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Wenig Glück mit Strauß

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Nathan Milstein präsentierte sich im Konzerthaus mit einem vielbejubelten Bach-Soloabend und als Solist in Carl Goldmarks Violinkonzert: Vor allem für dieses eminent schwierige Stück ist er der beste Garant; es zu einem triumphalen Erfolg hochzuspielen. Denn im Grunde ist es bei aller Virtuosität ein undankbares, allzu feinsinnig-ver-sponnenes Werk: technisch gespickt mit ungeheueren Problemen... Sanft verfließen die Farben ineinaner und erzeugen eine seltsam schimmernde Klangoberfläche; der Mittelsatz schmilzt sentimental dahin; das Finale tänzelt nach Boleroart. Aber die zündenden Melodien, diese Reißer, die etwa die großen romantischen Violinkonzerte zum Ereignis machen, fehlen dem Werk dieses kultivierten Komponisten Österreich-Ungarns, der mit Opern wie der „Königin von Saba“ zu den Lieblingen der Makart-Zeit zählte. Milstein spielte dieses Stück mit bewundernswerter Hingabe. Selbst in die trockenen Passagen bringt er Feuer, daß sie auflodern. Die knappen melodischen Zusammenhänge läßt er blühen und singen.

Enttäuschender war hingegen die Begegnung mit Julius Rudel, dem Ex-Wiener und Leiter der New York

City Opera, der sich an der Wiener Volksoper bereits vor Jahren mit „Kiss me, Kate“ und „Wonderful Town“ eingeführt hat. Mit den Symphonikern führte er Johann Strauß' „Prinz Methusalem“-Ouvertüre allzu knallig hart auf. Und statt Proko-fieffs „Dritter“ dirigierte er eine etwas beiläufige, uninspirierte „Fünfte“ von Schubert.

Die „Sei Solo, a Violino senza Bas-so accompagnato“ von Johann Se-biastian Bach — 1720 in Kothen für einen unbekannten Virtuosen komponiert — stellen den Höhepunkt dessen dar, was das Barockzeitalter zur Literatur für das Instrument beigesteuert hat. Die Musikforschung ist in endlose Debatten über die Technik, mit welcher die von Bach verlangte Mehrstimmigkeit der Geige auf den Instrumenten des 18. Jahrhunderts verwirklicht wurde, verstrickt, zu deren Verwirrung die bekannte, längst in der Mottenkiste historisierenden Aberglaubens abgelegte Theorie von Albert Schweitzer wesentlich beigtragen hat. Nathan Milstein, dessen Solo-Abend im Großen Konzerthaussaal zu den Glanzpunkten dieser Festwochen zählt, kümmert sich wenig um historische

und stilkritische Überlegungen, er begreift die Meisterwerke des hochfürstlichen Anhalt-Cöthenischen Kapellmeisters als blutvolles Leben, als Aussage von und für heute und hat damit alle Anhänger einer nichtmusealen Beziehung zu Bach auf seiner Seite. Bei seinem Konzert setzte er mit der g-Moll-Sonate (BMV 1001) ein, deren Siciliano er zum ersten Höhepunkt des Abends machte. In der d-Moll-Partita (BWV 1004) bewährte er seine virtuosen Fähigkeiten in der berühmten Chaconne, deren Variationen er mit bewun-derswerter Eleganz aneinanderfügte. Das Largo der Sonate in C-Dur (BWV 1005) atmete jene schlanke Ruhe, die der Solist in bewußtem Gegensatz zur technischen Brillanz, mit der er schnelle und virtuose Sätze wie die Capricci aus Paga-ninis Opus 1 absolviert, bringt. Es gab großen Jubel und Zugaben!

R. E.

Gedanken über Johann Strauß mußte man sich immer wieder machen: Vor allem dann, wenn manche Dirigenten wie etwa Lorin Maazel (mit seinem Berliner Radio-Symphonieorchester) mit des Meisters Werken gar nichts anzufangen wußten: Aber liegt es wirklich nur an den Dirigenten selbst oder ist es nicht doch eine Frage der „Übertragbarkeit“ einer Welt, mit der eberi NichtÖsterreicher nur wenig anzufangen wissen? Nach vier Strauß-Wochen im Konzerthaus, wobei fast in jedem Konzert mindestens ein Strauß-Werk gespielt wurde, zeigte sich nämlich, daß sehr viele Stücke des Walzerkönigs in den normalen Konzertbetrieb kaum integrierbar sind. Sie sprengen einfach den Rahmen: wie die Ouvertüre zur „Nacht in Venedig“, die zu Mahlers VI. Symphonie so gar nicht passen wollte, oder der „Künstlerleben“-Walzer, der nicht einmal mit Richard Strauß' „Burleske“ harmonierte. Daß Maa-zels Radio-Symphonie-Orchester außerdem noch scharf wie ein Gardebataillon aufspielte, steht auf einem ganz anderen Blatt. (Ein Tiefpunkt des — eher intern geplanten — Mahler-Zyklus im Konzerthaus: die Wiedergabe der „Sechsten“, die von Maazel in falschen Tempi, mit argem Lärmen und grellen Bläserausbrüchen organisiert wurde. (Eine geschmackliche Entgleisung!)

Den besten Strauß-Eindruck empfing man da nach einem Monsterkonzert „Strauß für Fortgeschrittene“, das Operettenführer Marcel Prawy mit Geschmack und Gespühr für Unbekanntes zusammenstellte und selber kommentierte. Thema: der unbekannte Strauß, dem Prawy auch privat auf die Spur zu kommen versuchte: zum Beispiel mit der „Nordseebildern“, durch die die ersten Stürme der Ehe mit der 25 Jahre jüngeren Lily wehen; mit der symphonischen Dichtung „Traumbild“, die' ein Porträt der Strauß-Gattin Adele zeichnet; mit der Polka francaise „Im Pawlowsk-Wald“, die voll ist von Erinnerungen an erfolgreiche Jahre in der Sommerresidenz der Zaren; oder mit der ersten Romanze für Cello (Heinrich Schiff) und Harfe (Areola Ciarfc). Rudel am Pult des ORF-Symphonieorchesters, dazu Edita Gruberova, Gertrude Jahn, Anton Dermota und der Kammerchor gaben sich alle Mühe, einen „anderen“ Strauß vorzuführen, einen Meister fern vom Klischee ... Und eine echte Entdeckung: Strauß' Lied der Prinzessin aus der für Paris geschriebenen komischen Oper „La Tzigane“, aus einem Werk, das leider in Wien völlig unbekannt geblieben ist.

Zum Festwochenabschluß dirigierte Carlo Maria Giulini Beethovens Missa solemnis. Symphoniker, Wiener Staatsopernchor und ein ausgezeichnetes Solistenquartett (Helen Donath, Julia Hamari, Werner Hollweg und Thomas M. Thomaschke) assistierten. Giulinis Interpretation wirkte zwar opernhaft dramatisiert (exaltiert die Aufschreie des Chors). Beethovens Motto „Vom Herzen — möge es wieder zu Herzen gehen“, also dieser Wendung nach innen, verschloß sich die Aufführung. Aber Klangschönheit und leidenschaftliche Gestaltung entschädigten vollauf. Die Symphoniker erwiesen sich als Orchester in Bestform, das bei Giulini an Konzentration und Stil ungemein gelernt hat. R. W.

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