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„Zarewitsch“ — hier, „Kunst der Fuge“ — dort

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In diesen Tagen begeht die Volksoper ihren 60. Geburtstag, d. h. den ihres Gebäudes, des „Kaiserjubiläums-Stadttheaters“. Sie erinnert an dieses Datum durch ein umfangreiches Programmheft mit einigen interessanten Beiträgen. Weniger festlich und der Tradition des Hauses entsprechend war die Wahl des neuen Stückes, zumal, wenn man in eineni der Festartikel liest, es handle sich „bei der Existenz unserer Volksoper um ein Stück der geistigen Eigenexistenz der Stadt Wien und Oesterreichs überhaupt“. — In Franz L e h ä r s Operette „D e r Zarewitsch“ sind die verschiedenartigsten Ingredienzien zu einer unguten Mischung miteinander verbunden: falsches Pathos und Sentimentalität, Pseudohistorie und exotisches (russisches) Milieu. Der Text ist von jener Art, die etwa in der Sentenz des Titelhelden gipfelt: „Hast du dort oben vergessen auf mich? — Es sehnt ja mein Herz nach Liebe sich!“ — Dagegen enthält die fein und wirkungsvoll instrumentierte Partitur einige wirklich hübsche Nummern, so etwa die Tanzcouplets des Buffopaares im ersten und im zweiten Akt oder den Tango im' ersten Bild. Unter der Leitung von Anton P a u 1 i k hat das Volksopernorchester sauber musiziert, von den drei Bühnenbildern Wolfgang Skalickis konnten zwei gefallen; sehr dekorativ waren die Kostüme Hill Reihs-Gromes und die Ballettszenen von Dia Luca, bestens besetzt die Mauptpartiea mit PerßfOn!nden. Fred Hennings', Bieaiier fMrieider, Rfch-'KtfchdmftTfllwaTffi berg, einem Filmgast aus Deutschland. Spielleitung: Alexander Pichler. — Das Premierenpublikum hat dem Werk eine freundliche Aufnahme bereitet.

H. F.

Als Frau Potiphar in der „Josephslegende“ von Richard Strauss nahm Julia Drapal Abschied von der Staatsoper und schuf noch in der letzten Darstellung dieser von ihr oft verkörperten Rolle ein Meisterwerk mimischer Charakteristik. Mit sparsamen, aber überzeugenden Gesten wird hier mehr getan als Worte vermöchten. Ihre bei Josefs Anblick aus kalter Starre langsam erwachende Begierde, die sie mit knapper Handbewegung die Figur des Jünglings in der Luft nachzeichnen läßt, trägt stärkste dramatische Spannung und nimmt die Tragödie gleichsam als Epigramm voraus. Mit Frau Drapal scheidet eine große darstellerische Persönlichkeit aus dem Staatsopernballett. F. K.

Prokofieffs „Klassische Symphonie“ von 1918, eine teils ironische, teils gefühlvolle Huldigung an die große Form und den Geist der Vergangenheit, -vor allem an Haydn, ist. ein heikles Vortragsstück. Es geriet in dem von Heinrich H o 11 r e i s e r geleiteten Konzert der Wiener Symphoniker etwas zu gewichtig und nicht immer ganz präzis. — Und wer war wohl der Initiator des überbreiten Tempos im Adagio von Brahmsens 1. Klavierkonzert in d-moll, der Dirigent oder der Solist? Im übrigen spielte Jacques Klein den gewaltige Kraft erfordernden Part technisch brillant und mit einem gebändigten Ausdruck, dem es aber weder an Intensität noch an Zartheit fehlte. — Im zweiten Teil des Konzerts: Beethovens „Fünfte“. Viel Applaus für alle Beteiligten.

Im Mozartsaal des Konzerthauses sang Emmy Loose, begleitet von Dr. Erik W e r b a, fünf Gruppen zu je vier Liedern von Hugo Wolf nach Gedichten von Mörike. Die Auswahl war klug getroffen und berücksichtigte ziemlich genau jene Ausdrucksgrenze, welche die Sängerin eben noch erreicht. Während die inhaltlich leichteren (aber musikalisch meist recht schwierigen) Stücke gut gelangen, verwechselte die routinierte Bühnenkünstlerin da und dort bei anderen Liedern Ausdruck mit Schauspielerei. Einige harte Ansätze und unsicher auslaufende Schlußtöne waren wohl auf zeitweise Indisposition zurückzuführen. Erik Werba am Klavier war nicht nur Begleiter, sondern auch Mitgestalter dieser komplizierten und anspruchsvollen Liedkunstwerke. H. F.

Das Barockensemble der Musikalischen Jugend, das schon einige Muie zeigte. wie man die ausgefahrenen Geleise des üblichen Musikbetriebes meiden kann, hat in der akustisch gut geeigneten, weiten Hallenkirche von Sankt Rochus auf der Landstraße Stunden intensiver Versenkung in den Geist alter Musik geboten. Gerhard Kramer, bekannt durch seine Tätigkeit mit dem Convivium Musicum, dirigierte das kleine, aber gut eingespielte Orchester. Eine Seltenheit, der man sonst kaum je begegnet, war die Kantate „Regina coeli“ des Kaisers Josef I. Im „Resurrexit“ kam der Sopran Maria Daveluys besonders sicher über die Klippen der Partitur hinweg.

Ein Mischung alter und neuer geistlicher Musik bot der Madrigalchor Sankt Veit. Sein Leiter, Xaver Meyer, Absolvent der Abteilung für Schulmusik der Akademie und gegenwärtig Dirigent eines Chores der Wiener Sängerknaben, sieht seine Hauptaufgabe in der Pflege der alten und neuen, geistlichen und weltlichen Chormusik. Der gemischte Chor verfügt über etliche hörenswerte, vorbildlich akzentuierende Soprane, über lyrische Männerstimmen, die dem Chor das ihm eigene, überaus weiche Gepräge verleihen. Am besten gelangen die drei Motetten von Bruckner, die Missa „Rosa mystica“ von Lech-thaler und drei kleine geistliche Chöre von Anton Heiller, der den starken Beifall des gut besuchten Mozartsaales entgegennehmen konnte.

Auch die Sängerschaft „W a 11 h a r i a“, der sich das Orchester der Pvh i 1 h a rmnqi'Hjnn9 rid,' zneeselrtier'bot airfigeistliEhentijSabietntrrJt 'dem 150. Psalm Bruckners sein Bestes. Dieser Chor besitzt ausgeprägten Sinn für dynamische Steigerungen. Der Dirigent des Abends, Bruno Wind, hatte beim Klavierkonzert in e-moll von Chopin (Solist: Karl Wagner) einigermaßen Mühe, den Zusammenhang zu wahren. Die „Erste“ von Beethoven blieb konventionell. .

Das Festkonzert des W i e n e r - L e h r e r-a-capella-Chores anläßlich der 1000. Auffuhrung und des 45jährigen Bestandes zeigte unter der tüchtigen Leitung Alois Apfelauers, der dem Chor seit 1956 vorsteht, einen sehr beachtlichen Leistungsanstieg. Zum Fest gehören Festgeschenke, und diese repräsentierten sechs Uraufführungen: der Männerchor „Wir Bauern“ von Hans Bauernfeind, „Nachtmusikanten“ von Ernst Tittel (mit Witz, Laune und Munterkeit der Erfindung), der gemisdite Chor (seit 1949 gehört 2u den „Lehrern“ auch ein Frauenchor) „Noch liegt das Land in Sonne von Fritz Skorzeny, sparsam in den Mitteln und bedacht auf poetische Wirkung, schließlich die neuen Volksliedsätze von Alois Apfelauer für Knabenchor: (Bundesrealgymnasium Wien XXI).

Das Ensemble Wolfgang von Karajan (mit Hedy von Karajan und Oskar Peter) spielte auf zwei Positive und einem Contrapositiv im “Großen Musikvereinssaal „Die Kunst der Fuge“ von J. S. Bach. Die Gruppierung der Kanons erfolgt nach Graeser und Schwebsch, die Schluß-Quadrupelfuge ist nicht zu Ende ausgeführt. Die neubarocken Positive gehen natürlich allen Romanti-zismen aus dem Wege. Sie können höchst differenziert kennzeichnen. Mit der Verwendung der näselnden und schnarrenden Register muß man sich abfinden — die Tiefen klingen nicht voll, sondern obertonlos u;:d nehmen an den entsprechenden Stellen viel von der Stimmung, die sich nach dem geistigen Bereich hin nur zögernd einstellte.

Mittelpunkt des Kammermusikabends, den das Musikvereinsquartett gab, war das 1940 komponierte Klavierquintett von Schostako-witsch. Das einprägsame, publikumsgängige Werk, das 1941 den Stalinpreis erhalten hat, wurde besonders in den Partien, wo kompakter Streicherklang mit hohen Klavierlagen kontrastierte, vortrefflich gespielt (Klavier: Walter Klien).

Das E b e r t -T r i o bescherte bis zur Pause einen gepflegten, etwas blaß geratenen Kammermusikabend. Bei Dvöfäks Dumky-Trio fehlte der zündende Funke. Schuberts B-dur-Trio war in Andante ein wenig zu sachlich, und zum Schluß gab es bei der Geigerin ein kleines Mißgeschick. Das dürfte die Spieler so irritiert haben, daß die beiden letzten Sätze vollends aus dem Rahmen fielen.

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