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Beethoven-Konzerte

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Obwohl sich Beethovens „M i s s a s o 1 e m-n i s“ aus einer ganzen Summe von Gründen der Ausführung im liturgischen Gottesdienst entzieht (Ausnahmen beweisen dies), ist ihr religiöser Ausdruck doch von stellenweise so stark liturgischem Geist, daß er Opernhaus und Konzertsaal, soweit Musik das vermag, zur Kirche erhöht und das Gottesdienstliche reiner Kunst überzeugend ausstrahlt. Die Wiedergabe in der Staatsoper unter Karl Böhm hat dies in jener vollendeten Weise dargetan; die allein durch die Gleichzeitigkeit stupender technischer Leistung und ihrer absoluten Vergeistigung zum Kunstwerk entsteht. Stellen, wie das „Incar-natus“, zum Höchsten menschlichen Schaffens gehörig, waren auch Höchstleistungen der Wiedergabe. Solisten (Zadek, Ludwig, Dermota, Wiener — und der Zelebrant des großen Violinsolos: Barylli), Staatsopernchor, Philharmoniker waren eine musizierende Einheit von höchster Geistigkeit. Doktor Karl Böhm bedankte sich als Letzter für den Begrüßungsbeifall — man hatte ihm Blumen aufs Pult gelegt. Nach dem letzten Akkord des gewaltigen Werkes hingegen unterblieb geschmackvollerweise jeder Applaus, was nach dem gegenwärtig modernen Händeklatschfanatismus nicht hoch genug zu werten ist.

Beethovens III. und VIII. Symphonie interpretierte Carl Schuricht mit den Wiener Symphonikern. Die verhältnismäßig seltener musizierte „Achte“ erstand in ihren leichten lockeren (und doch so gebundenen) Rhythmen zu transparenter Bildhaftigkeit. Ihre architektonische Gliederung wurde seltsam klar und freudig von verhalten tänzerischer Bewegung erfüllt, während die dunklere „Eroica“ ihren heldischen Schwung nicht voll entfalten konnte und selbst im Trauermarsch nicht so tief ging, als wir das schon erlebt haben. Demgegenüber ist jedoch auch hier die plastische Herausarbeitung aller Teile zu betonen, die absolute Durchsichtigkeit im Formalen, die Ausgeglichenheit im Dynamischen, die Vermeidung des Zuviel (die zuweilen ausdrucksmäßig ans Zuwenig streifte). Es war mehr schöne Musik als Metaphysik, somit aber etwas auch für letztere Unentbehrliches.

Im Geiste Schurichts dirigierte, für den Erkrankten einspringend, Hans Swarowsky die „Neunt e“. Es war ein guter Geist, der sich diesmal, besonders im Finale, auch in jene Regionen erhob, in die nur ideale Verklärung hebt. Man kann die „Neunte“, an der sich die besten Dirigenten seit Beethoven versucht haben, gewiß mit größeren Varianten der Auffassung erleben als irgendeine andere Symphonie. Immer aber bleibt sie das in hartem Ringen dreier voranstehender Sätze gewachsene unsterbliche heldische Triumphlied der Freude, das der Komponist, bei der Uraufführung bereits taub, selbst nicht mehr hörte. Etwas von diesem Unerhörten ist in ihr, und es zu vermitteln, Aufgabe und Kriterium der Wiedergabe. Diese Aufgabe ist durch Hans Swarowsky mit den Solisten (Zadek, Rössel-Madjan, Dermota, Wiener), dem von Hans Gillesberger einstudierten Chor der Singakademie und dem Orchester der Wiener Symphoniker gelöst worden. Die „Neunte“ war, was sie allein sein kann: festliches Erlebnis.

In dem Konzert des Kammerorchesters der Konzerthausgesellschaft, das Carlo Z e c c h i leitete, gefiel uns die fein, gefühlvoll und sensibel musizierte „Serenade für Streichorchester“ von Tschaikowsky am besten. Klanglich delikat geriet auch ein kleines Stück von Hdebrando P i z e 11 i („Tanz des Falken“ aus „La Pisanella“). Dagegen klang das von Eva Wollmann gespielte Klavierkonzert A-dur von Mozart etwas gleichförmig; auch schien es, als hätten Dirigent und Solistin versäumt, sich v o r dem Konzert über die Tempi zu einigen. Ein Marsch von Schubert (zum Abschluß) trägt zwar die Bezeichnung „ungarisch“, was aber den Dirigenten nicht dazu animieren sollte, ihn jahrmarktmäßig darzubieten.

Alfred Brendel hatte für seinen Klavierabend Musik ausgewählt, die man — wie Jean Cocteau zu sagen pflegt — „mit dem Kopf in den Händen“ anhören muß. Zwischen Mozarts Phantasie c-moll und einer dreiteiligen Toccata von B u s o n i bildeten die f-moll-Sonate op. 5 von B r a h m s und L i s z t s Fantasia quasi una Sonata „Nach einer Dante-Lektüre“ die Schwerpunkte des Programms: romantisch-pathetische Stücke von rhapsodischem Charakter. Auch Schumanns „Kinderszenen“ haben den Charakter von Miniaturphantasien. So wurde dem aufmerksamen Hörer an diesem Abend vielleicht etwas zuviel des „Zerrissenen“ zugemutet, aber Brendel ist ein durchaus glaubwürdiger Interpret dieser Musik, man muß seinen Mut anerkennen und die enorme Gedächtnisleistung bewundern.

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