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Uraufführung einer Symphonie von K. Ranki

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In einem Orchesterkonzert der Konzerthausgesellschaft präsentierte sich der gegenwärtige Leiter des Schottischen National-Symphonie- orchesters nicht nur als Dirigent, sondern auch als Komponist. Der Opernkapellmeister Karl Ranki begann an der Wiener Volksoper und kam über Reichenbetg und Königsberg nach Berlin. Wiesbaden, Graz und Prag waren die weiteren Stationen seiner Laufbahn, bevor er in die Emigration nach England ging. Bis 1951 leitete er die Covent Garden Opera und ist seither in Glasgow tätig. — Auch der Komponist Karl Ranki hat seine Geschichte, die durch das Jahr 1930, als er seine bisherigen Kompositionen verbrannte, eine ähnlich scharfe Cäsur aufweist wie seine Dirigentenlaufbahn durch die Emigration. — Seither schrieb Karl Ranki, neben anderen Werken, vier Symphonien, deren letzte 1952 beendet und jetzt durch die Wiener Symphoniker uraufgeführt wurde. Das breitangelegte dreisätzige Werk zeigt eine durchaus persönliche und eigenwillige Handschrift, die, im Unterschied zur „Kapellmeistermusik" aller Zeiten und Zonen, durch große Vorbilder kaum merklich bestimmt ist. Auf den ehemaligen Schönberg-Schüler weisen lediglich die sehr dichte, harmonische Härten keineswegs scheuende polyphone Faktur, die „durchbrochene" Arbeit und jenes nervöse Espressivo, das sich — wie infolge von Kettenreaktionen — immer neu entzündet. — Das große Orchester und die Harmonisierung eines altdeutschen Volksliedes (das im mittleren Satz variiert wird) deuten ins 19. Jahrhundert und auf Gustav Mahler. Die logisch weiterentwickelte Harmonik führt zu einem eigenartigen Chromatismus, zu dem Alban Berg (vor allem in den Zwischenspielen zu „Woz- zek" und „Lulu") und — auf ähnlichem Wege — auch der Schweizer Frank Martin gelangt sind. — Ranki als Orchesterleiter ist kein Schau- und Stardirigent, sondern ein impulsiver Musiker, der Mozarts Haffner-Symphonie und „Till Eulenspiegel" von Richard Strauß sehr differenziert und dramatisch interpretierte. Gewissermaßen als Einlage sang die amerikanische Mezzosopranistin Lucretia West, am Klavier von Prof. H. Schmidt begleitet, fünf Lieder von Joseph Marx.

Im 2. Orchesterkonzert des von der Ravag veranstalteten Zyklus „M usica nova"wurden drei zeitgenössische Werke erstaufgeführt. Von Milhaud über die Eckhardt-Gramatėe zu Vergil Thomson: das war eine ziemlich steile Talfahrt. Seine IV. Symphonie schrieb Darius Milhaud zur 100-Jahr-Feier der Französischen Revolution und gab den einzelnen Teilen entsprechende programmatische Titel: „Aufstand", „Den Toten der Republik", „Die friedlichen Freuden der wiedergefundenen Freiheit" und „Erinnerungsfeier". Die beiden Ecksätze mit ihrem gewaltigen Bläseraufgebot und sechs donnernden Schlagwerkgruppen, richtigen „Batterien", wie die

Franzosen diese zwerchfellerschütternden Instrumente nennen, sprechen eine heftige und resolute Sprache. Hier haben die für Milhaud charakteristischen polytonalen Reibungen „tiefere Bedeutung". Die Totenklage ist, wie sich das für ein heroisches Werk ziemt, sehr zurückhaltend, fast ausdruckslos, dafür aber langatmig. — Das Konzert für Violine, konzertante Bläser und Orchester von S. C. Eckhardt-Gramatėe zeigt in den lebhaften Teilen jenen Ueberreichtum an Einfällen und Groteskeffekten, der eine konzentrierte Aufnahme der Werke dieser kenntnisreichen Komponisten so sehr erschwert. Eine Ueberraschung war ein lyrischer Mittelteil (misterioso), der jene Qualität besaß, die man dem ganzen Opus wünscht: Ruhe, Logik und Kontinuität. Der Amerikaner Vergil Thomson, als Musikkritiker weithin bekannt, hat zu dem Film „Louisiana S tory"eine kunstvolle Partitur geschrieben, die sich geschlossener Formen bedient und wirkungsvoll instrumentiert ist. Eine gute Filmmusik; aber als Orchestersuite wirken diese vier Sätze recht dürftig und oberflächlich. Originell ist immerhin die Zuordnung der Handlung zu bestimmten musikalischen Formen: Die Sumpfkanäle und der Sumpfwagen (Pastorale), Der Bohrturm kommt an (Choral), Ausnahme des Alligatornestes (Passacaglia), Die Frauen raufen mit dem Alligator (Fuge). In einem Konzert unter dem Titel „Musica nova"wirken diese Charakterstücke freilich etwas deplaciert. — Es spielten die Wiener Symphoniker unter F. Charles Adler; Solist des Violinkonzertes war Walter Schneiderhan. (Das besprochene Konzert ist am 17. Februar um 20.15 Uhr über den Sender Wien I zu hören.)

Der aus Spanien stammende und durch mehrere Musikfilme bekannte Pianist, Dirigent und Komponist Jose Iturbi konzertierte in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Großen Musikvereinssaal. Zu seinem Lob muß gesagt werden, daß das ehemalige, in spanischen Kinos und Kaffeehäusern entdeckte Wunderkind und der höchst erfolgreiche Dirigent des Hollywood-Bowl-Symphonieorchesters beim Auftreten auf dem Wiener Konzertpodium alles vermied, was an Sensation, Scheinwerfer und Kino erinnerte. Er spielte im ersten Teil seines Programms sieben der bekanntesten Stücke von Chopin und im zweiten Teil gefällige und virtuose Stücke neuerer spanischer Komponisten (Manuel Palau, Manuel Infante, Isaac Albeniz) und des Rumänen Filip Lazar. Viel Rubato und Pedal sowie eine Neigung zum Romantisieren kennzeichnen Iturbi Uis keineswegs sehr interessanten Pianisten der alten Schule, dessen Spiel auf die Dauer etwas langweilig wirkt. So entstand ein groteskes Mißverhältnis zwischen dem überaus dankbaren und beifallsfreudigen Publikum, das einem Kinostar applaudierte, und einer mittelmäßigen künstleri schen Leistung.

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