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Karajan-Gastspiel in Wien

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Nach fast elf Jahren war es erstmals wieder soweit: Herbert von Karajan dirigierte für die Gesellschaft der Musikfreunde ein „Philharmonisches“, was er seit seinem spektakulären Abgang von der Staatsoper und aus Wien bisher stets abgelehnt hatte. Also vor allem ein symbolischer Akt der Versöhnung, der mit Beethoven und Bruckner gefeiert wurde, und hoffentlich ein Auftakt für eine Reihe von Karajan-Konzerten.

Karajan und Bruckners „Siebente“: Das ist immer wieder ein Ereignis; und es wurde diesmal ein besonderes. Denn diese Aufführung wirkte so geläutert, so klarlinig, sachlich und doch tief verinnerlicht, wie wir es selbst in Karajans beispielhaft erarbeiteten Wiedergaben mit den Berliner Philharmonikern nicht erlebt haben. Eine tiefempfundene Wiedergabe, in der die Gestaltung jedes Bogens, jeder Phrase, jedes Details merkbar Ergebnis eines langen Prozesses des Überdenkens war; eine Wiedergabe, die im Adagio sich zum verklärten Abgesang auf den Tod Richard Wagners steigerte und bei aller Strenge der Konzeption Karajans doch voll ausschwingen konnte. Allerdings wohl auch, weil Karajan Elastizität und Überperfektion früherer Jahre allmählich durch Besinnung und Vertiefung ersetzt hat, weil ihm Bravour heute wohl schon weniger bedeutet als das Hineinhorchen in Bruckners Orchesterfarben, als das Aufspüren von Regungen und Schattierungen.

Wenig erfreulich war die Begegnung mit dem bulgarischen Pianisten Alexis Weissenberg, der Beethovens 5. Klavierkonzert spielte: etwas beiläufig, spannungslos, ohne Gefühl für das Aussingen des herrlichen Adagio-Satzes. Daß er mit seinen Schlampereien auch das Orchester irritierte, konnte man beim besten Willen nicht überhören. Und auch Karajan konnte da kaum etwas retten, um so weniger, als Weis- senbergs Wiedergabe jede persönliche Deutung, jeden Stil vermissen ließ. R. W.

Zum ersten Mal gastierte im Musikverein, und zwar im 5. Konzert des Zyklus „Die große Symphonie“, der knapp 40jährige, aus Thüringen stammende Bernhard Klee. Die Stationen seiner Dirigentenkarriere waren Köln, Bern, Oberhausen, Hannover und Salzburg. Von 1966 bis 1973 wirkte er als Generalmusikdirektor in Lübeck. Gegenwärtig ist er meist auf Reisen, wie das so üblich ist. — Herr Klee ist ein feiner, sympathischer Musiker, mit leichter, lockerer Hand und einem eher „weichen“ Schlag, der auch den Ton des Orchesters beeinflußt: für Mendelssohn, mit dessen reizvoller, mit ebenso leichter Hand geschriebenen „Italienischen Symphonie“ das Konzert begann, besonders geeignet. Und wieder einmal bedauerte man, Mendelssohn-Musik so selten auf unseren Konzertprogrammen zu finden (aber am Donnerstag, dem 6. März, wird es wieder etwas von ihm geben, und zwar im Rahmen des Internationalen Kammerorchester- Zyklus). — Hierauf folgte Gottfried von Einems Kantate „Von der Liebe“, die wir seit ihrer Uraufführung im Konzerthaus, Anno 1961, nicht mehr gehört haben. Von einem energischen Allegro eingeleitet, folgen vier Lieder auf Texte von Jimenėz, Brecht und Gabriela Mistral, jeweils von Zwischenspielen unterbrochen, mit einer Gesamtdauer von 25 Minuten. — Sie sind, man kann es nicht anders definieren, in dem bekannten Einem-Stil geschrieben: rhythmisch akzentuiert, nichts „Wolkiges“, das Orchester der Singstimme subordiniert, sehr gekonnt — aber auf eine merkwürdige Art „stimungsneutral“, das heißt: diese Musik könnte auch für ganz andere Texte eingesetzt werden. Das war bei Brechts „Erinerung an die Marie A.“, eines der schönsten Liebesgedichte in deutscher Sprache, schmerzlich. — Ausdruck, Emotion und Lyrismus gingen mehr von der zauberhaft reinen und schlanken Stimme der Edith Mathis aus. Sie wurde auch entsprechend, zusammen mit dem Komponisten und den Wiener Symphonikern, lebhaft gefeiert. Mit Dvoraks VIII. Symphonie, die weder dem Orchester noch dem Dirigenten Probleme aufgibt, bildete den zweiten Teil des Konzertes.

Helmut A. Fiechtner *

Ein lobenswert abwechslungsreiches Programm wies der jüngste Abend im Cembalo-Zyklus des Konzerthauses auf. Johann Sonnleitner brillierte in drei Scorlatti-„Sonaten“ mit seiner virtuosen Technik und spielte Bachs 5. Französische Suite mit schöner innerer Ruhe und agogi- schem Leben; es war eine beachtenswerte künstlerische Leistung. Heinrich Schiff steuerte Cellosonaten von Vivaldi, Geminiam und Boccherini bei. Der junge Künstler, ein fülliger Mann Mitte der Zwanzig, hat bei Kühne an der Wiener Akademie studiert und gilt als kommender Cellostar. In diese Richtung weisen vor allem sein leuchtender

Ton und seine große Sicherheit, dagegen wird die etwas manierierte Bogenbehandlung mit bevorzugtem Portato-Strich nicht ungeteilte Zustimmung finden. Daß er es auch anders kann, zeigte er in Bachs Solosuite in d-Moll: Prelude und Allemande wurden durch konsequentes Legato zu einem „echten“ Bach. Johannes Auersperg spielte in den Sonaten den Streichbaß — und war zu laut; das lag aber am Instrument, denn die Basso-continuo-Praxis sah für solche Fälle ja bestenfalls den Gambengroßbaß mit seinem wesentlich zarteren Ton vor.

Im Brahms-Saal hörte man das Wiener Streichquartett mit Haydn (Es-Dur, Hob. III/80), Beethoven (op. 18/4) und Dvorak (op. 106). Was diesem Ensemble an Durchsichtigkeit und Leuchtkraft des Tones fehlt, versuchte es durch persönlichen Einsatz mit Herz und Temperament wettzumachen.

Herbert Müller

Die Bach-Gemeinde Wien brachte im Mozartsaal des Konzerthauses einen ausschließlich J. S. Bach gewidmeten Abend mit unterschiedlichem Programm und Ausführung. Das Tripelkonzert für Cembalo, Flöte und Violine a-Moll, BWV 1044, erreichte im Adagio ma non troppo e dolce mit der vorzüglichen Barockvioline Eduard Melkus jede innere Dimension des Ausdrucks, die echtes Erlebnis barg, wie der „dialogus“ der Kantate „Liebster Jesu, mein Verfangen“, BWV 32. in die raumgreifende Dramatik der Passionen des Meisters führte: Einsame Kulminationspunkte in der überlangen Aufführung, welche das Pathos des Barock so menschlich machte. In der Ouvertüre h-Moll, BWV 1067, überlagerte die zu starke Streicherbegleitung das etwas zaghafte Solo der jungen Flötistin. Alle Impulse, den Intentionen des Barockmeisters nahezukommen, gingen von den Instrumental- und Vokalsolisten aus, dem Bach-Chor mangelte in den Chorälen oft Präzision. Die Ausführenden waren: Isolde Ahlgrimm — Cembalo, Barbara Müller-Haase — Flöte, Eduard Melkus — Barockvioline, Erich Kitir — Oboe, Gundi Klebel — Sopran, Elisabeth Kummer — Alt, Frederick Ur- rey — Tenor, Eberhard Kummer — Baß, Bach-Chor und Bach-Collegium, Dirigent: Hermann Furthmoser. Franz Xaver Gruber

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