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Musik in der Kirche

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Die Tatsachen erweisen für die Wiener Kirchenmusik ungebrochenen Lebenswillen und, aus ihm ersprießend, eine Zähigkeit des Arbeitens, die aus Ruinen Neues hervorsprießen läßt. So ist die Hoffnung berechtigt, daß die im Keim angedeuteten, sichtbar werdenden Bestrebungen eine neue, vielleicht neuartige Blütezeit der musica sacra in Wien heVaufführen werden. Es muß ständig darauf hingewiesen werden: die Schwierigkeiten sind sehr groß und Mangel an geeigneten Kräften, Überarbeitung der vorhandenen, dazu die schweren Lebensbedingungen, das alles ergibt zusammen mit der brennenden Frage des Nachwuchses Sorgen, die nicht immer leicht aus der Welt zu schaffen sind. Die Probenarbeit, die Beschaffung von Noten, die Notwendigkeit, alle Chormitglied er zu bestimmter Stunde beisammen zu haben, das alles sind Fesseln, die jetzt mehr denn je auf uns lasten.

Es sind dies, vielleicht wird jemand so meinen, Kleinigkeiten. Aber es setzt sich unser ganzes Leben aus solchen Kleinigkeiten zusammen, durch deren Bewältigung erst die großen Dinge in ihrer ganzen Gestalt ins Leben treten können. Von diesen große* Dingen innerhalb der Kirchenmusik wollen wir jetzt reden.

Mit dem Ausdruck „Kirchenmusik“ versteht man für gewöhnlich nur die Musik zum Hochamt; die mehr oder minder feierliche, je nach Komponist und Gelegenheit verschiedene Komposition des feststehenden Meßtextes: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus. Daß es daneben auch ein Proprium gibt, für jedes Fest, für jeden Sonntag besonders, das wird in vielen Fällen schon übersehen; vor allem Introitus und Communio, die fallen unter den Tisch, will sagen unter die Chorempore. Daß es darüber hinaus nun auch noch Musik bei Betsingmessen, Segenandachten und anderen Gelegenheiten in der Kirche gibt, wird überhaupt nicht beachtet. Das Volkslied, der Volksgesang, das Orgelspiel, der gesamte Dienst am Altar, einschließlichhch der Architektur, in der er stattfindet, alles gehört zusammen zu jenem großen Gesamtkunstwerk, das man die Kunst in der Kirche nennt, als deren durchaus nicht kleinster Faktor die Musik zu gelten hat. Ein eigenes Kapitel sind die nachmittägigen oder abendlichen Konzertstunden, denen, weil sie eben als Konzert gewertet sein wollen, mehr Aufmerksamkeit zugewendet wird.

Also: nicht nur möglichst alle Lebens-bedingungen soll man erkennen, sondern auch alle Lebens i n h a 11 e. Sie bringen Pflichten und Aufgaben, die von jeder Zeit bewältigt werden müssen, vor denen auch unsere Zeit steht mit der „lohnenden Bürde“ neu aufzubauen und „Neues“ zu schaffen. Ob in glücklicher Fortführung bereits bestehender Einrichtungen oder in mühevoller Kleinarbeit bei jüngsten Gründungen, immer werden sich mit der Aufgabe Schwierigkeiten einstellen, aber immer auch wird mit ihrer Bewältigung das innere Leben der Musik in der Kirche wachsen.

Die „Musik in der Kirche“ ist es also, von der wir handeln wollen, nicht nur die musikalischen Hochämter. Eine gut durchgeführte Betsingmesse ist' erbauender und entspricht dem Gottesbewußtsein des Beters , mehr, als ein Hochamt, bei dem in nach-t lässiger Weise musiziert wird.

Die, Musik ist in hervorragender Weise, dazu berufen, das Gesamtkunstwerlw der katholischen Kirche, das man „Liturgie“ nennt, zu verschönern. Die „Liturgia“ war den antiken Griechen eine wichtige Staatshandlung, eine Handlung von besonderer Geltung also. In dieses Wortes Bedeutung, gesteigert noch durch den absoluten christlichen Erlösungsinhalt, ist ein Hochamt eben eine öffentliche Handlung im Beisein und unter Mitwirkung des Volkes, bei dem alle Faktoren in gleich vorzüglicher Art zusammenwirken müssen. Altar und Musikchor, Ministranten und Sänger, Zelebrant und Volk, sie alle müssen eine unbestrittene und unbestreitbare Einheit, ein künstlerisches Ganzes bilden. So wie dies etwa in der Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche am t. Jänner der Fall war. Der musterhaft geführten heiligen Handlung am Altar, bei der ;die zahlreich anwesende jugendliche Ministrantenassistenz genau wußte, wie sie sich in Würde zu bewegen hat, entsprach eine ebenso disziplinierte musikalische Bewegung am Musikchor. Die noch junge Chorgründung, geleitet von Prof. Viktor Mick, einem langjährige'h Mitarbeiter des unvergeßlichen Direktors Dominikus' Josef P e t e r 1 i n i, gab mit einer einfachen Messe für Chor und Orgel das musikalische Gegenstück zum Altar. Zugegeben, es ist nicht jedes Gotteshaus in der Lage, einen so imposanten modernen Hochchor aufzuweisen wie diese Kirche, aber das ist letzten Endes auch nicht das innerlich Entscheidende, wenn auch die heilige Handlung dadurch sichtbar „hinaufgehoben“ erscheint. Entscheidend ist einzig und allein, daß beide Leistungen — es sei der Ausdruck in etwa gestattet — einander ebenbürtig sind. Das kann überall der Fall sein.

Dem genannten Chor darf man Treue in Rhythmus und Textbetonung nachsagen, man freut sich seiner klangreinen Akkorde und vor allem seines guten Respondierens. Wie oft kommt es vor, daß man eine schöne Messe mit Pauken und Trompeten hört, wenn es aber zum Respondieren kommt, dann fällt der Chor mit Pauken und Trompeten durch, weil er es immer noch nicht richtig kann. Und dies trotzdem die vatikanische Choralreform schon seit langer Zeit ihr segensreiches Werk getan hat und es Hilfsmittel genug gibt; um diesem liturgischen Erfordernis Rechnung zu tragen. In der Seipel-Dollfuß-Kirche war es in Ordnung, man freute sich dessen und freute sich auch noch über die anwesenden Kirchenbesucher, die in vorbildlicher Haltung, ohne das übliche Weggehen besonders Eiliger nach dem Sanctus oder sonstwo, die Ruhe dieser angedeuteten künstlerischen Einheit nicht störten.

Der feierliche Gottesdienst einer guten Kirche ist eine dreigliedrige Einheit von Altar, Musikchor und Volk. Hier war er es und man darf hoffen und wünschen, daß er es weiterhin ist.

Unsere Zeit hat neue Gründungen von Güte außerordentlich notwendig. Die Musik in der Kirche gehört nicht nur dem Gottesdienst, sondern damit auch dem Volk. So wie in der katholischen Kirche alle Kunst —., Malerei und Goldschmiedearbeit, Architektur und Plastik — im Gotteshaus allen zugänglich ist, allen zu schauen da ist, so ist auch die Musilcür alle da, sie erfüllt damit eine ihrer ganz großen Aufgaben von eminent soziologischer und kunsterzieherischer Bedeutung. Sie dient dem Volk indem sie Gott dient, und was sie dem Allerhöchsten Bedeutung. Sie dient dem Volk, indem sie dem Volk außerdem auch in Konzertstunden in,der Kirche. So war die „Weihnachtsmusik“ der neugegründeten „W i e n e r Kantorei“ in der Basilika Maria Treu ein wahrhaft beglückendes Erlebnis. Das Ideal kirchlicher Musik sind und werden immer Knabenstimmen bleiben. Wenn sie so rein und sauber musizieren, wie bei Hans Gillesberger, dem Gründer und Leiter dieser „Wiener Kantorei“, dann darf und muß man einem solchen gemischten Chor eine gute Zukunft voraussagen. Lateinische Chöre von Meistern der A-cappella-Zeit, Lasso, Gallus, Nanino und Viadana, wechselten mit deutschen Weihnachtsliedern von J. S. Bach, Gumpeltshaimer-und Praetorius von klanglich gut ausgestalteten Orgelvorträgen Anton Heillers umrahmt, dem mit der Orgel dieser Kirche — an ihr hat Anton Bruckner im November 1861 seine Orgelprüfung abgelegt — ein ausgezeichnetes Instrument zur Verfügung stand. Dazu der unvergleichlich schöne, barocke Raum mit dem zweckentsprechend richtig beleuchteteten Hochaltar und der in weites Hineindämmern versunkenen Kuppel mit dem Gemälde von der Meisterhand des jungen Maulpertsch — das alles ergab eine auch räumlich zu empfindende Gesamtwirkung von starkem, besinnlichen Eindruck.

Auf dem damit beschrittenen Weg weiterzuschreiten ist für diese junge und zugleich jugendliche Chorgemeinschaft unbedingtes, Gebot; die notwendige Förderung wird wohl hoffentlich nicht ausbleiben. Vergessen wir nicht, daß alle ideellen Dinge von Menschen ausgeführt werden. Diese haben aber nicht nur eine Seele, ein Ideal, sondern auch einen Leib; und dessen Bedürfnisse sind weniger ideal, das hat wohl jeder Regenschori und jeder Pfarrherr schon zu spüren bekommen. Aber der gute Wille hat noch immer einen Weg gefunden.

Den guten Willen beweisen im besonderen alle jene Kirchenchöre, deren Gotteshäuser jetzt unbenutzbar dastehen und die deshalb unter besonders schwierigen Verhältnissen, oft in kleinen, aushilfsweise gerichteten Räumlichkeiten ihre Pflichten erfüllen müssen. Von ihnen soll ein andersmal die Rede sein, sie haben vor allem Anrecht darauf, beachtet zu werden.

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