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Souveräne Partiturkenntnis

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Goethes „Faust — der Tragödie zweiter Teil“ ist wahrhaft eine Riesenpartitur mit Kopf- und Seitenthemen mit schwersten Durchführungsteilen, mit eingestreuten Episoden, mit Variationsreprisen, mit Adagio- und Scherzosätzen, mit einem Finale in Modo religioso. Nur ein großer Spielleiter kann sie meistern, der auch die Striche, die Kürzungen vor seiner Autoren- und Publi-kumskenntnis verantworten muß. Leopold Lindtberg, der „Dirigent“ dieser Goethe-InSzenierung im Kleinen Festspielhaus (dessen Akustik das denkbar beste Zeugnis ausgestellt werden muß!), hat von den siebentausend Versen rund viertausend gestrichen. Was blieb, dauerte immerhin an die vier Stunden und hatte nicht einen einzigen gewaltsamen Übergang. Was fiel, waren vor allem jene Szenen, die „kaum mehr darstellbar sind, wenn man nicht in eine Ausstattungsoper verfallen will“ (Lindtberg); ferner jenes „Bildungsgestrüpp“, das „den Zuhörer zwingen würde, ein Lexikon in die Vorstellung mitzubringen“.

Lindtberg hat seine „Faust“-Erfahrun-gen: seine Züricher Inszenierung beider Teile mit Wiemann und Ginsberg steht frisch in der Erinnerung aller, die sie erlebt haben. Auch hier in Salzburg gelang es dem Regisseur, Goethes Vorgriff auf Stilmittel späterer Zeit seiner Einrichtung nutzbar zu machen und die modernen Züge des Dramas — beispielsweise Fausts Auseinandersetzung mit dem sozialen Problem, den Triumph des Bluffs (um nur einzelnes zu nennen) — unaufdringlich zu unterstreichen. Lindtberg hatte sich wiederum mit Teo Otto, dem hervorragenden Bühnen- und Kostümbildner, verbunden, die Musik — in allen notwendigen Stilen daheim — komponierte Rolf Langnese, die Choreographie besorgte Dore Höver, und Ellen Widmann hatte die Sprechchöre einstudiert. Schon vom Konzept her, erst recht in seiner Verwirklichung, kam es zu einem bedeutsamen Abend des deutschsprachigen Theaters und des seit Reinhardts Tagen erstmalig wieder zu voller Bedeutung aufgerückten Schauspiels im Rahmen der Salzburger Festspiele.

Leider enttäuschte der für Salzburg neue Darsteller des Faust: Thomas Holtz-m a n n. Für diese Rolle fehlt ihm die Universalität, er ist und bleibt ein Grübler ohne tiefergreifende Modulationsmöglichkeiten. Als Mephisto feiert Will Quad-flieg verdienten Triumph. Er hat nun zur Gärize seinen eigenen Weg zu dieser Aufgäbt-gefunden und bietet schlechtweg ErfülIüHg.v Detlev Jacobsen ist ein gut sprechender Ariel, Wolfgang Stendar der herrische Kaiser, Paul Hoffmann sein Kanzler von Format. Die Herren Janatsch, Geisler und Tichy verkörpern gewichtig die maßgeblichen Männer am Hofe. Als Herold wirkt überlegen Erik Frey, die Parallele vom „Knaben Wagenlenker“ zum entschwindenden Euphorion wird fürs große Publikum schon aus der Besetzung beider Rollen mit Karlheinz Martell sichtbar. Bruno Dallansky ist ein robuster Baccalaureus, Joachim Teege spielt den verdutzten Wagner. Margaret Carls Stimme (bei ihr spürt man die auch sonst allzu tark vorhandenen Dialekthintergründe der Sprache am stärksten) erfährt als Homun-culus kluge technische Veränderungen. Paul Hartmann bietet dagegen als Chiron ein reines Sprachvergnügen, Erna Korhels Einfühlung gilt der Manto, Sonja Sutter wächst in die Helena hinein. Paul Schöffler singt und spricht den Lynkeus. Zwei weiteren Berühmten der alten Generation begegnet man als Philemon und Baucis: Rudolf Forster und Mila Kopp. In der Schlußszene finden sich Gisela Mattishent (Mater gloriosa), Helmut Janatsch (Pater ecstaticus), Paul Hartmann (Pater profundus), Margaret Carl (Magna peccatrix), Gertrud Ramlo (Mulier Sama-ritana), Roswitha Posselt (Maria Ägyptica) und Aglaja Schmid als Una Poenitentium eingesetzt. Ob Hofgesellschaft oder Nymphen, Lamien, ob Phorkyaden oder Le-muren, ob Sorge — Alma Seidler gibt ihr Bedeutung — oder Philosophengestalt (Benno Sterzenbach hebt den Änaxagoras aus der Fülle der Gestalten heraus): alles in allem ein mächtiges und prächtiges Ensemble von jener Einheit in der Mannigfaltigkeit, die das Faust-Drama speziell in seinem zweiten Teil braucht. Leopold Lindtbergs Triumph wäre vollständig, könnte nun binnen Jahresfrist ein Faust-Darsteiler gefunden werden, der beiden Teilen (wie sie nebeneinander für den Sommer 1964 geplant sind) gerecht zu werden imstande ist.

Mit dem „R o s e n k a v a 1 i e r“ begannen eigentlich erst so recht die Salzburger Opernfestspiele. Auch hier ist dem Führungsteam hohe Anerkennung sicher. Herbert von K a r a j a n hatte einen ausgesprochen inspirierten Premierenabend, Rudolf H a r t m a n n s Regie, Teo Ottos Bühnenbilder, Ernie K n i e p e r t s Kostüme sorgten für eine in sich runde Aufführung. Elisabeth Schwarzkopf mit ihrem beseelten Parlando in der (Marschallin-) Rolle ihres Lebens, Otto Edelmann als erfreulich gedämpfter Ochs von Lerchenau, Sena J u r i n a c. längst in der Titelrolle daheim, Anneliese Rothenberger als ideale Spohie sind Begriffe für das Weltpublikum, das sich nicht grundlos zu „Faust“, zum „Rosenkavalier“ und zum (noch ausständigen) „Troubadour“ drängt. Die souveräne Partiturkenntnis Karajans machte den Abend auch in seinen kleinsten Episoden zusammen mit der Leistungsfreude der weiteren Rollenträger und der Philharmoniker sowie des Staatsopernchors zu einem Genuß.

In der Felsenreitschule kam es zur letzten Premierenbegegnung mit Glucks „Iphigenie in A u 1 i s“. Günther R e n n e r t, der kluge Regisseur des Abends (der auch die deutsche Bühnenfassung nach Glucks letzter Partitureinrichtung von 1775 gemeinsam mit Paul Friedrich herstellte), hatte zwei Striche gemacht, die der Straffung der Partitur (die wieder

Karl Böhm meisterlich beherrschte) sehr zugute kamen. Leider hält die Choreographie und die Besetzung einiger Rollen nicht das gleich hohe Niveau. Christa Ludwig und Walter B e r r y prägen unvergeßliche Bühnengestalten.

Die Reihe der Orchestcrkon-zer'te setzte mit 'musikalischem Schwung (Tschechische Philharmonie unter Karel A n i e r 1 mit einem reinen D v o f ä k -Programm) und mit grüblerischem Ernst (der großartige Zubin M e h t a an der Spitze der Wiener Philharmoniker stellte Brahms' Violinkonzert mit M i 1 s t e i n als gleichgestimmten Solisten und Bruckners würdig musizierte „Neunte“ gegenüber) ein; George

S z e 11, der Klassizist, setzte mit einem Beethoven-Abend der Tschechen fort, sein Solist war Rudolf F i r k u s n y, der das c-Moll-Klavierkonzert meisterte.

Hermann P r e y (mit Günther Weissenborn) und Dietrich Fischer-Dieskau (mit Gerald Moore) widmeten sich in ihren glanzvoll-festlichen Liederabenden (hier gab es eine Stunde lang acht Zugaben, dort ihrer sechs.') Schubert und Richard S t r a u s s. Die beiden ersten Kammerkonzerte waren den Zagreber Solisten unter J a n i g r o überantwortet, die sich nach Solokonzerten von Vivaldi, Boccherini und Tartini der Musik der Gegenwart widmeten: Hindemiths Trauermusik packte, Anton Weberns Fünf Sätze für Streicher habe ich noch niemals so vollendet interpretiert gehört, und Schostakowitschs Scherzo aus op. 11 ist ein blendendes, ein wirksames Stück. Das Ungarische Kammerorchester widmete sich, nach alten Meistern, Bartöks Divertimento. Nathan M i 1 s t e i n setzte die Solistenkonzerte mit einem gemischten Programm fort, das seinen Höhepunkt in der gemeinsam mit Walter Klien weiträumig symphonisch musizierten Brahms -d-Moll-Sonate hatte. Die zweite Pau in gart n'er-Matinee mit der Camerata academica brachte neben Konzertarien, die Hilde G ü d e n anvertraut waren, die selten zu hörende Sinfonia concertante, für deren Soloparte das Bläserquartett der Philharmonia Hungarica einstand. Einen exzellenten Mozart-Stil entwickelte auch I a n i g r o an der Spitze seiner Zagreber Solisten in der zweiten Se r e n a d e.

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