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Ein Talent und ein Charakter

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Von den Klassikern der Moderne ist der 1881 im Komitat Torontal geborene Bela Bartok derjenige, der nach 1945 die höchsten Aufführungsziffern aufzuweisen hat. Das bedeutet, daß seine Hauptwerke in die „normalen“ Konzertprogramme zwischen Amsterdam und Rom, Tokyo und San Francisco integriert sind, und zwar nicht nur in die der Rundfunksender, sondern auch die der Abonnementkonzerte konservativerer Institutionen. So zum Beispiel stellten die Luzerner Musikfestwochen des heurigen Jahres ein rundes Dutzend Bartok-Werke in den Mittelpunkt ihrer Konzerte. — In dieser Hinsicht ist Bartok nur noch mit Strawinsky zu vergleichen, mit dem Unterschied freilich, daß seine Entwicklung eine organischere, weniger sprunghafte war als die des großen Russen und daß die meistaufgeführten Werke Bartöks der mittleren und späteren Periode einer rund 35 Jahre umfassenden kompositorischen Tätigkeit entstammen, während Strawinskys letzte (zwölftönigen und seriellen) Werke im Esoterischen verharren. — Übrigens setzt Bartok die Reihe der vier großen „B“ fort, denen man noch, ein wenig prospektiv vorgehend, Berg, Boulez und Berio anfügen mag...

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Von den Klassikern der Moderne ist der 1881 im Komitat Torontal geborene Bela Bartok derjenige, der nach 1945 die höchsten Aufführungsziffern aufzuweisen hat. Das bedeutet, daß seine Hauptwerke in die „normalen“ Konzertprogramme zwischen Amsterdam und Rom, Tokyo und San Francisco integriert sind, und zwar nicht nur in die der Rundfunksender, sondern auch die der Abonnementkonzerte konservativerer Institutionen. So zum Beispiel stellten die Luzerner Musikfestwochen des heurigen Jahres ein rundes Dutzend Bartok-Werke in den Mittelpunkt ihrer Konzerte. — In dieser Hinsicht ist Bartok nur noch mit Strawinsky zu vergleichen, mit dem Unterschied freilich, daß seine Entwicklung eine organischere, weniger sprunghafte war als die des großen Russen und daß die meistaufgeführten Werke Bartöks der mittleren und späteren Periode einer rund 35 Jahre umfassenden kompositorischen Tätigkeit entstammen, während Strawinskys letzte (zwölftönigen und seriellen) Werke im Esoterischen verharren. — Übrigens setzt Bartok die Reihe der vier großen „B“ fort, denen man noch, ein wenig prospektiv vorgehend, Berg, Boulez und Berio anfügen mag...

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Wer heute den Namen Bartok hört oder liest, denkt zunächst — und mit Recht — an den Komponisten. Aber Bartok hat fast alle seine Werke in den Ferien, in der Freizeit geschaffen. Seine Haupttätigkeit war, seit 1904 bis knapp vor seiner Emigration nach Amerika, die eines Sammlers und Forschers. Und von 1907 bis 1934 war er Leiter einer Meisterklasse am Budapester Konservatorium. Aber keineswegs für Komposition — sondern für Klavierspiel. Den Titel „Meister“, den die romanischen Völker so gern und unbedenklich an* wenden, hat er stets abgelehnt. Aber „Herr Professor“ wollte er genannt werden. Das paßte zu ihm — und dieser Titel gebührte ihm. Daher hat er auch, als die Stadt Budapest ihn anläßlich seines 50. Geburtstages ehrenhalber zum Professor ernennen wollte, diesen Titel abgelehnt. Die .Ehrung komme zu spät, Professor sei er schon längst...

*

Bartok war ein „Schwieriger“, ein unbequemer Mensch. Ihn zu ehren, ihm zu helfen war eine heikle Sache. Das hat seine letzten Jahre in Amerika so sehr erschwert. Aber auch früher war es nicht leichter. Als der Rumänische . Komponistenverband im Jahre 1931 das Geburtshaus Bartöks in Nagyszentmiklös (damals rumänisch) mit einer Gedenktafel schmücken wollte und dem Komponisten erfreut mitteilen konnte, daß auch der rumänische Königshof diese Ehrung begrüße, teilte Bartok mit, er stimme nur in dem Falle zu, wenn der Text der Tafel in ungarischer Sprache abgefaßt würde. — Das darf nicht als Zeichen eines intransigen-ten Nationalismus aufgefaßt werden. In jener Zeit hatte sich Bartok längst zum Europäer, zum Weltbürger entwickelt, und niemand liebte und schätzte die rumänische Volksmusik so wie er. Aber er wollte prüfen, wie ernst es den Initiatoren mit dieser Ehrung war und ob sie seinen Wunsch respektieren würden. *

Der kleine, zierlich-schlanke Mann mit dem wie in Bronce gemeißelten Gesicht und dem frühergrauten, später silberweißen Haar, wurde überall, wo er auftauchte, mit Respekt empfangen. Sogar bei seinem Verleger. Vom Portier bis zum Generaldirektor wußte jeder, wen er vor sich hatte. „Bartok lebte“, so erzählt Hans Heinsheimer, der als Angestellter der Wiener Universal-Edition viel mit ihm zu tun hatte, „in einer schweigsamen • Welt, die selten ein Lächeln kannte, in der wenig Raum für unsere menschlichen Schwachheiten war, und keine Verzeihung für unsere Sünden. Seine engelhafte Rechtschaffenheit machte ihn untauglich für eine Welt, in der alles auf Geben und Nehmen beruht, in der jede Hand die andere wäscht, und in der jedes Ding seinen Haken hat.“ .

Ebenso bekannt wie seine Empfindlichkeit und Verletzlichkeit war seine Wortkargheit. Mit Zoltän Ko-däly war er ein Leben lang in echter Freundschaft verbunden. Als Kollege, als Forscher, als Komponist von Weltruf. Die beiden waren dadurch bekannt, daß sie miteinander in den kürzesten Sätzen sprachen. „Wir können erraten, was der andere denkt, wozu viel reden“, soll einer von ihnen gesagt haben. — Bartok hatte früh den Vater verloren und lebte mit seiner alten Mutter, die er sehr liebte. Als er sich, nicht mehr ganz jung, zum Heiraten entschloß, soll er dies mit den folgenden Worten mitgeteilt haben: „Liebe Mama, bitte decke morgen Mittag den Tisch für drei Personen. Ich werde nämlich am Vormittag heiraten“.

Zu Beginn der dreißiger Jahre veranstaltete der Budapester Rundfunk eine Umfrage unter dem Titel „Mein erstes Geld“. Die verschiedenen „Prominenten'' schilderten die Geschichte ihres ersten Verdienstes wortreich-feuilletonistisch und möglichst interessant. Bartöks Beitrag lautete: „Bei dem Verlag Bard sind im Jahre 1904 von mir vier Stücke erschienen. Für diese erhielt ich Geld, das erste in meinem Leben. An den Betrag kann ich mich nicht mehr erinnern. Bela Bartok.“ *

Ein andermal spielte Bartok im Budapester Radio eigene Kompositionen, Es war, wie in der guten alten Zeit üblich, eine Direktübertragung aus dem Studio. Ein paar Schritte neben ihm saß der Ansager. Bartok spielte, ernst und konzentriert, ein Stück nach dem andern. Als er fertig war, bemerkte er, daß der Sprecher (er hieß Scherz!) eingeschlafen war. Bartok trat ungerührt ans Mikrophon und sagte: „Hier spricht Bela Bartök. Der Ausrufer ist eingeschlafen. Die Vorführung ist beendet“. (Er gebrauchte absichtlich diese Ausdrücke aus dem Zirkus Jargon.) Sprach's und verließ das Studio, ohne den „Ausrufer“ zu wecken.

*

Um sein 2. Klavierkonzert erstaufzuführen, war Bartök, es mochte im Frühjahr 1932 gewesen sein, nach Wien herübergekommen. Otto Klem-perer war der Dirigent des Konzertes, das, wenn ich mich recht erinnere, von einem Budapester Orchester ausgeführt wurde. Als die Probe beginnen sollte, stellte sich heraus, daß eine Maschinenpauke fehlte. Klemperer begann zu schimpfen, zu toben und steigerte sich in immer heftigeren Zorn. Bartök saß, klein und schlank, vor dem Flügel, die Hände auf den Tasten. Die Szene mochte ihm äußerst peinlich sein, aber man merkte ihm nichts an. Nach einer Weile hob er den Kopf und sah Klemperer an. Der tobende Berserker verstummte, schlug die Partitur auf und murmelte grollend: „Na also, dann zunächst mal ohne Pauke!“

Ein berühmter deutscher Musikkritiker besuchte Bartök im Herbst 1939 in seiner Wohnung, die sich in einem Gartenvorort Budapests befand. In einer Gesprächspause legte Bartök eine Platte auf, und ein in schnellstem Tempo virtuos gegeigter Tanz balkanischen Charakters ertönte. „Was ist das für ein Takt?“ fragte der Gast. „Das wollte ich gerade von Ihnen Wissen“, sagte Bartök spöttisch. Dem Kritiker gelang es nach einigen Minuten, das Metrum zu bestimmen, und Bartök war zufrieden.

Derselbe deutsche Kritiker — es ist H. H. Stuckenschmidt — sagt über Bartök: „Selten bin ich einem Menschen begegnet, in dessen Antlitz sich unbedingte Wahrhaftigkeit, intellektuelle Sauberkeit und Unbestechlichkeit so klar spiegelten. Bartök war ehrlich bis zur Brüskierung, und er kannte Kompromisse weder in der Kunst noch in der Politik.“ Bartök hat sich politisch nie aktiv betätigt, aber er ließ auch nie einen Zweifel über seine Meinung zu politischen Veränderungen und Zuständen aufkommen. So wurde auch für ihn die Politik zum Schicksal... *

Am 30. März 1920 schrieb er aus Berlin an einen Freund, den rumänischen Folkloristen Jon Buschitia: „Bei uns zu Hause herrschen trostlose Zustände; ich sah mit Freuden, daß man mich hier schon hochschätzt. Jedenfalls wäre es möglich, mich hier niederzulassen. Doch — wie Sie wohl wissen — kann ich wegen der Volkslieder schwer nach dem Westen; alles vergebens, es zieht mich nach dem Osten ...“ Nach der „roten“ drohte die „braune“ Gefahr, die Bartök bald erkannte. Als 1936 in Düsseldorf die Ausstellung „Entartete Musik“ veranstaltet wurde, protestierte Bartök in einem Brief an das deutsche Außenministerium, daß neben den Werken von Schönberg, Strawinsky, Milhaud und anderen nicht auch die seinen an den Pranger gestellt worden seien. Und am 13. April 1938 schreibt er aus Budapest: „Es besteht nämlich die eminente Gefahr, daß sich auch Ungarn diesem Räuber- und Mördersystem ergibt. Die Frage ist nur ,Wann?' und ,Wie?'. Wie ich dann in solch einem Lande weiterleben, oder, was dasselbe bedeutet, weiterarbeiten kann, ist gar nicht vorstellbar. Ich hätte eigentlich die Pflicht, auszuwandern, solange es noch Zeit ist.“

*

Zur Emigration entschloß- sich Bartök erst im Jahre 1940 — und schweren Herzens. Schließlich gab er nicht nur seine riesigen Folklore-Sammlungen auf, sondern auch einen nicht unbedeutenden Gehalt als aktives Mitglied der ungarischen Akademie, seine Pension und seinen Garten. Über Bartöks letzte Jahre in Amerika ist viel geschrieben und erzählt worden. Zwar war er „drüben“ nicht ganz unbekannt, erhielt als Komponist und Forscher Aufträge und konnte auch einige Male, gemeinsam mit seiner Frau, der schönen Ditta von Päsztory, die ihm eine nie versagende Stütze war, als Pianist auftreten. Aber er war tiefunglücklich in New York, das ihn zermalmte. In einer merkwürdigen, fast selbstzerstörerischen Art schien er alle Rück-und Fehlschläge zu genießen und gab diese — er, der Wortkarge — ausführlich zum besten, während er allen guten Nachrichten mit Skepsis und Zweifeln begegnete. Der stolze Mann wollte sich nicht helfen lassen, er gestattete nicht, daß man ihm auf die Schulter klopfte — und er lehnte es ab, zuversichtlich-freundlich zu lächeln. So war er die Verzweiflung seiner wohlwollenden Manager. Er lehnte es auch ab, auswendig zu spielen, verneigte sich auf dem Podium ernst, professorenhaft, manchmal eisig, wenn auch — so berichtet ein Augenzeuge — „mit großer ergreifender Würde“.

Der Ausgang des Krieges bereitete ihm Genugtuung, und daß er unmittelbar nach Friedensschluß zum Mitglied des neuen ungarischen Parlaments gewählt wurde, freute ihn. Aber als er sah, wie sich in seiner Heimat die Dinge entwickelten, lehnte er die Rückkehr in das unfreie Ungarn brüsk ab und unternahm die ersten Schritte zur Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschft. So blieb er, bis zu seinem Tod (am 26. 9. 1945 im Westside Hospital von New York) der „vir iustus“, von seinem Volk und Vaterland getrennt, keinem Kreis und Klüngel zugehörig, nur gelenkt von den Gesetzen des Anstandes, der Unantastbarkeit des Individuums und von seinem strengen, unbeeinflußbaren Gewissen. *

Die erste — und wahrscheinlich wichtigste — Entscheidung im Leben des Komponisten Bartök fiel, als der 18jährige, von seinem Freund Ernst von Dohnänyi beraten, nach Absolvierung des Preßburger Gymnasiums nicht nach Wien, sondern nach Budapest auf die Musikakademie ging, wo er von 1899—1903 studierte. Kurz vorher hatten, anläßlich der Mille-miumsfeiern, die Unabhängigkeitsbestrebungen des ungarischen Volkes ihren Höhepunkt erreicht. Vom ungarischen Kommando in der Armee, vom ungarischen Wappen und einer ungarischen Hymne bis zu Sprache und Kleidung sollte alles „national“ sein oder Werden. Der junge Bartök ging und konzertierte sogar jahrelang in ungarischer Nationaltracht und war entschlossen, vor allem ein „ungarischer Musiker“ zu werden. So hat er sich auch dem Einfluß der Wiener Klassik und der deutschen Romantik konsequent entzogen, trotz vorübergehender Brahms- und Wagner-Schwärmerei Und einer lebenslangen Bewunderung Beethovens. — Die einzigen tiefen und genau nachweisbaren Einwirkungen kamen von Bach und De-bussy, — neben den durchaus dominierenden der ungarischen Folklore, selbstverständlich. Das ist bereits in ganz frühen Werken spürbar und geht bis in die letzten Partituren. Und selbstverständlich wußte Bartök, wer Strawinsky war. Die Wertschätzung beruhte auf Gegenseitigkeit, und manchmal fällt es schwer, bei einzelnen Stellen nachzuweisen, wer durch wen angeregt wurde.

Bartök hat, ähnlich wie Strawinsky, nie theoretisiert, sondern eine imposante Reihe von Meisterwerken geschaffen, die fast alle Gattungen, mit Ausnahme der Symphonie, umfaßt. — Von seinen drei Bühnenwerken stehen zwei ständig auf dem Repertoire der Opernhäuser oder, als Konzertsuiten, in den Programmen der großen Orchester der ganzen Welt: „Herzog Blaubarts Burg“ von 1911 und „Der, wunderbare Mandarin“, 1914—1916 komponiert, während das Ballet „Der holzgeschnitzte Prinz“ weniger häufig zu hören ist. Nennen wir zum Schluß nur noch einige Titel von Meisterwerken: „Deux Portraits“ und „Deux Images pour Orchestre“, die „Tanzsuite“ von 1928, das Meisterwerk unter seinen Meisterwerken: die „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Cel-sta“ von 1936; als beliebteste: das „Divertimento für Streichorchester“ von 1939 und das „Concerto per Orchestra“ von 1943; die drei Klavier-und die beiden Violinkonzerte, die sechs Streichquartette, die allein genügen würden, Bartöks Nachruhm zu garantieren, Sonaten und Rhapsodien, zahlreiche Volksliedbearbeitungen für Solostimme oder Chor — und schließlich: ein immenses pianistisches Oeuvre, gekrönt von einem didaktischen Werk mit dem Titel „Mikrokosmos“, an dem 2artök von 192&—1937 schrieb. — Dies alls wird man, wenn unsere Prognose richtig ist, über alle Wandlungen der Mode und des musikalischen Geschmacks hinweg, wohl auch noch nach dem Jahr 2000 spielen, das nur sehr wenige Kompositionen, die heute geschaffen werden, überleben dürften ...

• Der Historiker Dr. Hugo Gold in Tel Aviv wurde in Anerkennung seiner 50jährigen Arbeit und seiner Verdienste um die Erforschung der Geschichte der Juden in der Tschechoslowakei einstimmig zum „Fellow of the Jewish Academy of Arts and Sciences in New York“ gewählt. Dr. Gold hat vor kurzer Zeit sein großes dreibändiges Werk „Die Tri-logie der österreichischen Juden“ fertiggestellt und arbeitet nun an dem Abschluß seines Lebenswerkes „Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden in der Tschechoslowakei“ in drei Bänden, Mähren-Schlesien, Böhmen, Slowakei und Karpatorußland. Mit den Vorarbeiten für dieses Werk hat er bereits im Jahre 1963 begonnen.

• Der Solinger Kulturpreis, aus Anlaß des 600jährigen Bestehens der Stadt gestiftet und mit 10.000 DM dotiert, ist jetzt erstmals an den Maler Prof. Georg Meistermann, an den Cellisten Ludwig Hölscher und an den Dichter Heinz Risse verliehen worden.

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