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Festwochenkonzerte

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Noch einen Tag vor den Philharmonikern feierten die Symphoniker den Festwochenbeginn, und es wurde auch wirklich ein Fest, das sich in Hinkunft nur schwer von ihnen überbieten lassen dürfte. Das lag an der blendenden Form des Orchesters, das lag an seinem hervorragenden Dirigenten Carlo Maria Giulini und das dag am Solisten des Beethoven-Violinkonzertes, an David Oistrach. Zwar darf man sagen, daß er (zumindest) das Rondo zu langsam spielte, aber es ist das im allgemeinen die kleinere Sünde gegenüber einem zu schnellen Spiel, und außerdem blieb der Satz trotzdem leicht und temperamentvoll, was schon vieles aussagt. Bis auf eine Winzigkeit gab es auch keine einzige technische Unsicherheit oder gar Geschmacklosigkeit; Strich, Ton, Gesinnung und Ausdruck waren gleichermaßen nobel und dem Werk bestens angemessen. Der Applaus füllte fast die Länge einer Programmnummer. — Und dann gab es eine „Erste“ von Brahms. die man sich so, wie sie war, auf Platten wünschen könnte, mit Größe und Leidenschaft, den richtig erreichten Höhepunkten, idealen Tempi, sauberster Orchesterarbeit und einer Ausdruckskraft, die von Giulini und seinen Musikern bis zum Schlußakkord durchgehalten wurde. Wer für die nicht gerade billigen Karten tief in die Tasche gegriffen haben mußte, konnte mit der Überzeugung heimgehen, keine Fehlinvestition getätigt zu haben.

David Oistrach ist ein hervorragender Geiger, das weiß man; ebenfalls nicht unbekannt ist, daß er ein geschickter, unprätentiöser Dirigent ist; daß sich aber sein Konzert mit dem ORF-Symphonieorchester im Musikverein unversehens zum Fest wandeln werde, war nicht unbedingt zu

erwarten. Eine vom englischen Dirigenten Harty zusammengestellte und bearbeitete Suite aus Händeis „Wassermusik“ im Sinne des post-lomantischen Bildes vom Barock diente als solide, freundliche Einstim,-mung, das Bachsche d-Moll-Konzert für zwei Violinen aber war bereits ein unbedingter Höhepunkt: ein Wettstreit zwischen dem leidenschaftlicheren, noch etwas unruhig musizierenden Sohn Igor und dem weise gewordenen Vater mit dem geschmeidigen Legato. Das Orchester folgte jeder spürbaren Regung der Solisten — ein „Dirigieren“ gab es nicht einmal durch andeutungsweises Nicken des Kopfes — und es war auch unnötig! — Der II. Symphonie des jungen Franz Schubert merkte man an, daß sie von einem Praktiker dirigiert wurde: da hat es bei der Probe sicherlich eine fruchtbare „Geigenstunde“ gegeben, das konnte man einigen heiklen Streicherstellen deutlich anhören. Daß sie auch menschlich nett gewesen sein muß, diese Stunde, bewies ein großer Blumenstrauß, den David Oistrach am Schluß vom — Orchester erhielt.

Arturo Benedetti-Michelangeli, ein Künstler von geradezu erdrückender persönlicher Ausstrahlung, prägt durch staunenswerte Technik und Musikalität einen neuen Klavierstil: in seiner Interpretation klingen die Werke „entschlackt“, man hört jeden Ton, die Hände sind derart unabhängig voneinander, daß sogar jeder Finger eine eigene Dynamik zy formen imstande ist, und dazu gesellt sich eine Griffsicherheit, die ans Unwahrscheinliche grenzt. Zwischen Piano und Pianissimo hat Michelangeli noch gut und gerne zwei Stufen, und dieses Pianissimo ist dann aber von einer Zartheit, daß man sie nicht einmal dem als sensibel bekannten Steinway zutrauen wollte. Es gibt nicht wenige musikverständige Leute in Wien, die nicht bereit sind, in allen Punkten seinen Intentionen zuzustimmen, namentlich die Interpretationen von Schuberts a-Moll-Sonate (D 537) brach ja mit vielen liebgewordenen Wiener Traditionen, und wer empfindlich ist (und das kann man auch getrost sein!), hat vielleicht das „Nachschlagen“ der rechten nach der linken Hand in den Innensätzen von Chopins berühmter b-Moll-Sonate kritisch vermerkt, aber die Noblesse der Deklamation und edle Tiefe des Ausdrucks, der jedem auch nur eine Spur äußerlichen Effekt bewußt ausweicht, die restlos durchdachte Gestaltung, die trotzdem so unmittelbar wirkt, all das spricht von höchster Redlichkeit in jeder Beziehung. Man empfindet die Assoziationen, die bei Nennung seines Namens den gewaltigen Landsmann und namensverwandten Renaissancemeister beschwören, nicht als Sakrileg! Das Konzert, das mit Beethovens Sonate op. 26 glanzvoll begonnen hatte, fand auch nach „Gaspard de la nuit“ von Ravel noch keinen Abschluß. Das begeisterte Publikum des Großen Konzerthaussaales erhielt zwei Zugaben, ein Beweis, daß der Künstler auch mit seiner Zugehörigkeit zufrieden war.

Carlo Maria Giulini ist der neue Chefdirigent der Wiener Symphoniker und deren künstlerischer Berater. Daher gebührt seinem Start und seiner Aktivität in den nächsten Jahren (wenn diese Ehe hält) besondere Aufmerksamkeit. Im letzten Konzert des Zyklus „Die große Symphonie“ leitete er eine unüberhörbar minutiös geprobte Achte von Beethoven. Von der „humoristischen Tiefe“, die Robert Schumann dieser kürzesten und leichtesten Symphonie Beethovens nachrühmt (wobei sich „leicht“ lediglich auf die Stimmung, keineswegs auf die Ausführung bezieht) war ebenso wenig zu bemerken wie von der „zartsinnigen Schwärmerei“, und daß sie uns „still und glücklich“ macht. — Auch Mahlers Erste, der man immer wieder gerne begegnet, besonders ohne den salonstückmäßi-gen Blumine-Satz, war ebenfalls gut vorbereitet und wurde nicht ohne Temperament und virtuosen Aufwand wiedergegeben. — Was fehlte, war Atmosphäre, Poesie, Stimmung und Leidenschaft (die etwas ganz

anderes ist als Brio, Forschheit und gute Laune). Das Publikum hielt sich an die technische Brillanz der Interpretation und hat diese, mit Recht, gebührend gewürdigt.

Das letzte Konzert im „reihe“-Zy-klus des ORF brachte nach Luigi Nonos „Canti per 13 stromenti“ und der „Chamber piece Nr. 1“ des 1972 verstorbenen Deutschamerikaners Stefan Wölpe zwei österreichische Erstaufführungen. Bei Jacob Drwck-mans „Incenters, für 13 Instrumente“ handelt es sich gewissermaßen um ein Gegenstück zu Nono. Druckman geht es um die orchestrale Wirkung; Individualität gesteht er in erster Linie der führenden Trompete (eine Glanzleistung von Engelbert Loidl) bzw. dem Concertino aus Horn, Trompete und Posaune zu. Die restlichen Instrumente stehen deren Partien als „Tutti“ im Sinne des Titels gegenüber: Unter „Incenter“ versteht Druckman ein eingeschriebenes Dreieck. — Höhepunkt und Abschluß des Abends, an dem der elegant taktierende Dirigent Bernard Rubenstein am Schlagzeug und auf der Elektronenorgel mitwirkte, war die jüngste Arbeit von Michael Gielen: „Die glocken sind auf falscher spur.“ Ausgangspunkt sind sechs an Naturbildern reiche, lichterfüllte lyrische Strophen von Hans Arp, der als abstrakter bildender Künstler in die Nähe des „Bauhauses“ geraten war, aber auch als Mitbegründer des Dadaismus ein Begriff geworden ist. Vielleicht war es Bauhaus-Ideologie, die Gielen dazu brachte, sein Werk formal auf der Zahl 6 aufzubauen: 6 Texte, 6 Ausführende, 6 melodramatische Blöcke in serieller Struktur ... Feinsinnige, zarte Klänge und Geräusche und weit ausschwingende, fast tonal anmutende Vokalisen (sehr einfühlsam gesungen von Carol Plan-, tamura) ergeben eine wunderbare, poesievolle akustische Welt, die Aufmerksamkeit erzwingt und wachzuhalten vermag. Die „life“ gesprochenen Zitate von Hegel und Mao (Karlheinz Donauer) wirkten auf uns allerdings wie modische Accesoires. Doch darf man damit seine letzte geäußerte Frage nicht so einfach weg-wischjeji: Gibt es eine (heitere) Musik? “

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