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Thomas Mann in Wien

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Es begann damit, daß ich mich seit meinem zweiten oder dritten Studiensemester mit dem Werk und der Person Hof -mannsthals beschäftigte. Beides interessierte, faszinierte mich, Darnach -r- alljährlich nicht hur die Universitäten, sondern womöglich auch das Land wechselnd— wählte ich mir als Dissertationsthema „Hofmannsthal und die romanische Welt“, kam damit aber erst kurz vor Torschluß zu Ende. Das folgende Jahrzehnt war meinem Plan, eine detaillierte Hofmannsthal-Biographie zu schreiben und in Buchform zu veröffentlichen, nicht günstig. Doch 1946 oder 1947 begann ich mit den Vorarbeiten. Aber bald mußte ich feststellen, daß ein solches Werk noch nicht geschrieben werden konnte, da wichtigste Quellen fehlten: Hofmannsthal führte kein Tagebuch,“ und Von 'den .vielen Korrespondenzen waren damals erst die mit Bichard Strauss und mit Stefan George veröffentlicht. (Heute gibt es in Buchform weitere zwölf, aber noch über 10.000 — zehntausend — Briefe, die im Freien Deutschen Hochstift zu Frankfurt und andernorts verwahrt werden, harren noch der Publikation.)

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Es begann damit, daß ich mich seit meinem zweiten oder dritten Studiensemester mit dem Werk und der Person Hof -mannsthals beschäftigte. Beides interessierte, faszinierte mich, Darnach -r- alljährlich nicht hur die Universitäten, sondern womöglich auch das Land wechselnd— wählte ich mir als Dissertationsthema „Hofmannsthal und die romanische Welt“, kam damit aber erst kurz vor Torschluß zu Ende. Das folgende Jahrzehnt war meinem Plan, eine detaillierte Hofmannsthal-Biographie zu schreiben und in Buchform zu veröffentlichen, nicht günstig. Doch 1946 oder 1947 begann ich mit den Vorarbeiten. Aber bald mußte ich feststellen, daß ein solches Werk noch nicht geschrieben werden konnte, da wichtigste Quellen fehlten: Hofmannsthal führte kein Tagebuch,“ und Von 'den .vielen Korrespondenzen waren damals erst die mit Bichard Strauss und mit Stefan George veröffentlicht. (Heute gibt es in Buchform weitere zwölf, aber noch über 10.000 — zehntausend — Briefe, die im Freien Deutschen Hochstift zu Frankfurt und andernorts verwahrt werden, harren noch der Publikation.)

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Also mußte ich mich vorläufig darauf beschränken, Zeugnisse über Hofmannsthal, aus dem womöglich vollständig zu rekonstruierenden Freundeskreis, zu sammeln. Diese erschienen dann 1949 unter dem Titel „H. v. H. Die Gestalt des Dichters im Spiegel der Freunde“ in einem Wiener Verlag in der damals üblichen Auflage von 3000 Exemplaren.

Von den vielen Würdigungen Hofmannsthals hatte ich eine in besonders lebhafter und angenehmer Erinnerung. Ihr Autor war Thomas Mann. Aber wo und wann hatte ich das gelesen? War's ein Artikel, ein Essay — oder ein Nachruf? Durch Vermittlung des S.-Fischer-Verlages (Damals Dr. Gottfried Bermann-Fischer, NY) erhielt ich Thomas Manns Adresse in Californien, wohin er, nach einem Aufenthalt in New York und seiner Gastprofessur an der Universität Princeton Mitte März 1941 übersiedelt war. Prompt

— das heißt nach etwa drei Wochen

— empfing ich nicht nur die erbetene Auskunft, sondern auch die Erlaubnis, seinen Nachruf — denn um einen solchen handelte es sich — ohne Honorar in dem geplanten Buch abzudrucken.

Damit hatte es nämlich eine besondere Bewandtnis: Sämtliche Beiträger, deren Zahl auf 52 angeschwollen war, normal zu honorieren, ging über die Kräfte meines damaligen Wiener Verlegers. Zwar waren mehrere Autoren schon tot, aber da gab es die Erben, die Verlage, die Nachlaßwalter — und mit ihnen viele, oft schwierige Verhandlungen. Wir konnten jedem Autor nur mehrere Freiexemplare anbieten und eine beliebige Zahl weiterer Bücher zum Selbstkostenpreis ...

Ich selbst war Thomas Mann früher nie begegnet, sondern hatte nur im Oktober 1931 einem Vortrag, einer Rede von ihm beigewohnt, die im Berliner Beethovensaal stattfand und mit einer großen Rauferei endete. Es handelte sich um jene berühmt gewordene „Deutsche Ansprache“, die später unter dem Titel „Ein Appell an die Vernunft“ in vielen tausend Exemplaren verbreitet wurde. Er rief darin das deutsche Bürgertum — ob liberal oder klerikal — auf, öich an die Seite der deutschen Sozialdemokratie zu stellen, die er für den einzigen Garanten gegen den drohend heraufziehenden Nationalismus hielt. Von Anfang an gab es Zwischenrufe, die sich zu wüstem Gebrüll steigerten, Thomas Mann aber hielt tapfer duroh, nur zog er es vor, den Beethovensaal durch den Künstlernebenausgang zu verlassen.

Die Jahre gingen dahin. Der letzte Band der Joseph-Tetralogie und „Lotte in Weimar“ wurden abgeschlossen. Der große Roman „Doktor Faustus“ entstand und die vielen Ansprachen an die „Deutschen Hörer“ mußten geschrieben werden und wurden von BBC London ausgestrahlt. Thomas Mann und seine Familie waren amerikanische Staatsbürger geworden, er hatte mehrere Ehrendoktorate erhalten (nachdem ihm das von Bonn seinerzeit zuerkannte abgesprochen worden war) und wurde von Präsident Roosevelt empfangen, mit dem ihn eine per-

sönliche Freundschaft verband. Zwischendurch gab es auch Reisen nach Europa, zu Vorträgen, Vorlesungen und Feiern. Aber immer stärker regte sich der Wunsch, in den alten Kontinent zurückzukehren: „Dennoch ist es eine seelsiohe Tatsache, daß ich mir, je länger ich dort lebte, desto mehr meines Europäertums bewußt wurde, und trotz bequemster Lebensbedingungen ließ mein schon weit vorgeschrittenes Alter den fast ängstlichen Wunsch nach Heimkehr zur alten Erde, in der ich einst ruhen möchte, immer dringender werden.“

So wurde denn die Heimkehr beschlossen, und am 30. Juni 1952 landete Thomas Mann auf dem Flughafen Kloten bei Zürich. Er wohnte zunächst im Hotel „Baur au Lac“, später im „Hotel Waldhaus Dolder“. Im August hielt er sich in Salzburg auf, besuchte eine Aufführung der „Da-nae“ von Richard Strauss, hielt Vorträge und Vorlesungen da und dort — und folgte im November .der Einladung einer privaten Agentur sowie des Österreichischen PEN-Clubs nach Wien wo er vom 17. bis zum 26. November 1952 weilte.

Hier begann es mit einer schrillen Dissonanz: Bei einer Pressekonferenz im überfüllten Concordia-Saal stürzten sich die politischen Journalisten auf ihn. Zwar waren auch einige Kulturredakteure anwesend, aber die politischen Kopfjäger führten das große Wort, von ganz links bis weit rechts wollte jeder eine Erklärung für oder gegen Ost- bzw. Westdeutschland von Thomas Mann haben. — Nicht vom Nobelpreisträger, dem Autor der „Buddenbrooks“, des „Zauberbergs“ und der großen Joseph-Tetralogie war die Rede, sondern ausschließlich von seinem Besuch und Vortrag in Weimar zur Goethe-Feier.

Zwar hatte er eine für das Goethe-Jahr vorbereitete Rede mit dem Titel „Goethe und die Demokratie“ be-. reits unmittelbar nach seiner Ernennung zum Ehrendoktor von Oxford und nach einer ihm zu Ehren veranstalteten Feier in der School of Divi-nity im überfüilten Hörsaal des „Taylorian Institute“ gehalten, er hatte — am 19. Mai eine Europareise antretend — in der „Wiener Library“ in London vorgetragen, darnach in Stockholm (in der Schwedischen Akademie) und vor dem Mikrophon der British Broad-castimg Corporation gesprochen („Das Deutsche Wunder“) und seinen Text der (amerikanischen) Zeitschrift „Der Monat“ überlassen, er hatte in Bern und in Zürich vorgelesen und Vorträge gehalten. Und dann erst hatte er am 23. Juli seine erste Deutschlandreise angetreten, war in Frankfurt vom Oberbürgermeister Kolb begrüßt worden (bei einem Presseempfang war als Vertreter seiner Heimatstadt Lübeck der Betreuer des Thomas-Mann-Archivs von dort hergereist), und er hatte einen Festvortrag in der Frankfurter Paulskirche gehalten — erschüttert über das, was er sah und gerührt über den Empfang, der ihm überall bereitet wurde. Darnach war er noch einer Einladung nach München gefolgt, wo er von der Bayeri-sohen Akademie der Künste empfangen wurde, und hatte bei einem offiziellen Festessen mit Mitgliedern der

Bayerischen Staatsregierung, der auch mehrere Mitglieder der amerikanischen Besatzungsbehörden sowie Vertreter der Bundesparteien beiwohnten, einige Freunde aus alter Zeit getroffen. Und dann hatte er einen „taktischen Fehler“ begangen: Er war, einer Einladung in die DDR folgend, nach Weimar gefahren. Den ihm verliehenen Preis von 20.000 Ostmark gab er sofort weiter, und zwar für den Wiederaufbau der zerstörten Herderkirche in Weimar (Thomas Mann war, als Lübecker Patriziersohn, Protestant er hat seine Kirche nie verleugnet, hegte aber stets große Achtung vor der katholischen, besonders vor der Person des Papstes und seinem hohen, verantwortungsvollen Amt).

Aber für all das interessierte sich in Wien niemand, die meisten mochten auch nicht eben viel davon wissen, Thomas-Mann-Leser schien es unter der Wiener Journaille, die damals den Mund so weit auftat, keine zu geben. Man war gekommen, ihn politisch „in die Zange zu nehmen“. Thomas Mann beantwortete die dümmsten Fragen mit unerschütterlicher Ruhe und Höflichkeit, war aber sichtbar enttäuscht und traurig über diesen Empfang... — Dagegen mußte seine Vorlesung aus dem unvollendet gebliebenen „Felix KruH“ wegen der großen Nachfrage im letzten Augenblick vom Mozartsaal in den Großen Saal des Konzerthauses verlegt werden und der Applaus dauerte etwa eine Viertelstunde. Im Mozartsaal hielt Thomas Mann dann den Vortrag „Der Künstler und die Gesellschaft“, der mit dem gleichen Beifall aufgenommen und mehrfach nachgedruckt wurde.

Die nachfolgend wiedergegebene Erklärung, vom 13. November datiert, kam infolge der (absichtlich) langsam apbeitenden Alliierten Zensurstelle nach Thomas Mann in Wien an. Frenz Theodor Csokor übergab sie mir zur Veröffentlichung in der

FURCHE als einem „neutralen Organ“, aber das Malheur mit der Pressekonferenz war bereits passiert, und so veröffentlichen Wir sie erst jetzt zu seinem 100. Geburtstag:

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