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Chor- und Orchesterkonzert

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„Oesterreichische Musik des 16. Jahrhunderts“ sang der Wiener Kammerchor, unterstützt von einem kleinen Instrumentalensemble, das sich teilweise alter Instrumente bediente, und brachte unter der hingebenden Führung Hans Gilles-b e r g e r s damit eines der lebendigsten Chorprogramme des Jahres. Die Befürchtung eines „historischen“ Konzertes erwies sich als unbegründet; aus jedem Werk spürte man die Verbundenheit der Gegenwart mit ihren Quellen, zumal die im Programmheft gedruckte Einführung von losef Mertin wertvolle Hinweise gab. Daß uns Ludwig Senfl, Jacobus Vaet und Gallus als die „Jüngsten“ des Programms, auch klanglich und geistig am nächsten stehen, ist selbstverständlich, überraschend aber war uns die Nähe der Kunst Paul Hoffhaymers (Salveregina für Orgel, gespielt von Anton Heiller, sowie das Chorlied „Meins Traurens ist...“) und Thomas Stolzers (37. Psalm), und ihr seltenes Erklingen verwunderlich. Die klangliche und stilistische Ausgewogenheit des Chores kann als vorbildlich gelten, die geistige Interpretation nicht weniger. Sie erreichte ihren Höhepunkt in der „Trauerode auf den Tod Kaiser Maximilians I.“ von Senfl..

Das Wiener Kammerorchester und der Akademie-Kammerchor vereinten sich unter Leitung von Günther The u r i n g zu einem geistlichen Konzert, das neben zwei kleinen Kantaten von Dietrich Buxtehude'die Missa Sanctae Caeciliae von loseph Haydn auf das Programm setzte. Die Rettung dieses wohl nicht ganz zu Unrecht selten gehörten Werkes für den Konzertsaal dürfte ein ebenso vergeblicher Versuch sein, als der einer Wiederaufnahme in den liturgischen Gottesdienst. Durch die von Haydn in seinen späteren Messen größtenteils (von Mozart völlig) überwundene Kantatenform in viele kleinere Nummern aufgelöst, wächst das Werk in die Länge und Breite, dieser Ausdehnung aber steht in der überwiegenden Kadenzfunktion eine harmonische Spah-nungslosigkeit gegenüber, wodurch die Teile ermüdend wirken. Die chorische Leistung war unbedingt sauber und durch den frischen Klang der jungen Stimmen einnehmend.

Erstaunliche Sicherheit eben im Stilistischen (und auch in der Sprachbeherrschung) bewies Camilla Williams (New York) in Sologesängen von Bach, Händel, Schumann, Mozart, Mahler und Richard Strauss. Die ausgezeichnet geschulte Stimme fügt sich ausdrucksmäßig allen textlichen Gegebenheiten, überzeugt in jeder Phase. Den Höhepunkt ihrer Wirkung erreichte die Künstlerin mit Liedern von Richard Strauss, was von besonderer Schmiegsamkeit zeugt — und in den ihr ureigenen Spirituals, von denen sie geschmackvollerweise keine ausgesprochenen „ Schlager“ wählte.

Im letzten öffentlichen Konzert des Oesterreichischen Rundfunks wurde die 4. Symphonie des seit seiner Emigration in Oxford lebenden Wieners Egon Wellesz uraufgeführt. Der Autor nennt sein Werk „Austriaca“,; es müßte aber genauer „Bruckneriana“ oder *,Floriana“ heißen. Denn diesem Stil zeigt sich Wellesz vor allem verpflichtet, Das knapp halbstündige Werk ist vier-sätzig. Nach einem energisch fugierten Allegro folgt' ein motorisches Scherzo im Neunachteltakt mit Trio, hieiauf ein „singendes Adagio“ mit ausdrucksvoll deklamierenden 1. Violinen, darunter die für Bruckner so charakteristischen tiefen Kontrabäß-Pizzicati, schließlich ein Allegrq-Finale in kunstvoller kontrapunktischer Arbeit' über - ein Zwölftotithema. Plastische Melodik und klare Formen zeichnen diese vorletzte Symphonie von Wellesz aus, bei deren Beurteilung sich der Rezensent — ohne Partitur — ganz auf die Darbietung durch Rudolf M o r a 11 und die Symphoniker verlassen mußte. Hier freilich bestand Grund zu einigem Mißtrauen, denn die zur Eröffnung des Konzerts gespielte symphonische Dichtung „Don I u a n“ von Richard S t r a ü s s klang schwunglos und ungenau. Mit edlem Ausdruck und einer klangvoll-weichen Altstimme sang Ira M a 1 a-niuk die „K i n d e r t o t e n 1 i e d e r“ von Gustav Mahler. Die teils unruhige, teils mechanische Begleitung hat sie mehr gehemmt als im Vortrag gefördert.

Die Wiener Symphoniker unter Rudolf M o r a 11 waren auch die Ausführenden zweier Konzerte, welche die Gesellschaft der Musikfreunde für die Jeunesses Musicales und den Oesterreichischen G e w e r k s c h a f t s b u n d veranstaltete. Bemerkenswert, wie beifällig die beiden modernen Werke von diesem, hauptsächlich aus Nichthabitues bestehenden Publikum aufgenommen wurden. Carl Seemann spielte mit männlichem Ausdruck und rhythmischer Festigkeit das meisterlich-reife 3. Klavierkonzert von B a r 16 k. Einems Orchestermusik op. 9 haben wir allerdings schon präziser und eindrucksvoller gehört.

Der junge holländische Dirigent Lorin M a a z e 1 hat im 2. Konzert des Zyklus „Meisterwerke der romantischen Musik“ sich, dem Publikum und dem • Orchester ein überdimensioniertes und ungewöhnlich schwieriges Programm zugemutet. Vier Bruchstücke — aber von welchem Umfang! — aus der dramatischen Symphonie „Romeo und Julia“ von Hector B e r 1 i o z wirken, wie vieles von diesem Superromantiker, genial durch die Größe des Konzepts und dilettantisch infolge eine.r gewissen Hilflosigkeit bei der Realisierung des literarischen Programms. Trotzdem hat nicht nur das Orchester “(mit sechs Schlagwerkern und vier Harfen) Shakespeare-Format. — Maurice G e n d r o n hat das Verdienst, Prokofieffs Crllokonzert op. 5 in Wien erstaufgeführt zu haben: ein eigenartig sprödes Werk, dessen Orchesterpart sehr ausgespart ist und fasc fragmentarisch, wirkt, womit ein .Solo .kontrastiert, wie wir es so anspruchsvoll und vertrackt wohl noch nie gehört haben. — Alexander Skrjabin (1872—1915) ist mit seiner Ekstatik, Mystik und seinen messianischen Ideen Urrusse, seine Musik dagegen stellt den extremen Fall von Westlertum dar. Mit dem Riesenorchester, das u. a. acht Hörner, fünf Trompeten und zwei Harfen umfaßt, mit seiner Ueberchromatik, der Quartenharmonik, sieben-tenigen Akkorden und Polyrhythmik steht er zwischen Wagner-Debussy und Messiaen. Sin „Poeme de 1' E x t a s e“ ist trotz artistischer und formaler Mängel ein großartiges Werk durchaus sui generis und sollte nicht so selten erklingen. Wir danken Lorin Maazel und den Wiener Symphonikern für eine sehr eindrucksvolle Aufführung.

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