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Weltkarte der neuen Musik

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Die turbulenten Salzburger Tage der neuen Musik, Versuch einer Wiederbelebung der Atmosphäre der Gründungstage von 1922, sind vorüber, die Kritik des In- und Auslandes hat dazu mehr oder weniger positiv Stellung genommen, und auch ich selbst als Präsident der österreichischen Sektion, der der Auftrag zur Durchführung dieses Jubiläumsfestes zuteil ward, darf das jetzt tun, ohne in den Fehler verfallen zu wollen, zutage getretene Schwächen zu beschönigen und überhaupt den Anblick der Löwin zu bieten, die ihr Junges verteidigt. Denn die österreichische Sektion ist nur zum Teil — nur was die sogenannten Rahmenveranstaltungen und die technische Durchführung des Festes anbelangt — verantwortlich für das Profil des, Festes, dessen Programm bekanntlich vpn einer, internationalen Jury bestimmt wurde. Und diese Jury wiederum hat nur die Beschlüsse der vorjährigen Generalversammlung in Frankfurt am Main ausgeführt, diesem Salzburger Musikfest „versuchsweise den Charakter einer reinen Information zu geben“ und aus jedem einreichenden Land mindestens ein Werk aufzuführen.

Das „Zuviel“, das viele Kritiker diesem Musikfest anlasten, mag Tatsache sein: es ist aber wohl nur deshalb in diesem Maße fühlbar geworden, weil der Durchschnitt der aufgeführten Werke zwar in Hinblick auf die handwerkliche Technik gut, substanziell aber doch zu schwach, zu wenig persönlich profiliert war. Man glaubte, ein gewisses Klischee oder besser gesagt mehrere Klischees zu erkennen, nach denen die Musik unserer Tage ohne fühlbare Differenzierung nach ihrem Geburtsort gebaut wird: das motorische, das neoklassizistische, das traditionell-romantische, das folklorjstische und das expressiv-zwölf- tönende. Ausnahmen aus diesen Spezies sind selten; kommt dann noch eine gewisse Weitschweifigkeit und Einförmigkeit dazu, dann entsteht bei solchen Konzerten allzu leicht das Gefühl des „Zuviel“, ohne das es wohl heute bei einem ausnahmslos der neuen Musik gewidmeten Festival nicht abgeht.

So „schönbergelte“, „hindemithelte“ und „strawinskelte“ (man verzeihe die unmöglichen Wortbildungen) es bedenklich in diesen vier Orchesterkonzerten und zwei Kammermusikabenden, in die die Fülle der von der Jury ausgewählten 35 Werke hineingepfercht werden mußte, wobei diese Werke noch tatsächlich die positive Auslese aus den über 150 eingereichten darstellen. Gelegentliche Verbeugungen vor Richard Strauß oder Bartok spielten die Rolle der kleinen Würzen; man muß sich eben mit der Tatsache abfinden, daß die heutige Zeit mit ihren Konstellationen dem wirklich eruptiven, ursprünglichen musikalischen Schaffen nicht allzu hold zu sein scheint. Auch die schon fast Klassiker gewordenen Führer der neuen Musik, ehemals Kampfruf und Kampfobjekt, haben augenscheinlich, soweit sie noch leben, nicht mehr viel Neues zu sagen.

Trotzdem ist es wichtig, notwendig, der Musik der Gegenwart, wie sie eben ist, zu dienen und nicht schon vor der Veranstaltung von Konzerten und Musik- festėn zu mäkeln und allzu anspruchsvolle Maßstäbe anzulegen; es käme sonst nicht leicht ein Konzert, noch weniger ein Musikfest zustande, wenn man so verfahren und auf den neuen Schönberg, den neuen Hindemith, den neuen Strawinsky warten wollte, ganz abgesehen davon, daß wir wahrscheinlich aus unserer Mitte heraus diese gar nicht erkennen würden, wie auch die Großen vergangener Zeiten erst viel später in ihrer wahren Bedeutung erkannt wurden.

Beachtenswert und interessant war immerhin vieles in dem Programm des Salzburger Festes: so gleich die an dieser Stelle bereits besprochenen Werke von vier repräsentativen deutschen Komponisten (Fortner, Hartmann, Zillig und Egk) im Eröffnungskonzert; im ersten Orchesterkonzert vor .allem . die „Phantasie“ für Klarinette, Klavier und Orchester des ‘Wieners Hanns Jelinek, ein modern empfundenes, wirklich gestaltetes und auch eindrucksvolles Werk, und die wenn auch etwas lang geratene, so doch persönlich profilierte und meisterhaft gekonnte 6. Symphonie des Schweizers Conrad Bede. Das zweite ‘Orchesterkonzert brachte als Gewinn das , alle: dings schon im Ausland oft aufgeführte, klanglich und formal fesselnde „Poem für 22 Streicher des Engländers Humphrey Searle und eine launig-irisch musizierte, vor kleinen Eulenspiegeleien nicht zurückschrek- kende „Smfonia serena“ des Dänen Knudaage Riisager, in einigem Abstand ein ernstes, in seiner nordischen Herbheit originelles Bläsersextett des Finnen N. E. Ringbom und ein musizierfreu,diges, wenn auch etwas schwerblütiges Klavierkonzert des Norwegers Claus Egge. Am schärfsten profiliert in der Gesamtheit schienen die Werke des vierten Orchesterkonzerts; sowohl die blendend instrumentierte und konzis aufgebaute Symphonie des Ungar-Franzcsen Tibor Harsänyi als auch das effektvolle, die Zwölftontechnik erfreulich musikantisch und leichtflüssig anwendende Klavierkonzert des Italieners Pera- gallo sind gute, erfolgsichere und vor allem ehrlich aus dem Geiste unserer Zeit heraus geschaffene Kompositionen, denen man einen festen Platz in unseren Konzertprogrammen wünschen möchte. In Bernd A. Zimmermann (Köln), dessen Violinkonzert ob seiner kräftigen rhythmischen Substanz Eindruck machte, wächst ein hoffnungsvolles Talent heran. Die zwei Gedichte von R. Char, „Le soleil des eauX“, in Musik gesetzt von dem jungen französischen Zwölftöner Pierre Boulez, sind extremste, abstruseste Ausdruckemusik in der überspitzten Nachfolge Weberns, welche, von der überragenden und überzeugenden Persönlichkeit Weberns losgelöst, wenig mehr mit den Begriffen der für uns faßbaren Musik gemein hat. Im letzten Konzert konnte am ehesten Matija Bravničare über jugoslawische Volksmotive aufgebaute „Symphonische Antithese als zwar nicht moderne, aber ehrliche und gekonnte Musik überzeugen. Weniger ergiebig waren die beiden Kammermusikabende, in denen eigentlich nur insgesamt zwei Werke als interessant und versprechend den Durchschnitt überragten: das famos klingende, in seiner formalen Geschlossenheit ebenso wie ;in seinem gelungenen Instrumentalsatz überzeugende 2. Streichquartett des Franzosen Jean Martinon und „Trois chants sacrės“ von Henri PousSeür, einem jungen Belgier, der sich wohl der extremen Zwölftonmusik verschrieben hat, hinter den zackigen Linien des Webern-Stils aber eine echte Musikerpereönlichkeit ahnen läßt. Als reizvolle nachimpressionietische Klangstudie sei noch das Duo für Flöte und Harfe des Holländers Lex van Delden erwähnt.

Ein Sonderkonzert „Moderne Österreicher“, auf dessen Programm Werke von Gruber, Bresgen, Hübner, Ecfchardt-Gramattė und Einem standen, blieb Fragment, da der Dirigent Herbert Hafner während des Dirigierens einer Herzlähmung erlag und tot vom Podium stürzte. Dieses traurige Ereignis, durch das der österreichischen IGNM- Sektion und dem Wiener Musikleben ein großer Verlust erwuchs, warf seine Schatten audi auf die noch nachfolgenden Veranstaltungen des Musikfestes und überzog die ganze Jubiläumsveranstaltung mit dem Schleier der Trauer. Wenige Tage vorher noch hatte Hafner als Würdigung seiner Verdiienste um die Musik der Gegenwart aus der Hand des Unterrichtsministers die Schönberg- Medaille erhallen. Diese Verleihung von 15 Schönberg-Medaillen und 13 Ehrenurkunden fand im Rahmen eines Schönberg-Festkonzerts statt, bei dem Häfner drei richtungweisende Werke dieses Meisters dirigiert hatte: die Orchesterstücke op. 16, das Mono- dram „Erwartung“ und die Orchestervariatio- nen op 31. — Als Auflockerung des modernen Programms brachte die Camerata aca- demica des Mozarteums unter Dr. Paumgart- ner Barock, und Renaissancemusik und eine Mozart-Matinee. Die Aufführung der 53stim- migen Domweihmesse von Orazio Benevoli aus dem Jahre 1628 gestaltete sich mit ihrer Verteilung der musizierenden Chöre auf die acht Seitenemporen und das große Chor des Salzburger Domes unter J Meßners Leitung zu einem eindrucksvollen Erlebnis.

Hohes Lob gebührt den Ausführenden, sowohl den prominenten Solisten aus dem Auslande wie vor allem unseren Symphonikern, die zusätzlich zu ihrer übergroßen sonstigen Arbeit auch noch das gewaltige Pensum der Musikfestkonzerte zu bewältigen hatten. Franz Andrė, Lavard Friieholm, Ernest Bour und Ettore Gracis waren die ausländischen Dirigenten, denen das Festprogramm anvertraut war. Ein glanzvolles Sonderkonzert mit Werken der „Klassiker der Moderne“ Strawinsky, Hindemith, Bartök bestritt das Kölner Rundfunksymphonieorchester unter Ferenc Fricsay.

— Zusammenfassend: eine reichhaltige Woche neuer Musik, mit bestem Streben und vieler Mühe veranstaltet — was doch immerhin gewürdigt werden mag, auch wenn in diesem Musikfest das neue Musikgenie des 20. Jahrhunderts noch nicht in Erscheinung trat.

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