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Karajan, Krips und Hollreiser am Pult

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Der Kreis der großen Bruckner-Dirigenten ist sehr klein. Ferdinand Loewe und Franz Schalk gehörten dazu, Andreae und Schuricht sind in der Gegenwart die Vertreter dieser Tradition. Karajan nähert sich dem Phänomen Bruckner von der technischen Seite — und kommt sehr weit, wenn auch nicht ganz bis ans Ziel. Aufbau, Dynamik und — worin er sich besonders auszeichnet — Klang lassen keinen Wunsch offen. Er führt das großartig spielende Orchester der Symphoniker so, daß auch für die Choralapotheose des Finale noch Kraft übrigbleibt. (Gespielt wurde die Originalfassung der 5. Symphonie, die gegenüber der bisher gebräuchlichen besonders zahlreiche instrumentale Retouchen sowie Streichungen aufweist, im Finale z. B. weit über 100 Takte; beibehalten wurde der zweite Bläserchor.) Zu Beginn des Konzertes im Großen Musikvereinssaaal sang der kleine Chor des Singvereins unter Reinhold Schmid Bachs fünfstimmige Motette „Jesu meine Freud e“. Die Fuge „Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich“ und das Quartett „Gute Nacht, o Wesen“ waren Höhepunkte ausdrucksvoller und intonationsreiner Chorkunst, die um so höher einzuschätzen ist, als jede instrumentale Stütze fehlte.

Im Großen Musikvereinssaal leitete Josef Krips das 2. Konzert seines Beethoven-Zyklus. Auf dem Programm standen die Coriolan-Ouvertüre, die zweite und die fünfte Symphonie. Wie immer bei Krips erlebte man ein sauberes, kraftvolles und unkonventionelles Musizieren mit einer gewissen Neigung zum Unterspielen der dynamischen und dramatischen Höhepunkte. Mit bezug hierauf wurde Krips einmal als der Dirigent der „fallenden Pointe“ bezeichnet. Das Orchester der Symphoniker folgte sehr elastisch der straffen Führung. Großer Beifall für Krips und das Orchester.

Das 3. Konzert im Zyklus „Romantische Musik“ unter Heinrich H o 11 r e i s e r stand unter keinem glücklichen Stern. Da war zunächst das überlange Programm (außer einer Bruckner-Symphonie noch das Klavierkonzert in b-Moll von Tschaikowsky und Strawinskys 1908 entstandenes Orchesterstück „Feuerwerk"). Die Wiedergabe der Siebenten von Bruckner gelangte aus fast inkommensurablen Gründen und Details nicht bis zur Vermittlung jenes Erlebnisses, auf das es gerade bei Bruckner ankommt Sogar der Beckenschlag im Adagio und die Zauberflöte von Camillo Wanausek klangen glanzlos. György Sandor spielte den Solopart des Tschaikowsky- Konzerts mit harter Bravour und erhielt viel Sonderapplaus. Strawinskys Zwei-Minuten-Stück hätte man sich schärfer und blitzender gewünscht. (Es spielten die Wiener Symphoniker.)

Das von , Pąul Ą n g e r e r geleitete 3, Konzert des K a m m e r o r c h e s t e r S illustrierte die Entwicklung des Rezitativs von Antonio Caldara (Fragmente aus der Oper „Dafne“) über Joseph Haydn (Symphonie C-Dur mit großem Rezitativ der ersten Geige) bis Paul Hindemiths „Herodiade“ von 1944, mit dem Untertitel „Rezitation für Kammerorchester“ (Das Werk wurde anläßlich seiner Wiener Erstaufführung an dieser Stelle bereits besprochen). Dazwischen sang, das typisch akzentuierende ungarische Rezitativ exemplifizierend, Olga Levko-Antosch vier von Paul Angerer instrumentierte Lieder Zöltan Kodälys. Der junge Dirigent versteht nicht nur, interessante und anregende Programme zusammenzustellen, sondern realisiert die einzelnen Werke auch mit Geschmack und Autorität. Die Musik von Caldara wurde stellenweise zu streng exerziert und Haydn geriet etwas spannungslos. Die Hindertiith- Interpretation kam dem Ideal sehr nah.

Dietrich Fischer-Dieskau geht in seinen Liederabenden eigene Wege. Er kann es sich leisten, und wir sind ihm dankbar für die Wiederbegegnungen und Neuentdeckungen, die er uns dabei vermittelt. Wer kennt schon die „Zwölf Gedichte von Justinus Kerner“ in der Vertonung Robert Schumanns? In der vollendeten und ergreifenden Wiedergabe Fischer- Dieskaus könnte man sie für Meisterwerke halten, aber auch wenn sie nicht die künstlerische Höhe der Texte und der Musik des folgenden „Liederkreises nach Gedichten von Eichendorff“ halten, so lohnt es sehr, sie aufs Programm zu setzen. „Wärst du nicht, heil'ger Abendschein“, „Aus der Heimat hinter den Blitzen rot“, „Dämm'rung will die Flügel spreiten“ — es war die Stimmung echter deutscher Romantik, hintergründig und zwielichtig und voller Sympathie mit dem Tode, die die Zuhörer ergriff: ein Erlebnis, wie es uns im Konzertsaal selten mit solcher Intensität vermittelt wird. (Am prachtvoll klingenden Bösendorferflügel begleitete Günther Weißenborn.)

An diese Sphäre rührte auch der kraftvollmännliche Geiger Ricardo Odnoposoff in seiner Wiedergabe der Sonate op. 108 Nr. 3 von Johannes Brahms. Als Erstaufführung hörten wir im gleichen Konzert auch eine Violin-Solosonate von Francesco Geminiani-Corti (1680—1762), ferner eine virtuoseffektvolle Sonate des Brasilianers Heitor Villa- Lobos und die in Farben schwelgenden Stücke Notturno e Tarantella von Karol Szymanowski. Ein besonderes Lob gebührt dem holländischen Begleiter Gerard van Blerk.

Anläßlich der 100. Wiederkehr des Tages, an dem Wilhelm Kienzl in Waitzenkirchen das Licht der Welt erblickte, gedachten die Volksoper mit dem

„Evangelimann" und der Oesterreichische Rundfunk des Komponisten, dessen chorisches und instrumentales Schaffen in unseren Konzertsälen so selten geworden ist. Das Kennzeichen der öffentlichen Gedenkfeier im Großen Sendesaal war das unbedingte Vermeiden ausgefahrener Wege. So hatte man schon lange nichts aus der Oper „Das Testament“ gehört (Erstaufführung am 6. Dezember 1916 in der Wiener Volksoper) oder etwas aus der melodramatischen Allegorie „Sanctissimum“ (Premiere am 14. Februar 1925, Staatsoper). Vortreffliches bot der Wiener Männergesangverein unter der Leitung von Karl E11 i mit dem Landsknechtlied Opus 25, mit „Kreuzritters Heimkunft“ und ganz besonders mit dem a-cappella-Chor „Wanderers Nachtlied“. (Von den weiteren Mitwirkenden seien genannt: Traute Skladal, Hilde Rössel-Majdan, Rudolf Kreuzberger und Karl Weber.) Im vorraum des Sendesaales bot der Oesterreichische Rundfunk eine reichhaltige Ausstellung (zumeist aus Beständen der Wiener Stadtbibliothek) von Kienzl-Autographen.

Mehr noch als aus dem Liedwerk Schubert sind an seiner Kammermusik die Wesenszüge seines Lebens abzulesen. Bei der verhältnismäßig geringen Pflege dieser Seite des Schaffens, wo zudem meist bestimmte Stücke immer wieder gebracht und andere jahrelang ungespielt bleiben, ist es der Wiener Konzerthausgesellschaft sehr zu danken, daß sie die Quartette Schuberts in einer würdigen Interpretation durch das Wiener Konzerthausquartett (Anton Kamper, Carl Maria Titze, Erich Weis und Richard Krotschak) herausbringt. Was an der Wiedergabe diesmal besonders bestach, das war die dynamische Schattierung, die gut vorbereiteten Accelerandi und das Ausschwingenlassen der Melodie.

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