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Aus dem Konzertsaal

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Das fünfte Konzert im Zyklus „Die große Symphonie“ leitete Christoph von Dohnänyi, Generalmusikdirektor in Frankfurt mit ständigen Verpflichtungen in Köln, Berlin und München. Der erste Teil des Programms gehörte zur Gänze Ungarn. Zoltän Kodälys 1933 geschriebene „Tänze aus Galanta“ sind ein gefälliges, zügiges Stück, das sich sowohl als Ballettmusik wie im Konzertsaal immer wieder bewährt. Dohnänyi interpretierte es nicht gerade con fuoco, aber auch nicht langweilig. — In Bartöks genialem 2. Klavierkonzert, das zwei Jahre früher entstanden ist und dessen Solopart der Komponist häufig selbst interpretierte, stießen zwei recht unterschiedliche Temperamente aufeinander. Der in Tel Aviv geborene Joseph Kaiichstein, von Eduard Steuermann ausgebildet und seit seinem New Yorker Debüt 1967 einer der erfolgreichsten Pianisten der jüngeren Generation, ist ein brillanter und temperamentvoller Pianist, der in den raschen Sätzen gewaltig vorwärtsdrängte. Hiebei vermochte ihm der Dirigent kaum zu folgen. Kaiichsteins musikalische Intelligenz war in jeder Phase dieses auch heute noch aufregenden Werkes zu spüren. Dohnänyi scheint sich bei Kodäly und der das Konzert beschließenden 2. Symphonie von Brahms wohler gefühlt zu haben ...

Das „Trio di Trieste“, das nicht zum erstenmal in Wien konzertierte, hat einen guten Ruf. Mit seinem letzten Abend im fast voll besetzten Mozart-Saal hat es ihn kaum gefestigt oder gar verstärkt. Es fehlte vor allem an klanglicher Balance zwischen dem Klavier (Dario de Rosa) und den beiden Streichern (Renato Zanettovich, Violine, und Amadeo Baldovino, Cello). Darunter litt vor allem Joseph Haydns Klaviertrio E-Dur, Hob. 28, das um 1797 entstanden ist. — Als Wiener Erstaufführung hörten wir ein Klaviertrio von Charles Ives, an dem dieser avantgardistische Autodidakt in den Jahren 1904 bis 1911 gebastelt hat. Das halbstündige Werk ist überaus typisch für Ives, der als schwerreicher Mann von 1874 bis 1954 in den USA lebte, von dem es vier Symphonien, zahlreiche Orchesterstücke und mehr als 100 Lieder gibt, dessen erstes Kompositionskonzert aber erst 1946 stattfand. Was in seinen Orchesterwerken weniger klar zutage tritt wird hier in diesem ausgedehnten Kammermusikstück deutlich: sein Dilettantismus, die mangelnde Architektonik, das Nebeneinander von thematischer Arbeit und koloristischem Effekt und anderes mehr. Gewisse Trivialitäten mögen beabsichtigt sein. Aber trotzdem gibt es des Interessanten und Reizvollen genug: Polytonale und polyrhythmische Stellen, ein gewisser rhapsodischer Schwung, Gershwin-Anklänge, dazu der zart verklingende, gleichsam verschwebende Schluß des Werkes. — Den 2. Teil des Programms bildete Schumanns Klaviertrio Nr. 2 in F-Dur.

Werke von Joh. Nepomuk David und Cesar Bresgen gaben im letzten Tonkünstlerkonzert im Großen Sendesaal des „ORF“ ein Bild dieser beiden zeitgenössischen Komponisten. Dabei möchte man Davids „Variationen über ein Thema von Bach“, entnommen den „Geistlichen Liedern und Arien“, BWV 506, den Vorzug einräumen, da sie vom Können eines erfahrenen Kontrapunktikers, von großer Ausdruckskraft und einer kunstvoll errichteten Passacaglia am Schluß des Werkes zeugen. Weniger befreunden konnte man sich mit Bresgens „Visionen für Flöte, Harfe und Streichorchester“. Es handelt sich um eine 1972 komponierte, schwächere Arbeit des Salzburger Theorielehrers, die sich mit Verwendung von Reihentechnik und schroffen Klangballungen einer tonalitätsfremden Spekulation mit deutlichem Selbstzweck hingibt. Die Harfenistin Christine Anders und Wolfgang Schulz als Flötist waren die ausgezeichneten Solisten dieser Uraufführung. Als Produkt gesunder Musizierfreude stellt sich Otto Nicolais D-Dur-Symphonie dar, deren Vorzüge in hübschen Themen, geschickter symphonischer Verarbeitung und einem effektvollen Scherzo bestehen, ohne Anspruch auf eine besondere Bedeutung des Werkes zu erheben. Helmut Eder war für die beiden Modernen ein guter, partiturvertrauter Dirigent, weitaus weniger gelang ihm die Einfühlung in Nicolais Symphonie.

Natalija Schachowskaja, die junge russische aus der Schule Rostropo-witschs hervorgegangene und mit ersten Wettbewerbsreisen ausgezeichnete Cellistin, hat schon als Solistin des Dvofäk-Konzertes im letzten Abend der Wiener Symphoniker guten Eindruck gemacht und jetzt in einem eigenen Konzert im Mozartsaal ihre respektablen Qualitäten neuerdings unter Beweis gestellt. In ihrer energischen, aber elegant-federnden Bogenführung kann sie mit Künstlern wie Hoelscher, Starker oder Chomitzer erfolgreich konkurrieren; was die auch Weichheit einschließende Rundung des Tones betrifft, wird sie noch einiges lernen müssen. Über die gesunde musikalische Veranlagung der Künstlerin gab die plastische Nachzeichnung von Valentinis polyphon angelegter, aber schon ins Rokoko hinüberzielender E-Dur-Sonate Aufschluß, in dem fugenmäßig durchgeführten Finale von Brahms' e-MolI-Sonate (um 1870) bestach die Intensität der Gestaltung. Schostakowitschs d-Moll-Sonate verleugnet in den Lyrismen des einleitenden Largos nicht den national-russischen Charakter, das Finale ergeht sich in grotesk-humorigen Wendungen. Den Beschluß machte, gespickt mit virtuosen, technischen Kniffligkeiten, Tschaikowskys Pas de deux aus „Der blaue Vogel“ in der Instrumentierung von Strawinsky. Asa Amin-tajewa zeigte eine — besonders bei Brahms — außerordentlich hoch einzuschätzende Klavierpartnerschaft. Poul Lorenz Modest Mussorgsky, einer der fünf „Novatoren der russischen Musik“, hat außer Opern, Orchester- und Kammermusikwerken auch viele Lieder geschrieben, welche in ihrer Diktion den Beginn der Moderne in sich tragen. Aber nur zwei Liederzyklen des Komponisten, die herben, martialischen „Lieder und Tänze des Todes“ und die im Gegensatz dazu merkwürdig spielerisch-naive, auch träumerische „Kinderstube“', werden manchmal aufgeführt, während die anderen Gesänge recht unbekannt geblieben sind. Man muß es daher als dankenswerte Aufgabe des portugiesischen Baritonisten Jose de Oli-veira Lopes ansehen, daß er in seinem Konzert mit Mussorgskys „Sans Soleil“ bekannt machte. Es handelt sich dabei um eine Aneinanderreihung von 6 interessanten, impressionistische Züge vorausnehmenden Liedern, die den Hörer in der Eindringlichkeit ihrer Tonsprache durchaus ansprechen. Auch das weitere Programm bestand in einer nicht allzu häufig zu begegnenden Liedergruppe, in Ravels „Don Quichotte d Dulcinee“, in welcher der Komponist den chansonartigen Stil dieses Zyklus so glücklich traf. Oliveira Lopes verfügt über ein schönes, mit reifer Technik behandeltes Material, sein die Mezza voce bevorzugender Bariton bewährt sich auch in kraftvollem Forte und weiß geschmackvolle dynamische Übergänge und weit geschwungene Kantilene-Bogen zu formen. In Hermann Reutter hatte der Künstler einen ausgezeichneten, auf alle Intentionen des Solisten genauestens eingehenden Begleiter. Dem Rang der trefflichen Darbietungen entsprechend, hätte der schwach besuchte Brahmssaal voll besetzt sein müssen.

Der Konzerthauszyklus „Wir stellen vor“ präsentierte erneut einen Geiger, den man sich vormerken muß: Ulf Hoelscher, Jahrgang 1942, einen Schüler Gingolds und Galamians in den USA und Preisträger zahlreicher Wettbewerbe, der seit dem Bonner Beethoven-Fest 1970 in die erste Reihe der jungen deutschen Geiger aufrückte. Bei Bachs 2. Partita (d-Moll) zeigte er wohlausgewogenes, im Stil der Interpretation sehr sicheres Spiel und an Bartöks für Menuhin komponierter Solosonate (1944) seine Fähigkeit, kompliziertes Formengebilde sehr plastisch und durchsichtig darzustellen; das Virtuosenereignis bescherte er freilich mit Ysayes Solosonate (op. 27/2), einer spätromantischen Paraphrase über das Dies irae, und Paganinis „Paisiello“-Variationen (über ein Thema aus dessen Oper „Molinara“). Es waren zwei fulminante Wiedergaben, in allen komplizierten Sprüngen und akkordischen Stimmführungen ungemein sicher und mit strahlendem Ton vorexerziert.

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