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Aus dem alten und aus dem neuen Rußland

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Hauptwerk des 5. Philharmonischen Abonnementkonzerts waren die von’ Ravel instrumentierten „Bilder einer Ausstellung” von Mussorgsky, die der Komponist nach dem Besuch der Gedächtnisausstellung seines Freundes Viktor Hartmann geschaffen hat. Es sind zum Großteil mythische, historische und folkloristi- sche Bilder aus Rußland: Gnom und Wetterhexe, Judengezänk und das große Tor von Kiew mit Mönchschören und dröhnendem Glockengeläute … Maurice Ravel hat diese Klavierstücke mit einem Maximum an Einfühlung (wenn auch nicht immer im Stil Mussorgskys) und mit größtem Raffinement für Orchester gesetzt, das von Mario Rossi zum Leuchten und Schillern, Singen und Dröhnen gebracht wurde. — Auch der erste Teil des Konzerts war kurzyrqjlig und brillant: nach Handels sęchsteijigei;. , sser jnusi k” folgte Theodor Bergers „M a 1 i n c o n i ą” für Streichorchester aus dem Jahre 1933, ein einsätziges 15-Minuten- Stück von meditativer Ruhe und schwermütig gedämpftem Klang, umströmt von Naturlaut. — Ferruccio Busonis „Tanzwalzer”, 1921 komponiert, ist handfester und harmloser, stellenweise etwas zu masfcv geraten, aber harmonisch nicht ohne Reiz. — Mario Rossi, von früheren Gastdirektionen in bester Erinnerung, leitete das bunte Programm mit Temperament und Eleganz. Die Phil- harmonikeP waren nicht weniger glänzend als die Instrumentationseffekte, deren Interpreten sie waren.

„Das Lied von den Wäldern”, eine siebenteilige Kantate von Dimitri Schostako- witsch, wurde vom Chor und Orchester der Wiener Kulturgesellschaft und dem Chor der Wiener Verkehrsbetriebe unter der Leitung von Josef Maria Müller erstaufgeführt. — Das gleiche Ensemble („W jener V o 1 k s k o n z e r t e”) hat während der ‘vergangenen Jahre Mozarts „Requiem” sowie Mendelssohns „Elias” und „Athalie” aufgeführt. — Daher ist der Griff nach diesem primitiven, un- originellen und langweiligen Werk nicht recht zu erklären. Der linientreue Text huldigt dem bekannten östlichen Fortschrittsoptimismus: man muß Wälder anpflanzen, um der Versteppung Einhalt zu gebieten, dann wird alles gut werden. „Jedermann, alsodann, hilft da mit, so gut er kann”, kräht ein von Trompetengeschmetter eingeleiteter Knabenchor (Mozart-Sängerknaben), und im „Preislied” der Schlußapotheose heißt es: „Die Wälder mit mächtigem Rauschen / sich beweisen als Schützer unseres Lands, / Glaube und Hoffen und Willen / führen zu Glück und zu Glanz.” Auch wenn man vom Text (deutsch von Herrn Hademar Bankhofer) absieht, so hätten die Veranstalter beziehungsweise’ ihr künstlerischer Leiter merken müssen, daß es sich bei diesem Opus 81 um eines jener Werke Schostako- witschs handelt, die er, gewissermaßen als Gesinnungszoll, von Zeit zu Zeit liefern muß, um unangefochten seine Symphonien schreiben zu können. Wer das Gesamtwerk dieses hochbegabten Komponisten kennt, weiß, daß es sich beim „Lied von den Wäldern” um eine Konzession handelt, die wir vom freien Westen aus nicht allzu streng verurteilen wollen; aber es besteht keinerlei Notwendigkeit,1 gerade ein solches Werk bei uns publik zu machen. Es wäre denn als Exemplum.

Ein Festkonzert der Philharmonica Hun- garica zum „Tag der Freiheit” leitete der junge ungarische Dirigent Tarnas Ungar. Das Vorspiel zu den „M eistersingern” geriet etwas zu zackig und litt durch ungenügende Streicherbesetzung, Liszts kaum mehr erträgliches Klavierkonzert in Es (eine oberflächliche, effektvolle Uebersalonmusik) konnte auch der Pianist Erwin L a s z 1 o nicht retten. Aber Debussys „Pr 6 lüde 4 l’aprės-midi d’un faune” wurde vom Dirigenten und dem Orchester sehr sicher, kultiviert und klangschön musiziert. Bei Bartöks „T a n z s u i t e” aus dem Jahr 1923, die zur Fünfzigjahrfeier der Vereinigung von Ofen und Pest geschrieben wurde und bei deren Anhören man sich die Verblüffung des Premierenpublikums lebhaft vorstellen kann, waren Orchester und Dirigent ganz in ihrem Element — Į und natürlich auch die vielen ungarischen Flüchtlinge, die das Konzert besuchten.

Im Großen Sendesaal des Oesterreich ischen Rundfunks leitete Hans Swarowsky die Wiener Symphoniker und brachte ein interessantes Programm. „E p i t a p h” heißt das. 10-Minuten-Stück des jungen Wiener Komponisten Karlheinz F ü s s 1 (Jahrgang 1924), zum 10. Todestag Weberns komponiert, in dessen punktueller Manier geschrieben und ein Jahr später, 1957, beim Zürcher Müsikfest der „Internationalen Gesellschaft für Neue Musik” uraufgeführt, wo es heftige Proteste auslöste. Die’ Aufregung von damals ist beim Anhören dieser fünf Variationen mit Coda kaum verständlich, denn es fehlt dem Komponisten weder an Klangphantasie noch seinem Opus an Logik und Abwechslung. — Ein wenig enttäuschend wąr die Begegnung mit Milhauds VIII. Symphonie: viel polytonaler Lärm, wie wir ihn aus früheren Werken kennen. — Faszinierend wie immer: Bela Bartok, diesmal mit seinem 2. Klavierkonzert, das von der temperamentvollen Ungarin Edith F a r n a d i virtuos gespielt wurde.

Unter dem Titel „Die Reihe” wurde im Schubertsaal ein Konzertzyklus eröffnet, der mit neuester, speziell serieller Musik bekannt und vertraut machen soll. „Es wird über neue Musik viel gesprochen und geschrieben. Hier soll sie gespielt werden”, erklären die Initiatoren, zwei junge, tüchtige Musiker (Kurt Schwertsik und Friedrich Cerha). Diese Parole will auch der Kritiker ad notam nehmen und immer wieder hören. Denn bei der ersten Begegnung sind Werke wie Henri Pousseurs „Quintett 4 la memoire d’Anton Webern”, ja sogar Weberns „Saxophonquartett” weder in ihrer Struktur zu erfassen noch im Detail zu kontrollieren. — Anders verhält es sich mit dem dritten Werk dieses Konzerts, der „Improvisation sur Mallarme” von Pierre Boulez. Hier wird eine in weiten Intervallen geführte und melismatisch reich verzierte Singstimme (Maria Therese Escribano) von einem aparten Instrumentalensemble begleitet, das aus Klavier, Harfe und Vibraphon, vielerlei Schlagwerk und Röhrenglocken besteht. Es ist nicht nur der fernöstliche Charakter und Klangreiz, der fasziniert, sondern auch die Phantasie und Poesie, mit der hier ein zeitgenössischer Musiker versucht, die Esoterik einer Wortdichtung gleichzeitig zu überhöhen und aufzulösen. Das zum großen Teil aus jugendlichen Zuhörern bestehende Publikum applaudierte begeistert.

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