner“ — beide schon dem Text nach keine österreichischen Soldatengesänge —, hätten draußen bleiben können. Dafür wäre Platz zum Beispiel für das alte Schützenlied (,,Es leb der Schütze froh und frei ...“). Auch gelte es, alte österreichische Soldatenlieder, wie „Regiment sein Straßen zieht ...“, „Die weißen Dragoner“ oder das schon beinahe verschollene Artilleristenlied „Das Feuerrohr, aus Erz gegossen ...“ u. a., nach Jahrzehnten der Ueberfremdung wieder heimisch zu machen. An österreichischem Soldatenliedergut fehlt es bestimmt nicht. Eher da Und dort an Kenntnis desselben.

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