6701963-1963_34_15.jpg
Digital In Arbeit

Die Niederländer brachten Neues

Werbung
Werbung
Werbung

Den Jedermann’ müssen Sie sehen und den Karajan. Die diversen Opern und Symphonien haben Sie anderswo auch.” So instruierte ein bundesdeutscher Festspielbesucher am Residenzplatz seinen eben dem Auto entstiegenen Geschäftsfreund. — Nun, der Mann hat nicht ganz recht, denn sowohl Karajan wie den „Jedermann” gibt es anderswo auch „zu sehen”. Aber so ist nun einmal Art und Urteil eines Großteils des Touristenpublikums. Ihm bietet das reichhaltige Festspielprogramm fünf Wochen lang viel und vielerlei, und es kann jeder voll und ganz auf seine Rechnung kommen, auch wenn der „Jedermann” verregnet (was heuer erfreulich selten geschah) und wenn er für Karajan keine Karten mehr bekommt. Auf seine Rechnung kommt aber auch der anspruchsvollere und der sehr anspruchsvolle Gast.

Da sind zunächst die bereits ante festum bemängelten, sich im Verlauf der Festwochen aber bestens bewährenden Opernreprisen: der Gluckschen „Iphigenie”, der Mozart-Opern „Cosi fan tutte”, „Entführung” und „Figaro”, des „Troubadours” vom vergangenen Jahr und des „Rosenkavaliers”, mit dem das große neue Festspielhaus eröffnet wurde. Da ist ferner der Zyklus von acht Orchesterkonzerten unter Ancerl Mehta, Szell, Sawallisch, Kertesz, Maazel, Georgescu und Karajan mit Solisten vom Rang eines Milstein und Schneiderhan. Und da sind die Kammerkonzerte, Serenaden und geistlichen Konzerte sowie die Liederabende von Prey, Fischer-Dieskau und Souzay, von Christa Ludwig, Irmgard Seefried und Elisabeth Schwarzkopf, schließlich die Solistenabende und die Matineen: im ganzen eher zuviel als zuwenig. Und da gab es, mehr für Kenner als für Liebhaber, eine zwar umstrittene, aber interessante Neuinszenierung der „Zauberflöte” durch Otto Schenk mit Bühnenbildern von Jörg Zimmermann und Kostümen von Hill Reihs- Gromes. Auf eine zeitgenössische Oper hatte man heuer — nach den wenig ermutigenden Erfahrungen der vergangenen Jahre -l verzichtet. Aber das Niederländische Nationalballett brachte “an drei Abenden Novitäten die Fülle: fünf von insgesamt elf Stücken waren, zumindest für Salzburg, neu und vermittelten einem interessierten Publikum eine Impression vom modernen Tanztheater. n a 1 b a 11 e 11, das von Sonja G a s k e 11, einer ebenso bedeutenden wie interessanten künstlerischen Persönlichkeit, geleitet wird, besitzt, wie man weiß, ein Riesenrepertoire. Was die Holländer in Salzburg zeigten, waren Proben daraus. Die geschickt zusammengestellten Programme vereinigten jeweils ein klassisches Standardwerk mit einem oder zwei modernen (der mehr abstrakten oder der symbolisch- expressiven Richtung) und schlossen jeweils mit einem Handlungsballett ab. Zur ersten Gruppe gehören die „Serenade” von Tschaikowsky und die Symphonie in C von Bizet in der Choreographie Balanchines sowie die „Suite en blanc” von Serge L i f a r nach Musik von E. Lalo. Hier brillierten die ausgezeichneten Solistinnen mit Marianna Hilarides, Sonja van Beers, Maria Silvaine, Panchita de Peri und Kathleen Smith an der Spitze, gegen die die männlichen Tänzer etwas abfielen. Das Corps de Ballet erwies sich als von guter zweiter Klasse, mit bemerkenswerter Disziplin, aber ohne die Brillanz der großen Luxusballette, die wir kennen, etwa der Balanchine- oder der Cuevas-Truppe. Die drei Handlungsballette („P e t r u s c h k a” von Strawinsky in der bekannten Choreographie von F o k i n e und Massine mit den ebenso bekannten Bühnenbildern Alexandre Benois, Bartöks „W underba- rer Mandarin” und „Der Gefangene aus dem Kaukasus” nach der Gajaneh-Musik von Chatchaturi a n) gerieten weder sehr dramatisch noch sehr eindrucksvoll, teils wegen Fehlbesetzungen der Hauptpartien, teils wegen allzu dürftiger Ausstattung. (Sowohl „Petruschka” wie den „Mandarin” haben wir an der Wiener Staatsoper in Ausführung und Ausstattung besser gesehen.) „Die vier Te m p e r a m e n t e” nach Musik von Hindemith wurden in der bei uns gleichfalls bekannten Choreographie Balanchines vorgeführt und machten, trotz ihrer mehr gymnastischen als charakterisierenden Deutung, einen guten Eindruck.

Eigenwillig und interessant, in ihrer antroposophisch-theosophischen Symbolik nicht immer ganz klar, aber stets fesselnd und mit einem bemerkenswerten Sinn fürs Dekorative produziert, waren die eigentlichen Novitäten. „Jungi e” auf elektronischer Musik von Henk B a d i n g s, in der originellen Choreographie von Rudi van Dantzig und modem-abstrakten Bühnenbildern von Toer van S c h a y k ist in seinen vier Sätzen (Neuer Tag. Hitze, Halbdunkel, Nacht) ein typisches Zeugnis existentieller Kunst. „S h i r a h” nach Musik von Hovhaness, mit ungewöhnlich schönen Bildwirkungen von Pearl Lang ausgestattet und choreogaphiert, zeigt in tänzerischen Symbolen das Widerspiel von Welt und Menschenherz. Der weitaus kühnsten, nämlich seriell-punktueller Musik von bedeutender Ausdruckskraft und schillernder Farbigkeit (Ton de L e euw) bedient sich das von den gleichen Künstlern geschaffene und ausgestattete Ballett „Schatten”. Ihren stärksten modernen Trumpf spielten die Holländer an ihrem dritten und letzten Abend aus. Alle uns bisher bekannten opernhaften und tänzerischen Interpretationen des Persephone -Mythos sind von edler Langeweile. Nichts davon ist in dem phantasievollen, den Mythos eigenwillig, aber originell interpretierenden Ballett von Pearl Lang zu spüren, zu dem Meyer Kupferman eine, äußerst wirksame, von großen Vorbildern nicht ganz unabhängige, aber hundertprozentig tänzerische Partitur geschrieben hat, die das bei den Modernsten so sehr vernachlässigte Lebenselement des Tanzes, nämlich das i EOftÜB weder zu’ “feinem Recht kommen läßt.

Angefangen von dem das Ballett eröffnenden Sacre der in zartem Grün gewandeten jungen Mädchen über die ebenso effektvollen wie künstlerisch wohlüberlegten Verwandlungen der Szenenbilder bis zur keineswegs heiteren, sondern eher schatten- umdüsterten Rückkehr der Persephone, bot dieses Ballett mehr an eigenartiger optischer Schönheit, als man gemeinhin auf der Musikbühne zu sehen gewohnt ist. Übrigens ist Pearl Lang eine langjährige Schülerin der großen Martha Graham, und in ihrem Werk ist viel von dem faszinierenden, komplizierten und vielfach gebrochenen Wesen der großen amerikanischen Künstlerin zu spüren, die als Primadonna dafür dienen kann, wie das Land, welches sie vertritt, von einer primitiven Stufe, ohne wesentliche historisch-kulturelle Leistungen, direkt in die Dekadenz geraten ist, deren Farben schillernd und verführerisch sind. Sie entbehren nicht eines hohen artistischen Reizes, und hierfür scheint sowohl die Choreographin Pearl Lang sowie die Leiterin der Truppe, Frau Sonja G a s k e 11, einen sehr subtilen Sinn zu haben. Daß diese ihre Kunst mit malerischen Elementen des Jugendstils, etwa in der Art Hodlers, verbunden wird, bildet für uns, die wir beginnen, den Jugendstil neu zu entdecken und ein wenig zu rehabilitieren, einen Reiz mehr. Die vielen, größtenteils recht schwierigen Partituren wurden vom Mozarteum-Orchester’unter der Leitung Andrė Pressers mit bemerkenswerter Akuratesse ausgeführt.

Die drei Abende der Niederländer fanden im renovierten beziehungsweise adaptierten Alten Festspielhaus statt. Den beiden Architekten Dr. Hans H o f m a n n und Dr. Erich Engels ist es gelungen, die Akustik und die Sichtverhältnisse zu verbessern, wenn auch noch nicht ideal zu gestalten. Der Raum hat eine einheitlich warmbraune föntmg?: di£ düfoäb dfCRötgefarbenäfti-Sitze ttnü-d ’ lebhaften ‘ Intarsienschmucferi von Slavi S oi u c e k : an dert Balkons aufgelockert wird. Bestens sind die neuen Pausenräume gelungen: ein freundlich-geräumiges Foyer, das durch eine monumentale Orpheus-Plastik von Hrdlicka und einen dekorativen Wandteppich von Kokoschka geschmückt ist. Durch Verkürzung des Zuschauerraumes wurden die Sitze von 1700 (im alten Haus) auf rund 1300 reduziert. Dafür gibt es 60 zusätzliche Stehplätze — eine zwar etwas unfestliche, aber der Zeit entsprechende „demokratische” Einrichtung.

sehen. Kirchner, allen neuen künstlerischen und Umweltseinflüssen aufgeschlossen, verleugnet in seinen farbigen Arbeiten nicht die Zeitgenossenschaft mit den Fauves, eine sensible Flüchtigkeit, die nur das Wesentliche der Erscheinungsformen treffsicher ins Bild projiziert, verleiht seinen Werken ihren besonderen Reiz, Es ist die Kunst eines Großstädters aus der Zeit unmittelbar vor 1914. Diese kleine Schau bei Welz eröffnet am Beispiel einer bedeutenden Einzelpersönlichkeit einen interessanten Einblick in eine der Entwicklungsphasen der deutschen Malerei zu Beginn unseres Jahrhunderts.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung