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Wiener Chöre und ihre Dirigentei

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Eines der besten und virtuosesten Vokalensembles Wiens, der Akademie-Kammerchor, hat einen neuen Leiter erhalten. Der älteste Sohn des Komponisten Johann Nepomuk David, Thomas Christian, begann als Kammermusiker, gründete den „Süddeutschen Madrigalchor” (mit dem er auch in Wien erfolgreich konzertiert hat) und war dann als Chor- und Orchesterdirigent in zahlreichen europäischen Ländern tätig. — Als Komponist wurde er 1956 mit dem Preis der Stadt Stuttgart ausgezeichnet und im vergangenen Jahr als Professor an die Wiener Musikakademie berufen. Die Leitung des Akademie- Kammerchors übernahm Thomas Christian David von Günther Theuring, der sich künftig als Dirigent der „Musikalischen Jugend” betätigen wird. — In dem umfangreichen dreiteiligen Programm seines ersten Konzertes wollte der neue Leiter anscheinend seine Sattelfestigkeit in allen Gattungen erweisen: bei den strengen Polyphonisten (Palestrina, Bach, J. N. David), in kleinen, volkstümlichen Liedern alter Meister (Hans Leo Hassler, Thomas Lech- ner u. a.) und schließlich im harmonisch-farbigen und komplizierten Tonsatz eines Bruckner, Debussy, Kodäly und Orff. Es wäre falsch gewesen — und war auch sicher nicht beabsichtigt — den Vortragsstil des Chores von einem aufs andere Mal umzukrempeln. Was der neue Mann mit dem Chor leisten wird, kann erst die Zukunft erweisen. Aber absolute Sicherheit, handwerkliche Routine, die Fähigkeit, feinste dynamische Nuancen herauszuarbeiten und ein empfindliches Ohr können ihm schon nach diesem ersten Konzert voll bestätigt werden. Heben wir, als besonders gelungen, nur einige Stellen im Programm hervor: in Bruckners „Os justi” das „Lex Dei eius”: in der „Deutschen Messe” Davids das „Gloria”; schließlich das mittlere der drei „Chansons” von Debussy. (Diese und die Lieder aus der Matragegend von Kodäly wurden übrigens in der Originalsprache gesungen — eine virtuose Leistung des Chores für sich!)

Alle drei Mittler der „Missa solemnis”: Orchester, Chor und Solisten, stehen vor der großen Aufgabe, Persönliches ins Allgemeine, und dieses über Ort und Zeit hinauszuheben. Man kann sich das Wirken der Mittler nun freilich auch in der Form einer dramatischen Diskussion vorstellen, die am Ende zu Gemeinschaftlichkeit gelangt. Diesen theatralischen Weg ist der Dirigent Lorin Maazel bei der Aufführung im Konzerthaus gegangen, und man muß ihm zubilligen, daß er konsequent durchgehalten wurde. Wo es explosive Steigerungen gab, strahlte und funkelte es, und selbst die verhaltenen Stellen der Partitur dienten nur der Vorbereitung auf diesen blendenden Glanz. Aber gerade hier, bei der Einkehr der Seele, wurde es deutlich, wie verfehlt das. Gesamtkonzept war. Das Persönliche gelangte bis zum Allgemeinen, die metaphysische Jenseitsschau blieb aus. Ja mehr, es stellten sich — bereits im „Credo” und besonders im „Bene- dictus” — ausgesprochene Leerläufe ein und das „Agnus Dei” verflachte. Bei einer solchen virtuos- äußerlichen Interpretation, deren dynamische und klangliche Qualitäten unleugbar waren, mußte es auch zu einer mindernden Konzentration der Solisten kommen (Irmgard Seefried, Marga Höffgen, Waldemar Kmentt, Frederick Guthrie). Ihre technische Vollendung konnte die Mängel der vom Dirigenten bestimmten Anlage nicht ausgleichen. Höchsten Lobes wert war die Leistung der Wiener Singakademie (Einstudierung Dr. Hans Gillesberger).

Das „Klassische Gulda-Orchester” (eine unglückliche Bezeichnung!) hat im Musikverein Symphonien von Haydn und Mozart, fünf Menuette von letzterem und (mit Gulda als Solisten) Klavierkonzerte von Haydn und Mozart nach der rein klanglichen Seite zufriedenstellend, stellenweise — so bei den Ecksätzen der g-moll-Symphonie („La Poule”) von Haydn — vorzüglich gespielt. Friedrich Gulda bevorzugte bei den Klavierkonzerten eine sachliche, intellektuelle Interpretation, dynamisch ziemlich ausgeglichen, bei deutlicher Vorliebe für zugespitzten, gefeilten, glasig wirkenden Anschlag. (Dirigent war Paul Angerer, am Konzertpult saß Franz Bruckbauer.)

Beim dritten und abschließenden Abend mit Violinsonaten Beethovens spielte Wolfgang Schneiderhan, von Carl Seemann begleitet, die Sonate in A, op. 47, und jene in G, op. 96. Hervorzuheben ist, daß Schneiderhans Vortrag zwar zu gegenständlicher und rationaler Haltung neigt, aber auch einen kennbaren Zug zum gefühlsmäßigen Ausdruck zeigte, ohne ins Süßliche zu verfallen. Nur bei der Tonfülle dieser Geige war es möglich, daß der Begleiter am Bösendorfer beinahe zum Exekutor eines eigenen Klavierkonzerts wurde — so orchestral mutete sein Part an.

Im Palais Palffy (Oesterreich-Haus) stellte sich die erste Preisträgerin beim internationalen Musikwettbewerb München 1958, die Cembalistin Vera Schwarz, vor. Beide Hände sind gleichmäßig vortrefflich ausgebildet, die flüssige Technik, wohl unverkennbar, rückte nicht in den Vordergrund. Die getragenen Stellen in den Werken der alten Meister (J. S. Bach, Couperin, Rameau) zeigten gerundeten, warmen und vollen Klang.

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