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Romantik zwischen zwei Kriegen: Ferdinand Andergassen

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Die in den weniger als zwei Jahrzehnten zwischen Bruckners Tod und dem Ausbruch des ersten Weltkrieges heranwachsenden Komponisten wurden Stiefkinder des Schicksals; sie hatten ein in seiner Vielfalt außerordentlich diffiziles musikalisches Weltbild erstudiert und fanden nach dem Kriege die Welt so verändert, daß sie mit dem Erworbenen nicht ausreichten. Vom Tristan-Erlebnis herkommend, hatten sie das Werk Bruckners und Brahms' in sich aufgenommen, waren von den großen Lebenden Gustav Mahler, Richard Strauß und Max Reger bereichert und von den Ausländern Debussy und Puccini stärker, als sie wahrhaben wollten, beeinflußt — die Zeit aber verlangte ein anderes Gesetz, forderte lapidares Gestalten einer primitiveren Substanz. Der Experimentismus schoß ins Kraut. Die Reiferwerdenden kamen erst auf langen Umwegen an das Neue heran und suchten vom Erlernten her einen neuen Stil zu finden. Viele fanden ihn überhaupt nicht, und denen es glückte, zerrannen mittlerweile die Jahre. Es blieb, mit wenigen Ausnahmen, still um sie.

Eine besonders eigenwillige Begabung unter ihnen darf der in Feldkirch lebende Ferdinand Andergassen genannt werden, der, heute fünfundfünfzigjährig, eine vielleicht zahlenmäßig nicht überwältigende, doch alle musikalischen Schaffensgebiete umfassende Ernte aufweisen kann. Auch um ihn ist es bis in die jüngste Zeit still geblieben, obgleich es gerade i h m früh gelang, sich persönlich auszusprechen. In seinen ersten größeren Werken, den beiden

Orchestermessen, der Passion, dem Oratorium von der Wanderschaft noch nicht bewegungsfrei genug, die Schatten der erwähnten Großen gänzlich zu bannen, wird besonders im Kammermusikalischen sein Ausdruck von Opus zu Opus freier, persönlicher. Ihn bewahrt nicht nur die genaue K^Äpis Johann Sebastian Bachs und der Org^Pvor jedem Hereinfall auf die versdiiedenarflfsten -ismen und ihre Entseelung, sondern ifl^i führt ein Shakespearescher Zug seines Wesens immer sicherer zum eigenen Weg: der Sinn für Humor mitten im Pathos und das Wissen um den melancholischen Bodensatz der Heiterkeit. In den Vagabundenliedern des „Dietrich Weiler“ finden sich Song- und Tanzformen als Ausdruck tiefernster, ins Tragische ausklingender Seelenhaltung und erweisen sich, individuell gewandelt, dem künstlerischen Formungswillen ebenso fügsam als die gregorianischen Motive in den „Hymnen an die Kirche“. Ein weiterer Vorstoß erfolgt in der „Missa de Spiritu Sancto“. Der romantische Kirchctistil wird von Pale-strina befruchtet, der farbige Instrumentalsatz durch die Linearität der Singstimmen ersetzt. Das Persönliche erfährt seine Erweiterung ins Allgemeingültige. In der ersten Symphonie endlich manifestiert sich der nun souveräne Stil in seiner Geschlossenheit als persönliches Gesetz, immer noch im Romantischen wurzelnd, doch nicht mehr an die Welt verloren, sondern sie mit sicherer Hand gestaltend. Die Jahre des Tastens sind vorüber.

Andergassen findet in der Symphonie- die ihm natürliche Ausdrucksform. In knapper

Folge entstehen trotz der Ungunst der Zeit, die den zweiten Weltkrieg gebiert, drei weitere Symphonien, darunter der ergreifende Trauergesang der Dritten. Alles Schwelgerische ist klare Zeichnung, alles Beredte knappste Aussage geworden. Mitten im Kriege wird seine 1. Symphonie uraufgeführt und rindet starken Beifall. Doch der Kanonendonner ist stärker.

Natürlich lockt den ganz auf dramatische Steigerungen gestellttn Symphoniker auch die Bühne. Neben einer Groteske „Dido“ *U8 der Entwicklungszeit, die immerhin heterogene Stilelemente kraftvoll zur Einheit bindet, entsteht in den Jahren der Reife die Märchenoper „Der Froschkönig“, ein Geschenk an die Jugend und an das Junggebliebene. Im Garten der Brüder Grimm lebt sein junggebliebenes Herz sich aus und zaubert Schubertsche Verträumtheit und hoffmannesken Spuk auf die Szene. Dennoch ist die Oper in geheimnisvollen Ernst getaucht und weiß in den unmerklichen Ubergängen vom gesprochenen ins gesungene Wort und umgekehrt neue und stets gesteigerte Wirkungen zu erzielen.

Hier ging einer vom Romantischen aus und fand nach langem Suchen die — Romantik. Aber eine neue, geläuterte Romantik, darin alle Sachlichkeit Platz hat und verklärt wird, nicht durch den Rausch alterierter Akkorde,' sondern in der sanften Heiterkeit des alles verstehenden Herzens.

Es ist — was leider wiederholt werden muß — still geblieben um Ferdinand Andergassen. Das Bedrängte der Zeit,' in die das Schicksal ihn gestellt hat, mag seinen gewogenen Teil daran haben; mehr indes wohl die in sich selbst beruhende, Betrieb und Reklame abgeneigte Wesensart des Komponisten. Daher wäre es an der Zeit, daß ein großer Dirigent sich seiner Partituren annähme und sie tönend gestaltete. Musik will nicht nur geschrieben, sie will auch gehört sein. Die Aufführung erst vollendet das Werk.

österreichische Musik in Edinburgh

Edinburgh, Ende September 1947 Viel war es nicht, was man über Wien und seine Musiker wußte, als diese zum erstenmal in Schottlands Hauptstadt die englische Hymne anstimmten. Wenige nur kannten die Vorzüge des Wiener Philharmonischen Orchesters anderen bekannten Orchestern gegenüber, die man im bisherigen Verlauf der Festspiele hören konnte. Gerade deswegen mußte daher. schon im ersten Programm, das mit der Thallis-Phantasie für Streichorchester von Maughan Williams begann, die Tonqualität der Streicher auffallen. Bruno Walter, der nach langer Unterbrechung wieder an der Spitze des Orchesters stand, brachte sie in dem geschickt instrumentierten, dankbaren Werk zu einer hier nie gehörten Tonschönheit und -wärme, so daß der Kontakt mit dem Publikum sofort hergestellt und die Voraussetzung zu einer erstklassigen Aufführung gegeben war. Das in der Phantasie verwendete phrygische Thema stammt von Thomas ThalÜs (1505 bis 1585), einem der ersten englischen Kirchenmusiker. Williams hat das Orchester in zwei Gruppen und ein Soloquartett gespalten, die das Thema anti-phon und später auch echoartig bringen, und läßt das Stück nach Erreichen des

Höhepunktes in einer dunklen mystischen Stimung ausklingen. Erst bei Beethovens Pastorale aber kam die feinfühlende Warmherzigkeit Bruno Walters zur vollen Wirkung. Jedes Detail der „heiteren Gefühle“ brachte er mit überzeugender Frische und den Sturm in einer erschreckenden Dramatik, um den wunderbaren Schlußgesang hymnenartig um so mehr wirken zu lassen. In der ganz anders gearteten Siebenten zeigte Bruno Walter eine eigene Auffassung, bei der besonders die intensive Kraft der Rhythmen und das rasche Tempo des Schlußsatzes auffielen.

Die Aufnahme dieses Konzerts beim englischen Publikum war über alles Erwarten. Es wird behauptet, daß in der Edinburgher Usher-Hall noch nie solche Begeisterung herrschte. Die am nächsten Tag in Gegenwart der englischen Königin gebrachte Wiederholung war infolge ihrer Avisgeglichenheit wohl der Höhepunkt der ganzen Festspiele. —

Das zweite Programm enthielt außer Schuberts h-moll-Symphonie Gustav Mahlers „Lied von der Erde“, das von Mahler drei Jahre vor seinem Tod geschaffen wurde. Er verwendet darin alle seine ihm eigenen Ausdrucksmittel, und es ist nur für den kongenialen Dirigenten möglich, alle Tiefen der in diesem Werk vorherrschenden Depression plastisch zu gestalten. Daß Bruno Walter dies vermag, dürfte auf die dauernde Verbindung mit Mahlers Musik bei Konzerten und nicht zuletzt auf die persönliche Bekanntschaft mit dem Meister zurückzuführen sein. Da aber Walters Wesen dem Mahlers kaum ähnlich ist, zeugt es von seinem immensen Einfühlungsvermögen in den Willen seines Vorgängers. Die zu Beginn gebrachte „Unvollendete“ war eine in allen Feinheiten gebrachte Meisterleistung, die sich von den auch in England häufigen Aufführungen dieser Symphonie weit distanzierte. — Das dritte und letzte Konzertprogramm, das für das fünfte und außerordentliche Abschiedskonzert vorgesehen war, brachte im ersten Teil die selten gehörte Haydn-B-dur-Symphonie Nr. 102, die, in London komponiert, als eines der reifsten Werke Haydns gilt, und Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“, beides in stilreiner und liebevoller Art geboten. Im zweiten Teil wurden nach Schuberts Rosamunde-Musik und der „S c h ö-nen G a 1 a t h £ - Ouvertüre von Suppe die vom Publikum langerwarteten Ouvertüren und Walzer von Johann S t r au ß gespielt. Die schwungvoll geleiteten und ebenso gespielten Straußmelodien konnten ihre Wirkung auf die Zuhörer nicht verfehlen.

Die Philharmoniker spielten meisterhaft, obwohl der Dirigent in bezug auf Tempiänderungen hohe Anforderungen an sie stellte. Mit dem, auch hier jedem bekannten Donauwalzer schlössen die Konzerte der Philharmoniker und zugleich die ersten Edinburgher Festspiele.

Die Edinburgher Festspiele sind als großer Erfolg anzusehen; sie bereichern das europäische Musikleben. Der Bedeutung Salzburgs als Musikzentrum kann dies in keiner Weise Abbruch tun, da die Salzburger Atmosphäre einzig ist und jene intime Stimmung in dem um vieles größeren Edinburgh trotz aller Schönheit der Stadt und der Umgebung nicht erreicht werden kann. Auch bedarf Edinburgh eines modernen Konzertsaales, da die Usher-Hall wohl über 3000 Zuschauer faßt und sehr akustisch ist, dies aber auf Kosten ihres Aussehens geht. Um das in der eigenartigen Form eines Shakespeare-Theaters angelegte Kings-theatre hingegen, in dem die Opernaufführungen stattfinden, ist Edinburgh zu beneiden.

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