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Zur Sprache gebracht

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Zur Sprache gebracht. Essays über Musik. Von Ernst K r e n e k. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Friedrich S a a t h e n. Albert Langen-Georg Müller, München. 397 Seiten. 24.80 DM.

, Unter den schöpferischen Musikern der Gegenwart ist Ernst Krenek, Jahrgang 1900, vielleicht der- jenige, der sich mit seiner Zeit am intensivsten auseinandergesetzt hat. Sein schriftstellerisches Werk umgreift, von der Warte des Musikers aus, Geschichte und Kulturgeschichte, Geisteswissenschaften und Politik. Hierzu befähigt ihn eine enzyklopädische Bildung, wie sie — nicht nur unter Künstlern — heute selten geworden ist. Hinzu kommt ein Bedürfnis zur Selbstdarstellung und zum autobiographischen Kommentar. Seit 1942 schreibt Krenek an seinen Memoiren, deren Manuskript im Jahre 1951 bereit auf rund 1000 Seiten angewachsen war. Hauptgrund für diese zeitraubende Tätigkeit war die „Ueberzeugung, daß mein musikalisches Werk einmal für weit bedeutender angesehen werden wird als jetzt und daß man dann zu entdecken trachten wird, was mich auf dieser Welt bewegte“. Man sieht: an Selbstbewußtsein fehlt es Krenek nicht. Diesem Zug begegnet man auch in den vorliegenden Essays auf Schritt und Tritt, so, wenn er (1936) die Frage stellt: „Ist Oper heute noch möglich?“ und diese mit dem Hinweis auf zwei Versuche, zu neuen Ergebnissen zu gelangen, positiv beantwortet. Die beiden zukunftweisenden Werke sind: Milhauds „Christophe Colomb“ und seine Oper „Karl V.“ — Für die Formung seines Geistes waren frühe Begegnungen von Bedeutung: 1920 folgt er seinem Lehrer Franz Schreker nach Berlin, wo er mit Hermann Scherchen, Eduard Erdmann und Artur Schnabel zusammentrifft. Nach längerem Auslandsaufenthalt lernt er die Praxis des Theaterbetriebs (in Kassel) kennen, 1927 folgt der skandalumwitterte Welterfolg mit „Jonny spielt auf“, um 1930 beginnt eine ausgedehnte schriftstellerische Tätigkeit: er wird einer der Führer der radikal Modernen, daher 1933 in Deutschland verboten. In wenigen Jahren sucht er Anschluß an die offizielle österreichische Kulturpolitik, schreibt häufig in der amtlichen „Wiener Zeitung“ und in der „Fackel“-ähnlichen Wiener Musikzeitschrift „23“. Aber schon 1937 verläßt er Oesterreich und übersiedelt im Jahr darauf nach Amerika, wo er derzeit noch als Theorielehrer tätig ist. Der vorliegende stattliche Band, der von dem Wiener Musikschriftsteller F. Saathen zusammengestellt und eingeleitet wurde, stellt nur eine schmale Auswahl aus dem essayistischen Oeuvre Kreneks dar. Er umfaßt drei Jahrzehnte: von einem für die Programmhefte des Kasseler Staatstheaters geschriebenen Artikel über den „Zeitgeist“ aus den Jahren 1925/26 bis zu der Studie über elektronische Musik aus dem Jahre 1956. Einige zentrale Themen: Oper und Opernerfahrung, Komponieren als Beruf, Problematik des Librettos, über Musikästhetik und musikalische Inspiration, über seine Erfahrungen mit der Zwölftontechnik, ferner Selbstkommentare („Von Jonny zu Orest“, über seine Oper „Pallas Athene“ u. a.), über neue Musikpädagogik, über das Nationale in der Musik usw. — Eigene Studien sind verehrten Meistern gewidmet (Schönberg, Milhaud, Alban Berg, Kafka, Karl Kraus). Wir wissen auch, daß er neben diesen Leon Bloy und Maritain, Thomas Mann und Joseph

Roth, S. Freud und Kokoschka besonders schätzte. Um 1930 war die „heroische Zeit“ dieser Generation, aber Krenek ist einer von jenen, die — novarum rerum cupidi — auch 20 Jahre spater noch jn der vordersten Linie sich behüten. $ö sind-,seine •'BgrftäftttngeTr als Zeitdokument wfchtig und teilweise auch von echter Aktualität.

Erich Kleiber. Eine Biographie: Von Johri Rüssel. Aus dem Englischen übersetzt von A. Razumovsky. Albert Langen-Georg'Müller, München. 293 Seiten. 16.80 DM.

Am, 27. Jänner 1956, am ,200. Geburtstag Mozarts, ist der Wiener Erich Kleiber in Zürich gestorben. Er hat in seiner Vaterstadt weder zur Zeit seines höchsten Ruhmes noch nach der Rückkehr, aus der (freiwilligen) Emigration Fuß fassen- können. Sein Großvater war Lehrer, der Vater, war aus Sachsen nach Prag gekommen. Der junge Kleiber wollte ursprünglich Priester werden. Aber es k?m anders. Die entscheidenden Eindrücke empfing' er in Darmstadt, wo der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen die bekannte KünstlerkoUjnie gegründet hatte, Die weiteren Stationen Kleibers waren: das Rheinland, dann Berlin (wo er 1925 Bergs „Wozzeck“ und fünf Jahre später „Christophe Colömb“ von Claudel und Milhaud uraufführte) und nach , der freiwilligen Emigration: Montevideo und Buenos Aires,. Chile, das Teatro Colon, die „Met“ und Covent Garden. Auch in Wien hat Kleiber dirigiert, aber meist nüt für Schallplattenaufnahmen. , Die schwerste Zeit, 1939 bis 1940, ist in: Brieferl an die Familie, die zugleich Kleibers Tagebücher waren, wiedergegeben. Die Wiener Kapitel liest man nicht ohne Bitternis; eine rühmliche Ausnahme bei der Einschätzung

Kleibers machte Dr. Kurt von Schuschnigg — aber auch er konnte nichts bewirken (S. 189). Kleiber ging dann schließlich an die wiederaufgebaute Linden-Oper. Aber auch dieses zweifelhafte Glück war, wie man weiß, von kurzer Dauer. Unsere Zeit scheint nichts übrig zu haben für Mannesmut vor Königsthronen. — Um so erfreulicher die noble, profilierte, offenherzige Biographie von John Rüssel, die dem Charakter Kleibers irgendwie entspricht.

Schriften 1907 bi 1955. Von Oskar Kokoschka. Zusammengestellt und mit Erläuterungen und bibliographischen Angaben herausgegeben von Hans Martin W i n g 1 e r. Albert Langen-Georg Müller, München. 484 Seiten. 24.80 DM.

Oskar Kokoschkas literarische und fachliche Schriften, zerstreut, schwer zugänglich und zum Teil vergriffen, werden hier in fünf Gruppen zusammengestellt und dargeboten: I. Jugenderinnerungen und Erzählungen (darunter, als stärkstes Stück, „Die Mumie“), II. Dichtungen (hier das 1907 entstandene Gedicht „Der träumende Knabe“, ein repräsentatives Werk des Frühexpressionismus bzw. der Wiener Jugendstilkunst), III. Dramen (u. a. „Mörder, Hoffnung der Frauen“ von 1907, 1920 von Hind.emith vertont, ferner „Orpheus und'Eurydike“, das auch nach 1945 wieder aufgeführt' wurde), IV:' Künstler und Kunst (über Bild, Symbol und Schrift, Selbsr-kommentare, etwa zu den„ThermopyleB:“), schließlich V. einige 'Briefe. :darunter der aus dem Jahre 1954 an einen .englischen Freund mit Kokoschkas Kunstbekenntnis. — Kokoschkas Dichtungen, insbesondere die. Dramen, spiegeln die Erlebnisse, Krisen und Umsturze der Dada-Zeit. (An dem Unternehmen der Züricher Dada-Galerie war Kokoschka zusammen mit Hugo und Emmy'Ball, Tristan Tzara u. a. beteiligt.) Merkwürdigerweise sind Kokoschkas Dramen von den Literarhistorikern, auch von den kundi-rgeren, kaum gewürdigt.. Et erweist sich darin als Vorläufer von Stramm, Sorge und: Waiden, und auch die zweite expressionistische Generation,“:wie Hasen-clever-; und der junge Zuckmayer, später Thornton Wilder, sind • von ihm beeinflußt. Kokoschkas literarisches Werk ist keinesfalls nur ;als Kommentar zu seinem malerischen zu werten. Ob ihm gleicher Rang zukommt, .ist eine sekundäre Frage. Beide entspringen der gleichen schöpferischen Wurzel. — Kokoschkas Kunstschriften sind mehr-bekennend als analytisch oder'betrachtend. In denen aus der Londoner Zeit zieht er die Summe.-seiner Lebens- und Kunsterfahrung.

- Tagebücher von 1940 bis 1950. Von Max Beckmann. Zusammengestellt von Mathilde Q. Bec lern* ti.. Herausgegeben von Erhard G ö p 't 1. AFber* Linen-Geötg Müller. München. 429 Selten. 24.80DM.

Max Beckmanh hat Deutschland 1937 verlassen. In Holland hat er, als die deutsche Invasion begann, seine Tagebücher von 1925 bis 1940 verbrannt. Nur. die Kalenderblätter mit Aufzeichnungen aus den letzten elf Lebensjahren des großen Malers wurden gerettet. Sie waren nicht zur Publikation bestimmt und dienten zur Aufrechterhaltung der geistigen und physischen Existenz — ähnlich wie der dicke, gelbe Bambusstctck, auf den sich der von heftigen Schmerzen gequälte vierschrötige Mann stützte.. Gerade weil sie keinerlei literarischen Anspruch erheben, ist es höchst eindrucksvoll, zu beobachten, wie Beckmann — mit der gleichen Sicherheit wie der Maler — mit wenigen Worten die Wirklichkeit in den Griff bekommt. Gegenstand dieser meist .schlagwortartigen, lakonischen Aufzeichnungen 'iit das Leben in dieser Zeit — und seine Kunst, immer wieder die eigenen Werke. Mehr als 2000mal werden in diesen Aufzeichnungen Bilder oder Teile, an denen er gerade arbeitet, erwähnt. Etwa in der Art (vom 13. Dezember 1950, wenige Tage vor dem Tod): „Ganzen Tag, gearbeitet, was ich eigentlich gar nicht wollte. Immer noch an den Argonauten, na, vielleicht hab' ich's doch noch gesteigert. War nur zehn Minuten op Straat.“ — Freitag, 15. Dezember: „Spaziergang im eisgrauen Park, Würstchen mit Senf. — Abends ,Sealions' überholt.“ — 16. Dezember: „Zwölf Stunden an dem rechten Kopf von Argo — welcher Wahnsinn ...“ — Der Anfang lautet (4. Mai 1940): „Dieses neue Heft beginne ich im Stadium der vollkommensten Unsicherheit über meine Existenz und den Zustand unseres Planeten. Chaos und Unordnung, wohin man blickt. Völlige Unsicherheit der politischen, kriegerischen Angelegenheiten ... Bei alledem den Kopf hochzuhalten ist nicht einfach, und es ist eigentlich ein Wunder, daß ich überhaupt noch existiere ... Das eine ist sicher, Stolz und Trotz den unsichtbaren Gewalten gegenüber sollen nicht aufhören, möge das Allerschlimmste kommen ... Schließlich und endlich wird mir alles gleichgültig — habe zuviel und zu lange in Unglück und Verschollenheit gelebt ...“ Ein Leben in dieser Zeit. — Der schön ausgestattete Band enthält zahlreiche Zeichnungen, mehrere Photos sowie 24 Seiten Anmerkungen von der Frau des Künstlers, die 25 lange Jahre das Leben Beckmanns begleitete und beschützte.

Im Kampf um die moderne Kunst. Briefe von 1902 bis 1933. Von Max Sauerland t. Herausgegeben von Kurt Dingelsted t. Albert Langen-Georg Müller, München. 434 Seiten. 24.80 DM.

Max Sauerlandt, 1880 bis 1934, war Direktor des Museums für Kunst “und Gewerbe in Hamburg. — Dem wertvollen Alten durch inniges Verständnis verbunden, ein Enthusiast im besten Sinn, war er für das Neueste seiner Zeit, den sich mächtig entfaltenden deutschen Expressionismus, nicht nur aufgeschlossen, sondern gewährte den Werken der Besten, vor allem aus der Künstlergruppe „Die Brücke“, auch Eingang in sein Museum. Sauerlandt kam aus der Schule Wölfflins. In seinem Kopf und in seinem Herzen verschmolzen nicht nur alt und neu zur Einheit, sondern auch Kunst und Leben. Das kommt in fast jedem seiner Briefe, die aus allen bedeutenden europäischen Kunstzentren geschrieben wurden, sehr schön zum Ausdruck. Für seine Ueberzeugung trat er stets mannhaft ein und war daher oft in temperamentvolle Auseinandersetzungen mit Kollegen, aber auch mit den übergeordneten Dienststellen verwickelt. — Kein Wunder, daß für einen solchen Mann nach 1933 die Zeit öffentlichen Wirkens vorbei war. Sauerlandt wurde sofort beurlaubt, konnte aber, als Honorarprofessor an der Universität, noch 1934 seine Vorlesung über „Die Kunst der letzten 30 Jahre“ zu Ende führen. Diese Vorlesung wurde gedruckt, aber sogleich verboten, und ist erst 1948 neu erschienen. (Seine Beiträge in der Zeitschrift „Museum der Gegenwart“, 1931 bis 1933, erwecken den Wunsch nach einer vollständigen Sammlung der Schriften von Max Sauerlandt, die eine Hohe Schule des Museumswesens werden könnte.) — Mit den Fragen seines Berufes hat er sich gründlich und gewissenhaft immer wieder auseinandergesetzt. Bereits 1916 schreibt er aus dem Feld (Okniany, 2. August) an seine Frau, an die die meisten Briefe gerichtet sind: „Das ganze Problem des modernen Kunstdirektors liegt, glaube ich, darin, wie er seine pädagogisch-historische Aufgabe mit seiner .reinen Kunstpassion' in Ausgleich und Gleichgewicht setzen kann.“ Max Sauerlandt war ein großartiger Beobachter und ein glänzender Schreiber, einer der wenigen Deutschen, welche die große Prosa-Tradition (Goethe, Humboldt, Herman Grimm) weiterführen. — Seine tagebuchartigen Briefe aus Wien, wo er sich 1922 und 1924 aufhielt, bilden eine besondere Pikanterie bei der anregenden und in jeder Hinsicht bereichernden Lektüre dieser gehaltvollen Seiten. In einem kurzen Vorwort wird der Autor von Erika Zeisse vorgestellt. Gern fände man in dem schön ausgestatteten Buch auch ein Bild und eine Handschriftprobe dieses ungewöhnlichen Mannes.

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