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Aus der Wiener Schule

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35 Werke Schönbergs, 15 von Alban Berg und 21 Kompositionen Weberns werden während der Wiener Festwochen im Konzerthaus aufgeführt. Ein Wagnis, das Respekt verdient, auch wenn das Publikumsinteresse, das bisher erfreulich war, nachlassen sollte, und auch wenn man einwenden mag, daß diese Retrospektive um rund 15 Jahre zu spät kommt.

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35 Werke Schönbergs, 15 von Alban Berg und 21 Kompositionen Weberns werden während der Wiener Festwochen im Konzerthaus aufgeführt. Ein Wagnis, das Respekt verdient, auch wenn das Publikumsinteresse, das bisher erfreulich war, nachlassen sollte, und auch wenn man einwenden mag, daß diese Retrospektive um rund 15 Jahre zu spät kommt.

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Der Anfang dieser Konzertreihe war vielversprechend. Als erster Interpret der Wiener Schule stand Lorin Maazel ain Pult, der das von ihm ständig geleitete Radio-Symphonieorchester Berlin, mitgebracht hat. — Weberns Sechs Stücke für großes Orchester op. 6, 1913 unter Schönbergs Leitung im Großen Musikvereinssaal uraufgeführt, riefen damals einen beispiellosen Skandal hervor, und wir können uns, 55 Jahre darnach, die Reaktion des Publikums sehr wohl erklären. Diese Stücke sind, obwohl noch nicht so konzentriert und destilliert wie manche späteren Kompositionen Weberns, auch heute noch, trotz gewisser emotioneller Elemente, nicht leicht zu hören. Das kann man von Bergs Violinkonzert, seinem letzten, 1935 vollendeten Werk, nicht sagen, und es wird auch entsprechend häufig aufgeführt. Die Interpretation durch den tüchtigen Josef Suk wirkte ein wenig trocken. Auch wurde er vom Orchester gelegentlich zugedeckt, das mit dem sehr wienerischen, elegisch-herbstlichen Idiom dieses Werkes eben nur zu Rande kam, nicht mehr.

Nach der Pause gab es eine Rarität: Schönbergs 1930 geschriebene Be-gleitmusik zu einer Lichtspielszene — zu der übrigens nie ein Film gedreht wurde, obwohl die drei Modell-Situationen (drohende Gefahr, Angst und Katastrophe) sehr zu optischer Ausdeutung verlocken. Faszinierend gerieten Schönbergs enorm schwierige Variationen für Orchester op. 31, neun an der Zahl, eine Folge von Charakterstücken mit Introduktion und Finale — 1938 von Wilhelm Furtwängler mit den Berliner Philharmonikern aus der Taufe gehoben...

In dem Konzert der Wiener Symphoniker unter Claudio Abbado am vergangenen Freitag kam die Eigenart der drei Meister der Wiener Schule mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck. Weberns Fünf Stücke op. 10, die insgesamt knappe fünf Minuten dauern, sind Psycho-gramme, musikalische Konzentrate, die — heute wie zur Zeit ihrer Entstehung — ein sehr aufmerksames (und wiederholtes) Hören erfordern. Sie wurden sehr differenziert und subtil wiedergegeben und glichen wirklich jenen Edelsteinen, als die sie Strawimsky einmal bezeichnet hat.

Bergs kurz vorher entstandene Orchesterlieder nach Ansichtskarten-texten von Peter Attenberg erweisen sich als expansiver, zuweilen schon als klangschwelgerisch (mit Webern verglichen). Die polnische Sopranistin Haiina Lukomska sang sie anscheinend ohne Anstrengung und dominierte, wie selbstverständlich, das große, nervös bewegte Orchester.

Das Hauptwerk des Abends war ohne Zweifel .Alban Bergs „Lulu-Suite“, von ihm selbst aus der unvollendeten Partitur seiner Oper zusammengestellt und in seiner Gegenwart, im Jahr seines Todes, uraufgeführt. Das ist eine gewaltige, dunkel glühende Musik von eindringlicher, fast magischer Stimmungskraft, die manche Hörer vielleicht der Oper mit der kruden Bühnenhandlung Wedekinds vorziehen werden. Haiina Lukomska hat das Lied der Lulu Satz) großartig gesungen. Das Adagio — ein erhabener Trauergesang für ein Freudenmädchen — verwandelt Wollust in Wohllaut — wie vor Berg nur Wagner und Debussy es vermochten.

Zum Schluß: Schönbergs dramatisch-expressives Siebenminutenwerk „Ein Überlebender aus War-schau“, dessen Text aus Augenzeugenberichten von Warschauer Ghettobewohnern zusammengestellt ist und von einem Sprecher vorgetragen wird. Und zwar nach genau notierten Noten, die jedoch nicht gesungen, sondern in der betreffenden Höhenlage gesprochen werden. Hans Christian unterzog sich dieser ungewöhnlichen und schwierigen Aufgabe mit vollem Einsatz. In den letzten Miniuten stimmt ein Männerchor das „Schema Israel“ an, wie damals die Opfer im Warschauer Ghetto. Ob man nach einem solchen Werk, wie es im großen, fast vollen Konzerthaussaal geschah, klatschen soll oder darf? Ob sich das Werk überhaupt zur Wiedergab in konventionellen Rahmen eignet? Die Fraß ei nur am Rande gestellt.

Das 1. Kammerkonzert im Mozart-saal war weniger durch die Ausführung als durch sein hochinteressantes und umfassendes Programm gekennzeichnet. Wurden wir doch an einem Abend von frühesten Klavierliedern Schönbergs aus den Jahren 1903 bis 1905 auf zum Teil recht simple Texte der zeitgenössischen Goldschnittlyriker über die satirische Kantate für gemischten Chor und einige Instrumente mit dem Titel ,JDer neue Klassizismus“ durch Schömbergs gesamtes Vokalschaffen geführt, bis herauf zu den beiden A-cappella-Chören „Dreimal tausend Jahre“ und „De Profundis“, die von der Gründung des Staates Israel angeregt wurden, diesem gewidmet sind und Schönbergs letztes Opus (50) bilden.

Eröffnet wurde das Konzert mit einem der merkwürdigsten Werke Schönlbergs: eine aus 19 langen Strophen bestehende „Ode an Napoleon“ von Byron für Streichquartett, Klavier und Sprecher, die, 1941 geschrieben, sich eigentlich gegen Hitler richtet und den Titel „Ode“ ironisch verwendet. Sprecher war Eberhard Kummer. — „Herzgewächse“ hingegen, auf ein Gedicht Maeterlincks, ist mit seinem aparten Instrumentarium von Harfe, Celesta und Harmonium sowie der bis zum hohen F hinaufgetriebenen Sopranstimme ein Rarissimum im Konzertsaal. Webern hat es 1911 in einem schwärmerischen Brief an Berg als „Gipfelpunkt der Musik“ bezeichnet.

Die Sopranistin Dorothy Dorow hatte zwar das hohe F, aber im ganzen, bei den frühen Liedern (die unseren jungen Sängern ans Herz gelegt seien!) wenig Ausdruck. Zu grob geriet auch der Klavierpart. Der Wiener Kammerchor unter der Leitung von Hermann Furthmoser leistete Erstaunliches. Doch sollte man wegen der unüberhörbaren Intonationsschwierigkeiten, etwa in dem Chor „Friede auf Erden“, die einzelnen Stimmen, wie es Schönberg ausdrücklich empfohlen hat, durch Instrumente, womöglich Holz-bläsersjgijfeen lassen. tt>or< K — itäbr .

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