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Joseph Mebner

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Wer in der Zeit von 1938 bis 1945 jenes musikalische Salzburg suchte, das vorher in der ganzen Welt einen bekannten und geadi-teten Namen besaß und das untrennbar mit dem Begriff österreichischer Musik verbunden ist, der fand es — freilich seltener als sonst und ein beinahe verborgenes Dasein führend — im Salzburger Dom bei Joseph Meßner.

Es gab Fremde, die ihre Liebe zur österreichischen Musik, in der einzigartigen Darbietung Salzburgs verkörpert, so tief im Herzen trugen, daß sie auch zwischen 1938 und 1945, ja selbst unter den bedeutenden Erschwernissen des Krieges, Jahr für Jahr wiederkamen; aber nicht um die anders gewordenen Festspiele zu erleben, sondern um Joseph Meßner zu sehen und zu hören und durch seine Vermittlung wahre Musik Österreichs zu empfangen.

Für diese Mensdien begann das Erlebnis allsonntäglich um zehn Uhr. wenn der Salzburger Domchor unter Meßners Leitung das Pontifikalamt sang, wenn ein in jahrelanger Arbeit mit aller Hingabe und Sorgfalt eines Vollblutmusikers erzogener Chor musizierte und die unsterblichen Meisterwerke unserer Heimat, die Messen Mozarts, Haydns, Schuberts und Brudcners, in vollendeter Wiedergabe zu Gehör brachte. Manchmal gab s eine ganz besondere Überraschung: ein Werk von Joseph Meßner selbst, zu Gottes Ehre mit ebensolcher Ehrfurcht und für die Barockpracht des Domes mit nicht geringerer Liebe geschaffen, als sie dereinst ein Wolfgang Amadeus Mozart hegte.

Hin und wieder hörte man die „Messe in D“, Meßners Opus 4, ein Frühwerk aus dem Jahre 1918, noch in München entstanden, wo der 1893 zu Schwaz in Tirol als Sohn eines Bergmannes und einer Nachkommin des österreichischen Freiheitskämpfers Joseph Speckbacher Geborene nach seinen Gymnasial- und Universitätsstudien in Salzburg und Innsbruck sich ganz dem Musikstudium widmete. Immer wieder bezwang und bezwingt die geniale Gegenüberstellung von Chor. Orgel und B'äcr-satz, fesselt die kühne kontranunktis'the Verarbeituns der Themen, erschüttert die Wucht des Credo.

Auch die zweite, in Salzburg für Salzburg geschriebene große „Messe in B“, Opus 29, mit dem strahlenden Hochsopran der Solostimme, der dieses Werk mit ähnlidi starker Leuchtkraft erfüllt, wie das durch die Domkupoel Solaris flutende Sonnenlicht, bot jedem Hörer immer wieder ein ebenso starkes musikalisches wie religiöses Erlebnis.

Trat in diesen beiden Werken und in der letzten großen Messe in G-dur — bei aller hohen Kunst der Form und ausgesprochen sinfonischer Gestaltung — im edlen Klang der Blechbläser österreichische Musizierfreude und bei aller kühnen Harmonik die heimische Seligkeit am Wohlklang zutage, so bot Joseph Meßner in seiner „Festlichen Messe in C“ von 1935 ein fünfstimmiges A-cappella-Werk von derart hoher Voll-enduns, daß man diese Messe in ihrer strengen Schönheit ungescheut als würdige Nachfahrin der Kunst der großen österreichischen Barockmeister ansprechen darf.

Aber nicht weniger unvergeßlich als diese Werke Meßners blieben und bleiben dem Hörer die vielen kleineren kirchlichen Kompositionen: die „Vier Fronleichnamshymnen“, Opus 25, die „Auferstehunss-sesänge“, die ..Wechselgesänge für das Christkönigsfest“ von 1931, das „Te deum“ für Sopran- und Baritonsolo, Chor, Bläser und Orgel, die kleineren Messenkompositionen, vor allem aber das „Motettenwerk für das Kirchenjahr“, die zwischen 1926 und 1946 entstandene Frucht einer 25jäh-rigen engen Verbundenheit mit den liturgischen Erfordernissen des Salzburger Domes. Kein Musikfreund wird — um nur ein einziges Beispiel aus der Uberfülle zu erwähnen — je die bildhafte Kraft des Oster-offertoriums „Terra tremuit“ vergessen können oder die Pracht und dennoc1, klare Einfachheit des Bläsersatzes von Meßners „Sinfonischer Festmusik“ für Bläser und Orgel an Hochfesten des Kirchenjahres missen wollen wenn nach beendetem Pontifikalamt unter ihren Klängen der feierliche Auszug des purpurgewandeten Salzburger Kirchenfürsten aus dem Dom erfolgt.

Konnte so ein Besucher des Domes sonntags zehn Uhr früh wahrhaft Salzburgs Musik erleben, so machte ihn der mittägliche Gottesdienst dann mit der von Meßner geprägten Eigenart Salzburger Kirchenmusikübung vertraut. Eine stille Messe am Hauptaltar des Domes wurde von edelsten Werken geistlicher Musik begleitet, wobei der Salzburger Domkapellmeister persönlich die Orgel spielte. Man konnte da sonst höchst selten aufgeführte Perlen der Musikliteratur hören, wie etwa die „Weihnachtslieder“ von Cornelius, geistliche Gesänge von Otto Nicolai und Max Reger, oder Joseph Meßners tiefsinnige Kantate für Mezzo und Orgel, die „Missa poetica“ nach Texten der berühmten katholischen Dichterin Ilse von Stach. Was diese Sonntagmittagstunden Musikern bedeuteten, beweist, daß neben den vorzüglichen heimischen Kräften auswärtige Sänger und Instrumen-talisten aus aller Herren Ländern es sich geradezu als Ehre anrechneten, dabei mitwirken zu dürfen.

Den Höhepunkt für die Verehrer von Joseph Meßners Kunst bildete aber die nachfolgende Orgelvorführung und Improvisation. Ob sie nun über Melodien aus der Schatzkammer Mozarts, Schuberts oder Bruckners erfolgte oder eigene Themen verarbeitete — immer hinterließ sie einen tiefen, nachhaltigen Eindruck, und e ;ab Fremde wie Einheimische die kerne der sonntäglichen Orgelweihestunden Meßners versäumten.

Letzte Erfüllung echt österreichischer Musikübung boten freilich einst die mit Recht weltberühmt gewordenen .Salzburger Domkonzerte“ die allerdings im Jahr 1938 sofort eingestellt wurden. Die Instrumental-und Chorkonzerte unter der Leitung Meßners lebten aber auch sogleich nch Kriegsschluß wieder auf. Salzburgs Domkapellmeister schuf in wochenlanger täglicher Probenarbeit ein neues „Mozarteums-Orchester“ und machte es schon für den Sommer 1945 testspielreif. So ermöglichte er bereits wenige Wochen nach Kriegsschluß wieder „Salzburger Festspiele“, baute das neue Salzburger Konzertleben auf und dirigierte zahlreiche Konzerte vor amerikanischem und heimischem Publikum. Der Sender „Rot-Weiß-Rot“ übertrug sie für ganz Österreich. Der Salzburger Domchor mit seinen aditzig Mitgliedern konnte bei diesen ersten österreichischen Festspielen seit Kriegsende bereit', Mozarts „Requiem“ und „Krönungsmess*“, Bruckners „Große Messe in f-moll“ und „Ein deutsches Requiem“ von Biahms in altgewohnter Vollendung bieten Dabei erwies sich die Richtigkeit der Darstellung Konstantin Schneiders in der „Geschichte der Musik in Salzburg“, wo es schon 1935 über Meßner heißt: „Joseph Meßner ist seit der Glanzzeit des Erzstiftes auf musikalischem Gebiet im 18. Jahrhundert vielleicht die erste schöpferische Persönlichkeit von hohem Rang, die weit über die amtliche Tätigkeit in der uralten kirchlichen Kernstadt Salzburgs hinaus in der internationalen Kunstwelt Achtung und Einfluß gewonnen hat als Komponist, Organist, Dirigent und Wieder-erwecker alter Musik“.

1932 hatte sich bereits die Heimat diese Wertung des Künstlers zu eigen gemacht, indem sie dem damals erst neununddreißig-jährigen Joseph Meßner „wegen seiner großen Verdienste um das österreichische Musikleben im In- und Ausland“ den Titel Professor verlieh. Daß aber Meßners Werke im Ausland leider bekannter als in Österreich sind, erhellt nicht nur seine Ernennung zum Mitglied der „Academie francaise“, sondern noch weit mehr der Umstand, daß von seinen in dreißig Schaffensjahren entstandenen sechzig Kompositionen mehr als ein Drittel die Uraufführung im Ausland fand, wobei vor 1933 die Großstädte Westdeutschlands in der Pflege Meßnerscher Musik die Führung innehatten. In Wien erklangen nur drei Werke Meßners zum erstenmal; darunter allerdings das entzückende Bläserquintett Opus 57, das in der kristallenen Reinheit und Durchsichtigkeit seines Satzes zum würdigen Nachfahren der berühmten gleichartigen Kammermusikwerke unserer Großen wurde.

Aber für die Musikstadt Wien liegen zur Entdeckung des Komponisten noch allerlei reizvolle Aufgaben bereit. Wissen doch noch viel zu wenig Musikfreunde unserer Heimat, daß Joseph Meßner mit seinen drei Sinfonien, der „Sinfonietta“, den sinfonischen Messen und Gesängen und der „Sinfonischen Festmusik“ sowie den zwei großen Chorsinfonien „Das Leben“ und „Die vier letzten Dinge“ eigentlich der bedeutendste lebende österreichische Sinfoniker ist. Wohl wurde 1936 seinem sinfonischen Chorwerk „Die vier letzten Dinge“ der Staatspreis zuerkannt; jedoch die Aufführung des abendfüllenden Werkes ist bis heute noch nicht erfolgt.

Ebenso konnte der Opernkomponist Meß-ner in der vergangenen Zeit nicht mit der Aufführung seiner Opern „Hadassa“, „Ines“, „Der deutsche Held“ (nach Enrica von Handel-Mazzetti) rechnen. Selbst die in Nürnberg bereits zur Uraufführung angesetzte Volksoper „Agnes Bernauer“ wurde solange verschoben, bis die allgemeine Theatersperre sie unmöglich machte. Auch sein neuestes Bühnenwerk, die noch in Arbeit befindliche komische Oper „Das Dorf der schönen Frauen“, böte eine höchst reizvolle Aufgabe für eine Uraufführung an einer großen heimischen Bühne. Neben diesem Opus 60, das — wie der Männerchorzyklus „Fröhliche Weisheit“ nach Wilhelm Busch und das 1939 noch in der Universal Edition erschienene Chorwerk „Der Himmel hängt voller Geigen“ aus „Des Knaben Wunderhorn“ — eine fast unbekannte Eigenheit Meßners zeigt: seinen gesunden musikalischen Humor, harren noch eine neue Sinfonie und ein Violinkonzert für Professor Bruckbauer der ersten Aufführung. Daß sich nunmehr auch unsere Heimat darauf besinnen wird, was sie dem Österreicher Meßner schuldet, der schon längst den Ruhm ihrer Musik im Ausland gestärkt und verbreitet hat, darf nicht mehr zweifelhaft sein. Seine Musik, die in Ausdruck und Form echt österreichisches Gepräge trägt, muß schließlich in ihrer Gesamtheit, nicht nur in Einzelwerken, wie etwa dem geistsprühenden, tiefmusikalischen „Rondo giocoso“, Allgemeingut unserer Heimat werden.

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