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Große Symphonie, Bach-Chor und Musica Nova

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Im Großen Musikvereinssaal wurde der Zyklus „Die große Symphonie“ mit einem Konzert eröffnet, das dem Namen dieser Reihe alle Ehre macht. Schuberts „Unvollendete“, dieses 'vollkommenste Fragment der musikalischen Weltliteratur, und M a h 1 e r s geniale 2. Symphonie (mit dem Auferstehungschor), die den Komponistenruhin des damaligen Hamburger Kapellmeisters begründete, standen allein auf dem Programm. Josef Krips schien durch seine äußerst zurückhaltende, gedämpfte und gleichsam unterbelichtete Wiedergabe zeigen zu wollen, daß Schubert die vielen Drücker, Rftardandi und sonstige sentimentale Zutaten nicht benötige, um die ergreifendste Wirkung zu erzielen. Eine Meinung, der man sich ganz und gar anschließen kann. Von Krips als Mahler-Dirigent sind wir seit den ersten Konzerten im Frühjahr 1945 überzeugt. Die Soli waren mit Hannelore S t e f f e k und Jean Madeira recht originell besetzt; der Singverein, genau studiert und klanggewaltig, bewährte sich wieder einmal glänzend/ Im Orchester gab's bei der Mahler-Symphonie kleine Unebenheiten (Hörner, Harfe und Kontrabässe).

Auch das erste Konzert des Zyklus' „Meisterwerke der romantischen Musik“ hielt sich streng an den programmatischen Titel. Merkwürdig, wie in fast allen Kompositionen Qsar Francks, so auch in den vier Stücken aus dir symphonischen Dichtung „Psych e“, gewisse harmonische und melodische Grundfiguren der Meistersonate (für Violine und Klavier) dieses originellen und diskreten Komponisten immer wiederkehren'. — Alexander Bfailowsky hob als Solist des Klavierkonzerts von Schumann die träumerischen Lyrismen dieses romantischesten aller Instrumentalkonzerte mit zartem Nachdruck hervor. — Bei der Wiedergabe von Borodins 2. Symphonie, einem effektvollen, folkloristischen und ein wenig theatralischen Werk, war der Dirigent des Konzerts, Berislav K 1 o b u c a r, ganz in seinem Element. Solist und Orchester (Wiener Symphoniker)-vereinigten sich noch einmal im Schlußstück dieses Konzefts, in L i s z t s „T o t e n t a n z“. Mit dieser ganz auf äußerliche Virtuosität angelegten Paraphrase über das „Dies irae“ hat LiSzt Sich wohl das Unbegreiflichste und Tollste geleistet. .Und das will bei ihm Viel bedeuten. Aber Pianisten sind, wie figura zeigt, eben nicht nur Musiker, sondern auch Virtuosen. Und die haben manchmal einen merkwürdigen Geschmack.

Der Freiburger Bach-Chor, während der letzten Kriegsjahre von Studenten gegründet, und das über 300 Jahre alte Musikkollegium Winterthur haben auf der letzten Station ihrer Tournee, die sie durch sechs Städte Deutschlands und der Schweiz führte, im Großen Wiener Konzerthaussaal Bachs Hohe Messe h-moll aufgeführt. Der Glanz der hundert jungen Stimmen, unterstützt durch drei hohe Bach-Trompeten, wie man sie so rein und virtuos geblasen selten hört, verlieh vor allem den raschen Chorsätzen festlich strahlenden Klang. Der ebenfalls noch jugendlich wirkende Dirigent Theodor Egel ist ein Meister seines Faches und hat jede Note der RieSenpärtitur im Gedächtnis. Zwischen dem Romantisieren früherer Aufführungen und dem trocken-akademischen Stil der Collegia musica der zwanziger und dreißiger Jahre hält Egel genau die Mitte, d. h. er meidet die Fehler der einen und der anderen Interpretationsweise. Das mit hervorrragenden Künstlern besetzte Soloquartett (Maria Stadtr, Matga HÖffgen, Heinz Marten und Heinz Rehfuß) war klanglich nicht ganz homogen. Das Publikum feierte die Gäste durch einen mehr als zehn Minuten dauernden Applaus.

Werke von Hans Erich Apostel, Hans Werner Hcnze und Witold Lutoslawski standen auf dem Programm des ersten, vom Oesterreichischen F.und-funk veranstalteten Musica-Nova-Könzerts. Die an dieser Stelle bereits besprochenen H a y d n -Va r i a-tiontn Apostels, mit ihrem zarten lyrischen Mittelteil, den kraftvoll-leidenschaftlich bewegten Variationen 4 und 6 und der feinen „durchbrochenen“ Arbeit der Variationen 3 und 7 gewinnen bei jedem neuen Hören und zeigen die Hand eines Meisters. — InHenzes fifnf neapolitanischen Liedern, die Christa Ludwig intelligent und plastisch gestaltete, ist das bereits anläßlich der Besprechung der Oper „König Hirsch“ hervorgehobene Erlebnis der italienischen Landschaft und Musik fruchtbar geworden. In der klanglichen Differenzierung des Kammerorchesters und der flexiblen Rhythmik gelingt dem jungen Deutschen die unwahrscheinliche Synthese der Personalstile von Berg und Strawinsky. — Das dreiteilige ,.C o n c e r t o per orchestra“ des 1913 in Warschau geborenen Witold Lutoslawski beginnt vielversprechend mit einer vital-motorisch einsetzenden Intrada und schließt sehr geräuschvoll mit Toccata e Corale, die freilich viel zu lang geraten sind. Das Capriccio notturno dazwischen erinnert freilich sehr an den „Vol du bourdon“ für Salonorchester, und auch der letzte Teil ist als absolute Musik zu arm an Erfindung und eignet sich mehr als Begleitmusik für eine Filmszene, etwa als Traummusik. Mit fast allen Orchesterwerken aus dem Osten teilt Lutoslawski den plakathaften Stil und eine gewisse Neigung zu ausgedehntem dissonantem Lärm. Die Symphoniker werden unter Michael G i e 1 e n dieses Stück auch bei dem bevorstehenden Musikfest in Warschau spielen. Trotzdem sehen wir keinen Anlaß, den polnischen Komponisten — wie das in der Programmeinführung des Oesterreich!-schen Rundfunks geschieht! — gegen etwaige Vorwürfe „formalistischer und theoretischer Spielereien“ zu verteidigen. Darüber mögen sich andere Leute den Kopf zerbrechen. Wir zum Beispiel zerbrechen uns den unseren über die andauernde Ueber-lastung der Wiener Symphoniker, die sämtliche hier besprochene Orchesterkonzerte innerhalb weniger Tage absolviert haben.

In der Reihe „Musik der Nationen“ (Oeffent-liche Konzerte des österreichischen Rundfunks) dirigierte Hanns Jelinek sein anläßlich des zehnjährigen Bestehens des Großen Wiener Rundfunkorchesters komponierte Preludio solenne, ein sehr substanzdichtes, formal gedrängtes und thematisch geschlossenes Werk, das anfänglich vielleicht manchem Hörer klangliche Schwierigkeiten aufgab, in seinem höchst lebendigen Impetus aber bald mitriß und nachhaltig beeindruckte. — Nach einer Wiedergabe von Schuberts „tragischer“ Symphonie dirigierte Kurt Richter Beethovens „Ruinen von Athen“, textlich neugefaßt von Rudolf Henz. Die wirksamsten Stücke des (in seiner Gesamtheit kaum je gehörten) Festspieles sind die aus den Konzertprogrammen bekannten zwei: der Türkische Marsch und der Chor der Derwische. F. K.

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