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„ Wer singt, betet doppelt”

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Auf der ersten Seite des Geleitbuches zum IV. Internationalen Kongreß für katholische Kirchenmusik in Köln standen, an die Kirchenmusiker gerichtet, die Petrusworte: „Ihr seid ein auserwähltes Priestertum und ihr sollt die Wundertaten dessen verkünden, der euch aus der Finsternis zum Licht berufen hat.” Durch diese hohe Voraussetzung, ebenso wie durch die ihr entsprechende geistige Haltung und Dynamik wuchs der Kongreß schon bei seiner Eröffnung hoch über den Rahmen einer bloß musikalischen Angelegenheit hinaus. Man begriff mit Ehrfurcht, daß über Kirchenmusik nicht verantwortungslos geredet werden kann, ohne bis ins Herz des religiösen Lebens vorzudringen, die liturgische Mitte selbst zu berühren. Wort und Weise entspringen der gleichen Quelle, dem gleichen Geiste; Ipsi canamus gloriam, Ihm wollen wir lobsingen. So tönt der Hymnus in der ersten Gebetsstunde der Kirche; in diesem Gebetswort empfängt der Kirchenmusiker Segen und Weihe für seinen Auftrag, in den Dienst des singenden und betenden Christus zu treten, ja, zur ,,vox Christi” zu werden.

Den Kongreß eröffnete eine kurze Rede des Bischofs von Köln, Kardinal Frings, in der Sprache der Kirche. Ihr erwiderten die Grußworte der Völker in den Sprachen der Welt. Und vereinten sich wieder im Te Deurn. Zehn Tage hindurch erklang das Lob Gottes in allen Sprachen, in allen Gotteshäusern und außer ihnen. Es war wie ein tönender Gruß an das kommende Konzil, dem die Themen und Gedanken des Kongresses in hohem Maße gewidmet waren, da ihm in der Musica sacra wesentliche Aufgaben zufallen werden.

Eine erstrebte Wiedervereinigung der christlichen Kirchen bedingt die Rückkehr zu den Urbegriffen der Unmittelbarkeit des Lehrer-, .Hirten- und Pricsteramtes’ den Völkdrir-igegehübr- und deren unmittelbare Beteiligung ajj jS Gottesdienst, nicht nur meditativ, sondern funktionell, demnach vor allem singend : in der Missa cantata, der Betsingmesse mit Gesängen der Volkssprache, aber auch in den geistlichen Gesängen außerhalb der Liturgie. Es bedingt die Rückführung der Musik, auch der außerkirchlichen, zu ihrer kultischen Quelle. Eine ganze Reihe von Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen dienten diesen Gedanken: Alternatim-Messen (Schröder, Tittel, Heino Schubert, Choralämter), Oratorium „Maria” (Kronsteiner), eine Szene aus der geistlichen Oper „Thomas Morus” (Jaeggi) mit dem Grundmotiv des Te Deum, eine deutsche Passion (Baumann), eine Kriegs- und Friedenskantate (Milhaud), das geist liche Volkslied (irische Folklore), ein Choralamt der holländischen Kinder (Maria-Ward-Bewegung), ein Konzert mit alter geistlicher Musik (West- minsterchor), eines mit Werken lebender Komponisten (Domchor St. Gallen). Schallplattenstudio und Tonbandauf-

nahmen wiesen bedeutende Hilfsmittel für Missions- und Schulungstätigkeit. Eine sehr reich beschickte Ausstellung der Editeure aller Länder gab einen gründlichen Überblick über alle Gebiete des religiösen Musikschaffens der Vergangenheit und Gegenwart. An zwei Tagen wurden in einer großen Anzahl der Kirchen Kölns Gottesdienste in verschiedenen musikalischen Formen gehalten (darunter mit einer Messe von Benjamin Britten für zweistimmigen Knabenchor und Orgel). Wegweisend für die organische Mitwirkung des Volkes an der Missa can- tata erwies sich die Missa choralis von Ernst Tittel. Erschütternd und erhebend zugleich wirkte das Choralamt,

das 1200 holländische Kinder sangen. (Wallfahrt der Ward-Bewegung aus den Niederlanden und Belgien zu den Heiligen von Köln.) Ein Erlebnis, das den (immer noch vorhandenen) Antichoralisten den letzten Wind aus den Segeln nehmen dürfte.

Referate waren auf ein Minimum beschränkt in der Erkenntnis, daß die Praxis mehr von sich selbst verrät als alle Theorie. Sie beschränkten sich daher auf die Sektionen „Musik der römischen Meßliturgie” (es sprachen DDr. Basilius Ebel, Abt von Maria Laach, über Grundlagen des Verhältnisses von Kult und Gesang, und Kanonikus Univ.-Prof. Dr. René B. M. Le- naerts, Löwen, über Probleme der Musik der Messe in historischer Perspektive), „Urheberrecht” (Univ.-Prof. Dr. Ernst D. Hirsch Ballin, Amsterdam, über „Urheberrecht am Scheideweg” und Dr. Erich Schulze, Generaldirektor der GEMA, über Kirchenmusik und Urheberrecht), „Kirchenmusik in den Missionsländern” (die Vertreter der Nationen von Frankreich, Japan, Afrika, Süd- und Nordindien und Indonesien) und „Musikerziehung” (Weihbischof Dr. Bruno Wechner, Österreich, über „Die kirchenmusikalische Erziehung des Welt- und Ordensklerus”, Univ.-Prof. Dr. Joseph Smits van Waesberghe SJ, Amsterdam, über „Die Ausbildung des Kirchenmusikers” und Msgr. J. E. Ronan, Toronto, über „Musical Education and Cathedra! Choir Schools”).

Ein Pontifikalamt im byzantinischen Ritus der russisch-slawischen Version muß besonders erwähnt werden, da es den missionären Charakter besonders deutlich veranschaulichte und zugleich von der Notwendigkeit kirchenmusikalischer Erneuerung überzeugte. Die vom Chor der Väter vom Heiligen Geist, Knechtsteden, und vom Johannes-Dam äscenus-Chör für ostkirchliche Liturgie, Essen, unter Leitung von Karl Linke ausgezeichnet tradierten Gesänge, zum Großteil dem 19. Jahrhundert angehörend, entbehren der Spannung des musikalischen Erlebens, des Geistes der Gegenwart, der allein vor Gewöhnung und Absinken ins Dekorative und bloß Verschönernde bewahrt. Die reichgegliederte Liturgie müßte eigentlich die Komponisten locken, aus ihren Gegebenheiten heraus zu einer neuen Musik zu gelangen.

Wenn wir schon jetzt zusammenfassen dürfen: Im Hinblick auf das kommende Konzil stand der Kongreß, und damit die Ausrichtung der Kirchen musik, unter folgenden Gesichtspunkten:

1. Ihre Urform als Wechselgesang von Priester, Schola und Gemeinde.

2. Ihre Hochform als Missa cantata, der alle anderen Formen untergeordnet sind.

3. Damit verbunden die lateinische Sprache, unabdingbar vom gregorianischen Choral, dessen einfache Weisen vom Volke, womöglich schon im Kindesalter, erlernt und gesungen werden sollen.

4. Entfernung alles Unwesentlichen, rein Konzertanten aus den liturgischen Gesängen. Praktische Durchführung der päpstlichen Erlässe über Kirchenmusik seit Pius X.

5. Intensivierung des Musikstudiums an Universitäten (Priesterseminaren).

Die vom Kongreß formulierten Vota an den Heiligen Stuhl sind natürlich noch weitgehender. Unter anderen Reformen soll zum Beispiel der Zelebrant die Gesänge nicht selbst beten müssen, wie es auch in den Urzeiten der Kirche der Fall war. (Dies ist gemäß den neuen Rubriken ohnedies schon weitgehend abgeschafft.) Dadurch würde die Kirchenmusik in der Tat das, was sie im Geiste ist: ein integrierender Bestandteil der Liturgie. Ebenso wird für das Konzil neben der liturgischen eine eigene kirchenmusikalische Sektion erstrebt.

Die Entfaltung dieser kirchenmusikalischen Hochwoche war eine glänzende. Das Protektorat hatte der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland übernommen, das Ehrenpräsidium der Kardinal-Erzbischof von Köln, Joseph Frings, und der Apostolische Nuntius, Erzbischof Corrado Bafile, das Präsidium Bischof von Limburg, Dr. Wilhelm Kempf, Apostolischer Pronotar Prof. Dr. Higini Anglés- Pamies und Prälat Dr. Johannes Overath. Das Ehrenkomitee und das Internationale Komitee umfassen in ihrer Namensfolge drei Seiten des Kongreßbuches, das Verzeichnis der mitwirkenden Chöre und Orchester zwei Seiten. Darunter sind die Dom- chöre von Aachen, Berlin, Edinburgh Köln, Linz, St. Gallen, London (Westminster-Diözesanchor), ferner die gemischten Chöre der Kantorei „Leonhard Lechner”, Bozen, die Sängergruppe Gael-Linn aus Dublin, die Schola der Benediktinermönche aus Chevetogne, Belgien, Les Chanteurs de Saint Eustache, Paris, Coral S. Cecilia, St. Sebastian, Pfarrchor Weert, Niederlande, der Züricher Kammersprechchor, um nur einige der ausländischen Gäste zu nennen; ferner das Städtische Orchester Bonn, das Gürzenich-Orchester der Stadt Köln, die Philharmonia Hungarica, das Sinfonie- Orchester Limburg/Niederlande, die Cappella Coloniensis, sowie das Rheinische Kammerorchester und das Rundfunkorchester der Stadt Köln.

Zwischen den dicht aufeinanderfolgenden Veranstaltungen, die schon nach den ersten Tagen eine sorgfältige Auswahl des nicht zu Versäumenden nötig machten, blieb immer noch Zeit für persönliche Begegnungen und gesellschaftliches Beisammensein, ohne die ein Kongreß nicht vollständig wäre, zumal just aus ihnen persönliche Anregungen und Verbindungen entstehen, die sich nach alter Erfahrung häufig als dauernd und äußerst befruchtend erweisen. Man traf sich im Kongreßbüro, bei den Mahlzeiten. Schwarze und Weiße, Europäer und Asiaten saßen freundlich plaudernd nebeneinander (soweit die Verschiedenheit der Sprachen ein Gespräch ermöglichte; auf irgendeine Sprache aber verstand man sich meist zu einigen).

Der letzte Tag des Kongresses war einer Fahrt nach Maria-Laach gewidmet. die alle Teilnehmer fröhlich vereinte. am fröhlichsten wohl bei der Schiffahrt nach Bonn, wo sich dann noch einmal der Ernst des Kongresses entfaltete. Der Berliner Domchor sang in der Bonner Beethoven-Halle Beethovens Missa solemnis mit Gloria Davy, Frances Martin, Tom Brand und Theo Adam als Solisten und dem Bonner Städtischen Orchester als Instrumentalpart. Die Leitung hatte Domkapellmeister Karl Forster, Berlin. Es war ein Schlußpunkt, der Größe würdig, die uns in den zehn Tagen vereint und getragen hatte.

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