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Prominenz regiert...

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Wenn Dr. Karl Böhm ans Pult der Wiener Philharmoniker tritt, rast jedesmal der ganze Saal: Bravoge-schrei, stürmischer Jubel... Und man staunt immer wieder, wie dieser Musiker mit seinen 79 diese Stunden idealen Musizierens beschert, Stunden so harmonischen Spiels, wie sie nur wenigen Dirigenten gelingen. Vor allem: Böhms Schubert -Wiedergaben, diesmal der IX. Symphonie (C-Dur), wirken jugendlich-fulminanter, dramatisch-konstrastreicher, elastischer als bei vielen seiner prominenten Kollegen. Seine Tempi, stets streng nach Partiturangaben disponiert, seine dynamischen Werte und wie er Phrasen modelliert... Das alles stimmt perfekt zusammen und Böhm hält seine Musiker zu exaktesten Wiedergaben an. Aber auch Beethovens II. Symphonie, Eröffnungsstück des Nicolai-Konzerts, imponierte: eine korrekt erarbeitete, in frischen Farbvaleurs prangende Aufführung.

Jean Martinon, Komponist und grandseigneuraler Chefdirigent des französischen Rundfunkorchesters, zählt zu den Künstlern, deren hervorragende Wiedergaben nicht zuletzt das Ergebnis intensiver Arbeit mit stets ein und demselben Orchester sind. Wenn er seine Musiker kennt und sie ihn kennen, wenn sie auf jede seiner oft sehr legeren Bewegungen geradezu intuitiv reagieren, sind perfekte Aufführungen der Lohn der Arbeit. Martinons Gastspiel bei den Wiener Symphonikern, in der „Großen Symphonie“ im Musikverein, litt nun vor allem unter diesem Mangel. an gegenseitigem Kennen, oder korrekter: am Mangel an mehreren ausgiebigen Proben. Denn daß Martinon die Musik seiner Landsleute Bizet (C-Dur-Symphonie) und Ravel (2. ,,Daphnis“-Suite) mit seinem eigenen Orchester gewiß viel schwelgerischer, farbintensiver, aber auch exakter in den Dispositionen aufführt, ist nachzuweisen. Am wenigsten überzeugte allerdings Mahlers Adagio aus der „Zehnten“, wo er überhaupt jede formale Gliederung schuldig blieb und die wohl sehr gut eingespielten Symphoniker einfach drauflosgeigen ließ. — Edith Peinemann bestätigte sich mit Dvof&ks Volinkonzert erneut als sensible Künstlerin, die Technik souverän beherrscht und jedes Werk mit einer Fülle von Wohllaut, mit edlem Ton darstellt.

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Juliette Greco, die Muse von St-Germain und „Göttin des Exi-stenzialismus“, kam wieder nach Wien, ins Konzerthaus: Mit einem gemischten Chansonprogramm, dem es zwar nach wie vor nicht an erlauchten Namen mangelt: Jacques Brei, Aznavour, Prevert, Sartre, Gainsbourg u. a. haben für sie geschrieben; aber die Greco hat sich in all den Jahren seit 1960 kaum gewandelt. Im Gegenteil: sie hat ihren Stil geradezu versteinern lassen. Die kunstvoll legere Art, Unsagbares mit ein paar Gesten anzudeuten und All-zuoft-Gesagtes mit spitzen Fingern wegzuwischen, die Erinnerung mit Händen einzufangen und mit rauchig nachgedunkelter Stimme den Zauber

von Saint-Germain herabzubeschwören ... Das alles kennt man nur zu gut. Und es überzeugt auch noch gelegentlich, in den unverwüstlich, brillanten Nummern von früher: „Accor-deon“, „Ciel de Paris“... Aber sonst? Sie kopiert sich und ihren Stil unablässig. Und das ist längst nicht mehr abendfüllend.

R.W.

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Wenn sich so wie bei anderen erstklassigen Orchestern einige Mitglieder der Wiener Philharmoniker Erholung vom täglichen Staatsopernbetrieb holen wollen, dann gründen sie, wie dies jetzt der Fall war, eine Vereinigung der „Wiener Philharmonischen Kammervirtuosen“. Auf Grund des Vortrags von Werken Schuberts und Mozarts fand der stolzgewählte Titel großenteils, aber nicht durchwegs Berechtigung. Mit Schubert verschafften sich die Herren, denen sich als Gast der Honndst der Wiener Symphoniker, Robert Freund, zugesellte, einen lobenswerten Einstand: Das Oktett gelang musikalisch, was das aus'Musizierfreude erwachsene Zusammenspiel Rhythmik und Klangfarbenhomogenität betrifft, besser als dm technischen Sektor. Weshalb hier das Nachholen einer wünschenswerten Perfektion noch offenbleibt. Doch fielen unter den Mitwirkenden die Vertreter des Cellos und der Klarinette durch schöne Leistungen wohltuend auf. Bei Mozarts Quintett für Horn und Streicher tritt der Bläser so in den Vordergrund, daß man fast von einem Hornkonzert sprechen könnte. Robert Freunds warmer Tongebung lag der langsame Satz sehr gut, in die Allegri könnte noch mehr Brillanz injiziert werden. Schließlich vereinigten sich Fagott und Cello in Mozarts für diese beiden Instrumente geschriebener Sonate zu sauberem Zusammenspiel, das Werk selbst trägt den Stempel einer — bei Mozart noch immer großartigen — Gelegenheitsarbeit.

Alexander Jenner, immer schon ein fulminanter Techniker, hatte diesmal in seinem Konzert im großen Musikvereinssaal auch einen großen Abend als Musiker, was sich vornehmlich in seiner jetzt schon bedeutend ausgereiften Beethoven-Interpretatdon offenbarte. Optimal gestaltete er den Wechsel der so verschiedenen Stimmungen des elegischen Adagio molto und des heiteren Rondos der „Waldstein-Sonate“, der mit zwingender Klarheit in der Übergangsharmonik der beiden Sätze vollzogen wurde. Bemerkenswert auch die fast durchgehende Beachtung der formalen Werksstruktur und die richtige, von anderen Pianisten oft überhetzte Temponahme des Allegro moderato im Rondofinale. Die weiteren Programmpunkte. Chopin-Werke und als Bestes des Abends Strawinskys Trois mouve-ments de Petrouchka“, verlangten von dem Interpreten eine — gut vollzogene — sprunghafte, stilistische Wandlungsfähigkeit, dann aber nicht minder konstante Konzentration auf diese Umstellung.

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