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Das II. Internationale Musikfest in Wien

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Wieder steht das Konzerthaus im freundlichen Schmuck der Fahnen von zehn verschiedenen Nationen, die am II. Internationalen Musikfest teilnehmen. In zwanzig Orchester-, Chor- und Kammerkonzerten werden im Verlauf zweier kurzer Wochen die Werke von etwa vierzig zeitgenössischen Komponisten aufgeführt, von denen genau die Hälfte Österreicher sind. Dies ist’ der hervorstechendste und erfreulichste Unterschied zum vorjährigen Musikfest. Während es damals vor allem darauf ankam, nach fast zehnjähriger Pause die Stimmen der Welt wieder bei uns erklingen zu lassen, werden heuer neben interessanten und repräsentativen Werken des Auslandes eine lange Reihe zeitgenössischer heimischer Werke zur Diskussion gestellt — nicht zuletzt in der Hoffnung, daß sie von hier aus auch Eingang in die Konzertprogramme des Auslandes finden mögen.

Doch über die Interessen der Musiker und Musikfreunde hinaus will ein solches Fest auch noch einer höheren Aufgabe dienen: das auseinandergerissene Gefüge der Welt im Raume der Kunst wieder ein wenig zusammenzufügen. Inter armą silent musae: wir haben es erlebt… So erklang am Anfang des ersten Musikfestes die Bitte um Frieden im letzten Satz von Honeggers Liturgischer Symphonie. So wurde auch dieses Musikfest mit „D rei Hymnen an den Frie- d e n” eingeleitet. Alexander Spitzmüller, der seit vielen Jahren in Paris lebt und dort erfolgreich für die freundschaftlichen Beziehungen seines Gastlandes zu Österreich wirbt, schrieb diese drei Hymnen (Magnificat, Gebet und Jubelgesang) im Jahre 1941 „im unerschütterlichen Vertrauen auf den schließlichen Endsieg der Freiheit des Geistes”. In dem sehr gepflegten Orchestersatz Spitzmüllers geht die strenge Polyphonie aus deutscher Schule mit den französischen Orchesterfarben eine sehr gefällige, freilich ein wenig unverbindliche Synthese ein. Die darauf folgende Festouvertüre von Jacques Ibert ist ein glanzvoll-rauschendes, folkloristisch inspiriertes Gelegenheitswerk, das für eine feierliche Eröffnung nicht ganz passend erschien. Mozarts kleine Es-dur- Symphonie beschloß dies Konzert der Wiener Symphoniker unter Karl Böhm.

Im ersten Orchesterkonzert erwies sich Erich Kleiber als überzeugender Interpret der Klassik und der Modeme, während ihm der romantische Bereich (Webers Euryanthe-Ouvertüre) weniger zugänglich zu sein scheint. Beethovens III. Symphonie brachte er mit großer Intensität und vollkommener Klarheit. Im Mittelpunkt des Konzerts standen drei Bruchstücke für Gesang und Orchester aus Alban Bergs „W o z z e k”, den Kleiber 1925 an der Berliner Staatsoper ur- aufgeführt hat. Diese Musik ist faszinierend und neu wie am ersten Tag: neu in der unübertrefflichen Originalität ihrer Melodikund Klanggestalt, klassisch in der Logik des Aufbaus und der Prägnanz ihrer tönenden Symbole. Hinter diesem Werk aber steht ein zugleich sehr einfacher und sensibler Mensch: die Künstlerpersönlichkeit Alban Bergs, der ©ine einmalige Synthese zwischen Alt und Neu, Sachlich und Romantisch, Linear und Harmonisch verwirklicht hat. (Ljuba Welitsch und die Philharmoniker waren die Ausführenden.)

Abschluß und Höhepunkt des zweiten Drehest erkonzerts bildete S t r a- winskys „Sacre du Printemp s”. Das Werk hat seine besondere Wiener Geschichte, die man in den Memoiren Stra- winskys nachlesen mag, und seinen unbestrittenen Platz in der Entwicklung der neuen Musik. Man kann sich kaum mehr vorstellen, wie die barbarisch-entfesselten Rhythmen der „Frühlingsfeier” bei ihrer Uraufführung in der Welt von 1913 gewirkt haben mögen. Obwohl durch zahllose epigonale Nachahmungen die Effekte gerade dieses Werkes zum Teil banalisiert wurden, entdeckt man auch heute noch in der Partitur des „Sacre” musikalisches Neuland. Neben diesem raffiniert-robusten Werk konnte sich — vor allem durch die Verschiedenheit seines Stiles — Zoltan Kodälys „Concerto für Orchester 1941” in Ehren behaupten. Das formklare, kraftvollgesunde und konzise Werk wurde vom Komponisten selbst geleitet. Die musikalische Substanz des Balletts „Die Wunderschalmei” von Sandor Veress genügte leider nicht für eine konzertante Aufführung. Leo Weiners „Introduktion und Scherzo” stand als — freilich recht dürftiger — Ersatz für Honeggers Streicher-Symphonie auf dem Programm. Höchste Anerkennung und Dank für die unsägliche Mühe und das glänzende Gelingen der Aufführung des „Sacre du Printemps” gebührt den Budapester Philharmonikern unter Janos Ferencsik. Dirigent und Orchester haben sich an der schwierigsten Partitur der gesamten Orchesterliteratur bevorratend bewährt. Das will etwas heißen..

Im ersten Kammerkonzert hörten wir Werke von vier österreichischen Komponisten der mittleren Generation und Strawinskys „Dumberton Oaks”-Konzert. In Hanns Jelineks „Suite für Streichorchester op. 11 und in M. Rubins Liedern auf Texte von Goethe und Nietzsche kommen bedeutende harmonische und klangliche Härten durch den Aufeinanderprall selbständig geführter Stimmen zustande. Jelineks Form ist klar und übersichtlich, dem Gefühlsablauf der einzelnen Sätze vermag ich kaum zu folgen. M. Rubin, romantischem Gefühl und Klang abgewandt, hat einen sehr persönlichen, bewußt-primitiven, holzschnittartigen Stil entwickelt. Ob sich hiefür Texte etwa von Villon, Günther, Brecht oder Kästner nicht besser eignen als Goethe? — Neben Strawinskys Konzert in Es konnte sich J. N. D a v i d s „D ivertimento nach alten Volksliedern” op. 24 eher behaupten als Bergers „Malinconia” für Streichorchester (die während der letzten beiden Jahre mehrfach zu hören war). Davids satztechnische Meisterschaft ist bekannt und bedarf keiner Bestätigung. Dieses Werk aber zeigt einen frischen musikanti- schen Zug, hat Einfall, Witz und Humor. So mag es — auch jenseits unserer Grenzen — in den Konzertsälen heimisch werden. — Uneingeschränktes Lob verdienen Franz Litschauer und sein Kammerorchester, das sich besonders bei der Wiedergabe des rhythmisch außerordentlich schwierigen „Dumberton Oaks”-Konzerts ausgezeichnet hat. In dem Bestreben, nur alles ja recht gut, deutlich und expressiv zu gestalten, geriet der Dirigent manchmal in einen etwas ekstatischen Stil, der den neusachlichen Werken nicht ganz angemessen war. Doch dies nur nebenbei.

(Ober die Chor- und Kammerkonzerte wird gesondert berichtet werden. Zur Programmgestaltung des ganzen Musikfestes wird im Schlußreferat ein Wort zu sagen sein.)

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