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Konzerte mit neuer Musik

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Der Zyklus „Musdca nova“ des österreichischen Rundfunks bringt in vier Konzerten neue Musik der älteren und jüngeren Generation zur Konfrontation mit dem Hörer; ein Unternehmen, doppelt verdienstvoll in unseren an zeitgenössischer Musik nicht sehr reichen Programmen. Die in diesen Konzerten zur Diskussion gestellten Werke sind naturgemäß in ihrer stilistischen und klanglichen Art ebenso wie in ihrer künstlerischen Wertigkeit verschieden. Im zweiten Konzert war zu hören „Pic-colo mondo“, Musik zu einem imaginären Ballett von Jürg Baur. Der tänzerische und gestische Charakter läßt die Dodekaphonik lockerer klingen, ohne sie doch ganz in Klang aufzulösen und die Struktur zu übertönen. Hermann Reutters „Capriccio, Aria und Finale“ für Klavier und Orchester wirkt trotz verschiedener thematischer Umgestaltungen klarer und einfacher, obwohl auch hier ein Rest nicht aufgeht. Die Symphonie von Richard Rodney Bennett dagegen ist klanglich zerfasert und hat nur im Mittelsatz schöne, vom Volkslied inspirierte Stellen. Kurt Richter dirigierte das Tonkünstlerorchester, das die schwierigen Partituren unter seiner sorgfältigen Leitung mit einer gewissen Perfektion absolvierte. Hans Bohnenstingl trug als Klaviersolist das Hauptgewicht in Reutters „Capriccio“. *

Im dritten Konzert dirigierte Bruno Maderna die Wiener Symphoniker. Die „Sechs Stücke für großes Orchester“ von Anton Webern hörte man vielleicht noch nie so ausgeglichen und durchsichtig. Das „Concerto funebre“ von Karl Amadeus Hartmann überraschte durch seine einfache, sehr tonale und ausdrucksstarke Diktion, der Wolfgang Schneiderhan als Solist persönliches Profil verlieh. Gegen diese Meisterwerke hatte Erich Urbanners „Konzert für Klavier und Orchester“ einen schweren Stand. Viel Können und guter Wille entbehren hier noch der Vereinfachung und Klärung. Frieda Valenzi betreute den Klavierpart mit großem, Verantwortungsgefühl und stupender Technik. Die „Variationen für Orchester, op. 31“ von Arnold Schönberg sind in ihrer Verschmelzung verschiedener Stilelemente zu Dodekaphonik und persönlicher Aussage einmalig, jedoch ohne Mitlesen in der Partitur kaum ganz faßbar, zumindest nicht bei einmaligem Anhören am Schluß eines Konzertes moderner Musik. Bruno Maderna scheint mir immer mehr als der Dirigent neuer Musik. Die Symphoniker, mit allen Wassern der . Atonalität gewaschen, überwanden auch diese äußerst komplizierte Partitur.

Einblick in das Chorschaffen und -singen seiner Heimat gab der finnische Männerchor „Joesuun Mieslau-lajat“ aus Nordkarelien in seinem unter Ehrenschutz des finnischen Botschafters veranstalteten Konzert im Mozartsaal. Der 50 Mann starke Chor bewies in den Wiedergaben religiöser, volksliedhaf'er und Grbtil lyrischer Kompositionen ausgezeichnete Schulung. Abgestuftheit des Klanges, dynamische Vielfalt und sprachliche Exaktheit sind besonders lobenswert. Es bedeutet schon eine Fülle von intensiver Arbeit, ein mehrsprachliches Konzertprogramm auswendig zu singen, was der vorbildlichen Führung des ebenso bescheidenen wie energischen Chorleiters Pentti Keinonen in erster Linie zu danken ist. Von den Chören wirkten am unmittelbarsten „An das Lied“ von Yrjö Kilpinen, ein Solo mit Summchor (Solist Matti Tuloi-sela) sowie der „Gruß an den Mond“ von Jean Sibelius. Für die eindrucksvolle Wiedergabe von zwei polyphonen lateinischen Chören durfte sich der Wiener Komponist Franz Burkhart bedanken. Als Solisten wirkten noch Wiki Hukkanen (Tenor) und die Baritone Aimo Lep-pänen und Pentti Rantalainen mit sowie der Soloklarinettist des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters Rolf Eichler. Begeisterter Beifall des Publikums erzwang eine Reihe von Zugaben.

Das 4. Konzert des Musica-Nova-Zyklus des österreichischen Rundfunks bestritt das Wiener Ensemble für alte Musik „Les Menestrels“ in einer Programmparallele neuer Musik des 14. Jahrhunderts (Ars nova) und der Gegenwart. Ohne die Analogien buchstäblich zu nehmen, ergaben sich doch Berührungspunkte im Durchbruch neuer Klänge und Formen von damals und heute, und es lag ein besonderer Reiz darin, Werken von Philipp de Vitry, Dufay, Landini und Machault solche von Josef Mathias Hauer, Alban Berg, Erik Satie und dem jungen Konrad Lechner gegenüberzustellen. Marie TliCrese EscrlUa.no sah. sich slngenS vor nicht große, aber schwierige Aufgaben gestellt, die ihr untrügliches Stilgefühl meisterte. Der Klang alter Instrumente in verschiedenen Zusammenstellungen schuf die aparte Atmosphäre. Ihre Spieler waren Klaus Walter, Michel Walter, Alfred Hertel, Thomas Hürsch und Eleanor Sloan. Das Publikum folgte mit ehrlichem Interesse und dankendem Applaus den Ausführungen.

Das diesjährige Orchesterkonzert mit Werken von Raimund Weißensteiner, von Mäzenen und Freunden des Priesterkomponisten veranstaltet, wurde von den Wiener Symphonikern ausgeführt und von Kurt Rapf dirigiert. Zu Beginn erklang als Uraufführung eine 1966 entstandene Ciioral-Cixaconne über die erste Antiphon der „Landes“. Die 56 VarlatTonen cind in vüer feile zez-federt und rollen in so beflügeltem Tempo ab, daß das ganze Werk nur eine knappe Viertelstunde dauert. Infolge der Verbindung der Substanz des gregorianischen Chorals mit einer freien, aber keineswegs atonalen Harmonik gelangt Weißensteiner zu ähnlichen Wirkungen, wie etwa Hindemith in seiner „Mathis“-Sin-fonie. — Daß sich ein Komponist vom Rang Weißensteiners für einen mystischen Liederzy/clus keinen besseren Text wünschen kann als Verse von Angelus Süesius, ist begreiflich. Aber diese konzentrierten Zweizeiler sagen alle im Grunde dasselbe aus, was für eine Kantate — sie führt den Titel „Was Gott ist, weiß man nicht“ — zu wenig Kontraste ergibt. Weißensteiner hat die Verse von Silesius in acht „Blöcke“ zu 8 bis 18 Zeilen gegliedert, die man sich gleichfalls differenzierter wünscht. Auch dieses Werk ist reich an aparten Einzelschönheiten, etwa der Beginn des fünften Stückes („Gott gibt sich ohne Maß“), das sechste fast mit Scherzo-Charakter, vor allem aber das letzte („Die Ros' ist ohn' warum“), wo durch aufrauschende Harfen und Holzbläserläufe eine Stimmung erzeugt wird, wie sie Ravel in seinem Daphnis-Ballett („Levee du jour“) auf so glanzvolle Weise beschworen hat. Lawrence Dutoit mit ihrem schönen und weichen Mezzo war eine ideale Interpretin dieser Gesänge, deren Vortrag nicht nur künstlerische Intelligenz, sondern auch menschlichen Ernst erfordert. — Die bereits 1948 entstandene VII. Symphonie, die an dieser Stelle bereits besprochen wurde, hörten wir in einer „Neufassung“ — aber wir haben, ehrlich gestanden, keine wesentlich von der Erstfassung abweichenden Stellen gefunden. Diese dreisätzige Symphonie mit den Sätzen Adagio miste-rioso, Scherzo-Animato und Allegro dramatico ed appassionato hält in ihren einzelnen Teilen genau das, was die Titel versprechen und gehört zu Weißensteiners Meisterwerken. Gegenüber späteren Kompositionen zeigt sie eine bemerkenswerte Lockerheit der Handschrift. — Komponist, Dirigent und Orchester wur-

den im Großen Konzerthaussaal lebhaft gefeiert. Musik des 20. Jahrhunderts gab es auch im sechsten Konzert des Zyklus „Die große Symphonie“, das von Oliviero de Fabritiis geleitet wurde. Obwohl seit 30 Jahren ständiger Dirigent der römischen Oper und Gast an fast allen großen Opernhäusern der Welt (auch in Wien), dirigierte de Fabritiis aum erstenmal

ein Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde. Das brillante, typisch italienische Programm hätte auch von Toscanini sein können: Es wurde mit Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm Teil“ eröffnet, die die Wiener Symphoniker wohl schon lange nicht mehr gespielt haben; den zweiten Teil bildete Prokofteffs „Symphonie classique“ aus dem Jahr 1917 — ein in seiner Substanz und Struktur einfaches, ja gefälliges, für die Ausführenden aber überaus heikles Werk, und — als Abschluß — Respighis vierteiliges Tongemälde „Pini di Roma“ aus dem Jahr 1924, das mit der Palette der französischen Impressionisten überaus eindrucksvoll und raffiniert Kinderspiele vor der Villa Borghese, die Pinien vor einer Katakombe, den Gianicolo im Mondschein mit Nachtigallenschlag und den Marsch der römischen Legionen auf der Via Appia zeichnet. — Man sollte alle diese Stücke wegen ihrer in allen Farben leuchtenden Oberfläche nicht als „oberflächlich“ bezeichnen. Jedenfalls ist ein solches Programm, von einem Meister wie de Fabritiis geleitet, fürs Publikum ein reines Vergnügen. — Die Sensation des Abends hieß jedoch Victor Tretja-kow, der das Violinkonzert D-Dur von Tschcnkouiskij spielte. Der heute 21jährige begann sein Studium mit sieben Jahren in Irkutsk, übersiedelte aber bald nach Moskau, wo die besten russischen Pädagogen seine Ausbildung übernahmen. 1966 ging er als Sieger aus dem Tschaikowskij-Wettbewerb hervor und konzertierte seither, neben seinem Studium, auch schon in Italien und in Portugal. Der schlanke blonde Künstler mit dem Kindergesicht besitzt alle Voraussetzungen, und zwar in allerhöchstem Maß, einmal ein ganz großer Geiger zu werden. Was er an Technik, Intensität, Sicherheit und Ausdruck heute schon zu bieten hat, ist wahrhaft erstaunlich. — Dieser Tage ist Mischa Elman, aus Odessa gebürtig, gestorben. Fast zur gleichen Zeit tritt der junge Sibirjake, vom anderen Ende des großen Rußland, auf den Plan. Die Kette der großen russischen Geiger reißt nicht ab...

Wegen der Fülle von Veranstaltung gen während der abgelaufenen Berichtszeit können drei weitere Kammerkonzerte nur erwähnt werden: Im Mozartsaal spielte Otto M. Zykan sämtliche Klavierwerke von Arnold Schönberg und Alban Bergs Sonate op. 1; seinen Soloabend im Brahmssaal widmete Hans Kann ausschließlich Klavierwerken von Bela Bartök, und im gleichen Saal fand ein Joseph-Marx-Gedenkkonzert statt, in dessen Mittelpunkt die von Ella Kastelitz vorgetragene Frühlingssonate für Violine und Klavier D-Dur stand; zwei Liederzyklen sang August Gspandl, am Flügel: Siegfried Schmalzl und Lena Beran.

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