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DAS BILD DES VATERS

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Während ich diese Zeilen schreibe, ist der Blick meines Vaters aus einer großen Radierung des Prager Malers Stössl aus dem Jahre 1910 auf mich gerichtet. Gegenüber eine farbige Kreidezeichnung seines schönen Kopfes, den Erwin Lang 1937 zeichnete. An diese Bilder knüpfen sich meine frühesten Erinnerungen... „Wenn Frieden sein wird, wird Papa immer zu Hause sein. — und es wird immer viele Orangen geben!“ Für die Vierjährige, die ihren Vater, der an der Front war, ja kaum kannte, lag in dieser Besprechung die Vorstellung allen Glückes.

Robert Michel, geboren 1876 in Chaberic in Böhmen, Sohn des Adalbert Michel, kaiserlicher Rentmeister und Hofökonomiebeamter in Böhmen, und der Karoline, geborene Stästny, Lehrerin von Beruf, wurde im Gymnasium und an der Kadettenschule in Prag erzogen und als Fähnrich ausgemustert. Von den apfelgrünen Ottočanern führte sein Militärdienst zu den schmucken Bosniaken und dann wieder zu einem galizischen Regiment.

Der junge Leutnant Robert Michel dürfte sehr unbekümmert gewesen sein. In Arthur Schnitzlers Aufzeichnungen zum Fall „Leutnant Gustį“ spricht er von vereinzelten Sympathieerklärungen und Stimmen aus dem Publikum, die ihm zu dem Verlust der Offizierscharge gratulierten. „Zu ihnen gehörte auch ein aktiver Offizier, der damalige Leutnant Robert Michel, der mir versicherte, daß er mit dem Urteil des Ehrenrates keineswegs übereinstimmte.“ Ich erinnere mich auch, daß Freunde meines Vaters erzählten, er sei einer von den zwei österreichischen Offizieren gewesen, die es wagten,, in Uniform an Lesungen von Karl Kraus teilzunehmen.

Dies alles entspricht jenem Wesenszug meines Vaters, den ich als eine glückliche Veranlagung zur Sorglosigkeit bezeichnen würde, die ihn immer wieder auch in Stunden schwerster Schicksalsschläge daran glauiben ließ, daß sich alles zum Guten wenden werde. Ein Wesenszug, von dem ich glaube, daß er mit seiner tiefen Religiosität eng verbunden war.

Es folgte eine achtjährige Lehrtätigkeit als Professor der deutschen und französischen Sprache an der Kadettenschule zu Innsbruck, ln dieser Zeit lernte er Ludwig von Ficker, den Herausgeber des „Brenner“, kennen und kam durch diese enge Freundschaft auch mit Georg Trakl und Carl Dallago in Berührung. Nach einigen Jahren als Bibliothekar im Kriegsarchiv kamen die Stationen des ersten Weltkrieges mit dem Kriegspressequartier, verschiedenen Dienstleistungen für das Ministerium des Äußeren und die freiwillige Meldung an die Front zu den Kaiserjägem und dem 2. Wiener Hausregiment. — Seit 1896 ist die enge Freundschaft zu Leopold von Andrian zu Werburg, seit 1898 die zu Hugo von Hofmannsthal mit einem herzlichen Briefwechsel besiegelt. Sie vor allem waren es, die ihn zu seinen ersten schriftstellerischen Produktionen ermutigten.

In den Garnisonsstationen Mostar und Sarajevo lernte er Land und Volk, dessen Sitten und Bräuche kennen, und so strahlte für sein weiteres Schaffen zeitlebens eine magische Anziehungskraft von diesem, von ihm so sehr geliebten Lande aus. Es entstanden Landschaftsschilderungen, Erzählungen, Romane, Legenden und Dramen. Immer wieder lese ich in den wundervollen Hofmannsthal-Briefen, wo der große Dichter auch sein literarisches Urteil zu den bosnischen Erzählungen mitteilt.

Das bosnische Drama „Mej.riima“ erlebte 1910 seine Uraufführung in Prag. An der Harvard-Universität, Widner Library, Cambridge, USA, liegt dieser Roman in russischer Sprache auf. 1915 wurde ihm für den Roman „Häuser an der Dzamija“ der Kleist-Preis zugesprochen, der mit einer Weltreise des Bremer Lloyd verbunden war. Die Freude darüber wurde durch den Weltkrieg zerstört und der Preis zu seiner großen Enttäuschung in ein Honorar umgewandelt. Um die dreißiger Jahre kam sein bosnisches Lustspiel „Der Weiße und der Schwarze Berg“ im Akademietheater zu Wien zur Uraufführung, in den Hauptrollen mit Seidler, Höbling, Löhner. Das gleiche Thema diente als Libretto zu der Oper „Die geliebte Stimme“ von Jaromir Weinberger, die in München unter Baron Clemens von Frankenstein uraufgeführt wurde. Ich erinnere mich noch deutlich, welch großen Wert mein Vater auf eine echte Ausstattung legte und keine Mühe scheute und zu beiden dieser Aufführungen persönlich ausgewählte Gewänder und Utensilien aus Bosnien und der Herzegowina brachte. Es entstanden auch zwei Filme, an denen mein Vater mitarbeitete: „Bosniaken“ und „Die Wila“.

Die Nachkriegsjahre bedeuteten einen finanziellen Abstieg. Noch genossen wir Kinder — außer mir meine älteren Brüder Adalbert und Leopold (ein Taufkind Leopold von Andrians) — eine herrliche Kindheit im geliebten Kaasgraben in der oberen Suttingergasse, in der von Josef Hoffmann erbauten Villa meiner Eltern, umgeben von Wiesen und Weingärten. Mein Vater legte Wert auf sportliche Ertüchtigung, und so war es gegeben, daß wir schon als Knirpse schwimmen lernen mußten, auf den Wiesen gegen den „Himmel“ am Wienerwald unter seiner Anleitung die ersten Skilaufversuche machten und mit seinen abgelegten Tour- nierschläger — ich konnte diesen Herrenschläger kaum halten — zum richtigen Tennisspielen angehalten wurden. Aus größter Bewunderung und Verehrung zu Grete Wiesenthaį deren Tanzschule auf der Hohen Warte in der ehemaligen Mendlschule war, wurden wir drei zu unserer großen Begeisterung durch einige Jahre zum Tanzunterricht geschickt. Klavierunterricht war selbstverständlich, größter Wert wurde aber auf den Zeichenunterricht gelegt. Nach einem Czizek- Kinderkurs bekamen wir als Privatlehrer den Maler Leopold Hofmann regelmäßig ins Haus.

Es folgen bittere Jahre. Der Besitz im Kaasgraben wurde verkauft. Spekulationen einer Clique, denen mein leichtgläubiger Vater erlag, ließen Geld und Hoffnungen in einer neu- gegründeten Filmgesellschaft, in sogenannten Ölbohrungen und anderen vagen Unternehmungen zerfließen. Wir landeten — treu dem Kaasgraben — in einer Künstlerkölonie der ehemaligen Kriegsbaracken, die von dem Künstler Antios (Trcka), bekannt durch seine wunderbaren Altenberger-, Kliimt- und Schiele-Kunstphotographien, verwaltet wurde.

Nach dem allzu frühen Tod meines Bruders Adalbert, im Jahre 1925, kam nach vielen Jahren wieder ein Buchband „Jesus im Böhmerwald“, seinem verstorbenen Sohn gewidmet, heraus, der ihm den Adalbert-Stifter-Preis und den Tschechischen Staatspreis für deutsche Literatur brachte. Meine unglückliche Mutter aber verfiel über den großen Verlust des Sohnes in Melancholie und wurde in einem Landes- krankenhaus im Jahre 1941 ein Opfer der Euthanasie.

Meine schönsten Erinnerungen sind die an die gemeinsamen Sommerurlaubstage in Böhmen, die wir jedes Jahr auf dem Familienbesitz mütterlicherseits, auf Schloß Klenau am Rande des Böhmerwaldes, verbrachten. Dort konnte mein Vater in Ruhe und Geborgenheit arbeiten. Seine enge Beziehung zur Natur kam mir dort besonders zu Bewußtsein. Während der vielen gemeinsamen Spaziergänge und Wanderungen, öfters auch zu dem benachbarten Freund und Dichter Hans Watzlik, verbunden mit emsigem Schwammerlsuchen oder Beerenpflücken, lernte ich durch ihn Tier- und Pflanzenwelt beobachten. Diese seine Naturbezogenheit spiegelte sich in vielen seiner Dichtungen wider.

Für meine weitere Ausbildung im Kunsttanz, die ich mit Vilma Degischer im Duo durch unsere gefeierte Tanzmeisterin Ellinor Tordls erhielt und die mit unzähligen Auftritten auf Wiener Bühnen später ihre Erfüllung fand, zeigte mein Vater durch Sammeln von Pressekritiken größtes Interesse. Aber später freute er sich, daß ich mich mehr dem Zeichen- und Malberuf widmete. Durch meinen Vater bekam ich manchen Auftrag zu Illustrationen in Zeitungs- und Buch- verlagen. Ihm verdanke ich auch die Erkundung, daß im Kriegsjahr 1941 eine Zeichnerin an einer der Wiener Univer- sitätsaugenkliniken gesucht wurde, und voller Stolz verfolgte er meine neue Tätigkeit an den verschiedenen Universitätskliniken.

Als Höhepunkt sind mir aber die gemeinsamen Theaterbesuche in Erinnerung, vor allem im Wiener Burgtheater. Seine Bindung zur „Burg“ war tief verwurzelt, zumal er in jungen Jahren zu den täglichen Besuchern des Offiziersstehparterres zählte. 1918, während der, Intendantur Andrians, kam die Berufung in die Direktion, das sogenannte DreierkoHegiuim, neben Hermann Bahr und Max Devrient.

Damit taucht auch eine Reihe großer Persönlichkeiten des damaligen Österreichs in meiner Erinnerung auf, denen ich in Gegenwart meines Vaters begegnet bin — wie Richard Beer-Hofmann, Felix Braun, Erhard Buschbeck, Friedrich Funder, Josef Marx, Oskar Maurus Fontana, Ernst Molden, Max Pallenberg, Egon Wellesz, Max Mell (dem sich mein Vater besonders tief verbunden fühlte) und auch Stefan Zweig, in dessen Salzburger Heim ich einmal mitgenommen wurde. Wenn ich unser altes Gästebuch aus der Döblinger Zeit aufschlage, stehen auf der ersten Seite Verse von der Hand Hugo von Hofmannsthals, datiert mit 29. Dezember 1918, auf einem der nächsten Blätter karikierte sich Richard Teschner mit einer Marionettenfigur in Bleistiftzeichnung, ebenso Carl HoLlitzer mit offenem Sängermund. Es folgen noch die Eintragungen von Franz Blei mit Gattin und Tochter Sybilla, Gabriel Lehel Pascal (später erfolgreicher Shakespeare-Filmregisseur in England), Hannibal Karg, Hans Vetter und andere.

Wir wohnten nach 1930 in der unteren Lercbenfelderstraße. Wie schon vorher, teilte Vater seine täglichen Besuche zwischen dem Cafė „Museum“ und dem Cafe „Herrenhof“. Er richtete sich eine Korrespondenz namens „RO-MI“ ein und war so Vermittler bekannt-guter Autoren für Zeitungspublikationen. In dieser Wohnung lagerten auch zahlreiche Kisten mit wertvollem Habe seines Freundes Leopold von Andrian.

Die ständige Sorge meines Vaters galt besonders diesem Inventar wie auch noch größeren Mengen von Kisten und wertvollen Möbeln, die in Alt-Aussee lagerten, um seinem Freunde, der im Ausland lebte, all diesen Besitz aus den Wirren des zweiten Weltkrieges zu retten. In denselben Kriegsjahren gewährte er einer Nachfahrin einer berühmten Wiener Ärztefamilie, die aus rassischen Gründen gefährdet war, unter persönlichem Risiko Schutz; bei den donnernden Bombenangriffen war er nicht -zu bewegen, in den Luftschutzkeller zu gehen, lieber beschäftigte er sich mit dem geliebten Patiencelegen bei einem selbstgebrauten „Türkischen“ im Ori'ginalkännchen.

1949 war es ihm noch vergönnt, seinen einzigen Sohn Leopold zu besuchen,, der als Maschinenbauingenieur infolge schlechter Wirtschaftslage 1934 Österreich verlassen hatte und nach den USA übersiedelte. Damit ging auch seine stets erträumte „Weltreise“ wenigstens teilweise in Erfüllung.

Bereits mit dem Literaturpreis der Stadt Wien ausgezeichnet, erhielt er noch im Jahre 1951, anläßlich seines 75. Geburtstages, die Ehrenmedaille der Stadt Wien. Der österreichische PEN-Klub gab ihm zu Ehren einen Empfang im Palais Schwarzenberg, zu welchem Anlasse er aus eigenen Werken las. Wenige Wochen später führte ein Schlaganfall zu einer halbseitigen Lähmung, die nur langsam und teilweise behoben werden konnte. Seine zweite Gattin, die bekannte Wiener Rezitatorin Hermine Marek-Kolb, pflegte ihn aufopfernd. Sein Geist blieb ungebrochen. Am 11. Februar 1957 hat er für immer die Augen geschlossen.

Das schriftstellerische Werk meines Vaters, das mit Erzählungen aus Bosnien begonnen hatte, denen die „Briefe eines Hauptmanns an seinen Sohn“, die Legenden „Gott und der Infanterist“, „Die Burg der Frauen“ und vieles andere folgte, fand seinen Abschluß mit dem letzten Roman, „Die Allerhöchste Frau“. Es will mir scheinen, daß mein Vater, der im Löben sich selbst immer die Treue hielt, mit diesem Werk sein dichterisches Schaffen als alt-österreichischer Offizier, der er im Innersten immer geblieben ist, abgeschlossen hat.

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