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Schönberg und die Folgen

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Im Schönberg-Jahr weist die Musiksammlung der österreichischen Nationalbibliothek gemeinsam mit dem Institut für österreichische Musikdokumentation in einer sehenswerten kleinen Ausstellung und mit einigen Vorträgen auf die österreichische Nachfolge der Wiener Schule hin. Zuletzt sprach Hartmut Krones über den Schreker-Schüler und Schönberg-Mitarbeiter Paul Amadeus Pisk der heute als Musikgelehrter und Komponist in Kalifornien lebt und über Leopold Spinner aus dem Kreise um Anton von Webern. Spinner ist als Komponist und Mu-sikologe noch heute in London; beide wurden vom „Eisernen Zeitalter“ vertrieben und entwurzelt. Über ein weiteres Opfer dieser Zeit, Friedrich Wildgans, referierte mit Wärme und Eloquenz Robert Schollum. Tonbandbeispiele illustrierten die Ausführungen, mit denen Hofrat Dr. Gras-berger, der Leiter der Musiksammlung, die traditionelle „Heroenmusikgeschichte“ ergänzt sehen möchte. Nächste Vorträge: 16. und 21. Mai.

Im Mozartsaal führte Peter Keuschnig mit seinem ensemble kon-trapunkte Schönbergs Suite für Klavier, Bläser und Streicher, op. 29, und „Pierrot Lunaire“ auf. Die Suite aus dem Jahre 1926 müßte nunmehr eigentlich auch schon in das gesetzte Alter der „graumelierten Schläfen“ kommen, zeigte sich jedoch unter Keuschnigs tänzerischer Schlagtechnik noch immer als erfrischend-frecher Bürgerschreck. Die äußerst exakte Ausführung ließ es besonders bedauern, daß der Saal nur ungefähr halb besetzt war. Frei nach Mozart müßte man fragen: Schönberg — noch immer „keine Speise für die Zähne der Wiener“? — Jone Man-nings war im „Pierro't“ eine Solistin mit starker innerer Spannung, Temperament und soviel Humor, daß das parodistische Element beinahe zu sehr in den Vordergrund rückte. Keuschnig glich mit Intellekt und kühler Sensibilität aus, sein Ensemble folgte wie ein Mann.

Vierzehn Tage nach dem englischen Ausdruckskünstler Benjamin Luxon sang nun Peter Schreier „Die schöne Müllerin“ von Schubert, und es scheint, als seien durch den Bariton neue Maßstäbe für die Intensität des Liedgesanges gesetzt worden, die auch der deutsche Tenor zu akzeptieren hatte. Freilich, was sich an Wohllaut, vollendeter Gesangstechnik und feinem Geschmack ereignete, bestätigte wieder die berechtigte Spitzenstellung Schreiers. Wie er darüber hinaus im ersten Teil durch kleine Temposchwankungen den Ausdruck zu steigern vermochte („Danksagung an den Bach“), das war ganz große Liedkunst, und in Norman Shetier hatte der in Wien mit Recht so geliebte Tenor einen Klavierpartner, der es verstand, nicht nur einfühlsam und hautnah zu begleiten, sondern auch zusätzliche Akzente zu setzen. Schreier gestaltete den Abend ohne Pause, und es schien, als habe sich die anakreon-tische Haltung des ersten Teiles auf die tragischexen Lieder stimmungs-mäßig ausgewirkt: einiges von Sei: berts Doppelbödigkeit kam de nicht so“ zum Ausdruck, wie märt es beim herrlichen Beginn erhofft hatte. — Schreiers künstlerische Wachsamkeit war größer als seine Intensität. Es wäre aber ungerecht, wollte man sagen, man habe den Brahms-Saal enttäuscht verlassen: Es war noch immer denkwürdig und bedeutend.

Ein schönes, ausgewogenes Programm mit Barockmusik ermöglichte die Wiederbegegnung mit Nikolaus Harnoncourts Ensemble, das es sich zur Aufgabe gemacht bat, dem Originalklang der Werke durch Instrumente aus der Zeit der aufgeführten Musik und vor allem durch Abkehr von den spätromantischen Riesenorchestern wieder nahezukommen. Daß man dabei doch etwas übers Ziel schießt, ließ der jüngste Abend vermuten, der in Bochs herrlicher Kreuzstabkantate (Solist war Barry McDaniel mit seinem gut geschulten Bariton, mehr ist über ihn nicht zu sagen) gipfelte, aber trotz aller musikalischer Redlichkeit der Ausführung Wünsche offen ließ. Bach selber dirigierte entweder vom Geigenpult oder vom Cembalo aus, fallweise auch mit der Notenrolle in der Hand, wie man weiß. Die Leitung vom Cello-Pult aus dem Hintergrund ist mühsam, wirkt krampfhaft. Wenn Bach in seiner Denkschrift an den Leipziger Rat im allgemeinen ein Orchester von ■ mindestens 18 bis 20 Mann fordert, der Concentus im besonderen aber mit weniger auskommt, wenn der Choral von insgesamt drei (3) Personen gesungen wird, dann kann man doch sagen, daß dies Bachs Ideal nicht entspricht. Der Apparat könnte also behutsam um einiges vergrößert werden. — In Vivaldis Fagottkonzert gefiel Milan Turkovic durch virtuose Beweglichkeit. Die merkbare Nervosität und Unsicherheit des gesamten Klangkörpers wäre durch einen deutlich leitenden Dirigenten sicherlich leichter abzufangen gewesen. — Im einzigen originalen Konzert Bachs für zwei Cembali, dem in C-Dur, brillierten Herbert Tachezi und Johann Sonnleiter auf übrigens wirklich tragfähigen, klangvollen Instrumenten. Telemanns Ouvertürensuite in C-Dur entzückte mit barocker Spielfreude und Deskriptivität.

Günther Theurings „Wiener Jeunesse-Chor“ enttäuschte bei seinem letzten Konzert im MusiJcveretn, das sei gleich vorweggenommen: Es wurde allzu frisch drauflos gesungen; manche Einsätze waren ungenau, die Männerstimmen ließen Kultur vermissen, die Soprane waren teilweise überfordert. Begonnen wurde mit echter Meistermusik: drei doppelchörigen Motteten von Bach beiläufig konturiert (ein durchaus legitimes Verfahren) von Streichern auf der einen, Holzbläsern auf der anderen Seite* Und dann gab es Mendelssohns langatmige Symphoniekantate „Lobgesang“, komponiert zur 400-Jahr-Feier der Buchdruckerkunst. Trotz des Stimmenglanzes von Editha Gruberova und Waltraud Misjevic, der Verinnerlichung von Kurt Equiluz, des Orgelgebrauses (Josef Bäck) und des konzentrierten Wirkens der „Tonkünstler“' dürfte man bis zur 600-Jahr-Feier wieder ohne dieses Werk auskommen ...

Mehr als eine Stunde lang Chopin, dann zwei Havels (Sonatine und Jeux d'Eau) und zweimal Liszt: der ungarische Meisterpianist hat mit seiner Kunst nicht gegeizt! Schon Chopin formte er sehr subjektiv und musikalisch, mit lebhaftester Agogik, differenzierter Dynamik und einem verschleierten Klang, den er weniger durch das Pedal als duroh extrem langes Liegenlassen der Finger und einen etwas stumpfen Anschlag erreichte. Ravel stattete Cziffra mit klanglicher Delikatesse und virtuosem Raffinement aus, und selbst bei Liszt (2. Ballade, Campanella) gab es noch die — fast .undenkbare — Steigerung, als sich in der technischen Brillanz auch noch ein geradezu verspielter Charme entwickelte. Das Publikum war entsprechend begeistert....... '. .

Das 8. Abonnementkonzert der Philharmoniker dirigerte Claudio Abbado. Nach Mozarts „Maurerdscher Trauermusik“ folgte „Ein Überlebender von Warschau“, Schönbergs op. 46 aus dem Jahre 1947, im Auftrag der Koussevitzky-Stiftung für einen Sprecher, Männerchor und Orchester geschrieben. Wir haben das Werk anläßlich seiner Wiener Erstaufführung vor Jahren besprochen. Von einem wildbewegten Orchesterpart begleitet sprach Eberhard Wächter den englischen Originaltext, und der Wiener Jeunesse-Männerchor sang das „Shema Yisroel“, in den das nur wenige Miinuten dauernde Stück mündet. Darf man danach applaudieren? Darf man über dieses Werk überhaupt ein ästhetisches Urteil fällen? 1971 schrieb der Komponist Philipp Jarnach, Schönberg habe in seinem Schaffen einen Rang erreicht, der ihn jenseits der Begriffe „Gefallen“ und oder „Nichtgefallen“ stellt. Auch dort, wo er geirrt, und dort, wo er sein Ziel verfehlte. — Den 2. Teil des Konzertes bildete Brückners Siebente. Abbado bewies eine erstaunliche Einfühlung in den Stil und die Klangwelt einer Musik, mit der er nicht aufgewachsen ist. Keine Pose, keine Theatralik, keinerlei Gewältakt trübten eine Interpellation, bei der sich das Orchester der Philharmoniker, was Ausdruck, Intensität und Klangschönheit betrifft, selbst überbot. Hier wurde für die Bruckner-Aufführungen der kommenden Wochen ein absoluter Maßstab gesetzt.

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