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Die singenden Zuhörer

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Der Versuch, das Publikum aus seiner passiven Zuhörerschaft zur aktiven singenden Mitwirkung emporzuführen, ist verschiedentlich gemacht worden: es bedarf aber neben der Größe des Konzepts einer Persönlichkeit vom Charme und von der Einfachheit Paul Hindemiths, diesen Versuch in eine vollgültige Tat umzusetzen, wie es ihm ’bei der Aufführung seiner Kantate „Ite angeli veloces“ gelang, da die Rufe des Chores vom ganzen Saal aufgenommen und in gewaltiger Steigerung wiederholt, gleichsam „universalisiert“ wurden. Die auf Texte Paul Claudels komponierte Kantate bildet in ihren drei Teilen (Triumphgesang Davids, Custos quid de nocte und Gesang an die Hoffnung) trotz der Länge des Textes eine konzentrierte, substanzdichte Musik meisterlicher Abgeklärtheit, die sich die Worte mehr assimiliert als sich in ihnen verliert, bezwingend durch den unbeirrt sicheren Zu griff und Schwung wie durch die musikantische Lebendigkeit, die zur Majestas der Töne wird. — Der vorangehende „100. Psalm“ von Max Reger, wohl eines der gewaltigsten Chorwerke des „Bayerischen Löwen“, blieb trotz des Verdünnungsversuchs durch Hindemith in der ungeheuren Kompliziertheit seiner stimmlichen Verflechtungen und der daraus resultierenden schwierigen Klangdifferenzierungen etwas dick und undurchsichtig, ln Christa L u d- w i g und Julius P a t z a k standen dem Dirigenten Hindemith zwei Solisten nach seinem Herzen zur Verfügung. Nach seinem Herzen dürfte auch die Leistung des Chores der Wiener Singakademie gewesen sein (von dem Alleskönner Hans Gillesberger einstudiert), und nicht zuletzt das der einfachen Größe des Dirigenten würdige Orchester der Wiener Symphoniker.

Arnold Schönbergs Melodram „P i e r r o t

1 u n a i r e“ für eine Sprechstimme und fünf Soloinstrumente (zu Gedichten von Albert Giraud in der Nachdichtung O. E. Hartlebens) hat von seiner alltagsfernen Problematik bis heute kein Jota eingebüßt, nur daß wir den Problemen heute offener und williger gegenüberstehen und daher über diese und die abseitige Romantik der Verse hinaus die Feinheit und Eigenartigkeit der kompositorischen Einfälle w'ie ihrer Technik bewundernd anerkennen. Die rhythmisch — und meist auch tonlich — genau festgehaltene Sprechstimme gehört gewiß zu den schwierigsten Partien ihres Fachs, an ihren richtigen Modulationen hängt wie an einem roten Faden die Wirkung und der Eindruck eines subtilen Werkes. Hedli Anderson gelang die überzeugende Interpretation, die Instrumente hatten ihren gewogenen Anteil. Peter Stadien wirkte in der Betreuung des Klavierparts und der Gesamtleitung mit der gleichen Sicherheit des Könners wie als Dirigent der folgenden „F a ę a d e“ von William Walton, die mit dem „Pierrot" die dominierende Sprechstimme und das Solisteninstrumentar gemeinsam hat, sonst jedoch völlig andere Wege geht. Gedichte von Edith Sitwell, oft nur Klangkombinationen der Sprache, werden unter einem Programmgedanken zu kleinen Stücken gerundet, die ebenso humorig, ironisch, paro- distisch als künstlerisch eigenartig sind, die in ihren einzelnen Komponenten leichtgewichtig, oft sogar gewichtlos, in ihrer Verknüpfung hingegen ein apartes und amüsantes, gleichsam abendkleidliches Volumen erhalten und im realen Sinn Kunst als Unterhaltung bieten. Englische Volks- und Songmelodien, aber auch solche von Rossini gucken kokettierend aus der leichten Verhüllung, indes keine Melodie und kein Motiv behauptet sich, sie rinnen fröhlich oder verträumt unter der Sprechstimme durch, die in ihrem Silben- und Temporeichtum wahre Kaskaden versprüht.

Zwei Violinkonzerte von J. S. Bach und eines von Mozart spielte und dirigierte (Kammerorchester der Konzerthausgesellschaft) Yehudi Menuhin im letzten Konzert des Müsikfestes. Es war durchaus symbolisch, wie die großen Meister der Weltmusik immer auch mitten in der Moderne ihren Platz haben und haben werden, denn sie sind, eben weil sie jenseits aller Mode liegen, im tiefsten Sinne modern, gestern, heute, morgen. Der silberne Strich Menuhins, in dem immer etwas vom Sonnenschein aufleuchtet, führte solcherart, nachdem uns in zwei Abenden Nathan M i 1 s t e i n das Dunkle, Tiefe, Geheimnisvolle der Bachschen Solosonaten und Partiten in Formvollendung lebendig werden ließ, aus den neuen Wegen und den Eroberungen neuer Formen und Mittel, an denen das Programm des Musik- festes so' dankenswert reich war, in die unberührten Höhen des Zeitlosen und Zeitentrückten, das auch den kühnsten Neutöner befruchtet und belebt.

üfc Franz K rie g rJäine Aufführung der „M i s s a so 1 emn fs“ von ' hohem Rang boten die Wiener Philharmoniker ,und der Sing verein, geleitet von. Herbert von Karajan. Gewiß ging die bezwingende Wirkung nicht von sakraler Weihe und Versenkung aus (trotz eines wundervollen Benedictus und Willi Boskovskys Sologeige); es war vielmehr eine erheblich dramatisierte Gesamtanlage, gipfelnd in mächtigen Orchesteraufschwüngen und in einem dicht gefügten, präzis und außerordentlich differenziert gesungenen Chorsatz (Einstudierung: Dr. Reinhold Schmid). Das Soloquartett hatte nicht diese Einheitlichkeit. (Es sangen: Theresa Stich-Randall, Marga Höffgen, Ernst Haefliger und Nicola Zaccaria. An der Orgel: Dr. Josef Nebois.)

Zum zweiten Male trat das Orchester Philharmonia Hungarica vor die Wiener, und zwar mit einem vorwiegend ungarischen Programm. Auf die Egmont-Ouvertüre von Beethoven, dynamisch klug ausgewogen musiziert, folgte das Violinkonzert von Bela Bartök, das letzte Werk, das er in seiner Heimat vollendete. Den Solopart, Zoltän Szėkely gewidmet, geigte Yehudi Menuhin mit glanzvoller Technik und großartiger geistiger Durchdringung, bezwingend im Andante tranquillo. mitreißend im Rondosatz. Der Dirigent Zoltän R o s z n y a i und sein Orchester zeigten sich allen schwierigen Aufgaben der Uebereinstimmung voll gewachsen. Größe, ja Erschütterung ging an diesem Abend vom „Psal- mus Hungaricus“ von Zoltän Kodäly aus. Hier fühlte der Zuhörer das Herz eines Volkes schlagen, hier stand jede Stimme für Milionen. Es war eine Freude, zu hören, wie das Orchester alles überbot, was es bisher geleistet und wie es mit jeder gestellten Aufgabe wächst. (Es wirkten mit: Andor Kapossy, der Chor des Oesterreichischen Rundfunks, Radio Wien und die Mozart-Sängerknaben.)

Das Freie Ungarische Kammerballett debütierte im Stadttheater Baden. Die Mitglieder dieses Ensembles waren gewiß nicht die ersten Kräfte ihres Landes, aber es handelt sich um überaus talentierte Tänzerinnen und Tänzer, die seit der Zeit, da wir sie bei ihren Proben beobachten konnten, fleißig gearbeitet und große Fortschritte gemacht haben. Die Bewegung ist geglätteter, schmiegsamer geworden, die Raumeinteilung in der Diagonale wirkte gut gegliedert, die Gruppenbildung blieb frei von Konventionalität, und eine ungekünstelte Mimik steht — besonders bei den ungarischen Themen — in enger Beziehung zum Tanz. Der Witz und die satirische Note verheißen große Entwicklung. Der Abend, aufgelockert durch Gesangvorträge (Ferencz Boszeky) brachte dem Ballett, voran Viktoria Biro, Rosa Vida, Kalman Solymossy, Tarnas Szegö und Ivan Galambos, reichen Beifall ein.

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