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Die Prager und die Warschauer Philharmonie

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Gustav M a h I e r formte das Profil dieser Konzertwoche mit zwei seiner Riesensymphonien, Josef Krips interpretierte mit den Symphonikern und dem Singverein' (Solisten Theresa Stich-Randall und Ursula Boese) die Zweite, deren Name („Auferstehungssymphonie“) ihren geistigen Inhalt ausspricht: Ich werde sterben, um zu leben. Die Wiedergabe atmete die Liebe und Hingabe eines großen Dirigenten an den großen Komponisten, der vor 100 Jahren geboren und 1911 gestorben ist, seither einige Male vergessen und auferstanden, angefeindet und geliebt wurde. Heute streift sein Werk alles Zeitgebundene ab und es bleibt gewaltig viel des zeitlos Dauernden und Gültigen. Das erwies sich ebenso in der Wiedergabe der „Fünften“ durch die Prager Philharmoniker unter Karel S e j n a, die im Gegensatz zur „jenseitigen“ Zweiten sich in Kampf und Lebensfreude des „Diesseits“ bewegt. Mit ihr beginnt die zweite Trias von Mahlers Symphonien, die auf das Wort verzichtet und alle Sprache aus dem Ton allein holt. Auch hier erlebten wir eine von Ehrfurcht und Liebe getragene Wiedergabe, die dennoch an Exaktheit der musikalischen Ausführung keine Wünsche offenließ. — Die der „Fünfte n“ vorangestellte Serenade für Streicher, op. 6/von Josef S u k, eine ganz andere Welt, offenbarte ihre liebenswürdige, erz-musikantische Natur durch die Piager in schönster Weise. Nicht thematisch, doch gedanklich wird man ein wenig an Brahms erinnert, der das Werk ja auch zum Druck beförderte. Er mochte wohl über seinen Schüler Dwofäk, Suks Lehrer (und Schwiegervater), noch Verwandtes darin finden.

Ein wahrhaft internationales Team schloß sich zu einer eindringlich dramatischen Aufführung des Requiems von Verdi zusammen: der Dirigent Carlo Maria Giu 1 ini, das Londoner Philharmonische Orchester, der Wiener Staatsopernchor und die Solisten Leontyne Price, Fiorenza Cossotto, Luigi Ottolini und Ivo Vinco. Selten gab es ein so einheitlich in stimmlicher und ausdrucksmäßiger Haltung ausgewogenes Soloquartett, das in dieser Komposition vor ebenso schönen als eminent schwierigen Aufgaben steht. Der temperamentvolle, aber sehr zielbewußte Dirigent stellte die Sequenz mit ihren dramatischen Ausmalungen in den Brennpunkt, dennoch wurde der absolut sakrale Ausdruck zum Erlebnis. Die Exaktheit des Chores schien kaum überbietbar, da Orchestr bewies die gleiche Disziplin, wenn wir auch gar nicht so wenige Stellen zu laut fanden und das Verdische Pianissimo vermißten.

Die Bläsermusik-Vereinigung der Wiener Symphoniker stellte drei Werke moderner Komponisten zu einem stimmlich gesteigerten Programm zusammen: Hanns J e 1 i n e k s Sonatina a tre, Hans Erich Apostels

Quartett, o p. 14, und Karl S c h i s k e s Q u i n t e 11„ o p, 2 4. In Jelineks Sonatina 'zeichnen Oboe, Englischhorn und Fagott ihre klären Linien in scheinbär'ünb&imim'erter (doch ieW wlfipira-neter) Weise, spielen mit Reihe und Krebs auf ihre Art und wissen ihre Klangfarben geschickt (und manchmal auch ein wenig kokett) hervorzukehren, immer erfreulich und immer einfallsfröhlich. Strenger, ernster, bedeutender wächst als Quartett für Flöte, Klarinette, Fagott und Horn ein Zwölftonwerk von Hans Erich Apostel auf, das vor allem im Variationensatz sowie in den beiden Adagiosätzen auch ausdrucksmäßig Gewicht hat. Die klangliche Problematik wird durch die Farben der Instrumente aufgelockert, die auch das Liniament, oft von verwirrender Dichte, erkennbar durchleuchten. Echt musikantisch und aus dem Charakter der Instrumente heraus erfunden, gibt sich das Quintett, op. 24, für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott von Karl Schiske. Es könnte als ein heiterer Wandertag gedeutet werden, den die fünf klingenden Gesellen unternehmen. Ein Urlaubstag vom Abstrakten, der wohl auch zur Besinnung anregt, aber doch im ganzen „Schnell und lustig“ vergeht. Franz Krieg

Statt des angekündigten „Concerto grosso“ von Martinu spielten die Prager Philharmoniker unter Karel Ancerl — virtuos und klangschön — die in Wien mehrfach aufgeführte und vom letzten Ballettabend der Staatsoper bekannte „Romeo-und-Julia“-Musik (I. Suite) von Serge Pro-kofieff. Das Violoncellokonzert von Robert Schumann geriet ziemlich matt: Es ist kein Meisterwerk, und der Ton des Solisten (Enrico M a i n a r d i) litt hörbar unter der Saaltemperatur. — Zu einem schwung- und glanzvollen Musizieren kam es dann wieder im zweiten Teil des Programms. Dvoraks 4, Symphonie (in Wirklichkeit seine achte!), ein prächtiges Stück, konzis gearbeitet und von wahrhaft „blühender“ Melodik erfüllt, sollte auch auf unseren Programmen häufiger erscheinen, denn es steht fast ebenbürtig neben der hochberühmten „Fünften“.

Die Warschauer Philharmonie stellte sich mit zwei interessanten Werken polnischer Komponisten vor. Die „Vier Essays“ des 1928 geborenen Tadeusz B a i r d können als ein repräsentatives Werk der jungen polnischen Schule bezeichnet werden. Sie sind in Zwölftontechnik geschrieben, aber keineswegs in jenem wohlbekannten internationalen Jargon abgefaßt, sondern sprechen nicht nur eine sehr persönliche, sondern — in ihrem träumerischen Lyrismus, ihrer Differenziertheit und mit ihrer Leidenschaftlichkeit — eine durchaus nationale Sprache. Das spätromantische, klangschwelgerische, in der (einsätzigen) Form etwas amorphe Violinkonzert von Karel Szymanowsky fand in der in Wien wohlbekannten Geigerin Wanda Wilkomirska eine ebenso virtuose wie sensible Interpretin, die mit lebhaftem, langanhaltendem Beifall bedacht wurde. Nach der 5. Symphonie Tschaikowskys gab es mehrere Zugaben und noch einmal stürmischen Applaus für den energischen und temperamentvollen jungen Dirigenten Witold R o w i c k i, der als Pionier sowohl der neuen polnischen als auch der westlichen Musik in Warschau gilt.

Die beiden Liederabende von Dietrich Fischer-Dieskau im Großen Konzerthaussaal zählen zu den Höhepunkten der heurigen Musikfestwochen. Der erste war Robert Schumann, der zweite Hugo Wolf gewidmet. Die hohe, unvergleichliche Lied'kunst Fischer-Dieskaus hat mehrere Komponenten; die angenehme, ausdrucksvolle, modulationsfähige und in allen Lagen bestens ansprechende Stimme zunächst; ein sehr persönliches Verhältnis zur intimen Kleinform; eine Intelligenz und ein Einfühlungsvermögen, die ihm das genaue Verständnis auch schwieriger und hintergründiger Texte ermöglichen; schließlich eine Menschlichkeit, welche die Allüre des Sängerstars nicht braucht. Fischer-Dieskau gestaltet sehr vom Text her, aber fast immer erzielt er den so seltenen „goldenen Schnitt“, indem er der Melodie gibt, was ihr gebührt, und dem Text, was des Textes ist. — Die Fülle der Einzellieder und Zyklen gestattet nicht, auf Einzelheiten einzugehen. Aber etwas fiel besonders auf und soll hervorgehoben werden: ein durchaus spürbares, inniges Einverständnis zwischen den vortragenden Künstlern (Jörg Demus war der Partner am Klavier, dem besonders für die subtile Begleitung der Wolf-Gesänge ein Kranz gebührt) und dem Publikum, so daß in dem großen Saal jene geradezu intime Stimmung herrschte, die das Klavierlied so sehr braucht, um ganz aufblühen zu können.

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