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Neue ungarische Musik

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leder ungarische Komponist beruft sich in irgendeiner Form auf Bela Bartök. Entweder war er Klavierschüler des Meisters (Bartök hat bekanntlich keinen Kompositionsunterricht erteilt) oder er war ein Freund und Schützling Bartöks oder er hat ihn wenigstens persönlich gekannt. Alle aber kennen das Werk Bartöks und schätzen es als das eines Klassikers. Und alle stehen unter dem starken Eindruck seiner starken Persönlichkeit und seines künstlerischen Ethos.

In einem von Zoltän Rozsnyay dirigierten Konzert der „P h i 1 h a r m o n i a H u n g a r i c a“ wurde Bartöks „T a n z s u i t e“ gespielt. 1923 % zum 50jährigen Jubiläum der Städtevereinigung von Ofen und Pest geschrieben, ist sie in der hochoriginellen Verarbeitung folkloristischer Themen, in der konzisen Formung der sechs kurzen Sätze sehr charakteristisch für den Durchbruch der Moderne in Ungarn und für Bartöks Personalstil.

Im gleichen Konzert hörten wir, als österreichische Erstaufführung, „Hommage ä Paul Klee“, Phantasien für zwei Klaviere und Streichorchester von Sandor Veress, der, 1907 geboren, Klavier-schiiler von Bartök war, bei Zöltan Kodäly Komposition studierte und gegenwärtig als Kompositionslehrer in Bern lebt. Die fünf Sätze der eine knappe halbe Stunde dauernden Komposition sind von folgenden Bildern Klees inspiriert: Zeichen in Gelb, Feuerwind, Ausklang, Unten und Oben, Steinsammlung, Grün in Grün und Kleiner Blauteufel. Wie Paul Klees Bilder, ist diese feine und originelle Musik nicht „abstrakt“, sondern poetisch, lyrisch, tänzerisch und geistvoll. Mit Klees Kunst verbindet sie auch das bald zierliche, bald kräftige Lineament, die klare rhythmische Gliederung und die zarten, ungemischten Farben. Der Komponist am Flügel (von dem jungen, hochtalentierten Baiint Vazsonyi assistiert) wurde überaus lebhaft und herzlich gefeiert. Das Orchester unter der Leitung Rozsnyays hat das schwierige Werk brillant gespielt und wohlgemessenen Anteil am Erfolg der Aufführung.

Im Schubert-Saal des Wiener Konzerthauses spielten das ungarische Ramor-Quartett und ein aus Mitgliedern der Philharmonia Hungarica bestehendes Bläserquintett neue ungarische Kammermusik. — Kaiman Halasz, 1919 geboren, seit 1956 in Oesterreich lebend, war Preisträger mehrerer nationaler Kompositionswettbewerbe. Sein dreisätziges Streichquartett verbindet Folklore, Impressionistisches und Konstruktives. — Ein Kabinettstück geistvoll-witziger und gutklingender Kammermusik schuf Georg Vetessy, 1923 geboren und gleichfalls in Wien in der Emigration lebend. Die fünf Sätzchen seiner Bläserserenade sind so lustig wie ihre Titel. — Der weitaus Avancierteste ist György Ligeti, Jahrgang 1923, als Freischaffender in Wien und Köln lebend. Die 1954 für Streichquartett geschriebenen „Metamorphoses Nocturnes“, traumhaft-labyrinthische Variationen von großem klanglichem Reiz, zeigen den Komponisten auf dem Weg zu serieller und elektronischer Musik.

In einem öffentlichen Konzert des Oesterreichischen Rundfunks, ausgeführt von den Wiener Symphonikern, dirigierte Heinrich Hollreiser zwei zeitgenössische Werke. Die beiden „Intermezzi“, op. 9, von Gerhart von Westerman, dem gebürtigen Balten und Wahlberliner (Jahrgang 1894), bezeugen die Schule von Paul Juon und Walter Courvoisier nicht nur in Technik und Harmonik, sondern auch im hochromantischen Ausdruck. Dem langsamen ersten Stück, mit seiner noblen Melodik und reichen Regerischen Modulation, folgt ein schneller Satz, ein symphonisches Scherzo, das effektvoll instrumentiert ist und im massiven Einsatz der Bläser sowie durch die plastischen tänzerischen Themen zuweilen an Pro-kofieff erinnert. — Der Solist des 1929 geschriebenen Bratschenkonzerts von William Walton (geb. 1902) war Ron Golan.

Im Großen Musikvereinssaal leitete George S i n-g e r (im Rahmen des Festaktes „10 Jahre Israel“) die europäische Erstaufführung der $.'Symphonie von Menachem Avidom. „Das Liedvofi E1 i a t“ ist der Titel dieser viersätzigen Vokalsymphonie, deren hymnischer Text von Ora Attaria stammt und von einer hochmusikalischen Mezzosopranistin, Rema Samsonov, sehr eindrucksvoll interpretiert wurde. Der Komponist strebt offensichtlich — wie die meisten seiner - israelischen Kollegen — einfache, intensive und volkstümliche Wirkung an und erzielt diese mit' Hilfe eines patriotischen Textes, einer konservativen, zuweilen. plakathaften Tonsprache und häufiger Verwendung von folkloristischem Material. Dieses ähnelt, mit seinen ungeraden Rhythmen, der balkanischen, insbesondere der bulgarischen und jugoslawischen Volksmusik und hat im 3. Satz tänzerischen Charakter. Es spielte das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester.

Eine erfreuliche Wiederbegegnung war die mit dem ausgezeichneten „Quartetto italiano“ (früher „Nduvo Quartetto italiano“). Die Herren Borciani, Pegreffi, Farulli und Rossi spielten M o-z a r t und Schubert, wie man sie sich „richtiger“ kaum vorstellen kann. Das Streichquartett F-dur, op. 92, von Prokofieff klang genau so, wie man sich ein Streichquartett von Prokofieff vorstellt: ein wenig grob, effektvoll und sehr russisch.

Ein französischer Liederabend mit interessantem Programm (Debussy, Ravel und Roussel) kann in diesem Rahmen nicht besprochen werden, denn die Solistin Lotty-Lyra, Paris, verfügt weder über eine konzertreife Stimme noch über Ausdruck und Gestaltungskraft.

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