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Oper und Requiem im Konzertsaal

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Wle die meisten Chorkompositionen etwa seit Beginn des 19. Jahrhunderts innerhalb der Werkreihe eines bestimmten Meisters nimmt auch das .Deutsche Requiem“ von B r a h m s künstlerisch nicht den allerhöchsten Rang ein. Dagegen ist es ein im besten und edelsten Sinn .volkstümliches“ Werk: allgemeingültig, verständlich in jedem Detail und lapidar in Form und Formulierung. Nichts Einfacheres und zugleich Wirkungsvolleres als die Anlage: die beiden Seligpreisungen am Anfang und am Ende (Satz I und VII), die zweigeteilten, von Trauermarschrhythmen eingeleiteten Teile II und VI, die von Vergänglichkeit und Auferstehung künden, schließlich, als lyrisches Kernstück, der Chor .Wie lieblich sind deine Wohnungen* (IV. Teil). — Nach Beethoven hat Wilhelm Furtwängler zu Br ah ms das unmittelbarste Verhältnis, und man kann sich kaum eine Interpretation vorstellen, die Charakter, Geist und Seelenstimmung dieser Musik vollkommener und eindrucksvoller zur Geltung bringt. — Wohl mag man festgestellt haben, daß das Ganze dieser Aufführung vollkommener war als das Detail, aber schließlich ist es ja der Gesamteindruck, der entscheidet und der im Gedächtnis bleibt... Die Wiener Singakademie wächst mit ihren Aufgaben von Mal zu Mal (Einstudierung Dr. R. Schmid), zwei ausgezeichnete Solisten standen zur Verfügung (Irmgard Seefried und der Berliner Bariton Dietrich Fischer-Dieskau, der sich inzwischen auch als bedeutender Schubert-Sänger vorgestellt hat), die Wiener Symphoniker spielten besonders zart und tonschön, Franz Schütz betreute den Orgelpart. Der vollbesetzte Saal des Konzerthauses, dessen akustische Verhältnisse durch den erfahrenen Dirigenten sehr geschickt berücksichtigt wurden, zeigte sich auch in dieser Hinsicht von seiner besten Seite und bildete den festlichen Rahmen für eine Geburtstagsfeier besonderer Art, die mit der zweiten Aufführung des .Requiems“ zusammenfiel.

Zu Verdis 50. Todestag brachte die Gesellschaft der Musikfreunde eine konzertante Aufführung der ,A i da“ unter K a r a j a n. Was immer man grundsätzlich gegen eine solche Deplacierung von der Bühne einwenden mag, die einem Gewaltstreich deshalb ähnlich sieht, weil sich diese Oper gegenwärtig Im Spielplan der Bundestheater befindet, verstummt vor der Vollkommenheit der Ausführung dieses gewagten Unternehmens, wird durch sie geradezu widerlegt. Womit wieder einmal erwiesen ist, daß auf dem Gebiet der Kunst die Gesetze der Logik nur sehr bedingt gelten und daß ästhetische Urteile a priori von geringem Wert sind. Die Bedenken, die gegen eine konzertante .Aida“ geltend gemaoht werden können, liegen so offen auf der Hand, daß wir nicht bei ihnen verweilen, sondern uns deren Vorteilen zuwenden wollen. Zunächst: Eine Konzentration des Hörers auf die Partitur, die man gleichsam wie unter einer Lupe betrachten konnte und in der man, wie bei einer Meistergraphik, keine leere Stelle entdeckte; dynamische und rhythmische Abstimmung zwischen Solisten, Chor und Bühne, wie sie auf keiner Opernbühne der Welt zu realisieren Ist; klanglich ferner: der Ansporn für jeden Orchestermusiker, sein Bestes herzugeben, da bekanntlich anders spielt, wer auf dem Podium sitzt, als. wer in der Versenkung schwitzt; die Konzentration der Sänger auf den musikalischen Teil ihrer Partie und die Befreiung von .atemraubendem“ Agieren auf der Bühne; schließlich die durch Verringerung der Distanz erhöhte unmittelbare Wirkung des Dirigenten. Der neunfach geteilte Chor, aus Mitgliedern des Singvereins und Wiener Lehrern gebildet, sowie die Symphoniker waren mit Karajanscher Präzision vorbereitet. Die stärkste, geradezu .umwerfende“ Wirkung aber ging von den sechs Solisten aus, die für diese glanzvolle (ungekürzte) Aufführung in italienischer Sprache zur Verfügung standen:-- Dragica Martinis, ein ganz großer, vielfach nuancierter und registerreicher Sopran, dessen virtuose Beherrschung fast schon an Akrobatik grenzt, der seelenvolle, ein Klangwunder darstellende AH Neil Rankins (die schönsten tieferen Frauenstimmen scheinen, wenn wir an Kath-leen Ferrier denken, gegenwärtig in England zu gedeihen!), der heutzutage sensationelle Glücksfall einer deutschen Belcanto-Stimme:

Lorenz Fehenberg, ein Sänger von unfehlbarer Reinheit des Tones und ebenso unfehlbarem Geschmack] der hochdramatische Giovanni Malaspina und der stimmgewaltige junge Mario Petri (beide von der Mailänder Scala), schließlich Alois Pernerstorf er ... Ein solches Ensemble wirkt elektrisierend, die Stunden verfliegen im Nu und man möchte — ein Goethe-Wort variierend — sagen: .Eine schöne Stimme füllt die Zeit am entschiedensten“. Die Wiener Staatsoper tat gut daran, zwei der besten aus dieser Schar (Dragica Martinis und Lorenz Fehrenberger) für die nächste Spielzeit zu gewinnen. H.A. F. .

In einem Mozart-Konzert gelang es der Chorvereinigung Jung -W i e n unter der Leitung, von Prof. Leo Lehner, einen Abend mozartischer Kirchenmusik tatsächlich kirchenmusikalisch zu gestalten. Neben kleineren Kompositionen aus seiner Kindheit und frühen Jugend und einer schlichten, in keiner Weise exaltierten und deshalb tief eindrucksvollen Wiedergabe des .Ave verum corpus' stand als das Hauptwerk die Krönungsmesse“ auf dem Programm, über deren Ausführung man ohne. Übertreibung sagen kann, daß sie im Konzertsaal noch nie so kirchlich gehört wurde, .da just dieses Werk zumeist der .persönlichen' Auffassung eines Dirigenten allzusehr unterliegt. Der Chor, zum größten Teil auswendig singend, hat schöne, frische, um die Kunst des Singen wissende Stimmen, die nirgend flach oder roh, stets warm tönend und schön klingen. Das Solistenquartett unter Ilona Steingrubers Führung fügte sich ebenso diesem sakralen Geiste ein und überbaute den Chor wie eine zarte Kuppel. i; ;t

In einigen kleinen, dochstil- und stimmenmäßig sehr diffizilen Chorkomposltionen überrasohte der Kammerchor des Tonkün stlerorchesters durch sein immer wjeder gesteigertes Können. Die blitzsaubere Intonation, die rhythmische Beweglichkeit, deutliche Textsprache und vor allem die überaus einheitliche, leise schwebende Fülle des stimmlichen Klanges bringen diese junge Gemeinschaft bereits unseren besten Kammerchören nahe. Der Dirigent Gottfried PreinfaHc stellte sich selbst mit der Leistung seines Chores das beste Zeugnis aus, denn der Satz: „Es gibt keine schlechten Chöre, wohl aber schlechte Chorleiter“, gilt auch in seiner Umkehrung ins Positive.

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