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WAS ALLE VERBINDET

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Mit den Worten aus dem Kolosserbrief „Ziehet nun an die Demut und die Liebe und das Erbarmen und die Sanftmut und Geduld“ begann der Kongreß der Kirchenmusik im Berner Münster mit einer gemeinsamen Feier der drei Landeskirchen (evangelisch-reformiert, römisch-katholisch und christ-katho-lisch). In der gleichen Reihenfolge sprachen Pfarrer Ulrich Müller, Pfarrer Johann Stalder und Pfarrer Professor Kurt Stalder. Zwischen Lesung und Gebet erklang Musik aller drei Bekenntnisse. Vom Anfang an wurde das Verbindende der Musik betont und blieb den ganzen Kongreß hindurch der bewegende Canrus Firmus. Alle Veranstaltungen, Gottesdienste und Konzerte, Vorträge wie Predigten standen unter diesem Zeichen, und es war erstaunlich, zu erleben, wie die Musik das Wort zu befruchten und das Trennende, das man keinesfalls beschönigend verschwieg, zu mildern imstande war. Eine Botschaft des Heiligen Vaters, worin der Oberhirte die Bemühungen der Veranstalter lobte und seiner Freude Ausdruck gab, daß am Vorabend des ökumenischen Konzils sich die Kirchenmusiker im gleichen Willen vereinten, gab dem Kongreß auch im römisch-katholischen Sinn seine Bedeutung und Autorisierung Formal war der Kongreß gegliedert in Gottesdienste, Arbeitsgemeinschaften und Vorträge, Konzerte und persönliche Begegnungen, die sich ganz von selbst ergeben und wie immer bei solchen Veranstaltungen sich in ihrer Auswirkung oft als bedeutender erweisen, als sie zunächst scheinen, zumal in diesem Falle die weltlichen Behörden (bernische Regierung und Gemeinderat) durch Empfänge und Ausflüge die Geselligkeit besonders begünstigten. In der großen Vielfalt der Veranstaltungen herrschte Ordnung, Disziplin und sinnvolle Abstimmung, wenn auch das Gefühl des Zuviel nicht gänzlich zu bannen war.

User alle Veranstaltungen zu berichten, würde den Rahmen dieses Berichtes weit überschreiten. Es kann daher nur auf einige hingewiesen werden. Im Sonntagshochamt wurde der heilige Bruder Klaus, dessen überzeugende Rede und verbindende Kraft die Schweizer einst vor dem Bürgerkrieg bewahrte, als Vorbild des Kongresses geehrt, durch eine kurze, ergreifende Predigt wie durch das (im Auftrag des Kongresses komponierte) Proprium Missae von Oswald Jaeggi, das bei aller persönlich-musikalischen Profilierung von absolut liturgischer Kunst moderner Musik ein überzeugendes Beispiel gibt, soweit, wie hier seitens der Kantorei Leonhard Lechner (Bozen) die geistigen und seelischen Voraussetzungen bei den Ausführenden vorhanden sind. Diese Musik ging mif dem Choral-Ordinarium eine organische Verbindung ein. Also auch hier die Verbindung zweier Stile zu einem Ganzen im Geiste. Weniger konnte man das von dem am nächsten Tage (wie die Klaus-Messe in der Dreifaltigkeitskirche) aufgeführten \ ierstimmigen Ordinarium von Adolf Brunner sägen. Zwar erhebt sich auch hier, besonders im Kyrie und im Sanctus, der Gesang zu echt sakraler Wirkung, dehnt aber beide Stücke weit über ihre liturgische Dauer aus. Ein dritter römisch-katholischer Gottesdienst in der Kirche Christ-Roi in Fribourg, wo der Kongreß einen eindrucksvollen Tag verbrachte, war eine doppelsprachige Messe (latein-französisch), die nicht als besonders geglückt bezeichnet werden muß, weniger der Mischung der Sprachen als jener der Musikstile wegen. Die Teilnahme des Volkes am gregorianischen Choral beschränkte sich auf Kyrie und Agnus, dehnte sich aber aus auf ein im Dreivierteltakt komponiertes Sanctus und auf mehrstimmig gesetzte, französisch gesungene Fürbitten und einen Schlußgesang. Es war ein lateinisches Amt mit nationalsprachlichen Einlagen, eine Form, deren Nachahmung wir nicht empfehlen können, obwohl das „Verbindende“ sichtlich auch hier seinen Ausdruck suchte. Dagegen war die Manifestation in der Aula der Universität von Fribourg ein wirkliches Erlebnis, voran die prachtvolle Rede des dort wirkenden Theologieprofessors P. Dr. H. Stirnimann O. P., der Wesen, Wert und Aufgaben der Kirchenmusik in bisher kaum so klar umrissener Anschauung beleuchtete. Die (nach einer historischen Einführung von Prof. Dr. Roland Ruffieux) wiederaufgeführte Motette „Magnanimae gentis“ von Guillaume Dufay, die 1438 in Bern uraufgeführt wurde und das Bündnis zwischen Bern und Freiburg feiert, dürfte man kaum so bald wieder hören. Sie ist für drei Stimmen und alte Instrumente geschrieben. In der gleichen Besetzung komponierte Pierre Kaelin für den Kongreß seine Motette ,,Ut omnes unum“. Das nachmittägige geistliche Konzert in der Kirche St. Michael brachte französische Meister der Orgel zu Gehör.

- yiJTar der Tag in Fribourg bei allen Eindrücken und aller Fülle “ eine Art Entspannung, konzentrierte sich die Erlebnisfülle in Bern in den letzten Tagen immer -mehr. P. Urbanus Bomm sprach im Konservatorium über den „Choral als Kultgesang“ und nannte den Choral den Maßstab des Kultischen auf der Ebene des kirchenmusikalischen Schaffens, nicht seiner Geschichte, sondern seiner Geistigkeit wegen, die ihn über das Wort in den sakramentalen Vollzug des Kultes hineinbindet, weshalb er auch als eine „schola dominici servitii“ in den Dienst der liturgischen Erneuerung gestellt sei. Er ist Begegnung des erbarmenden Gottes und des gläubigen, durch die Taufe geformten Menschen. Die lebhafte Diskussion, die den Ausführungen P. Bomms folgte, wurde durch die charmante Lenkung des Leiters der Arbeitsgemeinschaft „Musik und Gottesdienst“, Pfarrer Walter Matter aus Schupfen, in Grenzen gehalten, als sie sich, besonders durch weibliche Dikussionsteilnehmer, über deutsche Gregorianik zu verbreiten drohte. (Latein scheint doch eine eminent männliche Sprache zu sein.) „Das Alte und das Neue in der heutigen Kirchenmusik und die Vereinigung der Kirchen“ hieß das Thema der folgenden Ausführungen des Msgr. Higino Angles, Rom, die in ihrer „lateinischen“ Klarheit keinerlei Widerspruch, vielmehr lebhaften Beifall aller Teilnehmer fanden.

- p\as weitaus stärkste Gefühl der Verbundenheit im Geiste ging indes — wie sollte es bei einem Kirchenmusikkongreß anders sein — von den geistlichen Konzerten aus. Die Kongreßleitung hatte bei Vergebung ihrer Kompositionsaufträge nicht nur alle Bekenntnisse berücksichtigt, sondern auch angeregt, Texte aus Bruderbekenntnissen zu wählen. So ist die „Kantate auf den Erlöser“ von Ernst Pfiffner (Basel) nach Bibelworten in der Lutherübersetzung, nach Sonetten von Andreas Gryphius nach ost-kirchlichen Hymnentexten geschrieben, sogar ein altindischer Text wird verwendet, der ökumenische Gedanke allerdings durch Stellen aus Augustinus und der römischen Liturgie erweitert. Der Inhalt' ist die gemeinsame Hoffnung auf „Ihn, der da nicht hat Seinesgleichen“. Der Komponist verwendet Chor und Solisten, unterstützt von Streichern, Oboe, zwei Trompeten, Posaunen, Harfe, kleines Schlagzeug und Orgel, eine an sich kleine Besetzung. Der inneren Spannung, von der die Komposition erfüllt ist, konnte sich kein Zuhörer entziehen, so sehr die aparten (und teilweise gewiß problematischen) Einfälle der Partitur bei unvorbereitetem Anhören zunächst befremden möchten. Doch dokumentierte sich das Werk als eines der am meisten einstzunehmenden neuer Sakralmusik. Es wächst eine Reife aus den manchmal harten Klängen, die man gefühlsmäßig mehr und überzeugter als (ohne Partiturkenntnis) mit dem Verstände erfaßt. Wje ein Leitgedanke durchzieht der Vers aus Matthäus: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“, die verschiedenen Textgruppen, ebenso ein zweiter: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in Gott.“ Um die Wiedergabe bemühten sich mit Ernst und Erfolg die beiden Solisten, Juliette Bise und Gotthelf Kurth, der Organist Wolfgang Senn, der Münchner Kammerchor unter Leitung von Franz Arnold, das Kammerensemble Radio Bern, Bläser des Berner Str-korchesters.

Der andere Kompositionsauftrag erging an den jungen Klaus Huber (geb. 1924). Er wählte das Gebet des Aurelius Augustinus aus dessen „Soliloquia“ zur Grundlage und gab seiner Komposition den gleichen Namen. Das Werk ist ein Oratorium für Soli, zwei Chöre und großes Orchester. Das Werk ist bisher Fragment, von seiner dreigliedrigen Anlage sind nur die beiden ersten Teile komponiert, und auch von diesen entfielen bei der Wiedergabe zwei Nummern. Die musikalische Diktion ist irgendwie von Webern inspiriert und stellt an die Zuhörer (und noch mehr natürlich an die Ausführenden) enorme Ansprüche, r-- ist jedoch gleichzeitig irgendwie das Kriterium seines eigenen Stils: ob ein großes Oratorium, also dieses Werk noch um etwa ein Drittel verlängert, in diesem Stile seine Aussage noch aufnahmsfähig mitteilen kann? Ob der Zuhörer, auch der geschulte und positiv eingestellte, etwa von der Mitte an, nur mehr Spannungen spürt, ohne sie mehr voneinander unterscheiden zu können? Wir wollen hier nicht urteilen, aber doch Bedenken anmelden. Die Aufführung Wurde den Schwierigkeiten des Werkes jedenfalls in den Bemühungen der Mitwirkenden gerecht (mehr zu sagen vermag man ohne Partiturkenntnis nicht). Die Solisten Dorothy Dorow, Barbara Geiser-Peyer, Eric Tappy, Derrik Olsen und Roger Stalman konnten sich mit dem Radiochor Zürich und der Engadiner Kantorei und dem imponierend umsichtigen Dirigenten, Erich Schmid, den Erfolg teilen, der ihrer Arbeit ungeteilt, dem Werk zumindest als Anerkennung, galt.

An weiteren Chorwerken sind zu nennen: das Sanctus und Agnus aus der Ottobeurer Festmesse von Siegfried Hildenbrand, die „Sintflut“, eine Kantate von Willy Burkhard, die Choralmotette „Ach, wie flüchtig“ von Anton Heiller, da „Triptychon“ von Günter Raphael, die Motette „Wachet au ruft uns die Stimme“ von Hugo Distler, „Le Mystere de la Nativite“ von Frank Martin, ferner Konzerte mit alter französischer und anderer Musik, darunter eine tropierte Messe eines Anonymus aus dem 14. Jahrhundert. Von den ausführenden Chören sind außer den bereits genannten besonders hervorzuheben die Engadiner Kantorei, der Berner Kammerchor (mit dem Lehrergesangsverein Konolfingen), die Kantorei Barmen-Gemarke, die Schola Cantorum Turicensis. Ferner sangen ein Ensemble des Chors der Kathedrale von Versailles und als Solistenensemble der Ambrosian Consort, London. An Orgelkonzerten hörten wir je eines von Luigi Ferdinando Tagliavini, Bologna, Walter Kraft, Lübeck, Augustinus Franz Kropfreiter. Wien (St. Florian), und Peter Hurford, St. Albans, England Rudolf Walter, Heidelberg, gab zwar kein eigenes Konzert, spielte jedoch in einem Chorkonzert der Kantorei Barmen-Gemarke Stücke von Tunder, Heiller, David sowie aus dem Manuskript die Toccata von Ernst Pfiffner. Die Mehrzahl der Konzerte fand im Berner Münster statt.

Eine Ausstellung, „Zehn Jahrhunderte Kirchenmusik in der Schweiz war sehens- und hörenswert, da die interessante Führung (Pfarrer Dr. Markus Jenny, Weinfelden) auch viele alte Musik (Silvia und Walter Frey, Hans Klotz) auf alten Instrumenten erklingen ließ. — Ich kann diese Streiflichter durch den Berner Kirchenmusikkongreß nicht beenden, ohne der Gastfreundschaft und des freundlichen Entgegenkommens der Berner offiziellen und privaten Persönlichkeiten zu gedenken, das die programmerfüllte Woche für alle Teilnehmer gleichzeitig zum persönlichen Erlebnis machte. Besonderer Dank gebührt dem Sekretär des Kongreßkomitees, Herrn Adolf Schade, der nicht nur eine vorbildliche Organisation des Ablaufs der Veranstaltungen geschaffen hat, sondern durch seine persönliche Liebenswürdigkeit allen Teilnehmern zum Freund wurde.

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